Baurecht

Unwirksamkeit eines Änderungsbebauungsplans

Aktenzeichen  15 N 19.923

Datum:
16.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 2808
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 2 Abs. 4, § 215 Abs. 1
VwGO § 47 Abs. 2

 

Leitsatz

1. Bei Änderung eines Bebauungsplans ist das private Interesse eines Plannachbarn am Fortbestand der bisherigen planungsrechtlichen Situation ein zu berücksichtigender Belang, wenn der Bebauungsplan in seiner ursprünglichen Fassung ein subjektives Recht begründet hat. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Planänderungen berühren dann nicht die Grundzüge und das Leitbild der bisherigen Planung, wenn die Konzeption der städtebaulichen Ordnung und Entwicklung in ihrem grundsätzlichen Charakter unangetastet bleiben. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
3. Es erscheint grundsätzlich möglich, auch ein Teilgebiet mit einem ausreichend großen Emissionskontingent einem unbeschränkten Gebiet gleichzusetzen oder durch die Zuteilung von Zusatzkontingenten unbeschränkte Gebiete, die üblicherweise im Industriegebiet zulässige Betriebe aufnehmen können, entstehen zu lassen. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der am 9. Mai 2018 bekannt gemachte Änderungsbebauungsplan Deckblatt Nr. 2 zum Bebauungsplan „B …“ des Marktes P … ist unwirksam.
II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.     
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Der Senat kann gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da sich die Beteiligten mit Schriftsätzen vom 3. und 8. Februar 2021 damit einverstanden erklärt haben.
I.
Der Normenkontrollantrag ist zulässig. Die Antragsteller sind antragsbefugt gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO, obwohl sich ihr Grundstück außerhalb des von der Änderung durch das 2. Deckblatt umfassten Plangebiets befindet.
Nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO kann jede natürliche oder juristische Person einen Normenkontrollantrag stellen, die geltend macht, durch die angegriffene Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Wendet sich der Antragsteller gegen die Änderung eines Bebauungsplans, muss er substantiiert darlegen, dass seine Belange gerade durch die Änderung berührt werden (vgl. BayVGH, B.v. 25.6.2020 – 15 N 19.2132 – juris Rn. 16; VGH BW, U.v. 20.3.2013 – 5 S 1126/11 – juris Leitsatz; BVerwG, B.v. 13.11.2012 – 4 BN 23.12 – juris Rn. 4). Das private Interesse eines Plannachbarn am Fortbestand der bisherigen planungsrechtlichen Situation ist insbesondere dann ein in der Abwägung zu berücksichtigender Belang, wenn der Bebauungsplan in seiner ursprünglichen Fassung ein subjektives Recht begründet hat (BVerwG, B.v. 15.6.2020 – 4 BN 51.19 – juris Rn. 7). Darüber hinaus kann die Antragsbefugnis auch aus dem subjektiven Recht auf gerechte Abwägung der privaten Belange des Antragstellers gemäß § 1 Abs. 7 BauGB folgen (BVerwG, B.v. 9.11.1979 – 4 N 1/78, 4 N 2/79, 4 N 3/79, 4 N 4/79 – BVerwGE 59, 87 = juris Leitsatz und Rn. 44 ff; U.v. 24.9.1998 – 4 CN 2/98 – BVerwGE 107, 215 = juris Leitsatz 2 und Rn. 15 bis 21).
