Baurecht

Sperrung eines beschränkt-öffentlichen Wegs, Beseitigungs- und Duldungsanordnung, Qualifizierung eines behördlichen Schreibens als Verwaltungsakt trotz gegenteiliger Absicht der Behörde (bejaht), Zweitanlegung eines Bestandsverzeichnisses im Jahr 1988, Richtigkeitsvermutung für die ordnungsgemäße Durchführung des Verfahrens zur Erstellung eines Bestandsverzeichnisses, Zwangsgeldandrohung, Angemessene Höhe des Zwangsgelds (verneint)

Aktenzeichen  M 2 K 20.2710

Datum:
23.11.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 44982
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayStrWG Art. 67
StVO § 32
StVO § 49
BayVwVfG Art. 35

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Bescheid vom 20. Mai 2020 wird aufgehoben. 
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

A. Die Klage ist zulässig und begründet. Der Bescheid vom 20. Mai 2020 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).
I. Die gegen alle Anordnungen des Schreibens erhobene Klage (vgl. auch Art. 38 Abs. 1 Satz 2 VwZVG) ist als Anfechtungsklage zulässig. Das Schreiben vom 20. Mai 2020 ist ein Verwaltungsakt. Liegen die Voraussetzungen des Art. 35 Satz 1 BayVwVfG vor, so ist ein behördliches Schreiben auch dann als Verwaltungsakt zu qualifizieren, wenn, wie hier, die Beklagte einen solchen ausdrücklich nicht erlassen möchte. Die Rechtsnatur einer behördlichen Handlung obliegt nicht der Bestimmung der Behörde. Vorliegend hat die Gemeinde den Kläger mehrfach und unter Setzung einer Frist ausdrücklich „aufgefordert“ (vgl. Seite 3 des Schreibens), bestimmte Handlungen vorzunehmen bzw. zu unterlassen. Die Formulierungen verdeutlichen, dass das Schreiben nicht bloß eine Beantwortung einer E-Mail-Anfrage darstellt, die sich in einem unverbindlichen Hinweis auf die rechtliche Einschätzung der Lage seitens der Gemeinde erschöpft, sondern für den Kläger konkret zu erfüllende Pflichten begründet. Die Beklagte konkretisiert daher insbesondere das in Art. 18, 18b Abs. 1 BayStrWG enthaltene Verbot, eine öffentliche Straße unbefugt zu Sondernutzungen zu gebrauchen, für den Einzelfall (vgl. BayVGH, U.v. 15.3.2006 – 8 B 03.3360 – juris Rn. 14) und hat damit eine hoheitliche, auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts ergangene und auf Herbeiführung einer unmittelbaren Rechtswirkung nach außen gerichtete Regelung i.S.v. Art. 35 Satz 1 BayVwVfG getroffen (vgl. zur Rechtsnatur einer Beseitigungsanordnung nach Art. 18b Abs. 1 BayStrWG Wiget in Zeitler, BayStrWG, 29. EL März 2019, Art. 18b Rn. 15). An der Qualifizierung der Maßnahme als Verwaltungsakt gegen den Willen der Behörde ändert auch das Fehlen einer Rechtsbehelfsbelehrungund der Umstand nichts, dass das Schreiben nur rudimentäre Subsumtionsleistungen erbringt. Auch ein handwerklich schlechter Verwaltungsakt ist ein Verwaltungsakt. Die im Schreiben formulierte Annahme der Beklagten, dass die „rechtlichen Voraussetzungen“ für einen Bescheid „sämtlich nicht vorliegen“ (Seite 1 des Schreibens), verdeutlicht die Unerfahrenheit der Beklagten im Umgang mit rechtlichen Handlungsformen, lässt aber die ausgesprochenen Verpflichtungen gegenüber dem Kläger nicht entfallen. Auch die Androhung des Zwangsgelds stellt nach Art. 31 Abs. 3 Satz 2 VwZVG einen nach Maßgabe des Art. 23 Abs. 1 VwZVG vollstreckbaren, aber aufschiebend bedingten Leistungsbescheid (vgl. BayVGH, B.v. 28.10.2021 – 12 BV 20.1148 – juris Rn. 34) dar, gegen den ohnehin wegen Art. 38 Abs. 1 Satz 1 VwZVG die Anfechtungsklage statthaft ist. Gegen die Zulässigkeit der Anfechtungsklage im Übrigen bestehen keine Bedenken.
