Baurecht

Rechtmäßige Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens im Zusammenhang mit der Errichtung einer Plakatanschlagtafel

Aktenzeichen  W 4 S 16.235

Datum:
16.3.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB BauGB § 34 Abs. 1, Abs. 2, § 36 Abs. 2
BayBO BayBO  Art. 8 S. 2, S. 3, Art. 14 Abs. 2 Art. 68 Abs. 1

 

Leitsatz

Das gemeindliche Einvernehmen kann gemäß § 36 Abs. 2 S. 1 BauGB nur aus den sich aus den §§ 31, 33, 34 und 35 BauGB ergebenden Gründen versagt werden. Die Bestimmungen des Bauordnungsrechts sind in § 36 Abs. 2 S. 1 BauGB nicht genannt. Die bauordnungsrechtlichen Vorschriften des Art. 8 S. 2 BayBO (Verunstaltungsverbot) bzw. Art. 8 S. 3 BayBO (störende Häufung von Werbeanlagen) dienen ausschließlich dem allgemeinen Interesse und begründen nur Rechtsbeziehungen zwischen dem Bauherren und der Bauaufsichtsbehörde. Die Gemeinde hat gegenüber der Bauaufsichtsbehörde kein Recht darauf, dass bei geplanten Plakatanschlagtafeln diese Gestaltungsvorschriften beachtet werden.  (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III.
Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin wendet sich mit ihrem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gegen die Erteilung einer bauaufsichtlichen Genehmigung für die Errichtung einer unbeleuchteten Plakatanschlagtafel, zu der sie ihr Einvernehmen verweigert hatte.
1.
Am 26. Mai 2015 reichte der Beigeladene bei der Antragstellerin einen Bauantrag mit Datum vom 21. Mai 2015 zur Errichtung einer freistehenden unbeleuchteten Plakatanschlagtafel mit den Maßen 2,76 m x 3,76 m ein. Die Tafel soll am straßenseitigen Rand auf dem Grundstück Fl.Nr. …43/1 der Gemarkung Mellrichstadt (Meininger Landstraße 33, Mellrichstadt) auf zwei Eisenträgern mit jeweils 1,20 m Höhe errichtet werden. Die Antragstellerin verweigerte das gemeindliche Einvernehmen mit Beschluss vom 11. Juni 2015 unter Hinweis auf die Besorgnis um eine Beeinträchtigung des Ortsbildes. Auch nach Aufforderung durch das Landratsamt, sich nochmals mit dem Antrag auseinanderzusetzen und das gemeindliche Einvernehmen zu erteilen, und nach Hinweis auf die mögliche Ersetzung des Einvernehmens nach § 36 Abs. 2 BauGB blieb die Antragstellerin bei der Ablehnung.
Mit Bescheid vom 18. November 2015 genehmigte das Landratsamt Rhön-Grabfeld das Bauvorhaben. In Ziffer II. des Bescheides ersetzte das Landratsamt das Einvernehmen der Antragstellerin.
Auf die Begründung des Bescheides wird Bezug genommen.
2.
Mit Schriftsatz vom 22. Dezember 2015, eingegangen beim Verwaltungsgericht Würzburg am gleichen Tag, ließ die Antragstellerin Klage (W 4 K 15.1454) erheben und mit Schriftsatz vom 25. Februar 2016 beantragen, den bauaufsichtlichen Genehmigungs- und Ersetzungsbescheid des Landratsamtes Rhön-Grabfeld vom 18. November 2015 aufzuheben.
Mit Schriftsatz vom 25. Februar 2016, eingegangen beim Verwaltungsgericht Würzburg am 1. März 2016, ließ sie beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den bauaufsichtlichen Genehmigungs- und Ersetzungsbescheid des Landratsamtes Rhön-Grabfeld vom 18. November 2015 anzuordnen.
