Baurecht

Prozeßbevollmächtigter, Vorauszahlung, Widerspruchsbescheid, Beitragsfähiger Aufwand, Verwaltungsgerichte, Straßenausbaubeitrag, Natürliche Betrachtungsweise, Befähigung zum Richteramt, Gemeinde, Einmündungsbereich, Grundstücksnutzung, Grundstücksverhältnisse, Grundstückseigentümer, Grundstücksgrenze, Angrenzende Grundstücke, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Städtebauliches Entwicklungskonzept, Sondervorteil, Erörterungstermin, Ausbaubeitragssatzung

Aktenzeichen  W 2 K 19.864

Datum:
2.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 39877
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
KAG Art. 5

 

Leitsatz

Tenor

I.        Der Bescheid des Beklagten vom 23. Juni 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids des Landratsamts Miltenberg vom 13. Juni 2019 wird aufgehoben.
II.        Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.        Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage hat auch in der Sache Erfolg. Der Bescheid des Beklagten vorm 23. Juni 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Landratsamtes Miltenberg vom 13. Juni 2019 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Vorliegend findet nach der Übergangsvorschrift des Art. 19 Abs. 7 Satz 1 Kommunalabgabengesetz (KAG) in der Fassung vom 24. Mai 2019 (GVBl S. 266) das Kommunalabgabengesetz in der bis zum 31. Dezember 2017 geltenden Fassung Anwendung.
2. Gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 1 KAG können die Gemeinden zur Deckung ihres anderweitig nicht gedeckten Aufwands für die Herstellung, Anschaffung, Verbesserung oder Erneuerung ihrer öffentlichen Einrichtungen Beiträge von den Grundstückseigentümern erheben, denen die Möglichkeit der Inanspruchnahme dieser Einrichtungen besondere Vorteile bietet. Nach der hier geltenden alten Gesetzeslage sollen gem. Art. 5 Abs. 1 Satz 3 KAG für die Verbesserung oder Erneuerung von Ortsstraßen und beschränkt-öffentlichen Wegen Beiträge erhoben werden, soweit nicht Erschließungsbeiträge nach Art. 5a KAG zu erheben sind.
Rechtsgrundlage für die Erhebung einer Vorauszahlung ist Art. 5 Abs. 5 KAG, ohne dass es einer satzungsrechtlichen Umsetzung durch den Beklagten bedürfte. Danach können für ein Grundstück, für das eine Beitragspflicht noch nicht oder nicht in vollem Umfang entstanden ist, Vorauszahlungen auf den Beitrag verlangt werden, wenn mit der Ausführung der Maßnahmen begonnen worden ist, für die der Beitrag erhoben werden soll. Aus dem Wesen der Vorauszahlung als einer Zahlung vor Entstehung einer Beitragspflicht und aus der darin begründeten Abhängigkeit von einer künftigen Beitragsschuld nach Grund und Höhe fordert ihre Festsetzung jedoch das Vorhandensein der gültigen Beitragsregelung in Gestalt einer Abgabensatzung nach Art. 2 Abs. 1 KAG, weil nur so die rechtlichen Voraussetzungen für die spätere Begründung einer Beitragspflicht geschaffen werden können (vgl. BayVGH, U.v. 1.6.2011 – 6 BV 10.2467 – juris Rn. 31).
Eine solche Regelung hat der Beklagte mit der Satzung über die Erhebung von Beiträgen zur Deckung des Aufwands für die Herstellung, Anschaffung, Verbesserung oder Erneuerung von Straßen, Wegen, Plätzen, Parkplätzen und Grünanlagen vom 6. Juni 2011 (Ausbaubeitragssatzung – ABS -) erlassen. Bedenken gegen das ordnungsgemäße Zustandekommen dieser Satzung sind nicht ersichtlich und auch in materiell-rechtlicher Hinsicht liegen keine Fehler auf der Hand.