II. Der Bescheid vom 20. Mai 2020 ist rechtswidrig. Die Rechtswidrigkeit ergibt sich zwar nicht schon daraus, dass er keine Rechtsgrundlage nennt (1.) oder der streitgegenständliche Weg im Bereich des klägerischen Grundstücks nicht gewidmet wäre (2a, b.). Jedoch hat die Beklagte das ihr zustehende Ermessen nicht ausgeübt (2c.). Die Zwangsgeldandrohung erweist sich infolgedessen und wegen der offenkundig fehlerhaft gewählten Höhe des Zwangsgelds als rechtswidrig (3.).
1. Der Bescheid der Behörde nennt keine Rechtsgrundlage. Allein hieraus ergibt sich jedoch nicht die Rechtswidrigkeit des Bescheids, weil in § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO die Verpflichtung des Gerichts zum Ausdruck kommt, zu prüfen, ob der angefochtene Verwaltungsakt mit dem objektiven Recht in Einklang steht. Bei dieser Prüfung hat das Gericht alle einschlägigen Rechtsvorschriften zu berücksichtigen, gleichgültig, ob die Normen von der erlassenden Behörde zur Begründung des Verwaltungsaktes angeführt worden sind oder nicht, sofern der Bescheid durch die Berücksichtigung der anderen Rechtsnorm und die dadurch geänderte Begründung nicht in seinem Wesen verändert wird (vgl. BVerwG, B.v. 29.7.2019 – 2 B 19/18 – juris Rn. 24; OVG Saarlouis, B.v. 7.8.2013 – 3 A 295/13 – juris Rn. 10). Als Rechtsgrundlage kommt vorliegend Art. 18b Abs. 1 Satz 1 BayStrWG und Art. 7 Abs. 2 Nr. 1, 2 LStVG i.V.m. §§ 32, 49 Abs. 1 Nr. 27 StVO in Betracht.
2. Nach Art. 18a Abs. 1 Satz 1 BayStrWG kann die Straßenbaubehörde die erforderlichen Anordnungen erlassen, wenn eine Straße – gemeint ist eine öffentliche Straße im Sinne von Art. 1 BayStrWG – ohne die erforderliche Erlaubnis nach Art. 18 BayStrWG, mithin über den Gemeingebrauch hinaus, benutzt wird. Der H1.weg ist ein beschränkt-öffentlicher Weg (a), dessen Sperrung den Gemeingebrauch beeinträchtigt (b).
a) Der H1.weg stellt einen beschränkt-öffentlichen Weg nach Art. 3 Nr. 4, 53 Nr. 2 BayStrWG, also eine öffentliche Straße, dar. Die für die Qualifizierung einer bestimmten Fläche als Straße notwendige Widmung ist im vorliegenden Fall im Wege einer Fiktion gemäß Art. 67 Abs. 4 BayStrWG erfolgt. Es ist nicht erkennbar, dass die hohen Anforderungen an eine Zustimmung zur Widmung durch den Rechtsvorgänger oder den Kläger im Wege des schlüssigen Verhaltens nach Art. 6 Abs. 3 BayStrWG vorliegen (vgl. Häußler in Zeitler, BayStrWG, 30. EL März 2020, Art. 6 Rn. 22).