Der Bescheid vom 18. November 2015 sei rechtswidrig, da weder die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens noch die sonstigen Erfordernisse für die Erteilung der bauaufsichtlichen Genehmigung vorlägen. Die Antragstellerin sei durch den Bescheid in ihrem gemeindlichen Selbstverwaltungsrecht in Gestalt der Planungshoheit verletzt, vgl. Art. 28 Abs. 2 GG, Art. 11 Abs. 2 BV. Sie sei gemäß § 36 Abs. 2 Satz 1 BauGB berechtigt, das gemeindliche Einvernehmen zu verweigern. Zwar füge sich das Vorhaben innerhalb des vorliegenden Mischgebiets hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung gemäß § 34 Abs. 2 BauGB i. V. m. § 6 Abs. 2 Nr. 4 BauNVO in die Eigenart der näheren Umgebung ein. Entgegen der Auffassung des Landratsamtes Rhön-Grabfeld beeinträchtige das Vorhaben jedoch das Ortsbild. Denn in dem relevanten Bereich sei bei der Verwirklichung des Vorhabens sehr wohl von einer Häufigkeit von Werbetafeln auszugehen. In unmittelbarer Nähe zu dem Standort des geplanten Vorhabens befinde sich eine Werbetafel von „OBI Bad Neustadt“. Des Weiteren befänden sich eine Willkommenstafel der Stadt Mellrichstadt sowie Schilder der anliegenden Geschäfte (Edeka, Lidl, Aldi und Rossmann) in unmittelbarer Nähe. Die Umsetzung des genehmigten Vorhabens in diesem Gebiet sei daher in ästhetischer Hinsicht aufgrund der Vielzahl an Werbetafeln grob unangemessen. Im Hinblick auf die Erteilung der bauaufsichtlichen Genehmigung könne darüber hinaus nicht ausgeschlossen werden, dass die Sicherheit und Leichtigkeit des öffentlichen Verkehrs i. S. v. Art. 14 Abs. 2 BayBO durch die bauliche Anlage und ihre Nutzung gefährdet würden und damit die Erfordernisse des Bauordnungsrechts nicht eingehalten worden seien.
3.
Für den Antragsgegner beantragte das Landratsamt Rhön-Grabfeld,
den Antrag abzulehnen.
Da sich das Baugrundstück im sogenannten Innenbereich befinde, erfolge die planungsrechtliche Beurteilung nach § 34 BauGB. Die Eigenart der näheren Umgebung entspreche einer gemischten Baufläche nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 BauNVO i. V. m. § 34 BauGB. Als nicht störendes Vorhaben füge sich die geplante Werbetafel nach ihrer Art und ihrem Maß der baulichen Nutzung in die Eigenart der näheren Umgebung ein. Die Antragstellerin habe das gemeindliche Einvernehmen unter anderem mit der Begründung verweigert, dass die geplante Werbeanlage sich negativ auf das Ortsbild auswirke. Des Weiteren werde die Auffassung vertreten, dass bei der Verwirklichung des Vorhabens von einer Häufung auszugehen sei. Bei einer Baukontrolle der Technischen Hochbauabteilung des Landratsamtes Rhön-Grabfeld am 28. Juli 2015 habe aber bereits festgestellt werden können, dass entlang der Meininger Landstraße keine vergleichbaren Plakatanschlagtafeln vorhanden seien und nicht von einer Häufung ausgegangen werden könne. Bei den vorhandenen Werbeanlagen handele es sich um die „Vor Ort“-Werbeanlagen der vereinzelt ansässigen Gewerbebetriebe (Baumarkt, China-Restaurant). Die vom Antragstellerbevollmächtigten ebenfalls befürchtete Gefährdung der Sicherheit und Leichtigkeit des öffentlichen Verkehrs könne so nicht bestätigt werden. Von Seiten der beteiligten Fachstellen, der Straßenverkehrsbehörde und dem Straßenbauamt Schweinfurt, der Straßenmeisterei R…, seien diesbezüglich jedoch keine Bedenken geäußert worden. Nach alledem erweise sich die Verweigerung des gemeindlichen Einvernehmens als rechtswidrig. Das Landratsamt Rhön-Grabfeld habe deshalb das verweigerte Einvernehmen ersetzen können.
4.
Der Beigeladene äußerte sich nicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
1.
Der Antrag ist zulässig.