3. Die abzurechnende Baumaßnahme an der M* H1.straße stellt eine beitragsfähige Verbesserung im Sinne von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und 3 KAG dar und nicht nur eine Instandhaltungsmaßnahme. Dass die Ausbaumaßnahme auch den Zweck der Verkehrsberuhigung und Umgestaltung des Ortszentrums gemäß dem Städtebaulichen Entwicklungskonzept aus dem Jahre 2009 verfolgte, ist ausbaubeitragsrechtlich unschädlich. Denn eine beitragsfähige Verbesserung liegt vor, wenn sich der Zustand der Orts straße nach dem Ausbau in irgendeiner Hinsicht (insbesondere räumlicher Ausdehnung, funktionaler Aufteilung der Gesamtfläche, Art der Befestigung) von ihrem ursprünglichen Zustand im Herstellungszeitpunkt in einer Weise unterscheidet, die positiven Einfluss auf die Benutzbarkeit hat (BayVGH, U.v. 11.12.2015 – 6 BV 14.586 – juris Rn. 15; B.v. 13.8.2014 – 6 ZB 12.1119 – juris Rn. 13). Dies ist hier offensichtlich der Fall.
4. Soweit die Klägerin meint, der Ausbau der M* H1.straße sei „zu großzügig“ und „pompös“, vermag dies keine Zweifel an der Höhe des beitragsfähigen Aufwands zu begründen. Bei der Beurteilung der Frage, ob angefallene Kosten für die Erneuerung einer Straße erforderlich sind im Sinne von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 KAG, steht der Gemeinde ein weiter Beurteilungsspielraum zu. Die Gemeinde ist weder gehalten, die kostengünstigste Ausbaumöglichkeit zu wählen noch alle – etwa vergleichbaren – Ortsstraßen in gleicher Weise auszubauen. Die Angemessenheit entstandener Kosten kann angesichts dessen nur dann ausnahmsweise verneint werden, wenn sich die Gemeinde bei der Vergabe der Aufträge oder der Durchführung einer Baumaßnahme offensichtlich nicht an das Gebot der Wirtschaftlichkeit gehalten hat und dadurch augenfällige Mehrkosten entstanden sind, d.h., wenn die Kosten in für die Gemeinde erkennbarer Weise eine grob unangemessene Höhe erreichen, also sachlich schlechthin unvertretbar sind (ständige Rechtsprechung, vgl. BVerwG, U.v. 30.1.2013 – 9 C 11.11 – juris Rn. 24; BayVGH, B.v. 1.9.2016 – 6 ZB 16.798 – juris Rn. 6). Hierfür fehlen vorliegend jegliche Anhaltspunkte und auch die Klägerin vermochte dies nicht substantiiert in Frage zu stellen.
5. Die Klägerin ist jedoch nicht beitragspflichtig, da sie nicht zum Kreise der Grundstückseigentümer gehört, denen die Möglichkeit der Inanspruchnahme der ausgebauten Einrichtung besondere Vorteile bietet.
Gegenstand einer beitragsfähigen Ausbaumaßnahme ist grundsätzlich die einzelne Orts straße als die maßgebliche öffentliche Einrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 KAG. Wo eine solche Orts straße beginnt und wo sie endet, bestimmt sich grundsätzlich nach dem Gesamteindruck, den die jeweiligen tatsächlichen Verhältnisse einem unbefangenen Beobachter vermitteln. Zu fragen ist dabei, inwieweit sich die zu beurteilende Einrichtung als augenfällig eigenständiges Element des örtlichen Straßennetzes darstellt. Deshalb hat sich der ausschlaggebende Gesamteindruck nicht an Straßennamen oder Grundstücksgrenzen, sondern ausgehend von einer natürlichen Betrachtungsweise an der Straßenführung, der Straßenlänge, der Straßenbreite und der Ausstattung mit Teileinrichtungen auszurichten (vgl. etwa BayVGH, U.v. 28.1.2010 – 6 BV 08.3043 – juris Rn. 12; U.v. 1.6.2011 – 6 BV 10.2467 – juris Rn. 41; B.v. 6.12.2017 – 6 ZB 17.1104 – juris Rn. 7 m.w.N.). Zugrunde zu legen ist dabei der Zustand im Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflichten, also nach Durchführung der Ausbaumaßnahme. Bei der – hier in Streit stehenden – Erhebung von Vorauszahlungen, die begrifflich immer vor dem Entstehen der endgültigen sachlichen Beitragspflichten erfolgt, ist prognostisch nach der Erkenntnislage im Zeitpunkt der (letzten) Behördenentscheidung zu bewerten, wie die Orts straße sich nach vollständiger Umsetzung des gemeindlichen Bauprogramms darstellen wird (BayVGH, B.v. 13.8.2014 – 6 ZB 12.1119 – juris Rn. 8).
