Baurecht

Relevanz nicht-naturschutzrechtlicher Motive bei der Vorkaufsausübung

Aktenzeichen  M 1 K 17.399

Datum:
12.12.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 147790
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayNatSchG Art. 39
BNatSchG § 30
BayVwVfG Art. 28 Abs. 1, Abs. 2, Art. 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2
VwGO § 114 S. 1

 

Leitsatz

1. Eine bei Bescheiderlass fehlende Anhörung wird dadurch geheilt, dass ein Vertreter der erlassenden Stelle in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht ausdrücklich erklärt und zu erkennen gibt, dass er das Vorbringen der Klagepartei zum Anlass nimmt, die Entscheidung kritisch zu überdenken und dennoch zu dem Ergebnis kommt, das Verwaltungshandeln erweise sich als rechtmäßig. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für die Rechtmäßigkeit der Ausübung eines naturschutzrechtlichen Vorkaufsrechts ist maßgeblich, dass diese aufgrund der Belange nach Art. 39 Abs. 2 BayNatSchG gerechtfertigt ist. Die Frage, ob es darüber hinaus weitere Motive für die Ausübung des Vorkaufsrechts gibt, ist unerheblich. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
3. Es ist eine allgemeine Erfahrungstatsache, dass Grundstücke im Eigentum der öffentlichen Hand die Verwirklichung der Ziele von Naturschutz und Landschaftspflege typischerweise besser und sicherer gewährleisten als Grundstücke in der Hand von Privatpersonen, deren privatnützige Interessen leicht in Konflikt mit den Anforderungen von Naturschutz und Landschaftspflege geraten können. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
Der Bescheid des Landratsamts vom 28. Dezember 2016 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Der Bescheid ist formell rechtmäßig.
Der Beklagte, vertreten durch das Landratsamt, war für die Ausübung des Vorkaufsrechts zugunsten der Beigeladenen auf deren Verlangen hin zuständig, Art. 39 Abs. 3 Satz 1 und Satz 3 BayNatSchG.
Zwar ist eine Anhörung der Klägerin vor Erlass des streitgegenständlichen Bescheids entgegen Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG unterblieben und war diese Anhörung auch nicht nach Art. 28 Abs. 2 BayVwVfG entbehrlich. Doch wurde der Anhörungsmangel gemäß Art. 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 BayVwVfG dadurch geheilt, dass der Vertreter des Landratsamts im Rahmen der mündlichen Verhandlung ausdrücklich erklärt und zu erkennen gegeben hat, dass er das Vorbringen der Klagepartei zum Anlass genommen habe, die Entscheidung kritisch zu überdenken und dennoch zum Ergebnis komme, dass die Ausübung des Vorkaufsrechts rechtmäßig sei (vgl. zu den Anforderungen an die Heilung eines Anhörungsmangels BVerwG, U.v. 17.12.2015 – 7 C 5.134 – juris Rn. 17). Der Charakter der Ausübung des Vorkaufsrechts als fristgebundener Verwaltungsakt (vgl. Art. 39 Abs. 7 Satz 1 BayNatSchG) steht der Heilungsmöglichkeit dabei nicht entgegen (BayVGH, U.v. 11.5.1994 – 9 B 93.1514 – juris Rn. 31; vgl. auch BayVGH, U.v. 3.5.2016 – 14 B 15.206 – juris Rn. 43; B.v. 12.10.2017 – 14 ZB 16.280 – juris Rn. 6, jeweils zum Parallelproblem der Heilung eines Begründungsmangels eines fristgebundenen Verwaltungsakts). Die Klägerin – wie im Übrigen auch die anderen Beteiligten – hatten im Gerichtsverfahren umfassend Gelegenheit, sich zu den aufgeworfenen Rechtsfragen zu äußern, insbesondere zur Frage der Erstreckung des Vorkaufs auf das Gesamtgrundstück.
2. Der Bescheid ist materiell rechtmäßig.
Rechtsgrundlage für die Ausübung des naturschutzrechtlichen Vorkaufsrechts für die am …bach gelegenen Grundstücke ist Art. 39 Abs. 1 Nr. 1 BayNatSchG. Nach dieser Vorschrift stehen dem Freistaat Bayern sowie den Bezirken, Landkreisen, Gemeinden und kommunalen Zweckverbänden Vorkaufsrechte beim Verkauf von Grundstücken zu, auf denen sich oberirdische Gewässer einschließlich von Verlandungsflächen befinden oder die daran angrenzen.
Die Tatbestandsvoraussetzungen für die Ausübung des Vorkaufsrechts nach Art. 39 Abs. 2 BayNatSchG liegen vor. Nach dieser Norm darf das Vorkaufsrecht nur ausgeübt werden, wenn dies gegenwärtig oder zukünftig die Belange des Naturschutzes oder der Landschaftspflege oder das Bedürfnis der Allgemeinheit nach Naturgenuss und Erholung in der freien Natur rechtfertigen. Das Landratsamt hat auch das ihm eingeräumte Ermessen, das Vorkaufsrecht auszuüben, ordnungsgemäß betätigt.
Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid Bezug genommen, denen das Gericht nach Durchführung der mündlichen Verhandlung folgt (§ 117 Abs. 5 VwGO).