Nach § 212a Abs. 1 BauGB haben Widerspruch und Anfechtungsklage eines Dritten gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens keine aufschiebende Wirkung. Nach § 80a Abs. 3 und Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht in diesem Fall auf Antrag des Dritten die aufschiebende Wirkung anordnen. Dritter in diesem Sinne sind auch Gemeinden, die sich gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens auf ihrem Gebiet wenden. Die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage entfällt gemäß Art. 67 Abs. 3 Satz 2 BayBO auch insoweit, als die Erteilung der Baugenehmigung aufgrund der Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens gemäß Art. 67 Abs. 3 Satz 1 BayBO als Ersatzvornahme gilt, so dass der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung auch insoweit statthaft ist.
Auch die in entsprechender Anwendung des § 42 Abs. 2 VwGO erforderliche Antragsbefugnis liegt hier vor, weil die Antragstellerin die Verletzung ihrer aus Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG, Art. 11 Abs. 2 BV und § 36 BauGB folgenden Rechte geltend macht.
2.
Der Antrag ist unbegründet.
Im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO (i. V. m. § 80a Abs. 3 Satz 2 VwGO) trifft das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung, ob das Suspensivinteresse das Vollzugsinteresse überwiegt. Dabei sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache von maßgeblicher Bedeutung (vgl. BayVGH, B. v. 17.9.1987 – 26 CS 87.01144 – BayVBl. 1988, 369; Schmidt in Eyermann, VwGO, 13. Aufl. 2010, § 80 Rn. 60).
Die Baugenehmigung ist dann aufzuheben, wenn sie rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist nur eine summarische Prüfung der Rechtslage geboten. Hierbei ist die Kammer zu der Auffassung gelangt, dass sich die Anfechtungsklage der Antragstellerin gegen die Baugenehmigung vom 18. November 2015 mit hoher Wahrscheinlichkeit als unbegründet erweisen wird. Die streitgegenständliche Baugenehmigung, die zugleich als Ersatzvornahme i. S. v. Art. 113 GO bezüglich der Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens gilt (Art. 67 Abs. 3 Satz 1 BayBO), ist rechtmäßig. Die Antragstellerin wird durch sie nicht in ihrer durch Art. 28 Abs. 2 GG und Art. 11 Abs. 2 BV geschützten und einfachgesetzlich durch § 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB gewährleisteten kommunalen Planungshoheit verletzt. Die verfahrensrechtlichen Vorgaben des Art. 67 Abs. 4 BayBO – Anhörung der Gemeinde und Gelegenheit, erneut über das gemeindliche Einvernehmen zu entscheiden – wurden gewahrt. In materiell-rechtlicher Hinsicht hält die angefochtene Baugenehmigung die bauplanungsrechtlichen Zulässigkeitsvorschriften in vollem Umfang ein.
Nach Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 BayBO ist die Baugenehmigung zu erteilen, wenn dem Vorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind.
Die Errichtung der geplanten Plakatanschlagtafel ist ein gemäß Art. 55 Abs. 1 BayBO genehmigungsbedürftiges Vorhaben. Eine Werbetafel ist als ortsfeste Anlage der Wirtschaftswerbung eine bauliche Anlage im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Satz 2 BayBO. Es besteht auch keine Verfahrensfreiheit, insbesondere nicht nach Art. 57 Abs. 1 Nr. 12 und Abs. 2 Nr. 6 BayBO. Da das Vorhaben keinen Sonderbau im Sinne des Art. 2 Abs. 4 BayBO darstellt, unterfällt es dem vereinfachten Genehmigungsverfahren. Im Zuge dessen prüft die Bauaufsichtsbehörde nach Art. 59 Satz 1 Nr. 1 BayBO die Übereinstimmung mit den Vorschriften über die Zulässigkeit der baulichen Anlagen nach den §§ 29 bis 38 BauGB und den Regelungen örtlicher Bauvorschriften im Sinne des Art. 81 Abs. 1 BayBO. Gemäß Art. 59 Satz 1 Nr. 3 BayBO prüft die Bauaufsichtsbehörde auch andere öffentlich-rechtliche Anforderungen, soweit wegen der Baugenehmigung eine Entscheidung nach anderen öffentlich-rechtlichen Vorschriften entfällt, ersetzt oder eingeschlossen wird.