Gemessen daran sind die Antragsteller antragsbefugt, denn die Festsetzung der immissionswirksamen flächenbezogenen Schallleistungspegel im ursprünglichen Bebauungsplan und die Festsetzung von Emissionskontingenten im angegriffenen Deckblatt Nr. 2 dienen auch den Nachbarn in anderen Teilen des Plangebiets zum Schutz gegen Immissionen. Dabei wurde nach dem beigefügten schalltechnischen Bericht für die neu zu überplanende Teilfläche GI 5 die aktuelle Belastung, auch hinsichtlich des Verkehrslärms, neu berechnet und das Wohngebäude der Antragsteller als Immissionsort (IO21 im Gewerbegebiet) berücksichtigt. Es erscheint daher nicht völlig ausgeschlossen, dass die Wohnnutzung der Antragsteller bei den Lärmprognosen nicht hinreichend berücksichtigt worden ist.
II.
Der Normenkontrollantrag ist auch begründet, denn der streitgegenständliche Bebauungsplan leidet an Mängeln, die zu seiner Unwirksamkeit führen.
1. Der Normenkontrollantrag ist nicht deshalb abzulehnen, weil die Antragsteller ihn nicht in der Frist des § 6 Abs. 1 UmwRG begründet haben, denn § 6 UmwRG ist auf Normenkontrollverfahren nach § 47 VwGO nicht anwendbar (vgl. BVerwG, U.v. 29.10.2020 – 4 CN 9.19 – juris Leitsatz).
2. Der Bebauungsplan ist jedoch unwirksam, weil er verfahrensfehlerhaft zustande gekommen ist. Zu Unrecht ist er im vereinfachten Verfahren nach § 13 BauGB aufgestellt worden und deshalb ist keine Umweltprüfung nach § 2 Abs. Abs. 4 BauGB durchgeführt und dem Änderungsbebauungsplan kein Umweltbericht nach § 2a Satz 2 Nr. 2 BauGB beigefügt worden (vgl. BayVGH, U.v. 3.11.2010 – 9 N 08.2593 – juris Rn. 31; OVG RhPf, U.v. 18.10.2006 – 1 C 10244/06 – BauR 2007, 332). Die Antragsteller haben dies auch innerhalb der Frist des § 215 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 214 Abs. 1 Nr. 3 BauGB gerügt.
Nach § 13 Abs. 1 Satz 1 BauGB kann die Gemeinde das vereinfachte Verfahren anwenden, wenn durch die Änderung oder Ergänzung eines Bauleitplans die Grundzüge der Planung nicht berührt werden. Dann kann nach § 13 Abs. 3 Satz 1 BauGB von der Umweltprüfung gemäß § 2 Abs. 4 BauGB, vom Umweltbericht nach § 2a BauGB und von weiteren umweltbezogenen Vorgaben abgesehen werden.
Grundzüge der Planung sind nicht berührt, wenn das der bisherigen Planung zugrundeliegende Leitbild nicht geändert wird, also der planerische Grundgedanke erhalten bleibt. Abweichungen von minderem Gewicht, die die Planungskonzeption des Bebauungsplans unangetastet lassen, berühren die Grundzüge der Planung nicht (Krautzberger in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, Stand August 2020, § 13 BauGB Rn. 18; Mitschang in Battis/Krautzberger/Löhr, Baugesetzbuch, 14. Auflage 2019, § 13 BauGB, Rn. 9). Dabei muss die dem konkreten Bebauungsplan eigene Konzeption der städtebaulichen Ordnung und Entwicklung in ihrem grundsätzlichen Charakter unangetastet bleiben. Die Konzeption des Bebauungsplans ergibt sich aus der Gesamtheit und der Zusammenschau der bestehenden planerischen Festsetzungen, in denen der planerische Wille der Gemeinde zum Ausdruck kommt. Im Allgemeinen wird man davon ausgehen können, dass die planerische Grundkonzeption nicht berührt wird, wenn sich die Planänderungen oder Planergänzungen nur auf Einzelheiten der Planung beziehen, z.B. Veränderungen von Baulinien oder Baugrenzen oder der Bebauungstiefe oder geringfügige Änderungen des Maßes der baulichen Nutzung vorgenommen werden (vgl. Krautzberger a.a.O.; Mitschang a.a.O. Rn. 10).