Nach Art. 67 Abs. 4 BayStrWG gilt die nach Art. 6 Abs. 3 BayStrWG erforderliche Zustimmung des verfügungsberechtigten Eigentümers als erteilt und die notwendige Widmung als verfügt, wenn eine Eintragung in das straßenrechtliche Bestandsverzeichnis nach Art. 67 Abs. 3 BayStrWG unanfechtbar geworden ist.
aa) Die Beklagte hat zu Beginn der 1960er Jahren ein Bestandsverzeichnis erstellt. Dieses Verzeichnis ist allerdings nicht mehr vollständig auffindbar (vgl. insoweit Bl. 177 f.). Ohne genaue Kenntnis des Inhalts des Verzeichnisses und mithin ohne Vorliegen einer Eintragung hinsichtlich des streitgegenständlichen Wegs fehlt es von vornherein an einer Voraussetzung für eine Widmungsfiktion. Es kommt schon wegen Art. 67 Abs. 5 BayStrWG nicht in Betracht, aus dem damaligen Vorhandensein des Wegs auch auf dessen Aufnahme in das Verzeichnis zu schließen. Grundsätzlich kann auch nicht aus den noch vorhandenen Unterlagen des Verwaltungsverfahrens hinsichtlich der Erstellung des Bestandsverzeichnisses (vgl. etwa Bl. 58 f. BA) auf dessen endgültigen Inhalt geschlossen werden. Insoweit kommt diesem Verzeichnis unmittelbar für die straßenrechtliche Einordnung des streitgegenständlichen Wegs keine Relevanz zu.
Darüber hinaus ist das Verzeichnis aber ohnehin nicht mehr maßgeblich, soweit es durch eine Zweitanlegung 1988 rechtlich ersetzt wurde. Wie sich zumindest aus einer Zusammenschau aus den noch vorhandenen Unterlagen aus den 1980er Jahren ergibt, wollte die Beklagte eine umfassende Neubearbeitung der vorhandenen Verzeichnisse vornehmen (vgl. Bl. 150, 157 f. BA). Selbst wenn die Beklagte aber die seit der Erstanlegung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unveränderten Straßen und Wege nur deklaratorisch in das zweite Verzeichnis aufgenommen hat, wäre jedenfalls insoweit der Inhalt des Verzeichnisses aus den 1960er Jahren durch die (nur deklaratorische) Erfassung im Verzeichnis aus 1988 rekonstruierbar und damit ihrerseits verbindlich.
bb) Das Bestandsverzeichnis von 1988 bzw. ggf. das hierüber insoweit inhaltlich rekonstruierte Verzeichnis aus den 1960er Jahren stellt den maßgeblichen Verwaltungsakt dar (vgl. allgemein BayVGH, B.v. 21.12.2017 – 8 ZB 17.1189 – juris Rn. 19) und ist bestandskräftig geworden (1). Seine Eintragung erfasst das Grundstück des Klägers und qualifiziert den streitgegenständlichen Weg als beschränkt-öffentlichen Weg (2).
(1) Ein Bestandsverzeichnis wird aus den Karteikarten nach Maßgabe des § 2 der Verordnung über die Straßen- und Bestandsverzeichnisse gebildet und stellt ein öffentliches Register dar. Im Verzeichnis wird die Eintragung – bestehend aus der Veröffentlichung des vom Gemeinderat zu beschließenden Bekanntmachungstexts (BayVGH, U.v. 28.2.2012 – 8 B 11.2934 – juris Rn. 36) – durch Wiedergabe der Eintragungsdaten dokumentiert. Es kann als Verwaltungsakt herangezogen werden und eine Widmungsfiktion begründen, wenn es bestandskräftig und nicht nichtig ist.
