Baurecht

Unzulässige Beschwerde des beigeladenen öffentliche-rechtlichen Entsorgungsträgers – Beigeladener Landkreis ist nicht durch die Stattgabe der Anfechtungsklage eines gewerblichen Sammlers gegen eine Untersagungsverfügung in subjektiv- öffentlichen Rechten verletzt

Aktenzeichen  20 ZB 16.2306

Datum:
20.12.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
NVwZ-RR – 2017, 371
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 65 Abs. 1, § 113 Abs. 1 S. 1, § 124a, § 152 Abs. 1, § 154 Abs. 2
KrWG § 17, § 18 Abs. 5 S. 2, § 20 Abs. 1
BayAbfG Art. 3 Abs. 1 S. 2
GG Art. 28 Abs. 2 S. 2
GKG § 47 Abs. 1 S. 1, § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2

 

Leitsatz

1. Der Antrag auf Zulassung der Berufung des beigeladenen öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers gegen ein Urteil des Verwaltungsgerichts, mit dem der Anfechtungsklage gegen die Untersagung einer gewerblichen Sammlung von Altkleidern stattgegeben wird, ist mangels materieller Beschwer unzulässig (Anschluss an OVG Sachsen-Anhalt, U.v. 17.3.2016 – 2 L 45/14 – juris Rn. 81 ff). (amtlicher Leitsatz)