Erstreckt sich eine Baumaßnahme nicht auf die Orts straße in ihrer gesamten Länge, sondern mangels weitergehenden Erneuerungs- oder Verbesserungsbedarfs lediglich auf eine Teilstrecke, kann eine beitragsfähige Erneuerung in der Regel nur dann angenommen werden, wenn die erneuerte Teilstrecke mindestens ein Viertel der gesamten Straßenlänge umfasst. Denn unterhalb dieser Schwelle ist regelmäßig nur ein unerheblicher Teil betroffen, dessen Erneuerung oder Verbesserung nicht auf die gesamte Einrichtung durchschlägt (vgl. BayVGH, U.v. 11.12.2015 – 6 BV 14.586 – juris Rn. 16).
Nach diesen Maßstäben ist für die Erhebung der streitigen Vorauszahlung nicht auf den gesamten Straßenzug M* H1.straße Nord/K* H1.als beitragsrechtlich maßgebliche Einrichtung abzustellen.
5.1 Die Straßen M* H1.straße (Nord) und K* H1. Straße stellen zwei unterschiedliche beitragsrechtliche Einrichtungen dar. Dies hat insbesondere der vom Gericht vor Ort durchgeführte Erörterungstermin mit der Inaugenscheinnahme der örtlichen Gegebenheiten ergeben.
Bei einer reinen Betrachtung von Straßenplänen und Luftaufnahmen wirken die beiden Straßen unter dem Aspekt der Straßenführung zunächst wie ein einheitlicher Straßenzug. Beginnend am sogenannten „Mini-Kreisel“ verläuft die M* H1.straße in leicht nordöstlicher Richtung weitgehend gerade, bis sie nach etwa 300m im Einmündungsbereich der Haupt straße auf die K* H1. Straße einschwenkt. Diese führt ab dem Einmündungsbereich nahezu gerade in nordöstlicher Richtung bis zum Einmündungsbereich der Umgehungs straße. Allerdings kommt es nicht auf den durch Luftbilder vermittelten Eindruck an, sondern auf den Gesamteindruck, den die tatsächlichen Verhältnisse vor Ort einem unbefangenen Beobachter vermitteln. Bei dieser natürlichen Betrachtungsweise ergeben sich so gravierende Unterschiede im äußeren Erscheinungsbild der beiden Straßen, dass von einem einheitlichen Straßenzug nicht mehr die Rede sein kann.
Entgegen der Ansicht der Klägerin kommt es hierbei allerdings nicht auf die unterschiedliche vorhandene Bebauung und Nutzungsarten in M* H1.straße einerseits und K* H1. Straße andererseits an. Denn die angrenzende Bebauung gehört nicht zu den maßgeblichen Kriterien für die Abgrenzung einer einzelnen Orts straße (vgl. BayVGH, B.v. 24.3.2015 – 6 CS 15.389 – juris Rn. 12)
Die K* H1. Straße führt von Nordosten kommend geradewegs auf die H* H1.straße zu. Blickt ein objektiver Beobachter der K* H1. Straße folgend nach Südwesten, fällt sein Blick weiter geradeaus in die H* H1.straße. Diese war ursprünglich auch deren schnurgerade Verlängerung. Der Einmündungsbereich H* H1.straße / K* H1.weg / M* H1.straße wurde durch breite Gehwege, Grünflächen und Bepflanzung platzartig aufgeweitet. Die M* H1.straße wurde in Abkehr vom historischen Verlauf durch einen deutlichen Verschwenk in der Straßenführung mit der K* H1. Straße verbunden. Diese baulichen Maßnahmen führen einerseits dazu, dass der Verkehr von Norden kommend nicht weiter geradeaus in die Haupt straße fließt, sondern in die M* H1.straße abbiegt, welche gleichsam als Umgehungs straße für die H* H1.straße fungiert. Andererseits führt dieser Einmündungsbereich zu einer optischen Zäsur, die die beiden Straßenzüge als jeweils selbständige Verkehrseinrichtung erscheinen lässt.
