Baurecht

RMF-SG21-3194-6-20

Aktenzeichen  RMF-SG21-3194-6-20

Datum:
5.8.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
ZfBR – 2022, 511
Gerichtsart:
Vergabekammer
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt ist. Bei fortbestehender Beschaffungsabsicht hat die Vergabestelle das Vergabeverfahren in den Stand vor Abgabe der endgültigen Angebote zurückzuversetzen.
2. Die Vergabestelle und die Beigeladene tragen die Kosten des Verfahrens und die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin als Gesamtschuldner je zur Hälfte.
3. Die Hinzuziehung eines anwaltlichen Bevollmächtigten durch die Antragstellerin wird für notwendig erklärt.
4. Die Kosten des Verfahrens werden auf …,- € festgesetzt.

Gründe

Der Nachprüfungsantrag ist (teilweise) zulässig und (insoweit) begründet. Durch den nicht erfolgten Ausschluss des Angebotes der BGI wird die ASt in ihren Rechten verletzt.
1. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig.
a) Die Vergabekammer Nordbayern ist für das Nachprüfverfahren nach § 1 Abs. 2 und § 2 Abs. 2 Satz 2 BayNpV sachlich und örtlich zuständig.
b) Die VSt ist öffentlicher Auftraggeber nach § 99 GWB.
c) Bei dem ausgeschriebenen Dienstleistungsauftrag handelt es sich um einen öffentlichen Auftrag im Sinne von § 103 Abs. 4 GWB.
d) Der Auftragswert übersteigt den für Dienstleistungsaufträge maßgeblichen Schwellenwert nach Art. 4 der Richtlinie 2014/24/EU (§ 106 Abs. 2 Nr. 1 GWB).
e) Die ASt ist antragsbefugt im Sinne des § 160 Abs. 2 GWB, denn sie hat ihr Interesse an dem öffentlichen Auftrag mit der Abgabe eines endgültigen Angebotes nachgewiesen und eine Verletzung in ihren Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB durch Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend macht. Sie hat zudem dargelegt, dass ihr durch die beabsichtigte Vergabe an die BGI ein Schaden zu entstehen droht. Im Rahmen der Zulässigkeit sind an die Antragsbefugnis keine allzu hohen Anforderungen geknüpft. Entgegen der Auffassung der VSt und BGI hat die ASt insoweit auch keine substanzlosen Behauptungen „ins Blaue hinein“ erhoben. Für die Zulässigkeit genügt eine schlüssige Behauptung. Die Rechtsfrage, ob die ASt tatsächlich in ihren Rechten verletzt ist, ist eine Frage der Begründetheit. Sofern wenigstens Anknüpfungstatsachen oder Indizien vorgetragen werden, die einen hinreichenden Verdacht auf einen bestimmten Vergabeverstoß begründen, darf die ASt aufgrund ihres Wissens subjektiv mögliche bzw. wahrscheinliche Vergabeverstöße behaupten, insbesondere wenn es um solche geht, die ausschließlich der Sphäre des Auftraggebers zuzuordnen sind oder das Angebot eines Mitbewerbers betreffen (vgl. VK Hessen, B.v. 22.07.2020, 69d-VK-33/2019, Rn. 63 ff m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt, da die ASt anhand der ihr zur Verfügung stehenden Umstände schlüssig behauptet hat, dass sich aus ihrer Sicht Anhaltspunkte für die im Nachprüfungsantrag geltend gemachten Beanstandungen (u.a. Verstoß gegen das Nachverhandlungsverbot, nicht anforderungsgerechtes Angebot der BGI) aufgrund der Schreiben der VSt vom 30.03.2021, 16.04.2021 und 23.04.2021 ergeben haben (insb. nachträgliche Abfrage von preislichen Optimierungspotenzialen in Verbindung mit dem günstigeren Angebotspreis der BGI).