Verfahrensgang

M 17 K 13.2786 2014-04-10 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung des Beigeladenen wird verworfen.
II.
Der Beigeladene hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III.
Der Streitwert wird im Verfahren 20 ZB 14.1208 bis zur Abtrennung auf 40.000,00 EUR, nach der Abtrennung im Verfahren 20 ZB 16.2306 auf 20.000 EUR festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde des Beigeladenen ist unzulässig.
Dem nach § 65 Abs. 1 VwGO beigeladenen öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger fehlt die erforderliche Rechtsmittelbefugnis, weil er durch die angegriffene Entscheidung nicht materiell beschwert ist. Für die Rechtsmittelbefugnis eines erstinstanzlich Beigeladenen bedarf es einer materiellen Beschwer. Diese setzt voraus, dass die angegriffene Entscheidung in subjektiv-öffentliche Rechte des Beigeladenen i. S. d. § 113 Abs. 1 Satz 1 oder Abs. 5 VwGO eingreift (st.Rspr., z. B. BVerwG, U.v. 14.4.2000 – 4 C 5.99 – NVwZ 2000, 1048, juris; U.v. 17.5.1995 – 6 C 8.94 – NVwZ-RR 1996, 31, juris; Rudisile in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Juni 2016, vor § 124 Rn. 42 m. w. N.; Happ in Eyermann, VwGO, 14. A. 2014, vor § 124 Rn. 30). Nach den in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entwickelten Grundsätzen kann eine solche Rechtsverletzung vorliegen, wenn die beigeladene Behörde durch die gerichtliche Entscheidung unmittelbar in der Erfüllung eines nur ihr gesondert übertragenen, selbstständigen Aufgabenkreises beeinträchtigt würde (BVerwG, U.v. 29.1.1991 – 4 C 51.89 – NVwZ-RR 1991, 601/602, juris; U.v. 17.5.1995 – 6 C 8.94 – NVwZ-RR 1996, 31, juris; ebenso Rudisile in Schoch/Schneider/Bier a. a. O.). Dem gegenüber können sich juristische Personen des öffentlichen Rechts nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Bereich der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben grundsätzlich nicht auf Grundrechte berufen; Ausnahmen hiervon hat das Bundesverfassungsgericht nur zugelassen, soweit es sich um solche juristischen Personen des öffentlichen Rechts handelt, die von der ihnen durch die Rechtsordnung übertragenen Aufgabe her unmittelbar einem durch bestimmte Grundrechte geschützten Lebensbereich zugeordnet sind und sich deshalb in einer „grundrechtstypischen Gefährdungslage“ befinden, was bei Gemeinden und Gemeindeverbänden nicht der Fall ist (st.Rspr., z. B. BVerfG, B.v. 21.2.2008 – 1 BvR 1987/07 – NVwZ 2008, 778, juris Rn. 8 m. w. N.).
Nach diesen Grundsätzen wird ein öffentlich-rechtlicher Entsorgungsträger wie der beigeladene Landkreis durch die Stattgabe der Anfechtungsklage eines gewerblichen Sammlers gegen eine Untersagungsverfügung nach § 18 Abs. 5 Satz 2 KrWG nicht in subjektiv-öffentlichen Rechten verletzt, weil solche Rechte weder durch die bundesgesetzlichen Entsorgungs- und Verwertungspflichten nach § 20 Abs. 1 KrWG noch durch die Zuweisung der Entsorgungsaufgabe als Pflichtaufgabe des eigenen Wirkungskreises nach Art. 3 Abs. 1 BayAbfG begründet werden.
Aus der bundesgesetzlichen Aufgabenzuweisung nach § 20 Abs. 1 KrWG i. V. m. der Überlassungspflicht nach § 17 Abs. 1 KrWG folgt zwar eine im öffentlichen Interesse liegende Aufgabe, aber kein subjektives Recht i. S. einer wehrfähigen materiellen Rechtsposition des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers, weil mit der Auferlegung und normativen Absicherung dieser Pflichten keine Mehrung oder Bestätigung der Rechte desselben einhergeht (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, U.v. 17.3.2016 – 2 L 45/14 – juris Rn. 81 ff.; OVG NRW, B.v. 8.4.2014 – 20 E 547/13 – juris Rn. 4 ff.).
Etwas anderes folgt nicht aus der Zuweisung der Entsorgungsaufgabe als Pflichtaufgabe des eigenen Wirkungskreises der Landkreise nach Art. 3 Abs. 1 Satz 2 BayAbfG. Danach erfüllen die Landkreise und kreisfreien Gemeinden die sich aus dem KrWG und aus dem BayAbfG ergebenden Aufgaben als Pflichtaufgaben im eigenen Wirkungskreis. Im Rahmen ihres gesetzlichen Aufgabenbereiches kommt den Gemeindeverbänden, mithin auch den Landkreisen, gem. Art. 28 Abs. 2 Satz 2 GG, Art. 10 BV ein Selbstverwaltungsrecht nach Maßgabe der Gesetze zu (vgl. BVerfG, B.v. 7.2.1991 – 2 BvL 24/84 – NVwZ 1992, 365/367, juris). Ob die Selbstverwaltungsgarantie neben der institutionellen Garantie den Gemeindeverbänden auch ein subjektives Recht verleiht, hat der Bayerische Verfassungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung zunächst verneint, zuletzt offen gelassen (vgl. BayVerfGH, E.v. 28.11.2007 – Vf. 15-VII-05 – VerfGHE 60, 184, juris Rn. 171, 200). Sie enthält jedenfalls keine Garantie eines bestimmten Bestandes an Aufgaben, sondern sichert die Eigenverantwortlichkeit der Aufgabenwahrnehmung (BVerfG, B.v. 7.2.1991 a. a. O. Rn. 69; B.v. 23.11.1988 – Rastede, 2 BvR 1619/83, 2 BvR 1628/83 – NJW 1989, 347/349, juris Rn. 57 m. w. N.; BayVerfGH, E.v. 28.11.2007 – Vf. 15-VII-05 – VerfGHE 60, 184, juris Rn. 200 f.). Der eigene Wirkungskreis der Landkreise und damit der Umfang der Selbstverwaltung wird durch den Gesetzgeber bestimmt (Art. 10 Abs. 2 BV).
Die Untersagungsverfügung nach § 18 Abs. 5 Satz 2 KrWG dient der Durchsetzung der Überlassungspflicht nach § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 i. V. m. Abs. 2 Satz 1 und 2 KrWG. Diese schützt die Funktionsfähigkeit des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers gegenüber Maßnahmen Dritter, welche die Erfüllung der Entsorgungsaufgabe zu wirtschaftlich ausgewogenen Bedingungen verhindern oder die Planungssicherheit und Organisationsverantwortung wesentlich beeinträchtigen. Der Schutzzweck der maßgeblichen Vorschriften besteht damit allein in der im öffentlichen Interesse liegenden ordnungsgemäßen Erfüllung der Entsorgungspflichten nach § 20 Abs. 1 KrWG i. V. m. Art. 3 Abs. 1 BayAbfG. Durch die Übertragung dieser Aufgabe nach Art. 3 Abs. 1 Satz 2 BayAbfG auf die Landkreise werden diesen somit im Allgemeinwohl liegende Pflichtaufgaben zugewiesen, jedoch keine subjektiv-öffentlichen Rechtspositionen, insbesondere nicht in der Form eines subjektiv-öffentlichen Abwehrrechts gegen einen privaten Dritten. Eine Beeinträchtigung der dem Beigeladenen übertragenen Aufgaben durch gewerbliche Sammlungen führt damit zwar möglicher Weise zu einer durch die zuständigen Behörden im Rahmen der Gesetze abzuwehrenden Beeinträchtigung des Allgemeinwohls, nicht jedoch zu einer im Wege eines Rechtsmittels des Beigeladenen abzuwehrenden subjektiven Rechtsverletzung.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i. V. m. Nr. 2.4.2 des Streitwertkatalogs 2013.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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