Dieser Eindruck wird verstärkt durch die sich erheblich unterscheidenden Ausbaubreiten von K* H1. Straße einerseits und M* H1.straße andererseits. Während sich die K* H1. Straße im Bereich nördlich dieses Einmündungsbereichs als relativ enge Straße mit beidseits sehr schmalen, teilweise weniger als 1 Meter breiten Gehwegen darstellt, öffnet und weitet sich die Straße im weiteren Verlauf und wird deutlich breiter. So befinden sich bereits im Einmündungsbereich der H* H1.straße begrünte Verkehrsinseln in der Mitte der Straße, welche die Fahrbahnbreite sichtlich vergrößern. Im weiteren Verlauf werden auch die Gehwege deutlich breiter, bis sie schließlich im Bereich der neu angelegten Parkplätze (Höhe Sparkasse/Apotheke) fast promenadenartig angelegt sind. Hier ist die M* H1.straße einschließlich der Parkplätze und Gehwege ungefähr doppelt so breit wie die K* H1. Straße. Diese augenfällige Gestaltung der M* H1.straße vermittelt dem von Norden kommenden Beobachter den Eindruck, mit dem Verschwenk in besagtem Einmündungsbereich in eine andere Straße geleitet zu werden.
Auch die Ausstattung der beiden Straßenzüge mit ihren Teileinrichtungen steht in derart augenfälligem Kontrast zueinander, dass ein objektiver Beobachter nicht mehr den Eindruck haben kann, sich in ein und derselben Straße zu befinden. Die M* H1.straße ist aufwendig ausgestattet mit breiten Gehwegen, diversen Fahrbahnteilern bzw. Trennstreifen mit Bepflanzung oder Blumenkübeln und zum Teil Beleuchtung, 17 Parkplätzen zum Querparken auf Höhe Sparkasse/Apotheke, weiteren Parkbuchten sowie mehreren Zebrastreifen bzw. Querungshilfen. Die K* H1.traße hingegen weist nicht in vergleichbarem Maße eine derartige Ausstattung auf. Insbesondere im Bereich bis zur Kreuzung G* H1.straße/N* …ring, den der Beklagte als einheitlichen Straßenzug angesehen hat, finden sich weder derart breite Gehwege noch Fahrbahnteiler bzw. Trennstreifen. Über weite Strecken sind aufgrund der geringen Straßenbreite keine Parkbuchten oder Parkplätze vorhanden; vielmehr ist ein Halteverbot angeordnet. Lediglich einige rot eingefärbte Querungshilfen sind in diesem Bereich der K* H1. Straße zu finden. Diese großen Unterschiede in der Ausstattung sind so offenkundig, dass auch sie den Eindruck vermitteln, dass nach dem Verschwenk der M* H1.straße in die K* H1. Straße eine neue, selbständige Straße beginnt.
Schließlich führen auch die jeweils ganz unterschiedlichen Straßenlängen zu dem Gesamteindruck zweier eigenständiger Elemente des örtlichen Straßennetzes. Während die M* H1.straße nördlich des „Mini-Kreisels“ nur etwa 300m lang ist und sich dementsprechend nur auf dieser Länge die geschilderte Gestaltung und Ausstattung findet, führt die K* H1. Straße auf einer Länge von insgesamt etwa 1.200m bis zur Umgehungs straße. Der aus Süden kommende „unbefangene Beobachter“ folgt also für eine verhältnismäßig kurze Strecke der M* H1.straße mit besagtem Erscheinungsbild, während sich nach dem Verschwenk in die K* H1. Straße eine etwa viermal so lange Strecke anschließt (zum maßgeblichen Ende der Einrichtung K* H1. Straße sogleich unter 5.2).