Ergänzend wird ausgeführt:
2.1 Die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 39 Abs. 2 BayNatSchG sind zur Überzeugung des Gerichts unter Berücksichtigung des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung erfüllt. Der …bach ist mit seiner Begleitvegetation im maßgeblichen Bereich amtlich biotopkartiert und nach § 30 BNatSchG geschützt. Das Landratsamt hat die insoweit maßgeblichen Belange des Naturschutzes im Bescheid auf der Grundlage der naturschutzfachlichen Stellungnahme ausführlich, fundiert und plausibel dargestellt. Der Einwand der Klägerin, dass der Beklagte das Vorkaufsrecht für die Beigeladene zum Erwerb von „Vorrats- und Blockadegrundstücken“ zur Verhinderung des Vorhabens der Grundstückskäuferin ausgeübt habe, vermag – so dieser Einwand zutreffend sein sollte – das objektive Vorliegen der tatbestandlichen Rechtfertigungsgründe nicht in Frage zu stellen. Maßgeblich ist allein, dass die Ausübung des Vorkaufsrechts aufgrund der Belange nach Art. 39 Abs. 2 BayNatSchG gerechtfertigt ist. Die Frage, ob es darüber hinaus weitere Motive für die Ausübung des Vorkaufsrechts gegeben hat, insbesondere die der Beigeladenen von der Klägerin unterstellten Beweggründe, ist unerheblich (BayVGH, U.v. 3.5.2016 – 14 B 15.206 – juris Rn. 53 m.w.N.).
2.2 Die Ermessensausübung des Landratsamts zur Ausübung des Vorkaufrechts ist im Rahmen der dem Gericht nach § 114 Satz 1 VwGO zustehenden Überprüfungskompetenz nicht zu beanstanden. Das Landratsamt hat das öffentliche Interesse am Erwerb eines für die ökologische Aufwertung nutzbaren Grundstücks einerseits und das Interesse der Kaufvertragsparteien andererseits gegenübergestellt und ohne Ermessensfehler dem öffentlichen Interesse den Vorrang eingeräumt. Da maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage vorliegend der 28. Dezember 2016 als Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung (vgl. BVerwG, B.v. 27.12.1994 – 11 B 152/94 – juris) ist, und die untere Naturschutzbehörde zu diesem Zeitpunkt noch keine Kenntnis bezüglich der geplanten Verlegung des …bachs hatte, war dieser Umstand nicht in die Ermessenserwägungen einzustellen.
2.3 Unerheblich ist der Einwand der Klägerin, die Grundstückskäuferin könne die Ziele des Naturschutzes und der Landschaftspflege genauso gut wie die öffentliche Hand verwirklichen, weswegen die Vorkaufsausübung zugunsten der öffentlichen Hand unverhältnismäßig sei. Nach ständiger Rechtsprechung ist es eine allgemeine Erfahrungstatsache, dass Grundstücke im Eigentum der öffentlichen Hand die Verwirklichung der Ziele von Naturschutz und Landschaftspflege typischerweise besser und sicherer gewährleisten als Grundstücke in der Hand von Privatpersonen, deren privatnützige Interessen leicht in Konflikt mit den Anforderungen von Naturschutz und Landschaftspflege geraten können (BayVGH, U.v. 3.5.2016 – 14 B 15.206 – juris Rn. 54; B.v. 9.3.2015 – 14 ZB 13.2250 – juris Rn. 7 m.w.N.). Auch Bewirtschaftungsvereinbarungen, wie etwa der Vertragsnaturschutz, können den Eigentumserwerb der öffentlichen Hand nicht ersetzen (BayVGH, U.v. 3.5.2016 – 14 B 15.206 – juris Rn. 54; B.v. 9.3.2015 – juris Rn. 10 f.); die öffentliche Hand braucht sich nicht auf das typischerweise weniger effektive Mittel des privaten Naturschutzes verweisen zu lassen.
2.4 Die Frage des von der Klägerin geltend gemachten Anspruchs auf Erstreckung des Vorkaufs auf das gesamte Grundstück FlNr. 1119 Gem. … kann dahinstehen, nachdem der Beklagte die Erstreckung förmlich erklärt hat.
2.5 Schließlich hat das Landratsamt auch die Zwei-Monats-Frist des Art. 39 Abs. 7 BayNatschG für die Ausübung des Vorkaufsrechts eingehalten. Die Mitteilung des Notars erreicht das Landratsamt am 3. November 2016, so dass die Frist durch die Zustellung des streitgegenständlichen Vorkaufsbescheides am 31. Dezember 2016 gewahrt wurde. Im Übrigen beginnt die Frist frühestens erst ab dem Zeitpunkt, ab dem die nach § 2 des Grundstückverkehrsgesetzes erforderliche Genehmigung des Kaufvertrags erteilt ist (BayVGH, U.v. 3.5.2016 – 14 B 15.2015 – juris Rn. 29).
Die Klage war demnach abzuweisen.
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Da die Beigeladene einen eigenen Sachantrag gestellt und sich damit in das Kostenrisiko nach § 154 Abs. 3 VwGO begeben hat, entspricht es der Billigkeit, wenn die Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen trägt, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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