Der Vorwurf der VSt und BGI, das Angebot der ASt sei auszuschließen, steht dem nicht entgegen. Legt ein Bieter die Nichtbeachtung von Vergabevorschriften dar und kommt danach als vergaberechtsgemäße Maßnahme die Aufhebung der Ausschreibung in Betracht, weil alle anderen Angebote unvollständig sind, ist der Bieter regelmäßig unabhängig davon im Nachprüfungsverfahren antragsbefugt, ob auch sein Angebot an einem Ausschlussgrund leidet (BGH, B.v. 26.09.2006 – X ZB 14/06).
f) Die ASt ist ihrer Rügeobliegenheit rechtzeitig mit Schreiben vom 29.04.2021 nachgekommen. Die ASt hat erst durch das Bieterinformationsschreiben nach § 134 GWB vom 23.04.2021 ausreichend Anhaltspunkte (Mitteilung der konkreten Angebotsbewertung und des niedrigeren Preisangebots der BGI) für ihre Beanstandungen (fehlerhafte Angebotsbewertung, unzulässiges Nachverhandeln, ausschlussbedürftiges Angebot der BGI) erlangt.
Die ASt hat jedoch den Wechsel vom Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb zum Wettbewerblichen Dialog im laufenden Vergabeverfahren nicht rechtzeitig gerügt (§ 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB). Es kann dahinstehen, ob überhaupt eine wirksame Rüge erhoben wurde, nachdem im Schreiben vom 29.04.2021 (dort S. 4) lediglich von Zweifeln die Rede ist und allein die Äußerung von Zweifeln keine wirksame Rüge darstellt. Jedenfalls wäre selbst eine wirksam erhobene Rüge präkludiert, da die ASt durch angepasste Bewerbungsbedingungen (dort Ziffer 3.1) über den Verfahrenswechsel informiert und ihr eine Frist bis zum 13.03.2020 für etwaige Beanstandungen gewährt wurde. Die ASt erhob hiergegen weder innerhalb der gesetzten Frist noch bis zur finalen Angebotsabgabe eine Rüge.
Auch die Berücksichtigung der verfristeten Rüge durch die Vergabekammer von Amts wegen ist nicht möglich. Wenn ein Verstoß gegen Vergabevorschriften nicht gerügt wird und damit präkludiert ist, kann die Kammer insoweit nicht mehr auf eine Abhilfe hinwirken, da der Antragsteller durch den präkludierten Verstoß auch nicht in eigenen Rechten verletzt sein kann (VK Nordbayern, B.v. 10.12.2020, RMF-SG21-3194-5-44; Blöcker in Röwekamp/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 5. Auflage, § 168 GWB, Rn. 26). In der Rechtsprechung und Literatur wird im Allgemeinen die Auffassung vertreten, dass Vergaberechtsfehler dann nicht von Amts wegen berücksichtigt werden dürfen, wenn eine entsprechende Rüge nach § 160 Abs. 3 GWB präkludiert wäre oder ist, da eine Rügepräklusion ihren Sinn verlöre, wenn der Mangel dennoch von Amts wegen eingeführt werden könnte (u.a. OLG Düsseldorf B.v. 23.6.2010 – Verg 18/10; OLG Schleswig B.v. 15.4.2011 – Verg 10/10; vgl. Diemon-Wies in PK Kartellvergaberecht § 110 GWB Rn. 30). Nur in ganz besonderen Ausnahmefällen erachtet es das OLG München (B.v. 10.08.2017 – Verg 3/17, Rn. 97; auch OLG Celle, B.v. 02.02.2021, 13 Verg 8/20, Rn. 87) für zulässig, dass präkludierte Verstöße aufgegriffen werden, nämlich dann, wenn ein so schwerwiegender Fehler vorliegt, dass eine tragfähige Zuschlagsentscheidung bei einer Fortsetzung des Verfahrens praktisch nicht möglich ist, etwa weil nur willkürliche oder sachfremde Zuschlagskriterien verbleiben oder das vorgegebene Wertungssystem so unbrauchbar ist, dass es jede beliebige Zuschlagsentscheidung ermöglicht. Es genügt somit nicht, dass überhaupt Vergaberechtsverstöße vorhanden sind, da ansonsten die gesetzlich vorgegebene Rügeobliegenheit in der Tat leerlaufen würde. (OLG München, B.v. 10.08.2017, Verg 3/17, Rn. 97).