2.1.
Nach Überzeugung der Kammer kann es hier dahinstehen, ob das Vorhaben – wie zwischen den Beteiligten erörtert – gegen die bauordnungsrechtlichen Vorschriften des Art. 8 Satz 2 BayBO (Verunstaltungsverbot) bzw. Art. 8 Satz 3 BayBO (störende Häufung von Werbeanlagen) und Art. 14 Abs. 2 BayBO (Verkehrssicherheit) verstößt. Denn durch einen solchen Verstoß würde die Antragstellerin jedenfalls nicht in ihren Rechten verletzt (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Das Vorhaben befindet sich im unbeplanten Innenbereich (§ 34 BauGB). Bei der bauaufsichtlichen Genehmigung von Vorhaben in diesem Bereich wird die gemeindliche Planungshoheit durch die Beteiligung der Gemeinde gemäß § 36 BauGB gewahrt. Das gemeindliche Einvernehmen kann gemäß § 36 Abs. 2 Satz 1 BauGB jedoch nur aus den sich aus den §§ 31, 33, 34 und 35 BauGB ergebenden Gründen versagt werden. Die Bestimmungen des Bauordnungsrechts sind in § 36 Abs. 2 Satz 1 BauGB nicht genannt. Die bauordnungsrechtlichen Vorschriften zum Schutz gegen Verunstaltungen dienen ausschließlich dem allgemeinen Interesse und begründen nur Rechtsbeziehungen zwischen dem Bauherren und der Bauaufsichtsbehörde. Sie sind nicht dazu bestimmt, Dritte zu schützen. Die Gemeinde hat gegenüber der Bauaufsichtsbehörde kein Recht darauf, dass die Gestaltungsvorschriften beachtet werden (Simon/Busse, BayBO, Stand: Sept. 2015, Art. 8 Rn. 283). Gleiches gilt für die Vorschrift des Art. 14 BayBO. Mit der Verankerung in der Bauordnung soll (lediglich) sichergestellt werden, dass Bewohner und Benutzer baulicher Anlagen sowie die Teilnehmer am Verkehr vor Schäden an Leib, Gesundheit und an Sachen geschützt sind (Simon/Busse, BayBO, Stand: Sept. 2015, Art. 14 Rn. 2).
Ein etwaiger Verstoß gegen Art. 8 BayBO bzw. Art. 14 BayBO berechtigt die Antragstellerin daher nicht zur Verweigerung des gemeindlichen Einvernehmens, so dass eine Ersetzung des verweigerten Einvernehmens die Antragstellerin diesbezüglich auch nicht in ihren Rechten aus Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG, Art. 11 Abs. 2 BV und § 36 BauGB verletzen kann.
2.2.
Bauplanungsrechtliche Vorschriften stehen dem Vorhaben nicht entgegen.
Die geplante Plakatanschlagtafel stellt ein Vorhaben im Sinne des § 29 Abs. 1 Satz 1 BauGB dar. Es handelt sich um eine eigenständige Hauptnutzung und nicht um eine Nebenanlage im Sinne von § 14 BauNVO. Anders als etwa bei Anlagen der Eigenwerbung besteht bei Anlagen der Fremdwerbung keine räumlich-funktionelle Zuordnung zu einem primären Nutzungszweck (BVerwG, U. v. 3.12.1992 – 4 C 27/91 – juris; Stock in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Stand: Nov. 2015, § 14 BauNVO Rn. 27 ff.). Vorliegend dient das Vorhaben der Fremd- und nicht der Eigenwerbung.