Folgerichtig steht der Annahme einer Widmungsfunktion nicht entgegen, wenn nicht mehr sämtliche Verfahrensschritte, insbesondere die Auflegung und Bekanntmachung nach Art. 67 Abs. 3 Satz 2, 3 BayStrWG, dokumentiert sind (vgl. BayVGH, U.v. 28.2.2012 – 8 B 11.2934 – juris Rn. 55; VG München, U. v. 14.5.2015 – M 2 K 14.4687, UA S. 10 ff.). Ein Nichtigkeitsvorwurf kann in der Regel nur aus sachlich-rechtlichen, nicht aus verfahrensrechtlichen Rechtsverstößen hergeleitet werden (vgl. BayVGH, U.v. 28.2.2012 – 8 B 11.2934 – juris Rn. 54). Das Vorliegen eines Ausnahmefalls kann jedenfalls nicht aus dem Vorliegen einzelner Splitter von Verfahrensakten hergeleitet werden, weil redlicherweise nicht angenommen werden kann, dass es sich um die vollständigen, ein vollständiges und ordnungsgemäßes Verfahren dokumentierenden Verwaltungsakten handelt (BayVGH, U.v. 28.2.2012 – 8 B 11.2934 – juris Rn. 55). Insoweit ist von der verfahrensmäßigen Richtigkeit des Verzeichnisses auszugehen und es genügt, dass – wie im vorliegenden Fall (vgl. Bl. 11) – das Bestandsverzeichnis bzw. die Karteikarte für den H1.weg noch vorhanden ist.
Keiner näheren Untersuchung bedarf es daher, ob die erfolgte „Zweitanlegung“ im Jahr 1988 zu Bereinigungszwecken überhaupt zulässig war (oder nur dann hätte erfolgen dürfen, wenn das erste Bestandsverzeichnis mangels ordnungsgemäßer Bekanntmachung rechtlich nicht existent gewesen wäre). Denn jedenfalls würde dies mangels offenkundiger Rechtswidrigkeit nicht zur Nichtigkeit des Verzeichnisses nach Art. 44 Abs. 1 BayVwVfG führen (vgl. BayVGH, U.v. 15.5.1990 – 8 B 86.558 – juris Rn. 19; so auch BayVGH, B.v. 21.12.2017 – 8 ZB 17.1189 – juris Rn. 33 und insoweit wohl unter Aufgabe von BayVGH, U.v. 12.12.2000 – 8 B 99.3111 – juris Rn. 52, wonach „eine ‚echte‘ Zweitanlegung eines Bestandsverzeichnisses von vorneherein Art. 67 Abs. 3 BayStrWG nicht unterfallen“ könne).
Der Bestandskraft des Verzeichnisses und damit seiner Maßgeblichkeit für das vorliegende Verfahren steht auch die allgemeine 30-jährige Ausschlussfrist nicht entgegen (vgl. BayVGH, U.v. 12.12.2000 – 8 B 99.3111 – juris Rn. 48 ff.). Die Frist endete erst am 31. August 1988 (vgl. BayVGH, U.v. 30.11.1993 – 8 B 92.1780 – BeckRS 1993, 11101); das hier relevante Verzeichnis stammt hingegen (spätestens) vom 6. Juli 1988. Ohnehin würde ein Fristverstoß lediglich die Rechtswidrigkeit, aber nicht die Nichtigkeit des Verzeichnisses begründen (vgl. VG Bayreuth, U.v. 20.1.2017 – B 1 K 15.242 – juris Rn. 44; Häußler in Zeitler, BayStrWG, 20. EL März 2010, Art. 67 Rn. 37).
(2) Die (konstitutive oder ggf. deklaratorische) Eintragung auf Blatt-Nummer 34 des Bestandsverzeichnisses 1988 betrifft den H1.weg in seinem heutigen Verlauf über das Grundstück des Klägers. Dies lässt sich dem Inhalt des Verzeichnisses durch methodengerechte Auslegung entnehmen; die Eintragung erweist sich insoweit nicht als unbestimmt, obwohl es keine von dem Weg betroffenen Flurnummern nennt.