Ein solcher Sachverhalt ist hier nicht ersichtlich. Ein so schwerwiegender Vergabeverstoß, wenn ein solcher überhaupt vorliegen sollte, liegt nach Auffassung der Vergabekammer im Hinblick auf den Verfahrenswechsel nicht vor. Die ASt wurde durch die VSt auf den Verfahrenswechsel und die Möglichkeit einer Beanstandung hingewiesen. Hiergegen erhob die ASt keine Rüge, sondern nahm stattdessen an allen drei Dialogphasen teil und gab ein finales Angebot ab. Zudem erfolgte der Verfahrenswechsel nach Durchführung des Teilnahmewettbewerbs und damit zu einem Zeitpunkt, in dem sich die Unterschiede der beiden Verfahrensarten noch nicht ausgewirkt haben. Sowohl das Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb als auch der Wettbewerbliche Dialog setzen einen Teilnahmewettbewerb voraus. Erst in der Verhandlungsphase bzw. Dialogphase ergeben sich Unterschiede zwischen beiden Verfahren. Daher ist in dem vor Durchführung der Dialogphase und in Kenntnis der ASt erfolgten Verfahrenswechsel kein besonders schwerwiegender Vergabeverstoß im obigen Sinne zu sehen. Ob auch Dritte, die am Verfahren nicht teilgenommen haben, durch den Verfahrenswechsel in ihren Rechten verletzt wurden, kann vorliegend dahinstehen, da dies jedenfalls zu keiner subjektiven Rechtsverletzung der ASt führt. Aus diesem Grund sieht die Vergabekammer keinen Anlass, von Amts wegen die präkludierte Rüge der ASt aufzugreifen.
g) Der Zuschlag wurde noch nicht erteilt, § 168 Abs. 2 Satz 1 GWB.
2. Der Nachprüfungsantrag ist auch begründet.
Der Nicht-Ausschluss des Angebotes der BGI vom Vergabeverfahren verletzt die ASt in ihren Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB.
Sowohl das Angebot der BGI als auch das der ASt ist gem. § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV von der Wertung auszuschließen. Danach sind Angebote, bei denen Änderungen oder Ergänzungen an den Vergabeunterlagen vorgenommen worden sind, auszuschließen. Vorliegend weichen beide Angebotskonzepte von den zwingenden Vorgaben der Vergabeunterlagen ab, die BGI bzgl. Kapitel 3.2.13 des Projektvertrages und die ASt bzgl. Kapitel 3.2.12.1 des Projektvertrages.
Grundsätzlich liegt eine unzulässige Änderung an den Vergabeunterlagen vor, wenn der Bieter nicht das anbietet, was der öffentliche Auftraggeber nachgefragt hat, sondern von den Vorgaben der Vergabeunterlagen abweicht (vgl. OLG Düsseldorf, B.v. 22.03.2017, Verg 54/16). Ob eine unzulässige Änderung der Vergabeunterlagen durch das Angebot im Einzelfall vorliegt, ist anhand einer Auslegung in entsprechender Anwendung der §§ 133, 157 BGB sowohl der Vergabeunterlagen als auch des Angebots nach dem jeweiligen objektiven Empfängerhorizont festzustellen. Maßgeblich ist hinsichtlich der Vergabeunterlagen der Empfängerhorizont der potentiellen Bieter (vgl. BGH, B.v. 15.01.2013, X ZR 155/10). Für die Auslegung von Vergabeunterlagen ist auf die objektive Sicht eines verständigen und fachkundigen Bieters abzustellen, der mit der Erbringung der ausgeschriebenen Leistung vertraut ist. Maßgeblich ist nicht das Verständnis eines einzelnen Bieters, sondern wie der abstrakt angesprochene Empfängerkreis die Leistungsbeschreibung und Vergabeunterlagen versteht (vgl. OLG Karlsruhe, NZBau 2016, 449). Hinsichtlich des Angebots des Bieters ist Maßstab der Auslegung, wie ein mit den Umständen des Einzelfalls vertrauter Dritter in der Lage der Vergabestelle das Angebot nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte verstehen musste oder durfte, wobei es keinen Erfahrungssatz gibt, dass der Bieter stets das vom Ausschreibenden Nachgefragte anbieten will, auch wenn ihm redliche und interessensgerechte Absichten zu unterstellen sind (OLG Düsseldorf, B.v. 22.03.2017, Verg 54/17).
