Baurecht

Privatweg als selbständige Verkehrseinrichtung

Aktenzeichen  M 28 K 17.4768

Datum:
5.6.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 17191
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayKAG Art. 5 Abs. 1 S. 1
BauGB § 123 Abs. 2

 

Leitsatz

1 Wenn ein Grundstück an einen von einer ausgebauten Straße abzweigenden – öffentlichen oder privaten – Weg angrenzt, beantwortet sich die Frage, ob das Grundstück an der Verteilung des umlagefähigen Aufwands für den Ausbau der Straße teilnimmt, danach, ob der Weg als ausbaubeitragsrechtlich selbständig oder unselbständig zu qualifizieren ist. Ist der Weg selbständig, koppelt er die nur an ihm gelegenen Grundstücke ab und schließt eine Beitragspflicht für die Straße aus, von der der Weg abzweigt (ebenso BayVGH, BeckRS 2012, 45532). (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2 Bei einem von einer ausgebauten Straße abzweigenden Weg handelt es sich dann um eine die Straßenausbaubeitragspflicht auslösende unselbständige Verkehrseinrichtung in Form einer Zufahrt, wenn er bis zu 100 m tief und nicht verzweigt ist (ebenso BayVGH, BeckRS 2018, 534). (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
3 Ob ein Weg katastermäßig erfasst oder vermessen ist, spielt für das Vorliegen eines Sondervorteils iSd Art. 5 Abs. 1 S. 1 BayKAG keine Rolle. Unbeachtlich ist auch, ob die Zufahrt dinglich gesichert ist. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Bescheid des Beklagten vom 29. August 2016 und der Widerspruchsbescheid des Landratsamts Garmisch-Partenkirchen vom 7. September 2017 werden aufgehoben.
II. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren war notwendig.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die Klage ist zulässig und begründet. Der angefochtene Bescheid des Beklagten und der Widerspruchsbescheid sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).
Die Rechtswidrigkeit des Vorauszahlungsbescheides folgt bereits daraus, dass das Grundstück der Klägerin nicht beitrags- und damit auch nicht vorauszahlungspflichtig ist, weil ihm durch die ausgebaute D* …-Straße kein die Beitragserhebung rechtfertigender Sondervorteil vermittelt wird.
Für den Sondervorteil im Sinn von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 BayKAG sind nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs zwei Merkmale entscheidend: Zum einen die spezifische Nähe des Grundstücks zur ausgebauten Ortsstraße, wie sie bei Anliegergrundstücken gegeben ist, und zum anderen eine Grundstücksnutzung, auf die sich die durch den Ausbau verbesserte Möglichkeit, als Anlieger von der Ortsstraße Gebrauch zu machen, positiv auswirken kann. Den Eigentümern von Flächen, bei denen beide Voraussetzungen vorliegen, kommt der Straßenausbau in einer Weise zugute, die sie aus dem Kreis der sonstigen Straßenbenutzer heraushebt und die Heranziehung zu einem Beitrag rechtfertigt (BayVGH, U.v. 30.6.2016 – 6 B 16.515 – juris Rn. 16; U.v. 25.9.2018 – 6 B 18.342 – juris Rn. 15 m.w.N.).
Einem Grundstück wird im Straßenausbaubeitragsrecht eine vorteilsrelevante, zur Beitragserhebung rechtfertigende Inanspruchnahmemöglichkeit grundsätzlich nur durch die nächste von ihm aus erreichbare selbstständige Verkehrseinrichtung vermittelt; das kann auch ein öffentlicher oder privater Weg sein (BayVGH, U.v. 14.4.2011 – 6 BV 08.3182 – juris Rn. 20; Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeitragsrecht, 9. Aufl. 2012, § 8 Rn. 404). Grenzt ein Grundstück, wie das der Klägerin, an einen von einer ausgebauten Straße abzweigenden – öffentlichen oder privaten – Weg, beantwortet sich nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs die Frage, ob das betreffende Grundstück an der Verteilung des umlagefähigen Aufwands für den Ausbau der Straße teilnimmt, danach, ob der Weg als ausbaubeitragsrechtlich selbstständig oder unselbstständig zu qualifizieren ist. Ist der Weg selbstständig, koppelt er die nur an ihm gelegenen Grundstücke ab und schließt eine Beitragspflicht für die Straße aus, von der der Weg abzweigt (BayVGH, U.v. 14.4.2011 – 6 BV 08.3182 – juris Rn. 20; B.v. 4.12.2014 – 6 ZB 13.431 – juris Rn. 8; U.v. 30.6.2016 – 6 B 16.515 – juris Rn. 17; vgl. auch NdsOVG, U.v. 24.3.2015 – 9 LB 57.14 – NVwZ-RR 2015, 673).
Hierzu führt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof aus (U.v. 25.9.2018 – 6 B 18.342 – juris Rn. 17):