Nach ständiger Rechtsprechung ist regelmäßig erforderlich, dass im Verzeichnis alle betroffenen Flurnummern aufgeführt werden. Von einer Eintragung werden grundsätzlich nur diejenigen Grundstücke erfasst, die ausdrücklich benannt werden; eine faktische oder konkludente Widmung gibt es nach Bayerischem Straßen- und Wegerecht nicht. Allerdings kennt dieser Grundsatz Ausnahmen, wenn Wegeverlauf und -umfang dennoch eindeutig festliegen, etwa aufgrund eines genauen Beschriebs (vgl. BayVGH, B.v. 21.12.2017 – 8 ZB 17.1189 – juris Rn. 20 ff.; BayVGH, U.v. 15.5.1990 – 8 B 86.558 – juris Rn. 19).
Im vorliegenden Fall liegt eine Ausnahme vor. Durch die Bezeichnung des Wegs als Fußweg entlang des …bachs (Nr. 1 in Spalte 2 des Vordrucks) wird bereits eine Konkretisierungsleistung erbracht. Zwar ist die Beschreibung selbst noch nicht ausreichend, um den exakten Verlauf des Wegs in der natürlichen Umgebung festzustellen, jedoch wird mit der Beschreibung „entlang“ eine räumliche Beziehung zwischen den in seinem Verlauf unstrittigen …bach als Gewässer und dem Weg hergestellt. Ein Weg verläuft dem allgemeinen Sprachgebrauch nach dann „entlang“ eines Bachs, wenn er zumindest über weite Teile in enger räumlicher Nähe, typischerweise in Sichtnähe, an diesem Gewässer verläuft. Dies ist bei dem streitgegenständlichen Weg der Fall. Schon diese semantische Abbildung der in der Wirklichkeit bestehenden räumlichen Nähe zwischen Bach und Weg durch das Wort „entlang“ beschreibt den Weg und seinen Verlauf in räumlicher Hinsicht präziser als dies mit der Nennung der Flurnummer des betroffenen klägerischen Grundstücks der Fall wäre. Eine weitere Konkretisierung, die das bisher gefundene Ergebnis bestätigt, erfolgt durch die Bezeichnung des Anfangspunktes des Wegs mit „H2.str. 14“ (Nr. 3 in Spalte 2 des Vordrucks). Das Grundstück, das mit der genannten Anschrift identifiziert wird, befindet sich, wie auch das klägerische Grundstück, östlich vom …bach. Dadurch wird deutlich, dass der im Bestandsverzeichnis genannte Weg nicht nur in unmittelbarer Nähe des …bachs („entlang“), sondern auch an welcher Seite des Bachs er verläuft. Auch das tatsächliche und unbestrittene Vorhandensein des Wegs auf dem Grundstück des Klägers spricht dafür, dass dieser dem durch das Bestandsverzeichnis gewidmeten Weg entspricht. Der im Verzeichnis genannte Endpunkt, die Gemeindegrenze …, trägt gleichermaßen zur (bestimmbaren) Konkretisierung des Wegs bei. Denn die Gemeindegrenze befindet sich einerseits südlich der H2. straße 14 (und des klägerischen Grundstücks) und beginnt andererseits auch von dort aus rund einen Kilometer später (vgl. Spalten 3 und 4 des Vordrucks). Damit ist ausgeschlossen, dass der im Verzeichnis beschriebene Weg etwa nördlich der H2. straße 14 verläuft und in diesem Fall das klägerische Grundstück nicht tangieren würde. Auch wenn es für die Auslegung und Bestimmung des Inhalts des Bestandsverzeichnisses nicht drauf ankommt, ist doch festzuhalten, dass auch der Kläger in der mündlichen Verhandlung auf Nachfrage des Gerichts nicht seine Überzeugung geäußert hat, dass durch die Eintragungen im Verzeichnis der tatsächliche Weg nicht gemeint sei. Es wurde vielmehr deutlich, dass der Kläger eher verfahrensmäßige Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Widmungsverfahrens hat, weniger aber am Inhalt des Verzeichnisses. Auf mögliche Verfahrensfehler kommt es aber, wie ausgeführt, nicht an, weil nicht erkennbar ist, dass diese zur Nichtigkeit führen.