Unter Berücksichtigung dieser Maßgaben handelt es sich vorliegend nicht nur um eine geringfügige Änderung der bisherigen Planung, sondern die Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung im jetzigen GI 5 wurden grundlegend geändert. Mit der Vergrößerung der maximal zulässigen Wandhöhe um 50 Prozent von 9 m auf 13,5 m, sowie der Änderung der offenen Bauweise, die nach § 22 Abs. 2 Satz 1 und 2 BauNVO nur Gebäude mit einer Länge von 50 m zugelassen hat, zu einer abweichenden Bauweise nach § 22 Abs. 4 BauNVO, bei der nunmehr Gebäude mit unbeschränkter Länge erlaubt sind, ist der Rahmen der Geringfügigkeit überschritten, denn die Bebauung nimmt damit eine andere Gestalt an. Darüber hinaus sollte nach der Begründung des ursprünglichen Bebauungsplans „B …“ (S. 12) durch die Begrenzung der Gebäudehöhen ein gewisses Maß an Ortsbildschonung erreicht werden, da das Ortsbild am südwestlichen Ortsrand als insgesamt nicht geschlossen und intakt angesehen wurde. Eine Vergrößerung der maximal möglichen Gebäudehöhe um 50 Prozent auf einer Seite der G …Straße, steht mit einer solchen Intention aber nicht in Einklang.
3. Es kann deshalb offenbleiben, ob es sich hier überhaupt um die Änderung eines gültigen Bebauungsplans handelt, oder ob schon der Ursprungsbebauungsplan „B …“ mangels ordnungsgemäßer Ausfertigung oder wegen fehlender Gliederung der einzelnen Bereiche nach § 1 Abs. 4 BauNVO durch die festgesetzten immissionswirksamen flächenbezogenen Schallleistungspegeln unwirksam ist.
4. Das Deckblatt Nr. 2 ist damit insgesamt unwirksam, da der Fehler dem gesamten Bebauungsplan anhaftet.
III.
Hinsichtlich der weiteren von den Antragstellern geltend gemachten angeblichen Fehlern des Bebauungsplans muss nicht entschieden werden, ob diese vorliegen.
Es erscheint aber eher unwahrscheinlich, dass die Planrechtfertigung nach § 1 Abs. 3 BauGB fehlt. Die Nutzbarmachung einer bisher als Busparkplatz dienenden Fläche, die schon unter der Geltung des ursprünglichen Bebauungsplan hätte bebaut werden können, erscheint städtebaulich durchaus sinnvoll.
Der Senat weist jedoch darauf hin, dass die Festsetzung des oberen Bezugspunkts für die Wandhöhe nicht ganz stimmig erscheint. Es ist nicht nachvollziehbar, wie eine mögliche Photovoltaikanlage als Bezugspunkt für die Wandhöhe dienen kann. Eine solche Anlage wird entweder in ein hier zulässiges Sattel- oder Pultdach integriert oder auf einem Flachdach aufgeständert. Wie sie in Bezug zur Wandhöhe gesetzt werden könnte, ist nicht ersichtlich.
Auch hinsichtlich der Emissionskontingentierung bestehen erhebliche Bedenken, ob die Anforderungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung eingehalten sind (vgl. BVerwG, B.v. 7.3.2019 – 4 BN 45.18 – NVwZ 2019, 655). Zwar erscheint es grundsätzlich möglich, dass auch ein Teilgebiet mit einem ausreichend großen Emissionskontingent einem unbeschränkten Gebiet gleichgesetzt werden kann (vgl. VGH BW, U.v. 6.6.2019 – 3 S 2350/15 – BauR 2019, 1560 = juris Rn. 93 f.; OVG NW, U.v. 29.10.2018 – 10 A 1403/16 – juris Rn. 62 ff.) oder dass durch die Zuteilung von Zusatzkontingenten unbeschränkte Bereiche entstehen können (vgl. NdsOVG, U.v. 24.10.2018 – 1 KN 157/16 – juris Rn. 42 f.), die üblicherweise im Industriegebiet zulässige Betriebe aufnehmen können und damit eine zulässige Gliederung i.S.d. § 1 Abs. 4 BauNVO entsteht. Diese Umstände hätten vom Antragsgegner aber nach § 2 Abs. 3 BauGB ermittelt und bewertet werden müssen. Es finden sich jedoch weder im Lärmgutachten noch in der Begründung zum angefochtenen Bebauungsplan Ausführungen dazu, ob trotz der Emissionskontingente oder mittels der Zusatzkontingente ein als unbeschränkt anzusehender Bereich besteht und welche Größe dieser ungefähr hat.