Ausgangspunkt der bauplanungsrechtlichen Beurteilung ist § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB. Danach ist ein – wie hier – im unbeplanten Innenbereich gelegenes Vorhaben zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist. Die Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse müssen gewahrt bleiben; das Ortsbild darf nicht beeinträchtigt werden (§ 34 Abs. 1 Satz 2 BauGB). Entspricht die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete, die in der aufgrund des § 9a BauGB erlassenen Verordnung bezeichnet sind, beurteilt sich die Zulässigkeit des Vorhabens nach seiner Art allein danach, ob es nach der Verordnung in dem Baugebiet allgemein zulässig wäre; auf die nach der Verordnung ausnahmsweise zulässigen Vorhaben ist § 31 Abs. 1 BauGB, im Übrigen ist § 31 Abs. 2 BauGB entsprechend anzuwenden (§ 34 Abs. 2 BauGB).
Dies zugrunde gelegt, erweist sich das Vorhaben des Beigeladenen als bauplanungsrechtlich zulässig. Die geplante Werbeanlage fügt sich nach der Art der baulichen Nutzung in die Eigenart der näheren Umgebung ein. Die nähere Umgebung des Vorhabens ist unter anderem durch die vom Antragstellerbevollmächtigten genannten gewerblichen Nutzungen (Edeka, Lidl, Aldi und Rossmann) geprägt. Insofern spricht nach Ansicht der Kammer auch angesichts des Vortrags der Beteiligten und des Bildmaterials in der Behördenakte (vgl. Bl. 28 und 30 d. A.) viel dafür, dass es sich um ein Mischgebiet im Sinne von § 6 BauNVO handelt. Geht man von einem faktischen Mischgebiet aus, so ergibt sich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit nach der Art der baulichen Nutzung aus § 34 Abs. 2 BauGB i. V. m. § 6 Abs. 2 Nr. 4 BauNVO („sonstige Gewerbebetriebe“). Bei der geplanten Werbetafel handelt es sich zwar nicht um einen Gewerbebetrieb, sondern um eine Anlage für gewerbliche Zwecke, für die eine Regelung in den Nutzungskatalogen der Baugebietsvorschriften der Baunutzungsverordnung fehlt. Diese Regelungslücke wird aber geschlossen, indem eine selbstständige Werbeanlage bauplanungsrechtlich wie ein Gewerbebetrieb behandelt wird (vgl. BayVGH, U. v. 11.12.2007 – 14 B 06.2880 -; U. v. 28.10.2005 – 26 B 04.1484 – beide juris m. w. N.). Selbst wenn man (wie wohl der Antragsgegner) davon ausgeht, dass es sich nicht um ein Mischgebiet handelt, sondern vielmehr eine sog. Gemengelage vorliegt, die sich einer eindeutigen Zuordnung zu einem Gebietstyp der BauNVO entzieht, fügt sich das Vorhaben angesichts der zahlreichen Gewerbebetriebe und der gehäuft auftretenden Werbung um den Standort der Werbeanlage nach der Art der baulichen Nutzung in die Eigenart der näheren Umgebung ein.
Das Vorhaben fügt sich auch bezüglich der weiteren in § 34 Abs. 1 BauGB genannten Merkmale in die Eigenart der näheren Umgebung ein. Insbesondere liegt keine Beeinträchtigung des Ortsbildes im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 BauGB vor. Dieses im Baugesetzbuch geregelte und damit dem Kompetenztitel des Bodenrechts entstammende Verunstaltungsverbot erfasst nur solche Verunstaltungen, die bodenrechtliche Spannungen zu erzeugen in der Lage sind. Solche ergeben sich jedoch nicht schon aus jeder ästhetisch unschönen Baugestaltung, sondern nur, wenn eine größere Umgebung der Gemeinde tangiert ist, die über den Umgriff der näheren Umgebung im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB hinausreicht (BVerwG, U. v. 11.5.2000 – 4 C 14/98 – NVwZ 2000, 1169). Entscheidend ist die konkrete Situation (BVerwG, B. v. 16.7.1990 – 4 B 106/90 – NVwZ-RR 1991, 59). Die Beeinträchtigung ist einerseits nicht jedes „Berührtsein“ des Ortsbildes, andererseits aber auch nicht nur eine Verunstaltung, wie dies § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB voraussetzt (BVerwG, B. v. 16.7.1990 – 4 B 106/90 – NVwZ-RR 1991, 59). Gemessen daran kann hier eine Beeinträchtigung des Ortsbildes seitens der Kammer nicht festgestellt werden. Zwar können grundsätzlich auch Anlagen der Außenwerbung das Ortsbild im Sinne des bauplanungsrechtlichen Verunstaltungsverbots beeinträchtigen (BVerwG, U. v. 3.12.1992 – 4 C 27.91 – NVwZ 1993, 983; Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, Stand: Nov. 2015, § 34 Rn. 69). Zu beachten ist jedoch, dass die nähere Umgebung des Vorhabens in gewissem Umfang durch die vorhandenen gewerblichen Anlagen und Betriebe geprägt und „vorbelastet“ ist. Dies betrifft die Gewerbeanlagen der Supermärkte „Lidl“ und „Edeka“ sowie des Drogeriemarkts „Rossmann“, die sich in unmittelbarer Nähe zum Vorhaben und zum Teil in Sichtweite des geplanten Vorhabens befinden. Die geplante Werbetafel stellt daher keinen Fremdkörper dar, welcher durch sein Erscheinungsbild aus der vorhandenen Bebauung herausstechen würde. Zudem ist nicht jedes Ortsbild schützenswert, nur weil es einheitlich oder gleichartig bebaut ist. Das Ortsbild muss, um schützenswert zu sein, eine gewisse Wertigkeit für die Allgemeinheit haben. Dies ist dort zu verneinen, wo ein Ortsbild angetroffen wird, das so oder so ähnlich überall angetroffen werden könnte. Es muss vielmehr einen besonderen Charakter haben, der dem Ortsteil eine herausragende Prägung verleiht. Eine solche Prägung weist das streitgegenständliche Gebiet nicht auf. Der Aufstellungsort der Plakatanschlagtafel befindet sich nicht in unmittelbarer Nähe des Innen- und Altstadtbereichs und auch außerhalb des Einzugsbereichs der Gestaltungssatzung der Antragstellerin (vgl. Bl. 18 d. A.). Es ist daher auszuschließen, dass ein Ortsbild von erhaltenswerten Ortsteilen und Straßen sowie Plätze von geschichtlicher, künstlerischer oder städtebaulicher Bedeutung betroffen sind, die schutzwürdiger als andere Ortsteile sein können (Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, Stand: Nov. 2015, § 34 Rn. 69). Darüber hinaus lässt sich dem vorgelegten Bildmaterial, auf welches im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zurückzugreifen ist, keine übermäßige optische Beeinträchtigung der Umgebung entnehmen.
Nach alldem kann nicht von einer Beeinträchtigung des Ortsbildes gesprochen werden.
Das Vorhaben ist demnach bauplanungsrechtlich zulässig, so dass das verweigerte gemeindliche Einvernehmen durch das Landratsamt zu Recht ersetzt wurde. Nach der gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung wird die Anfechtungsklage daher mit hoher Wahrscheinlichkeit keinen Erfolg haben. Bei dieser Sachlage überwiegt das Interesse des Bauherrn an der sofortigen Ausnutzung seiner Baugenehmigung das Interesse der Antragstellerin an der aufschiebenden Wirkung der Klage.
3.
Als Unterlegene hat die Antragstellerin die Kosten des Verfahrens zu tragen (§ 154 Abs. 1 VwGO). Da sich der Beigeladene nicht durch eigene Antragstellung am Kostenrisiko beteiligt hat, entsprach es der Billigkeit, dass dieser seine außergerichtlichen Aufwendungen selbst zu tragen hat (§ 162 Abs. 3 i. V. m. § 154 Abs. 3 VwGO).
Die Entscheidung über den Streitwert beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2, 63 Abs. 2 Satz 1 GKG. Bei einseitig plakatierten, unbeleuchteten Großflächenwerbetafeln – wie hier – geht die Kammer von einem Streitwert in Höhe von 5.000,00 EUR je Werbeanlage aus (vgl. Ziffer 9.1.2.3.1 des Streitwertkatalogs 2013). Im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes erscheint der Kammer entsprechend Ziffer 1.5. des genannten Streitwertkatalogs die Hälfte des Hauptsachestreitwerts angemessen.


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