Ohnedies ist die vom Kläger angebotene und von ihm für möglich erachtete alternative Deutung des Bestandsverzeichnisses, dass mit der Eintragung ein auf der anderen Seite des Baches verlaufener Weg gemeint sein könne, der mittels Über- bzw. Durchquerung (Furt) erreichbar sei, nicht überzeugend. Es ist zwar richtig, dass eine allein den Wortsinn fokussierende Auslegung der Nrn. 1 und 4 der Spalte zwei sowie der Spalten 3 und 4 des Vordrucks auch mit einem Wegeverlauf auf der westlichen Seite des …bachs vereinbar wäre. Doch müssen auch Eintragungen in einem Bestandsverzeichnis vor dem Hintergrund der tatsächlichen Gegebenheiten gelesen werden (vgl. insoweit BayVGH, U.v. 15.5.1990 – 8 B 86.558 – juris Rn. 21). Wäre auf beiden Seiten des Baches kein Weg mehr vorhanden und würde etwa um dessen Wiederherstellung gestritten, mag es nicht ausgeschlossen sein, von einer fehlenden Bestimmtheit der Eintragung im Verzeichnis auszugehen. Indessen ist dies nicht der Fall. Der Weg existiert gegenwärtig, auch sein Vorhandensein im Zeitpunkt der Erstanlegung (hierauf dürfte es ankommen, vgl. BayVGH, U.v. 30.11.1993 – 8 B 92.1780 – BeckRS 1993, 11101; s.a. Häußler in Zeitler, BayStrWG, 20. EL März 2010, Art. 67 Rn. 37) oder im Zeitpunkt der Zweitanlegung wird von niemandem bestritten (vgl. auch die Einzeichnung auf der undatierten, aber wohl schon älteren Flurkarte in Bl. 152 f. BA). Umgekehrt existiert auf der Westseite kein Weg, der bis zur Gemeindegrenze … verlaufen würde; der vorhandene Weg endet alsbald südlich der dortigen Wohnbebauung. Schließlich überzeugt die alternative Auslegung auch deshalb nicht, weil sich auf der Westseite des …bachs, das haben die Erörterungen in der mündlichen Verhandlung ergeben, ein in den späten 1980er Jahren entstandenes Baugebiet befindet („Am …park“). Es hätte sich angesichts der zeitlichen Kongruenz zwischen Bebauung und Anlegung des Verzeichnisses aufgedrängt, bei der Beschreibung eines Wegs auf der Westseite des Baches auf das in der Entstehung befindliche Baugebiet (statt auf das Anwesen H2. straße 14) Bezug zu nehmen. Schließlich spricht auch der Wortsinn von Nummer 3 der Spalte 2 des Vordrucks für die Annahme, der Weg verlaufe östlich des …bachs. Denn wäre mit den übrigen Beschreibungen ein Weg auf der Westseite des Baches gemeint gewesen, wäre nicht auf das Anwesen H2.straße 14 als Anfangspunkt des Wegs abgestellt worden, sondern zumindest auf eine tatsächliche Gegebenheit „gegenüber“ dem Anwesen.
Im Ergebnis ist daher das Gericht davon überzeugt, dass die Eintragung auf Blatt-Nummer 34 des Verzeichnisses aus dem Jahr 1988 den Weg beschreibt – und wegen Art. 67 Abs. 4 BayStrWG auch widmet -, der über das klägerische Grundstück führt.
b) Die Sperrung des Wegs (vgl. hierzu die Lichterbilder auf Bl. 41, 139 BA) stellt eine Benutzung über den Gemeingebrauch hinaus dar. Sie beeinträchtigt den Gemeingebrauch, weil die tatsächliche Benutzung durch andere Verkehrsteilnehmer, vorliegend v.a. Fußgänger und Radfahrer, ausgeschlossen oder jedenfalls nicht unerheblich erschwert wird. Der Weg kann den gewöhnlichen Bedürfnissen des Verkehrs nicht mehr genügen (vgl. Sauthoff, Öffentliche Straßen, 3. Aufl. 2020, Rn. 378).