Im Übrigen kann auch offenbleiben, ob der streitgegenständliche Bebauungsplan an einem Ausfertigungs- und/oder Bekanntmachungsmangel leidet und es bedarf keiner weiteren Aufklärung in Form der Einvernahme des früheren geschäftsleitenden Beamten. Es fällt jedoch auf, dass der Bürgermeister unter dem 9. Mai 2018 bestätigt hat, alle Verfahrensschritte und mithin auch die öffentliche Bekanntmachung seien erfolgt. Es wird damit der Eindruck erweckt, dass alle Unterschriften erst nach der öffentlichen Bekanntmachung geleistet worden sind. Darüber hinaus wird in der Planaufstellungsakte teilweise auch davon ausgegangen, dass die Bekanntmachung schon am 19. April 2018 erfolgt sei, zumal die Bekanntmachung auch schon an diesem Tag unterschrieben worden ist. Anhand der Aktenlage ergibt sich daher nicht eindeutig, ob der Plan vor oder nach der Bekanntmachung ausgefertigt worden ist.
Es kann auch dahinstehen, ob der Bebauungsplan an einem Verfahrensfehler in Form eines Auslegungsmangels leidet, weil er nur vom 5. Februar bis 5. März 2018 ausgelegt worden ist und die diesbezügliche Bekanntmachung am 29. Januar 2018 erfolgt ist. Allerdings wäre dabei zu berücksichtigen, dass nach § 233 Abs. 1 Satz 1 BauGB Verfahren, die vor dem Inkrafttreten einer Gesetzesänderung förmlich eingeleitet worden sind, nach den bisher geltenden Rechtsvorschriften abgeschlossen werden, soweit nichts anderes bestimmt ist. Insbesondere aus § 245c Abs. 1 Satz 1 BauGB ergibt sich für den vorliegenden Fall nichts anderes. Danach können Verfahren, die förmlich vor dem 13. Mai 2017 eingeleitet worden sind, nur dann nach den vor dem 13. Mai 2017 geltenden Rechtsvorschriften abgeschlossen werden, wenn die Beteiligung der Behörden und der sonstigen Träger öffentlicher Belange nach § 4 Abs. 1 Satz 1 BauGB oder nach sonstigen Vorschriften des Baugesetzbuches vor dem 16. Mai 2017 eingeleitet worden ist. Hier ist das Verfahren am 25. Juli 2016 mit dem Aufstellungsbeschluss, der am 23. Januar 2017 bekannt gemacht worden ist, eingeleitet worden. Die Beteiligung der Behörden und sonstigen Träger öffentlicher Belange nach § 4 Abs. 1 Satz 1 erfolgte ebenfalls mit Schreiben vom 23. Januar 2017. Einer erneuten Beteiligung nach § 4 Abs. 1 Satz 1 BauGB bedurfte es auch nach Änderung der Planung nicht (s. § 4 Abs. 1 Satz 2 BauGB), sondern es konnte sich das Verfahren nach § 4 Abs. 2 BauGB anschließen. Damit war die Änderung des § 3 Abs. 2 BauGB zum 13. Mai 2017 wohl nicht anzuwenden und die um einen Tag zu kurze Bekanntmachungsfrist konnte möglicherweise durch die einen Tag länger als erforderlich angesetzte Auslegungszeit kompensiert werden (vgl. Krautzberger in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, § 3 BauGB Rn. 46).
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 132 Abs. 2 VwGO).
III.
Gemäß § 47 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO muss der Antragsgegner Ziffer I. der Entscheidungsformel nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils in derselben Weise veröffentlichen, wie die Rechtsvorschrift bekanntzumachen wäre.


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