Im vorliegenden Vergabeverfahren werden in Kapitel 4.4 der Bewerbungsbedingungen (BWB) Ausschlussgründe und Mindestanforderungen aufgeführt. Nach Ziffer 4.4 (a) BWB werden finale Angebote ausgeschlossen, in denen Änderungen oder Ergänzungen an den Vergabeunterlagen vorgenommen worden sind. Dies entspricht dem Wortlaut des § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV. Nach Ziffer 4.4 (c) BWB enthalten die Unterlagen zwingend zu erfüllende Mindestanforderungen an die Leistung, deren Einhaltung der Auftraggeber insbesondere im Hinblick auf das finale Angebot prüft. Mindestanforderungen werden in den Vergabeunterlagen mit „muss“, „hat“, „ist zu“ oder vergleichbaren Formulierungen beschrieben. Werden diese Mindestanforderungen mit dem Finalangebot nicht eingehalten, wird das Angebot ausgeschlossen.
a) Das Angebot der BGI ist auszuschließen, da es im Kapitel Optimierungskonzept (S. 284 ff) von der zwingenden Vorgabe des Projektvertrages (Kapitel 3.2.13, S. 40) abgewichen ist.
aa) Auf die oben genannten Grundsätze zum Thema unzulässige Veränderung der Vergabeunterlagen sowie auf die oben genannten Bewerbungsbedingungen (Kapitel 4.4) wird verwiesen.
Die Auslegung der Vergabeunterlagen führt zu dem Ergebnis, dass es sich im Kapitel 3.2.13 (S. 40 des Projektvertrages) bei der Vorgabe „die Leistung ist mit der Vergütung abgegolten“, um eine zwingende Mindestanforderung handelt.
Entsprechend den Ausführungen im Kapitel 4.4 der Bewerbungsbedingungen werden Mindestanforderungen in den Vergabeunterlagen mit „muss“, „hat“, „ist zu“ oder vergleichbaren Formulierungen beschrieben. Die Bezeichnung „ist (…) abgegolten“ stellt eine derartige vergleichbare Formulierung dar. Vom Empfängerhorizont potentieller Bieter ausgehend, geht aus dem Wortlaut deutlich und unmissverständlich hervor, dass für die geforderten Leistungen des Auftragnehmers, jährlich Optimierungsprojekte durchzuführen, keine gesonderte Vergütung erfolgen wird und dies vom Auftraggeber als verbindliche Vorgabe bestimmt ist. Damit haben die jährlichen Optimierungsprojekte kostenlos zu erfolgen bzw. sind mit der vertraglich vereinbarten Vergütungspauschale bereits abgegolten.
Entgegen des Vortrags der BGI ergibt sich aus dem Wortlaut des Projektvertrages jedoch nicht, dass lediglich ein Optimierungsprojekt pro Jahr gefordert wird und damit ausreichend wäre. Vielmehr verdeutlichen die verwendeten Begriffe „Optimierungsprojekte“ (mit Fettdruck hervorgehoben) sowie „Optimierungsmöglichkeiten“, dass eindeutig mehr als ein Optimierungsprojekt gefordert wird. Diese Auslegung wird auch durch die Systematik des Projektvertrages gestärkt, wonach der Auftraggeber nur im Themenbereich Innovation (S. 41 des Projektvertrages) ausdrücklich vorgegeben hat, dass „jährlich mindestens ein umsetzbares Innovationskonzept zu erstellen“ ist und damit ausreichend ist. Das Wort Innovationskonzept ist hierbei mit Fettdruck hervorgehoben. Es handelt sich hierbei um zwei unabhängig voneinander geforderte Konzepte (weshalb auch die ASt sowohl ein Innovations- als auch ein Optimierungskonzept separat angeboten hat).
bb) Die BGI ist in ihrem Angebot von der verbindlichen Vorgabe, dass die jährlich durchzuführenden Optimierungsprojekte bereits mit der Vergütung abgegolten sind, abgewichen. Das Optimierungskonzept der BGI (S. 284 ff) sieht eine Vergütung vor und enthält damit eine Abweichung von den Vorgaben der Vergabeunterlagen. Dies wird auch durch die Auswertematrix der finalen Angebote der …, welche sich die VSt zu eigen gemacht hat, bestätigt: „Punktabzug, weil im Unter-Unterkriterium Prozessoptimierung andere finanzielle Ansätze beschrieben sind als vertraglich vorgegeben“.