c) Aus der Widmung des Wegs folgt, dass mit der Sperrung der Kläger zwar den Tatbestand einer Sondernutzung verwirklicht hat, für die keine Genehmigung vorliegt, sodass eine Beseitigungsanordnung gegen ihn als gleichermaßen Handlungswie Zustandsstörer durch die Gemeinde als Straßenbaubehörde (Art. 58 Abs. 2 Nr. 3 BayStrWG) grundsätzlich in Betracht kommt. Die Gemeinde hat allerdings nicht ansatzweise das ihr durch Art. 18b BayStrWG eingeräumte Ermessen ausgeübt. Sie hat die Notwendigkeit, Ermessen auszuüben, nicht erkannt und im konkreten Fall mangels Rechtsanwendungswillen – die Behörde hat keinen Bescheid erlassen wollen – auch nicht erkennen können. Dieses subjektive Unvermögen ändert allerdings nichts an der Notwendigkeit einer Ermessensausübung. Die Beklagte hat demnach die Grenzen des Ermessens überschritten; dies zu überprüfen ist Aufgabe des Gerichts (§ 114 Satz 1 VwGO).
d) Es kann offenbleiben, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen Art. 18b Abs. 1 BayStrWG nicht nur zum Erlass einer Beseitigungsanordnung ermächtigt, sondern wegen der generalklauselartigen Ermächtigung zum Erlass der erforderlichen Anordnungen auch ermöglicht, einen Störer zur Duldung der Benutzung der Straßen im Rahmen ihrer Widmung für den Verkehr (Gemeingebrauch, Art. 14 Abs. 1 Satz 1 BayStrWG) zu verpflichten (bejaht bei Wiederholungsgefahr VGH BW, B.v. 5.3.2014 – 5 S 1775/13 – juris Rn. 10; wohl verneinend BayVGH, U.v. 15.3.2006 – 8 B 03.3360 – juris Rn. 15, wonach „jedenfalls präventive Maßnahmen gegen erst drohende unerlaubte Sondernutzungen nicht zum straßenrechtlichen Entscheidungsprogramm“ gehören; s.a. Sauthoff, Öffentliche Straßen, 3. Aufl. 2020, Rn. 466; Wiget in Zeitler, BayStrWG, 29. EL März 2019, Art. 18b Rn. 15). Denn jedenfalls fehlt es hier gleichermaßen an einer rechtmäßigen Ermessensausübung wie bei der Anordnung zur Beseitigung.
3. Soweit sich der Bescheid auch auf Art. 7 Abs. 2 Nr. 1, 2 LStVG i.V.m. § 32, 49 Abs. 1 Nr. 27 StVO stützen ließe, erweist er sich jedenfalls auch wegen einer unterbliebenen Ermessensausübung als rechtswidrig.
4. Die Zwangsgeldandrohung ist ebenfalls aufzuheben. Sie ist rechtswidrig, weil mit der Aufhebung der Beseitigung- und Duldungsanordnung durch das vorliegende Urteil eine zu vollstreckende Grundverfügung im Sinne von Art. 29 Abs. 1 VwZVG als Voraussetzung für eine Zwangsgeldandrohung entfällt und diese damit ihrerseits rechtswidrig wird. Außerdem leidet die Androhung daran, dass die Ausschöpfung des gesetzlichen Zwangsgeldrahmens nach Art. 31 Abs. 2 Satz 1 VwZVG schon angesichts der wirtschaftlichen Bedeutung der Handlung des Klägers (Art. 31 Abs. 2 Satz 2 VwZVG) ersichtlich die Grenzen der Verhältnismäßigkeit und damit des Ermessens (§ 114 Satz 1 VwGO) überschreitet. Auch im Übrigen fehlt es abermals an jedweder Ermessensausübung.
B. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
C. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 1, 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 ZPO.


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