An dieser Beurteilung ändern auch die Pläne für einen möglichen Ausbau der K* H1. Straße nichts. Zwar ist im Falle einer Vorauszahlung prognostisch nach der Erkenntnislage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung zu bewerten, wie sich die Orts straße nach vollständiger Umsetzung des gemeindlichen Bauprogramms darstellen wird. Allerdings existiert hinsichtlich der K* H1. Straße kein hinreichend bestimmtes Bauprogramm, das hier zu berücksichtigen wäre.
Im Bauprogramm legt die Gemeinde als Trägerin der Straßenbaulast fest, was sie durchführen will und muss, um eine geplante Straßenausbaumaßnahme so zu verwirklichen, dass eine Beitragserhebung nach Art. 5 Abs. 1 Satz 3 KAG in Betracht kommt. Dem gemeindlichen Bauprogramm kommt nach ständiger Rechtsprechung im jeweiligen Einzelfall ausschlaggebende Bedeutung insbesondere dafür zu, ob eine Straßenbaumaßnahme als beitragsfähige Erneuerung oder Verbesserung zu qualifizieren, wann die Maßnahme abgeschlossen und in welchem Umfang der mit ihr verbundene Aufwand beitragsfähig ist. Das setzt einen solchen Grad an Bestimmtheit voraus, dass später verlässlich festgestellt werden kann, in welchem Zeitpunkt die Ausbaumaßnahme abgeschlossen ist und in welchem Umfang die durchgeführten Maßnahmen und die dafür angefallenen Kosten erforderlich, mithin beitragsfähig sind. Es muss mit anderen Worten hinreichend deutlich bestimmt werden, wo, was und wie ausgebaut werden soll (BayVGH, B. v. 4.7.2018 – 6 ZB 17.1585 – juris Rn. 8).
Nach diesen Maßstäben liegt für den Bereich der K* H1. Straße kein hinreichend konkretes Bauprogramm vor. Zwar sieht das der streitgegenständlichen Ausbaumaßnahme zugrundeliegende Bauprogramm nach Darstellung des Beklagten auch den Umbau der Kreuzung G* H1.straße/N* …ring in einen Kreisverkehr vor. Bereits im Jahre 2017 sei ein Ingenieurbüro mit der Umsetzung dieser Planung beauftragt worden. Für die Jahre 2019/2020 sei ursprünglich der Abschluss der Umgestaltung der Kreuzung vorgesehen gewesen. Aufgrund der Haushaltslage des Beklagten werde sich dieser allerdings noch verzögern. Eine Straßenerneuerung im Bereich der K* H1. Straße sei gegenwärtig nicht vorgesehen, da zuvor die Vorflut in der H* H1.straße kanalbautechnisch saniert werden müsse. Der Ausbau der K* H1. Straße sei auch nicht Gegenstand des aktuellen Bauprogramms, das der Vorauszahlungserhebung vom 23. Juni 2017 zugrunde liege.
Da somit hinsichtlich der Errichtung eines Kreisverkehrs und hinsichtlich sonstiger Ausbaumaßnahmen in der K* H1. Straße kein hinreichend zeitlich und inhaltlich konkretisiertes Bauprogramm vorliegt, kann nur jenes Berücksichtigung finden, dass den streitgegenständlichen Ausbaumaßnahmen im Bereich der M* H1.straße tatsächlich zugrunde lag.
5.2 Selbst wenn man dieser Auffassung der Kammer nicht folgt, wäre die Erhebung der Vorauszahlung aus weiteren Gründen rechtswidrig.
5.2.1 Zum einen hätten bei der Ermittlung des Beitragssatzes auch die Grundstücke R* H1.-Straße 9 bis 31 einbezogen werden müssen. Denn auch diesen Grundstückseigentümern bietet die Möglichkeit der Inanspruchnahme der Einrichtung M* Heipstraße (Nord)/K* H1. Straße besondere Vorteile.