Die BGI stellt ihre Beratungsleistungen im Rahmen eines … (S. 286/287) zur Verfügung. Dieser Ansatz sieht einen … vor. …. Aus der maßgeblichen Empfängerperspektive der Vergabestelle als Maßstab für die Auslegung eines Bieterangebotes ist der … als Vergütung einzustufen.
Die BGI vertritt jedoch die Auffassung, dass ihr Angebot dennoch die Mindestanforderungen erfüllt. So soll der … nur den Erfolg und nicht die Leistung vergüten und lediglich ein optionales Optimierungsprojekt betreffen. Da noch weitere Optimierungsprojekte angeboten worden sind, wurde die Mindestanforderung von jährlich einem Optimierungsprojekt erfüllt. Im Übrigen wurde der Vorrang der Vergabeunterlagen ausdrücklich anerkannt.
Entgegen der Auffassung der BGI werden die Mindestanforderungen der Vergabeunterlagen nicht eingehalten. Unter Anwendung der oben dargestellten Auslegungsmaßstäbe kommt die Vergabekammer zu dem Ergebnis, dass Beratungsleistungen vergütet werden und dass das Vergütungsmodell nicht optional ist.
i) Auch wenn erzielte Zusatzerlöse bzw. Kosteneinsparungen im Rahmen des … genannt werden, führt dies nicht dazu, dass lediglich der Erfolg und nicht die Leistung vergütet wird. Eine derartige isolierte Betrachtung wird dem objektiven Empfängerhorizont nicht gerecht. Es ist vielmehr eine Gesamtbetrachtung des Vergütungsmodells erforderlich. Im Optimierungsprojekt ist mehrfach von „Beratungsleistungen“ die Rede, insbesondere „stellen wir diese Beratungsleistungen im Rahmen eines … zur Verfügung“. Die Beratungsleistungen und der erzielte Erfolg erscheinen vorliegend untrennbar vereint, insbesondere geht auch die BGI fest davon aus, dass ihre Beratungsleistungen zu einem Erfolg führen („Da wir davon überzeugt sind, dass wir mit unseren Beratungsansätzen Effizienzen/Potentiale bei der VSt heben können“; „An diesen finanziellen Effekten will sich die ASt im Rahmen des … auch messen lassen“). Im Ergebnis würde eine isolierte Betrachtung von Beratungsleistung und Erfolg zu einer unnatürlichen Trennung führen, die der objektiven Aussagekraft des Vergütungsmodells widerspricht. Im Übrigen hat auch die … in ihrer Auswertung der finalen Angebote, die sich die VSt zu eigen gemacht hat, zur Prozessoptimierung vermerkt: „jedoch ist die vertragliche Regelung zur finanziellen Abgeltung der Leistung nicht vollständig eingehalten worden und um einen neuen Ansatz ergänzt worden“.
ii) Die Auslegung des Optimierungskonzeptes ergibt zudem, dass das Vergütungsmodell verbindlich und nicht optional ist. Hierfür sprechen zum einen die Überschriften „9.1 Verbindliche Leistungen im Bereich Personal und Prozess“ und „9.1.1 Beratungsleistungen als Teil unseres Angebots“. Zum anderen wird auf Seite 284 des Optimierungskonzepts quasi im allgemeinen Teil fettgedruckt hervorgehoben: „In den einzelnen Kapiteln haben wir für die VSt Leistungen aufgeführt, die die ASt im Rahmen der Partnerschaft verpflichtend einbringen wird“. „Um dies für die VSt übersichtlich zu gestalten, wurden die Themen im Folgenden noch einmal aufgelistet“, sodann werden die einzelnen Optimierungsprojekte mit Fettdruck genannt, u.a. das Optimierungsprojekt „…“. Ein anderer Erklärungsgehalt lässt sich einer Gesamtbetrachtung des Angebots der BGI nicht entnehmen.