„Ausschlaggebend für die Unterscheidung zwischen (bereits) selbstständiger Verkehrseinrichtung einerseits und (bloß) unselbstständiger Zufahrt oder Zuwegung andererseits („Anhängsel“) ist der Gesamteindruck der zu beurteilenden Einrichtung. Besondere Bedeutung kommt ihrer Ausdehnung und Beschaffenheit sowie vor allem dem Maß der Abhängigkeit zwischen ihr und der Straße, in die sie einmündet, zu (BayVGH, U.v. 14.4.2011 – 6 BV 08.3182 – juris Rn. 21; U.v. 30.6.2016 – 6 B 16.515 – juris Rn. 17). Danach sind – öffentliche wie private – Stichstraßen grundsätzlich als unselbstständig zu qualifizieren, wenn sie nach den tatsächlichen Verhältnissen den Eindruck einer Zufahrt vermitteln. Da eine Zufahrt typischerweise ohne Weiterfahrmöglichkeit endet, typischerweise nur eine bestimmte Tiefe aufweist und ebenso typischerweise gerade, also nicht in Kurven verläuft, ist dies regelmäßig dann der Fall, wenn sie bis zu 100 m tief und nicht verzweigt ist (BayVGH, B.v. 20.4.2012 – 6 ZB 09.1855 – juris Rn. 8; B.v. 17.2.2016 – 6 ZB 14.1871 – juris Rn. 11; B.v. 15.1.2018 – 6 B 17.1436 – juris Rn. 11). Ob die Stichstraße mit Kraftfahrzeugen befahren werden kann oder darf, ist für die Abgrenzung ohne Bedeutung. Zwar kann nach den Grundsätzen des Erschließungsbeitragsrechts ein Privatweg ein ausschließlich an ihm gelegenes Grundstück von der nächsten öffentlichen Anbaustraße nur dann abkoppeln, wenn er als selbstständige Erschließungsanlage im Sinn von § 123 Abs. 2 BauGB zu qualifizieren ist, was die Vermittlung der bebauungs- und bauordnungsrechtlichen Erreichbarkeitsanforderungen für eine Bebaubarkeit des Grundstücks voraussetzt (im Einzelnen Schmitz, Erschließungsbeiträge, 2018 § 13 Rn. 84 ff. m.w.N.). Diese vom Verwaltungsgericht herangezogenen Grundsätze lassen sich auf das Straßenausbaubeitragsrecht aber wegen der unterschiedlichen gesetzlichen Ausgestaltung der Beitragstatbestände nicht uneingeschränkt übertragen. Da im Straßenausbaubeitragsrecht zur Begründung eines relevanten Sondervorteils bereits die qualifizierte Inanspruchnahmemöglichkeit der Verkehrseinrichtung als solche genügt, kommt es auf die besonderen Erreichbarkeitsanforderungen für eine bauliche oder vergleichbare gewerbliche Nutzung des Grundstücks nicht an. Deshalb ist für ein Grundstück ausbaubeitragsrechtlich auch dann grundsätzlich die nächste von ihm aus erreichbare selbständige Verkehrseinrichtung maßgebend, wenn diese nicht zum Befahren mit Kraftfahrzeugen geeignet ist (BayVGH, U.v. 14.4.2011 – 6 BV 08.3182 – juris Rn. 22).“
Gemessen an diesen Maßstäben handelt es sich bei dem H* …weg, an dem das Grundstück der Klägerin gelegen ist, um eine selbständige Verkehrseinrichtung, die das Grundstück der Klägerin von der D* …-Straße abkoppelt. Gegen den Charakter einer bloßen Zufahrt spricht vorliegend bereits die Länge des Weges von deutlich mehr als 200 m. Überdies ist der Weg, wie auf den in der mündlichen Verhandlung mit den Beteiligten erörterten Lichtbildern deutlich zu erkennen ist, uneinsehbar, d.h. es ist für den objektiven Betrachter von der Einmündung des Weges in die D* …-Straße nicht zu erkennen, wohin dieser führt, ob dieser endet und ob Grundstücke von diesem Weg erschlossen sind. Der Weg hat ferner eine nicht unbeachtliche Breite, was nicht zuletzt durch den Umstand, dass Versorgungsfahrzeuge und die Müllabfuhr diesen befahren, deutlich wird. Weiter spricht gegen den Charakter einer Zufahrt und für das Vorliegen einer selbständigen Verkehrseinrichtung, dass der H* …weg am Grundstück der Klägerin nicht endet, sondern zur R* …straße weiterführt und in diese einmündet, wohingegen eine Zufahrt typischerweise ohne Weiterfahrtmöglichkeit endet.
Unbeachtlich ist demgegenüber dem Umstand, dass der H* …weg katastermäßig nicht erfasst und nicht vermessen ist. Auch dass die Zufahrt nicht dinglich gesichert ist, spielt für die Frage des Sondervorteils im Sinne von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 BayKAG keine Rolle. Es handelt sich bei der Anlage um einen Privatweg, den die Klägerin im maßgeblichen Zeitpunkt der Beitragsentstehung, die vorliegend im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung bereits eingetreten war, aufgrund einer wirksamen schuldrechtlichen Vereinbarung des Beklagten mit der Bayerisches Staatsforsten AöR zu nutzen berechtigt ist.
Insgesamt stellt der H* …weg daher zur vollen Überzeugung der erkennenden Kammer eine selbständige Erschließungsanlage dar, die das Grundstück der Klägerin von der D* …-Straße beitragsrechtlich abkoppelt.
Ist das Grundstück der Klägerin somit nicht beitragspflichtig für den Ausbau der D* …-Straße, können Vorauszahlungen insoweit nicht erhoben werden. Der angefochtene Bescheid ist daher rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 709 ZPO.
Die Berufung war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 124 Abs. 2 Nrn. 3 oder 4 VwGO nicht vorliegen (§ 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO).


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