Für einen Sondervorteil im Sinne von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 KAG, der die Erhebung eines Beitrags für die Erneuerung oder Verbesserung einer Orts straße rechtfertigt, sind zwei Merkmale entscheidend: Zum einen die spezifischen Nähe des Grundstücks zur ausgebauten Orts straße, wie sie bei Anliegergrundstücken und ihnen aus dem Blickwinkel einer rechtlich gesicherten Inanspruchnahmemöglichkeit gleichzustellenden Hinterliegergrundstücken gegeben ist, zum anderen eine Grundstücksnutzung, auf die sich die durch den Ausbau verbesserte Möglichkeit, als Anlieger von der Orts straße Gebrauch zu machen, positiv auswirken kann. Dabei kommt es – anders als im Erschließungsbeitragsrecht (Art. 5a Abs. 1 KAG i.V.m. §§ 127 ff. BauGB) – nicht darauf an, ob die Straße dem Grundstück die wegemäßige Erschließung vermittelt, die für eine zulässige bauliche oder gewerbliche Nutzung erforderlich ist. Vielmehr genügt im Straßenausbaubeitragsrecht die qualifizierte Inanspruchnahmemöglichkeit als solche, die im Grundsatz jeder sinnvollen und zulässigen, nicht nur der baulichen oder gewerblichen Nutzung zugutekommt (ständige Rechtsprechung; vgl. BayVGH, U.v. 25.10.2012 – 6 B 10.132 – juris Rn. 29 m.w.N.).
Eine vorteilsrelevante Inanspruchnahmemöglichkeit der ausgebauten Straße von einem bestimmten Grundstück aus setzt eine Erreichbarkeit voraus, die für dessen bestimmungsgemäße Nutzung erforderlich ist. Dazu bedarf es in der Regel der Erreichbarkeit mit Kraftfahrzeugen (Heranfahrenkönnen). Diese Grundform der Erreichbarkeit ist erfüllt, wenn auf der Fahrbahn der ausgebauten Orts straße bis zur Höhe dieses Grundstücks mit Personen- und kleineren Versorgungsfahrzeugen gefahren und es von da ab gegebenenfalls über einen dazwischen liegenden Gehweg, Radweg oder Seitenstreifen in rechtlich zulässiger und tatsächlich zumutbarer Weise betreten werden kann (vgl. BayVGH, U.v. 29.11.2018 – 6 B 18.248 – juris Rn. 27).
Nach diesen Maßstäben ist ein Sondervorteil auch für die Grundstücke R* H1.-Straße 9 bis 31 zu bejahen. Diese grenzen mit ihren westlichen Grundstücksgrenzen jeweils in ihrer gesamten Breite bis unmittelbar an den Gehweg entlang der K* H1. Straße heran. Von diesem Gehweg aus können die Grundstücke tatsächlich betreten werden. Der zwischen der Fahrbahn bzw. den längsseitigen Parkplätzen und dem Gehweg vorhandene, etwa zwei bis drei Meter breite Grünstreifen steht der Betretbarkeit weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht entgegen.
Der Grünstreifen ist völlig eben und nur teilweise mit Büschen und Bäumen bewachsen. Als solcher stellt er in tatsächlicher Hinsicht kein beachtliches Hindernis dar. Auch in rechtlicher Hinsicht führt er zu keinem Zugangshindernis. Der Beklagte trägt diesbezüglich nichts Substantiiertes vor. Er führt lediglich aus, dass der Park- und Grünstreifen aufgrund seiner Breite nicht mehr als ortsübliches Straßenbegleitgrün betrachtet werden könne. Er legt damit nichts dar, was in rechtlicher Hinsicht dagegen sprechen könnte, den Grünstreifen betreten zu dürfen. Dass seitens des Beklagten mit einem Betreten des Grünstreifens gerechnet wird, zeigt sich bereits in der Tatsache der Parkplätze, die sich fast durchgehend zwischen den Grundstücken R* H1.-Str. 9 bis 31 entlang der K* H1. Straße befinden. Es wäre lebensfremd anzunehmen, dass die dort parkenden Autofahrer ausschließlich unter Querung der K* H1. Straße auf den westlich gelegenen Gehweg wechseln, anstatt den näher gelegenen östlich gelegenen Gehweg über den Grünstreifen zu betreten.