iii) Die in der Präambel auf Seite 13 des Konzepts enthaltene Erklärung „die nachfolgenden Konzepte beschreiben unsere Überlegungen im Einzelnen und sind als Ergänzung und Erläuterung zu den vertraglichen Vorgaben, welche immer vorgehen, zu verstehen“, geht inhaltlich nicht über eine allgemeine salvatorische Erklärung hinaus, mit der die Vorgaben der Ausschreibung durch den Bieter für verbindlich erklärt werden. Wäre eine solche Erklärung berücksichtigungsfähig und geeignet, eindeutig von den Vorgaben abweichende, konkrete Angaben zu negieren, liefe die Regelung des § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV letztlich leer, weil sich so ein Bieter bei einem drohenden Ausschluss immer darauf berufen könnte – ungeachtet des konkreten Angebotsinhalts – nur ausschreibungskonform anbieten zu wollen (vgl. VK Bund, B.v. 23.04.2021, VK 2 – 29/21 zu § 13 EU Abs. 1 Nr. 5 VOB/A, unter Berücksichtigung des BGH Urteils v. 18.06.2019, X ZR 86/17 s.u.). Die Rechtsauffassung, dass es auf die Beachtung verbindlicher Vorgaben der Leistungsbeschreibung nicht ankommt, würde elementaren Grundsätzen des Vergabeverfahrens wie dem Transparenz- und Gleichbehandlungsgebot widersprechen (vgl. OLG München, B.v. 20.01.2020, Verg 17/19, unter Berücksichtigung des BGH Urteils v. 18.06.2019, X ZR 86/17 s.u.). Im Übrigen stellen die verbindlich angebotenen individuellen Optimierungsprojekte auch keine bloßen Ergänzungen oder Erläuterung mehr dar.
cc) Auch der weitere Vortrag der BGI, dass die Mindestanforderung von jährlich einem Optimierungsprojekt erfüllt wird, da noch weitere Optimierungsprojekte angeboten wurden, ist nicht erfolgversprechend. Unter Verweisung auf die obigen Ausführungen fordert der Projektvertrag entgegen der Auffassung der BGI bereits jährlich mehrere und nicht nur ein Optimierungsprojekt.
Die Änderung an den Vergabeunterlagen ist auch nicht unerheblich oder geringfügig, so dass ausnahmsweise eine nachträgliche Korrektur zulässig sein könnte.
Die BGI kann sich nicht auf die Rechtsprechung des BGH (U.v. 18.06.2019, X ZR 86/17) berufen, weil sich der dort entschiedene Sachverhalt grundlegend vom vorliegenden Sachverhalt unterscheidet. Gegenstand dieser Entscheidung war eine formelhafte Zahlungsklausel die den Zusätzlichen Vertragsbedingungen für Bauleistungen widersprach. Der BGH hat insoweit ausgeführt, dass es sich in dieser Konstellation einem unvoreingenommenen Auftraggeber aufdrängen musste, dass die abweichende Angabe auf einem Missverständnis beruhte. Maßgeblich war weiterhin, dass die abweichende Angabe ohne weiteres hinweg gedacht werden konnte und dennoch ein vollständiges, den Vergabeunterlagen entsprechendes Angebot vorlag.
Im vorliegenden Fall betrifft die Abweichung nicht eine Allgemeine Geschäftsbedingung, sondern ein individuell erarbeitetes Angebotskonzept des Bieters, das von den verbindlichen Vorgaben der Vertragsunterlagen abweicht, so dass schon aus diesem Grund eine Übertragung der BGH Entscheidung ausscheidet (vgl. OLG München, B.v. 20.01.2020, Verg 17/19; OLG Düsseldorf, B.v. 12.02.2020, Verg 24/19; VK Bund, B.v. 23.04.2021, VK 2 – 29/21).
Darüber hinaus läge ein lückenhaftes, nicht vertragskonformes Angebot der BGI vor, wenn ihr abweichendes Optimierungskonzept hinweggedacht wird. Auch ein bloßes Streichen eines Teils innerhalb des Optimierungskonzeptes wäre im Übrigen nicht möglich, da das gesamte Optimierungskonzeptes als Einheit anzusehen ist und die darin enthaltenen einzelnen Optimierungsprojekte aufeinander abgestimmt sind. Hierfür spricht der klare Wortlaut auf Seite 284: „Hier sei klar herausgestellt, dass die einzelnen Projekte in der Umsetzung nicht nebeneinander abgearbeitet werden, sondern im Sinne eines [Fettdruck Beginn] übergreifenden Beratungsprogramms inhaltlich optimal aufeinander abgestimmt werden [Fettdruck Ende], um entsprechende Synergien zu nutzen und die Beanspruchung der Mitarbeiter auf ein Minimum zu reduzieren“.
b) Das Angebot der ASt ist auszuschließen, da es im Kapitel … (S. 208 ff) von der zwingenden Vorgabe des Projektvertrages (Kapitel 3.2.12.1, S. 37) abgewichen ist.
aa) Auf die oben genannten Grundsätze zum Thema unzulässige Veränderung der Vergabeunterlagen sowie auf die oben genannten Bewerbungsbedingungen (Kapitel 4.4) wird verwiesen.
Die Auslegung der Vergabeunterlagen führt zu dem Ergebnis, dass es sich im Kapitel 3.2.12.1 (S. 37 des Projektvertrages) bei der Vorgabe „Der Schulungsplan für das Folgejahr ist mit dem AG bis zum 30. November eines jeden Jahres abzustimmen und vorzulegen“, um eine zwingende Mindestanforderung handelt.
Entsprechend den Ausführungen im Kapitel 4.4 der Bewerbungsbedingungen werden Mindestanforderungen in den Vergabeunterlagen mit „muss“, „hat“, „ist zu“ oder vergleichbaren Formulierungen beschrieben. Die Bezeichnung „ist (…) vorzulegen“ stellt eine derartige vergleichbare Formulierung dar. Vom Empfängerhorizont potentieller Bieter ausgehend, geht aus dem Wortlaut deutlich und unmissverständlich hervor, dass der Schulungsplan für die jährlichen Schulungen des Folgejahres bis zum 30. November des Vorjahres vorgelegt werden muss und dies vom Auftraggeber als verbindliche Vorgabe bestimmt ist.
bb) Die ASt ist in ihrem Angebot von der verbindlichen Vorgabe, dass der Schulungsplan für die jährlichen Schulungen des Folgejahres bis zum 30. November des Vorjahres vorgelegt werden muss, abgewichen.
Zwar hat die … in ihrer Auswertung der finalen Angebote, die sich die VSt zu eigen gemacht hat, der ASt im Unter-Unterkriterium „Zeitplanung“ die volle Punktzahl vergeben („der Bieter hat die Zeitplanung für die Schulungs- und Weiterbildungsthemen wie gefordert beschrieben“), jedoch wird diese Auslegung des Konzeptes nicht vom maßgeblichen objektiven Empfängerhorizont getragen.
Die Auslegung des Schulungskonzeptes der ASt (S. 208 ff) ergibt vielmehr, dass dieses keine Vorlage des Schulungsplans bis zum 30. November des Vorjahres vorsieht und damit eine Abweichung von den Vorgaben der Vergabeunterlagen enthält. Weder im Kapitel 8.2.2 „Terminliche Koordinierung“ (S. 210) noch im übrigen Schulungskonzept (S. 208 ff) werden zeitliche Angaben zur Erstellung des geforderten Schulungsplans getroffen. Lediglich die Seite 209 enthält folgende zeitliche Angabe: „Eine Übersicht über das Angebot an Weiterbildungen und eLearning Modulen teilt der … zusammen mit … mit der schulungsverantwortlichen Person der … zu Beginn des Jahres im Rahmen der Erstellung des Schulungsplans. Sollten sich im Laufe eines Jahres Änderungen ergeben, teilt die ASt diese der VSt mit“.
Die ASt vertritt die Auffassung, dass die Erstellung der Schulungspläne zu Jahresbeginn und damit weit vor dem 30. November des Vorjahres liegt.
Für eine derartige Auslegung finden sich jedoch keine ausreichenden Anhaltspunkte im Konzept der ASt. Unter Anwendung der oben dargestellten Auslegungsmaßstäbe kommt die Vergabekammer zu dem Ergebnis, dass das Konzept der ASt vorsieht, dass der Schulungsplan erst zu Beginn eines jeden Jahres und nicht bereits zum 30. November des Vorjahres der VSt vorgelegt wird. Für diese Auslegung spricht der Wortlaut des Konzepts wonach lediglich eine Erstellung des Schulungsplans zu Jahresbeginn ohne jegliche weiteren zeitlichen Angaben beschrieben wird. Für eine Erstellung im Vorjahr finden sich im Wortlaut keine Anhaltspunkte. Die erst im Nachprüfungsverfahren und in Kenntnis der Mindestanforderungen der Vergabeunterlagen vorgebrachten Ausführungen der ASt sind daher als Schutzbehauptung einzustufen. Sollte die ASt tatsächlich eine Erstellung des Schulungsplanes bereits zu Beginn des Vorjahres beabsichtigt haben, obwohl der Projektvertrag dies gar nicht verlangt hat, geht dieses Missverständnis zu Lasten des Bieters.