5.2.2 Zum anderen würde unter der Prämisse, bei den beiden Straßen M* H1.straße Nord/K* H1. Straße handele es sich um eine einheitliche Einrichtung, diese entgegen der Auffassung des Beklagten jedenfalls nicht an der Kreuzung G* H1.straße/N* …ring enden, sondern an der Einmündung in die Umgehungs straße. Die Inanspruchnahme würde dann an den Voraussetzungen des Teilstreckenausbaus scheitern.
Wenn der Beklagte ausführt, die ausbaubeitragsrechtlich relevante Anlage ende aus Rechtsgründen an der Kreuzung G* H1.straße/N* …ring, da die Straße in ihrem weiteren Verlauf noch nicht erstmals endgültig hergestellt sei, kann dem nicht gefolgt werden. Für die Beurteilung der Frage nach der maßgeblichen öffentlichen Einrichtung ist straßenausbaurechtlich grundsätzlich allein eine natürliche Betrachtungsweise, also der Gesamteindruck nach den jeweiligen tatsächlichen Verhältnissen, entscheidend. Eine Ausnahme von der natürlichen Betrachtungsweise ist nicht geboten, weil es hier insbesondere nicht um die nachträgliche Verlängerung einer endgültig hergestellten Anbau straße um eine zuvor nicht angelegte Teilstrecke geht. Bei natürlicher Betrachtungsweise ergeben sich im Verlauf der K* H1. Straße keine derart gravierenden Veränderungen in Straßenführung, Breite, Länge und Ausstattung, dass von einer Zäsur und Trennung in eine weitere, selbständige Einrichtung ausgegangen werden könnte. Insbesondere kommt der Kreuzung G* H1.straße/N* …ring keine trennende Wirkung zu. Das hat der Erörterungstermin der Kammer deutlich gezeigt.
Zwar können Kreuzungen im Rahmen der natürlichen Betrachtungsweise je nach den tatsächlichen Verhältnissen eine trennende Wirkung entfalten. Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Die beiden kreuzenden Straßen sind im Verhältnis zur K* H1. Straße nur relativ kurz und weisen keine wesentlich größere Straßenbreite oder Ausstattung auf. Auch befindet sich lediglich nördlich der Kreuzung eine Ampel, die zu keiner augenfälligen Zäsur führt. Die Kreuzung teilt die K* H1. Straße somit nicht in zwei selbständige Einrichtungen.
Stellt daher der gesamte Straßenzug vom „Mini-Kreisel“ bis zur Umgehungs straße eine einheitliche Einrichtung dar, scheitert eine Inanspruchnahme der Klägerin unabhängig von Fragen des Herstellungsbeitragsrechts (vgl. aber BayVGH, U.v. 19.10.2017 – 6 B 17.189 – juris) jedenfalls daran, dass schon die Voraussetzungen des Teilstreckenausbaus nicht gegeben sind.
Der gesamte Straßenzug zwischen „Mini-Kreisel“ im Süden und der Umgehungs straße im Norden ist etwa 1.500m lang. Davon erneuert wurde eine Teilstrecke von etwa 250m, also weniger als ein Fünftel der gesamten Straßenlänge. Erstreckt sich eine Baumaßnahme nicht auf die Orts straße in ihrer gesamten Länge, sondern lediglich auf eine Teilstrecke, kann eine beitragsfähige Erneuerung in der Regel nur dann angenommen werden, wenn die erneuerte Teilstrecke mindestens ein Viertel der gesamten Straßenlänge umfasst. Denn unterhalb dieser Schwelle ist regelmäßig nur ein unerheblicher Teil betroffen, dessen Erneuerung oder Verbesserung nicht auf die gesamte Einrichtung durchschlägt (vgl. BayVGH, U.v. 11.12.2015 – 6 BV 14.586 – juris Rn. 16).
Nach diesem Maßstab sind die durchgeführten Ausbaumaßnahmen nicht beitragsfähig, da diese unter dem Orientierungswert von einem Viertel des gesamten Straßenzugs liegen. Außergewöhnliche örtliche Verhältnisse, die ein Abweichen von dieser Regel rechtfertigen würden, sind nicht erkennbar.
6. Der Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.


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