Das Angebot der ASt weicht daher von den Mindestanforderungen der Vergabeunterlagen ab.
cc) Die Änderung an den Vergabeunterlagen ist auch nicht unerheblich oder geringfügig, so dass ausnahmsweise eine nachträgliche Korrektur zulässig sein könnte.
Die ASt kann sich auch nicht auf die Rechtsprechung des BGH (U.v. 18.06.2019, X ZR 86/17) berufen, weil sich der dort entschiedene Sachverhalt (hierzu siehe oben) grundlegend vom vorliegenden Sachverhalt unterscheidet.
Im vorliegenden Fall betrifft die Abweichung nicht eine Allgemeine Geschäftsbedingung, sondern ein individuell erarbeitetes Angebotskonzept des Bieters, das von den verbindlichen Vorgaben der Vertragsunterlagen abweicht, so dass schon aus diesem Grund eine Übertragung der BGH Entscheidung ausscheidet (vgl. OLG München, B.v. 20.01.2020, Verg 17/19; OLG Düsseldorf, B.v. 12.02.2020, Verg 24/19; VK Bund, B.v. 23.04.2021, VK 2 – 29/21).
Darüber hinaus läge ein lückenhaftes, nicht vertragskonformes Angebot der ASt vor, wenn ihr abweichendes Schulungskonzept bzw. die Erstellung des Schulungsplans hinweggedacht werden.
Soweit auch die ASt pauschal vorträgt, dass sie die Regelungen des Projektvertrags unstreitig anerkannt hat, verhindert dies kein unzulässiges Abweichen von den verbindlichen Vergabeunterlagen. Auf die obigen Ausführungen wird verwiesen.
c) Infolge der Abweichungen von den Mindestanforderungen in den Vergabeunterlagen ist der Ausschluss sowohl des Angebots der BGI als auch das der ASt gem. § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV (bzw. 4.4 (a) der Bewerbungsbedingungen) zwingend geboten.
Auf die weiteren von den Beteiligten aufgeführten Ausschlussgründe kommt es somit nicht an. Ebenso erübrigt sich eine detaillierte Überprüfung der Konzeptbewertungen.
Im Ergebnis ist die ASt, trotz ihres eigenen Angebotsausschlusses (Stichwort 2. Chance), durch das Vergabeverfahren in ihren Rechten verletzt.
d) Bei fortbestehender Beschaffungsabsicht hat die VSt das Vergabeverfahren in den Stand vor Abgabe der endgültigen Angebote zurückzuversetzen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 182 GWB.
a) Die VSt und die BGI tragen die Verfahrenskosten als Gesamtschuldner je zur Hälfte, weil sie jeweils mit ihren Anträgen unterlegen sind, § 182 Abs. 3 Satz 1 und 2 GWB.
b) Die Kostenerstattungspflicht gegenüber der ASt ergibt sich aus § 182 Abs. 4 Satz 1 GWB.
c) Die Hinzuziehung eines anwaltlichen Bevollmächtigten war für die ASt notwendig (§ 182 Abs. 4 Satz 4 GWB i.V.m. Art. 80 Abs. 2 Satz 3 BayVwVfG entspr.). Es handelt sich um einen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht nicht einfach gelagerten Fall, sodass es der ASt nicht zuzumuten war, das Verfahren vor der Vergabekammer selbst zu führen.
d) Die Gebühr war nach § 182 Abs. 2 und Abs. 3 GWB festzusetzen. Im Hinblick auf die Bruttoangebotssumme der ASt und unter Zugrundelegung eines durchschnittlichen personellen und sachlichen Aufwands der Vergabekammer errechnet sich entsprechend der Tabelle des Bundeskartellamtes eine Gebühr in Höhe von …,- €. Weder der Auftragswert noch der Aufwand rechtfertigen im gegenständlichen Nachprüfungsverfahren eine Erhöhung über …,- € (§ 182 Abs. 2 Satz 2, 2. Halbsatz GWB).
e) Der geleistete Kostenvorschuss von …,- € wird nach Bestandskraft dieses Beschlusses an die ASt zurücküberwiesen.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben