Baurecht

Veränderungssperre zur Sicherung der Planfeststellung einer Höchstspannungsleitung; Anhörung

Aktenzeichen  4 A 7/20

Datum:
22.2.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BVerwG:2022:220222U4A7.20.0
Normen:
§ 2 Abs 1 NABEG
§ 12 Abs 2 NABEG
§ 16 Abs 1 NABEG
§ 16 Abs 2 NABEG
§ 16 Abs 3 NABEG
§ 28 Abs 2 Nr 4 VwVfG
§ 35 S 2 VwVfG
§ 45 Abs 1 Nr 3 VwVfG
§ 45 Abs 2 VwVfG
§ 1 Abs 1 BBPlG
§ 6 Abs 2 BBPlG
§ 12e Abs 4 S 1 EnWG 2005
Spruchkörper:
4. Senat

Leitsatz

§ 28 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG rechtfertigt nicht, bei Erlass einer Veränderungssperre nach § 16 Abs. 1 NABEG regelhaft von der vorherigen Anhörung der Betroffenen abzusehen.

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Tatbestand

1
Die klagende Gemeinde wendet sich gegen eine zur Sicherung der Planfeststellung einer Höchstspannungsleitung erlassene Veränderungssperre, soweit ein in ihrem Eigentum stehendes Grundstück betroffen ist.
2
Die Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen (Bundesnetzagentur) hat mit der Entscheidung zur Bundesfachplanung (§ 12 Abs. 2 NABEG) vom 14. Februar 2020 für den Abschnitt D (Raum Schwandorf bis Netzverknüpfungspunkt Isar) des Vorhabens Nr. 5 der Anlage zu § 1 Abs. 1 BBPlG (Wolmirstedt-Isar; sog. SuedOstLink) einen raumverträglichen Trassenkorridor für die spätere Planfeststellung der als Erdkabel zu errichtenden Leitungen zur Höchstspannungs-Gleichstrom-Übertragung festgelegt. Vorhabenträgerin für diesen Bereich ist die Beigeladene. Der Trassenkorridor für den letzten Teilabschnitt (D3b) vor der Anbindung an den Netzverknüpfungspunkt Isar erstreckt sich auf einen Randbereich im Nordwesten des Gemeindegebiets der Klägerin. Dort liegt, teilweise auf ihrem Gemeindegebiet, teilweise auf dem der Nachbargemeinde A., das Betriebsgelände des Kernkraftwerks B. mit dem bereits 2011 stillgelegten Block 1 (§ 7 Abs. 1a Satz 1 Nr. 1 AtG), dessen Rückbau bereits genehmigt ist, und dem Block 2, der spätestens Ende des Jahres 2022 stillgelegt werden soll (§ 7 Abs. 1a Satz 1 Nr. 6 AtG). Wegen der dort bereits vorhandenen Infrastruktur, insbesondere der vom Kernkraftwerk als Einspeisepunkt ausgehenden Stromleitungen, ist dieses zum Netzverknüpfungspunkt bestimmt worden. Der festgelegte Trassenkorridor ist nach Nordwesten hin aufgeweitet, um die Festlegung eines weiteren Suchraums für die benötigten zwei Konverter (Stromrichterstationen) an jeweils einem Standort zu ermöglichen. Die Anbindung der Konverter an den Netzverknüpfungspunkt durch eine Wechselstromleitung (AC-Anbindung) kann als Erdkabel oder als Freileitung ausgeführt werden.
3
Unter dem 8. Mai 2020 hat die Bundesnetzagentur zur Sicherung der Bundesfachplanungsentscheidung eine Veränderungssperre nach § 16 Abs. 1 NABEG für insgesamt 78 weit überwiegend landwirtschaftlich genutzte Grundstücke, davon 25 in der Gemeinde A. (Gemarkungen C. und D.) und 53 auf dem Gebiet der Klägerin (Gemarkung E.) – darunter das in ihrem Eigentum stehende Flurstück Nr. a -, erlassen und zur Begründung u.a. ausgeführt: Von einer Anhörung der Betroffenen vor Erlass der Veränderungssperre habe nach den Umständen des Einzelfalles abgesehen werden können. Mit der Ausnahmeregelung des § 28 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG solle Problemen begegnet werden, die in Verfahren mit einer Vielzahl von Beteiligten auftreten könnten. Eine Berücksichtigung der individuellen Verhältnisse sei hier kaum möglich, da unklar sei, inwieweit später bauliche Anlagen auf den Grundstücken errichtet werden sollten. Der Erlass der Veränderungssperre mit einem großflächigen Geltungsbereich sei im Interesse der Realisierung des Leitungsvorhabens einschließlich der erforderlichen Konverteranbindung notwendig. Die räumliche Situation sei hier durch eine sehr hohe Dichte bereits vorhandener Raumfunktionen und Raumnutzungen in Form von Siedlungen, Infrastrukturen und naturräumlichen Elementen geprägt. Die Errichtung weiterer baulicher Anlagen würde eine Trassierung in diesem Bereich im Falle einer Erdkabelrealisierung der Wechselstrom-Anbindung wesentlich erschweren oder gar unmöglich machen. Im östlichen Bereich des ausgewiesenen Trassenkorridors, wo auch das Grundstück der Klägerin gelegen ist, würden die Trassierungsmöglichkeiten insbesondere durch die von der dort verlaufenden Bahntrasse zum Kernkraftwerk abzweigende Werksbahn eingeschränkt. Der räumliche Geltungsbereich der Veränderungssperre beschränke sich auf das erforderliche Maß. Der Erlass der Veränderungssperre sei schließlich wegen der Bedeutung des geplanten Vorhabens auch angemessen.
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Zur Begründung ihrer hiergegen erhobenen Klage trägt die Klägerin vor: Sie sei klagebefugt wegen der Möglichkeit der Verletzung sowohl ihres Selbstverwaltungsrechts aus Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG als auch ihres einfach-gesetzlichen Eigentums. Die Veränderungssperre sei formell rechtswidrig, weil sie vor deren Erlass nicht angehört worden sei. Die Bundesnetzagentur habe einzelfallunabhängig und schematisch von der Anhörung abgesehen. Das sei von § 28 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG nicht gedeckt. Die Veränderungssperre sei auch materiell rechtswidrig. Eine erhebliche Erschwernis für die Trassierung liege nicht vor, wenn das relativ kleine Grundstück am Rande des Trassenkorridors ausgenommen werde. Es sei nicht nachvollziehbar, warum drei benachbarte Grundstücke anders behandelt würden. Die Einbeziehung ihres Grundstücks sei unverhältnismäßig; sie könne einen gewichtigen Gemeinwohlbelang geltend machen. Sie beabsichtige nämlich, das Grundstück aufzuwerten, in ein sogenanntes Ökokonto einzustellen und als ökologische Ausgleichsfläche nach § 15 Abs. 2 Satz 1 BNatSchG, § 1a Abs. 3 Satz 3 BauGB für einen im Ortskern geplanten Kindergarten zu nutzen. Über weitere geeignete Grundstücke verfüge sie in der Gemarkung E. nicht. Jedenfalls müssten für das betroffene Grundstück, auf dem bauliche Anlagen nicht errichtet werden sollten, differenzierende, weniger beeinträchtigende Maßnahmen getroffen werden. “Vorsorglich” bestreitet die Klägerin, dass ein vordringlicher Bedarf für die Errichtung der geplanten Leitung nach § 16 Abs. 1 Satz 1 NABEG gegeben sei.
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In zeitlichem Zusammenhang mit der Einreichung der Klagebegründung und unter Bezugnahme auf deren Entwurf hat die Klägerin am 13. August 2020 bei der Bundesnetzagentur die Aufhebung der Veränderungssperre nach § 16 Abs. 2 Satz 2 NABEG beantragt, soweit ihr Grundstück betroffen ist. Dies hat die Bundesnetzagentur mit Bescheid vom 1. Februar 2021 abgelehnt; in den Gründen hat sie sich ausführlich mit dem Vorbringen der Klägerin auseinandergesetzt. Auch gegen diesen Bescheid hat die Klägerin Klage erhoben (- BVerwG 4 A 1.21 -) und ausgeführt, dass die Klage in das laufende Klageverfahren einbezogen werden solle.
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Mit Beschluss vom 22. Februar 2022 hat der Senat die beiden Verfahren zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
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Die Klägerin beantragt,
die Veränderungssperre der Bundesnetzagentur vom 8. Mai 2020 aufzuheben. Die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 1. Februar 2021 zu verpflichten, die Veränderungssperre aufzuheben, hilfsweise, den Antrag auf Aufhebung der Veränderungssperre neu zu bescheiden;
höchst hilfsweise: den Bescheid der Beklagten vom 1. Februar 2021 aufzuheben.
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Die Beklagte und die Beigeladene beantragen jeweils,
die Klage abzuweisen.
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Sie verteidigen die Rechtmäßigkeit der Veränderungssperre.

Entscheidungsgründe

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Das Bundesverwaltungsgericht entscheidet nach § 50 Abs. 1 Nr. 6 VwGO i.V.m. Nr. 5 der Anlage zu § 1 Abs. 1, § 6 Satz 2 Bundesbedarfsplangesetz (BBPlG) i.d.F. von Art. 3 Nr. 5 des Gesetzes zur Beschleunigung des Energieleitungsausbaus vom 13. Mai 2019 (BGBl. I S. 706 ), nunmehr § 6 Satz 2 Nr. 1 BBPlG i.d.F. von Art. 1 Nr. 4 des Gesetzes zur Änderung des Bundesbedarfsplangesetzes und anderer Vorschriften vom 25. Februar 2021 (BGBl. I S. 298). Die ausdrückliche Erweiterung der erstinstanzlichen Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts zielt auf die Einbeziehung von Veränderungssperren im Vorfeld der Planfeststellung (BT-Drs. 19/9027 S. 20; BT-Drs. 19/7375 S. 77).
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Die Klage ist mit dem Anfechtungsantrag, der sich sowohl auf die Veränderungssperre, insoweit beschränkt auf das Grundstück der Klägerin, als auch auf den Ablehnungsbescheid vom 1. Februar 2021 bezieht, zulässig, aber nicht begründet.
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1. Das von der Klägerin verfolgte Rechtsschutzziel, von ihrem Grundstück ungeachtet der Planungen zum SuedOstLink ohne rechtliche Hindernisse Gebrauch machen zu können, kann sie in sachdienlicher Weise durch einen Aufhebungsantrag erreichen (§ 88 VwGO). Er ist, was die Veränderungssperre angeht, schon wegen der erforderlichen Klagebefugnis (§ 42 Abs. 2 VwGO) auf das Grundstück der Klägerin zu beschränken; in der Klageschrift ist ein solcher Antrag auch angekündigt worden. Eine auf eine Anfechtung beschränkte Antragstellung hat der Senat der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Hintergrund seiner Ausführungen im Beschluss des vorläufigen Rechtsschutzes nahegelegt (§ 86 Abs. 3 VwGO). Danach sind entgegenstehende Belange der Betroffenen bereits beim Erlass der Veränderungssperre und nicht erstmals im Verfahren nach § 16 Abs. 2 Satz 2 NABEG zu würdigen (BVerwG, Beschluss vom 29. Juli 2021 – 4 VR 8.20 – NVwZ 2021, 1536 Rn. 26 ff.). Denn die Ermessensentscheidung, die sich an dem von der Veränderungssperre verfolgten Sicherungszweck messen lassen muss, kann ohne Berücksichtigung der im Einzelfall gegebenen gegenläufigen Nutzungsinteressen der Betroffenen nicht sinnvoll getroffen werden (vgl. auch Seidel, UPR 2021, 284 ). Das Verfahren nach § 16 Abs. 2 Satz 2 NABEG und der darauf bezogene Rechtsstreit gehen hier folglich ins Leere. Mit der Klage gegen die Veränderungssperre hat es demnach sein Bewenden. Klarstellend ist die Aufhebung des Ablehnungsbescheids zu beantragen.
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2. Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist die Klägerin klagebefugt nach § 42 Abs. 2 VwGO.
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Zu Recht wendet sich die Beigeladene allerdings gegen die Ansicht der Klägerin, ihre Klagebefugnis folge auch aus der Möglichkeit einer Verletzung der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie. Dies setzt bei Einwendungen gegen eine überörtliche Fachplanung voraus, dass ein Vorhaben eine hinreichend konkrete und verfestigte Planung nachhaltig stört, wesentliche Teile des Gemeindegebiets einer durchsetzbaren gemeindlichen Planung entzieht oder kommunale Einrichtungen durch das Vorhaben in ihrer Funktionsfähigkeit erheblich beeinträchtigt werden; zudem ist die Planungshoheit betroffen, wenn ein Vorhaben die Umsetzung bestehender Bebauungspläne faktisch erschwert oder die in ihnen zum Ausdruck kommende städtebauliche Ordnung nachhaltig stört. “Freihaltebelange” unterhalb dieser Schwelle sind demgegenüber durch Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG nicht geschützt (vgl. zuletzt BVerwG, Beschluss vom 24. März 2021 – 4 VR 2.20 – Buchholz 451.17 § 43e EnWG Nr. 5 Rn. 21 und Urteil vom 9. Dezember 2021 – 4 A 2.20 – juris Rn. 13 jeweils m.w.N.). Angesichts der auch nach dem Vortrag der Klägerin lediglich geringfügigen, weil nur punktuellen Auswirkungen der Veränderungssperre, die einem Vorhaben entgegenstehen, dessen planerische Konkretisierung – in Bezug auf eine Änderung des Flächennutzungsplans zur Schaffung der Voraussetzungen nach § 1a Abs. 3 Satz 3 BauGB – bislang in keiner Weise belegt ist, ist die Möglichkeit einer Verletzung der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie in Gestalt der Planungshoheit nicht dargetan. Die Klagebefugnis ergibt sich demgegenüber aus dem einfachgesetzlich geschützten Eigentum, das eine Überprüfung der mit der Veränderungssperre einhergehenden Nutzungsbeschränkungen ermöglicht.
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3. Die Klage ist nicht begründet. Die Veränderungssperre ist, soweit angefochten, rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Deswegen ist es auch nicht geboten, den Ablehnungsbescheid zur Klarstellung aufzuheben.
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a) Die Bundesnetzagentur hat zwar gegen die Pflicht zur Anhörung der Klägerin vor Erlass der Veränderungssperre verstoßen. Dieser Verfahrensfehler ist jedoch geheilt.
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aa) Eine Anhörung der Klägerin war nach § 28 Abs. 1 VwVfG notwendig; von ihr konnte nicht nach § 28 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG abgesehen werden.
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(1) Die Veränderungssperre ergeht als Verwaltungsakt in Gestalt der Allgemeinverfügung (§ 16 Abs. 3 NABEG, § 35 Satz 2 VwVfG). Sie ist als sachbezogene Allgemeinverfügung im Sinne von § 35 Satz 2 Var. 2 VwVfG einzuordnen (BVerwG, Beschluss vom 29. Juli 2021 – 4 VR 8.20 – NVwZ 2021, 1536 Rn. 27). Denn sie betrifft die “öffentlich-rechtliche Eigenschaft einer Sache”. Der Bezug zur öffentlich-rechtlichen Eigenschaft wird nicht nur durch die Widmung hergestellt, die die Sache dem Regime des öffentlichen Sachenrechts unterwirft; ausreichend sind auch andere Regelungen, die die Nutzungsmöglichkeiten einer Sache für den Eigentümer oder sonstigen Nutzungsberechtigten beschränken (vgl. BVerwG, Urteile vom 7. September 1984 – 4 C 16.81 – BVerwGE 70, 77 und vom 22. Januar 2021 – 6 C 26.19 – BVerwGE 171, 156 Rn. 32; siehe auch Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 35 Rn. 317 ff.; Knauff, in: Schoch/Schneider, VwVfG, § 35 Rn. 208, Stand August 2021).
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Eine einheitliche sachbezogene Allgemeinverfügung liegt nur dann vor, wenn sie “eine” Sache betrifft. Mehrere Flurstücke können zwar dann als eine Sache im Sinne des § 35 Satz 2 VwVfG gelten, wenn sie in einem normativen Zusammenhang stehen und deswegen eine Einheit bilden (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Oktober 2018 – 7 C 22.16 – BVerwGE 163, 308 Rn. 18). Das ist aber bei mehreren Grundstücken, auf die sich eine Veränderungssperre nach § 16 Abs. 1 Satz 1 NABEG erstreckt, nicht der Fall; denn allein die Lage im Trassenkorridor und ein gleichgerichtetes Sicherungsbedürfnis bilden keine ausreichende rechtliche Klammer. Vielmehr liegen, wenn in einer Verfügung gleichzeitig der öffentlich-sachenrechtliche Zustand mehrerer Sachen geregelt wird, mehrere bzw. ein ganzes Bündel an Allgemeinverfügungen vor, die je für sich den formellen und materiellen Anforderungen genügen müssen (vgl. etwa zum Flurbereinigungsplan BVerwG, Beschluss vom 3. Februar 1960 – 1 CB 135.59 – RdL 1960, 189 ; Urteil vom 20. Mai 1998 – 11 C 7.97 – Buchholz 424.01 § 44 FlurbG Nr. 78 S. 12; Stelkens, a.a.O., Rn. 315; Appel, in: Berliner Kommentar zum Energierecht, Bd. 1, Halbband 2, 4. Aufl. 2019, § 16 NABEG Rn. 8; Riese/Nebel, in: Steinbach/Franke, Kommentar zum Netzausbau, 3. Aufl. 2022, § 16 NABEG Rn. 19). Gegenstand der Anfechtungsklage ist dann nur die Allgemeinverfügung, die sich auf das Grundstück der Klägerin bezieht.
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(2) Als Eigentümerin eines von der Veränderungssperre erfassten Grundstücks war die Klägerin Beteiligte und demnach vor Erlass der Veränderungssperre gemäß § 28 Abs. 1 VwVfG grundsätzlich anzuhören. Diese Verpflichtung ist nicht ausnahmsweise nach § 28 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG entfallen. Danach kann von der Anhörung abgesehen werden, wenn sie nach den Umständen des Einzelfalls nicht geboten ist, insbesondere wenn die Behörde eine Allgemeinverfügung erlassen will. In der Begründung des Entwurfs des Gesetzes zur Beschleunigung des Energieleitungsausbaus vom 13. Mai 2019 (BGBl. I S. 706 ), mit dem in § 16 Abs. 3 NABEG die Handlungsform der Allgemeinverfügung ausdrücklich normiert worden ist, wird zwar insbesondere auf die mit dieser Einordnung verbundene Möglichkeit verwiesen, von einer Anhörung abzusehen, was – wie auch die Vorschriften über die Bekanntmachung – das Verfahren erleichtert und beschleunigt (BT-Drs. 19/7375 S. 76). Diese Zielsetzung des Gesetzgebers enthebt aber nicht von der Beachtung der allgemeinen Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 Nr. 4 Var. 1 VwVfG, der allein durch diesen Verweis nicht modifiziert worden ist. Wenn die allgemeinen verwaltungsverfahrensrechtlichen Bestimmungen sich nach Einschätzung des Gesetzgebers als unzureichend erweisen sollten, ist es ihm unbenommen, das Verwaltungsverfahren für den Netzausbau abweichend zu regeln.
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§ 28 Abs. 2 VwVfG gebietet ein gestuftes Vorgehen. Zunächst ist auf der Tatbestandsseite – gerichtlich voll nachprüfbar – festzustellen, ob nach den Umständen des Einzelfalls die Anhörung nicht geboten ist. Das Gebot der Einzelfallprüfung findet dabei auch auf die Regelbeispiele des § 28 Abs. 2 Halbs. 2 VwVfG Anwendung (BVerwG, Urteil vom 15. Dezember 1983 – 3 C 27.82 – BVerwGE 68, 267 ). Allein der Umstand, dass eine Allgemeinverfügung erlassen werden soll, führt folglich nicht gleichsam automatisch zur regelhaften Feststellung, dass eine Anhörung nicht geboten ist. Allerdings kann bei den auf Typisierung angelegten Ausnahmen in § 28 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG dieses allgemeine Gebot modifiziert werden (siehe Schneider, in: Schoch/Schneider, VwVfG, § 28 Rn. 52, 68, Stand Juli 2020). Sind die tatbestandlichen Voraussetzungen, auch bei Vorliegen eines Regelbeispiels, gegeben, ist auf der zweiten Stufe das Ermessen auszuüben und darüber zu entscheiden, ob eine Anhörung, die von Rechts wegen nicht zwingend geboten ist, gleichwohl durchgeführt wird. Angesichts der hohen rechtsstaatlichen Bedeutung der Anhörung sind zum einen die Regelbeispiele restriktiv auszulegen, und zum anderen ist bei der Ermessensausübung der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz strikt zu beachten (BVerwG, Urteile vom 15. Dezember 1983 – 3 C 27.82 – BVerwGE 68, 267 und vom 22. März 2012 – 3 C 16.11 – BVerwGE 142, 205 Rn. 14).
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(3) Hiernach kann im Rahmen der gebotenen Einzelfallprüfung nicht – wie im angefochtenen Bescheid geschehen – verallgemeinernd auf die gewählte Handlungsform der Allgemeinverfügung verwiesen werden, um die Entbehrlichkeit einer Anhörung zu begründen und im Anschluss daran das Ermessen zu betätigen. Vielmehr ist bei den Regelbeispielen des § 28 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG eine differenzierende Betrachtungsweise geboten. Es kommt maßgeblich darauf an, in welchem rechtlichen und tatsächlichen Zusammenhang welche Art von Allgemeinverfügung erlassen werden soll. So drängt sich schon eine unterschiedliche Bewertung personenbezogener oder benutzungsbezogener Allgemeinverfügungen auf, die oftmals einen unüberschaubaren Kreis von Betroffenen haben. Der Verzicht auf die Anhörung, die faktisch kaum durchführbar erscheint, liegt hier nahe. Entsprechendes gilt für eine straßenrechtliche Widmung als sachbezogene Allgemeinverfügung (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 1984 – 4 C 26.82 u.a. – Buchholz 407.4 § 9 FStrG Nr. 22 S. 10). Insoweit stellt sich die Situation bei einer Veränderungssperre nach § 16 Abs. 1 Satz 1 NABEG von vornherein anders dar, weil bereits die Anzahl der gegebenenfalls nachhaltig Betroffenen überschaubar ist. Dies gilt insbesondere dann, wenn man auf die im rechtlichen Ausgangspunkt jeweils auf nur ein Grundstück bezogene Allgemeinverfügung abstellt mit der Folge, dass die Anzahl der Adressaten der Veränderungssperre nur über das Tatbestandsmerkmal der gleichartigen Verwaltungsakte in größerer Zahl (§ 28 Abs. 2 Nr. 4 Var. 2 VwVfG) Berücksichtigung finden könnte. Allerdings mag bei typisierender Betrachtungsweise eine Beschränkung auf die – aus dem Grundbuch ersichtlichen – Eigentümer und sonstigen dinglich Berechtigten gerechtfertigt sein, während die Interessen obligatorisch Nutzungsberechtigter der Sache nach stellvertretend von den Eigentümern geltend zu machen sind (vgl. Seidel, UPR 2021, 284 ).
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Die mögliche Schwere des Eingriffs durch die Allgemeinverfügung ist ebenfalls in der Einzelfallprüfung in Erwägung zu ziehen. Die Beschränkung der Nutzungsmöglichkeiten eines Grundstücks sind dabei grundsätzlich von beachtlichem Gewicht (vgl. BGH, Urteil vom 10. Januar 2002 – III ZR 212/01 – NVwZ 2002, 509 ; so auch Schneider, in: Schoch/Schneider, VwVfG, § 28 Rn. 69, Stand Juli 2020; Engel/Pfau, in: NK-VwVfG, 2. Aufl. 2019, § 28 Rn. 78; Kallerhoff/Mayen, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 28 Rn. 58). Wenn die Beklagte und die Beigeladene diesen Gesichtspunkt für insoweit unbeachtlich ansehen, weil die ggfs. schwerwiegenden Nutzungsbeschränkungen für die Veränderungssperre kennzeichnend seien und folglich nicht den Einzelfall prägen könnten, steht dahinter jedenfalls auch die unzutreffende Auffassung, dass individuelle Umstände bei Erlass der Veränderungssperre überhaupt nicht zu berücksichtigen seien und das Verfahren nach § 16 Abs. 2 Satz 2 NABEG auch als normatives Korrektiv für den Verzicht auf eine Anhörung diene.
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Nicht überzeugen kann auch der Einwand, ein Verzicht auf die Anhörung sei jedenfalls dann angezeigt, wenn sich aufgrund des bisherigen Verfahrens keine Hinweise auf eine besonders zu würdigende Interessenlage des betreffenden Eigentümers ergeben hätten. Dieses Argument wird der Aufgabe der Anhörung als Instrument der Sachverhaltsaufklärung nicht gerecht. Dies gilt auch dann, wenn – wie hier – die Klägerin im Verfahren der Bundesfachplanung bereits Stellung genommen hat, ihre Einwendungen allerdings, was die örtlichen Verhältnisse angeht, auf negative Auswirkungen des Konverterstandorts 3 bezogen waren. Dies mag in die Bewertung der nunmehr gegen die Veränderungssperre vorgebrachten Planungen einfließen. Die Äußerungen waren jedoch nicht auf die konkret ins Auge gefasste Veränderungssperre bezogen und können folglich eine diesbezügliche Sachverhaltsaufklärung nicht ersetzen. Anders kann sich die Lage – wie etwa im Parallelverfahren (- BVerwG 4 A 6.20 -) – aber dann darstellen, wenn bereits im Verfahren der Bundesfachplanung konkrete Planungen vorgebracht worden sind, die eine ausreichende Grundlage für die Bewertung der entgegenstehenden Interessen bilden können. Eine förmliche und wiederholte Anhörung ist dann entbehrlich.
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bb) Der Verfahrensfehler ist nach § 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 VwVfG geheilt worden. Danach kann eine im Verwaltungsverfahren unterbliebene Anhörung bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz eines gerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden. Eine Heilung setzt voraus, dass die Anhörung nachträglich ordnungsgemäß durchgeführt und ihre Funktion für den Entscheidungsprozess der Behörde uneingeschränkt erreicht wird. Diese Aufgabe besteht nicht allein darin, dass der Betroffene seine Einwendungen vorbringen kann und diese von der Behörde zur Kenntnis genommen werden, sondern schließt vielmehr ein, dass die Behörde ein etwaiges Vorbringen bei ihrer Entscheidung in Erwägung zieht. Dementsprechend reichen Äußerungen und Stellungnahmen von Beteiligten im gerichtlichen Verfahren als solche zur Heilung einer zunächst unterbliebenen Anhörung nicht aus. Eine funktionsgerecht nachgeholte Anhörung setzt vielmehr voraus, dass sich die Behörde nicht darauf beschränkt, die einmal getroffene Sachentscheidung zu verteidigen, sondern das Vorbringen des Betroffenen erkennbar zum Anlass nimmt, die Entscheidungen kritisch zu überdenken (vgl. BVerwG, Urteile vom 22. März 2012 – 3 C 16.11 – BVerwGE 142, 205 Rn. 18, vom 17. Dezember 2015 – 7 C 5.14 – BVerwGE 153, 367 Rn. 17 und vom 6. Februar 2019 – 1 A 3.18 – BVerwGE 164, 317 Rn. 23).
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Nach diesen Vorgaben erfüllt das Verfahren nach § 16 Abs. 2 Satz 2 NABEG die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Nachholung der Anhörung. Unschädlich ist insbesondere, dass das Verfahren und die damit einhergehende Möglichkeit für die Klägerin, zur Sache vorzutragen, nicht von der Behörde eingeleitet und die Klägerin nicht zuvor zur Stellungnahme aufgefordert worden ist. Denn das Gehör kann sich der Betroffene auch aus eigener Initiative verschaffen.
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b) Die Veränderungssperre ist auch materiell-rechtlich nicht zu beanstanden.
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aa) Die in § 16 Abs. 1 Satz 1 NABEG geregelten tatbestandlichen Voraussetzungen für den Erlass der Veränderungssperre liegen vor.
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(1) Ein vordringlicher Bedarf für die geplante Leitung ist gemäß § 2 Abs. 1 NABEG i.V.m. Nr. 5 der Anlage zu § 1 Abs. 1 BBPlG und § 12e Abs. 4 Satz 1 EnWG bereits von Gesetzes wegen festgestellt. Die Verbindlichkeit dieser gesetzlichen Bedarfsfeststellung wird durch das Vorbringen der Klägerin nicht in Zweifel gezogen.
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(1.1) Die Klägerin zeigt nicht auf, dass der Gesetzgeber mit der Aufnahme des SuedOstLink in die Anlage zum Bundesbedarfsplangesetz die Grenzen seines weiten Gestaltungs- und Prognosespielraums überschritten haben könnte. Zwar ist der Gesetzgeber bei der Feststellung des Bedarfs für ein Vorhaben nicht völlig frei. Würden in den Bedarfsplan Vorhaben aufgenommen, denen im Hinblick auf einen künftigen Bedarf jegliche Notwendigkeit fehlte, wäre dies vom gesetzgeberischen Spielraum nicht mehr gedeckt. Insoweit ist die fachgerichtliche Prüfung des gesetzlich festgelegten Bedarfs für ein Vorhaben aber auf eine Evidenzkontrolle beschränkt (stRspr, BVerwG, Urteile vom 18. Juli 2013 – 7 A 4.12 – BVerwGE 147, 184 Rn. 36 und vom 22. Juni 2017 – 4 A 18.16 – Buchholz 451.17 § 43 EnWG Nr. 7 Rn. 16). Ein anderer Maßstab folgt entgegen der Auffassung der Klägerin nicht aus der Aufzählung der gesetzlichen Zwecke in § 1 Abs. 1 EnWG. Denn mit der Aufnahme in den Bundesbedarfsplan wird nach § 12e Abs. 4 Satz 1 EnWG neben dem vordringlichen Bedarf auch die energiewirtschaftliche Notwendigkeit des betreffenden Vorhabens und folglich dessen Übereinstimmung mit den gesetzlichen Zielsetzungen festgestellt. Ungeachtet der unterschiedlichen gesetzlichen Formulierungen gilt insoweit nichts anderes als für die ausdrückliche Regelung in § 1 Abs. 2 Satz 1 und 2 des Energieleitungsausbaugesetzes – EnLAG – (siehe dazu etwa BVerwG, Urteile vom 26. Juni 2019 – 4 A 5.18 – Buchholz 451.17 § 43 EnWG Nr. 10 Rn. 34 und vom 27. Juli 2021 – 4 A 14.19 – NuR 2022, 115 Rn. 28 f.).
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Soweit sich die Klägerin energiepolitische Vorstellungen und Einschätzungen eines Sachverständigen zu eigen macht, fehlt es an jeglichem Anhaltspunkt, dass die hiervon abweichende gesetzgeberische Entscheidung evident unsachlich sein könnte. Nichts anderes gilt, soweit sich die Klägerin auf Entwicklungsperspektiven der Wasserstoffwirtschaft bezieht (BVerwG, Beschluss vom 29. Juli 2021 – 4 VR 8.20 – NVwZ 2021, 1536 Rn. 16).
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(1.2) Der Hinweis der Klägerin auf die Kommunalverfassungsbeschwerde der Stadt Meerbusch gegen das Zweite Gesetz über Maßnahmen der Beschleunigung des Netzausbaus Elektrizitätsnetze (vom 23. Juli 2013, BGBl. I S. 2543) wegen Verletzung der kommunalen Planungshoheit – 2 BvR 1681/13 – ist nicht geeignet, dem Senat die Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Bedarfsplanung zu vermitteln. Soweit die Klägerin vorbringt, dass dem Netzentwicklungsplan und folglich auch dem Bundesbedarfsplan eine unzureichende strategische Umweltverträglichkeitsprüfung (§ 12c Abs. 2 Satz 1 EnWG) zugrunde liege, weil im Umweltbericht die gesetzlich vorgeschriebene Alternativenprüfung für die verbindliche Festlegung des Netzverknüpfungspunktes fehle (vgl. etwa Antweiler, NZBau 2013, 337 ), wäre ein solcher Fehler jedenfalls mittlerweile wegen der nachfolgenden Bestätigung des Bundesbedarfsplans i.d.F. von Art. 7 Nr. 4 des Gesetzes zur Änderung von Bestimmungen des Rechts des Energieleitungsbaus vom 21. Dezember 2015 (BGBl. I S. 2490 ) durch Art. 3 Nr. 6 Buchst. b des Gesetzes zur Beschleunigung des Energieleitungsausbaus vom 13. Mai 2019 (BGBl. I S. 706 ) auf der Grundlage des überarbeiteten Netzentwicklungsplans 2030 (BT-Drs. 19/7375 S. 85) nicht mehr von Bedeutung. Denn hierfür war nach § 12b Abs. 1 Satz 4 Nr. 6 EnWG i.d.F. von Art. 2 Nr. 3 des Ersten Gesetzes zur Änderung des Energieverbrauchskennzeichnungsgesetzes und zur Änderung weiterer Bestimmungen des Energiewirtschaftsrechts vom 10. Dezember 2015 (BGBl. I S. 2194 ) eine umfassende Alternativenprüfung vorzunehmen (vgl. Posser, in: Kment, EnWG, 2. Aufl. 2019, § 12c Rn. 36; Appel, in: Berliner Kommentar zum Energierecht, Bd. 1, Halbband 2, 4. Aufl. 2019, BBPlG Vorbemerkung Rn. 42). Des Weiteren ist auf der Grundlage des Vorbringens der Klägerin, wie bereits oben ausgeführt, für eine Verletzung ihrer Planungshoheit nichts dargetan.
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(1.3) Der nicht weiter erläuterte Verweis der Klägerin in der mündlichen Verhandlung auf verschiedene Vorschriften des Unionsrechts führt nicht auf die behauptete Unionsrechtswidrigkeit des vom nationalen Gesetzgeber angenommenen vordringlichen Bedarfs für das in Rede stehende Vorhaben.
34
Ein Verstoß gegen die Bestimmungen der Delegierten Verordnung (EU) 2020/389 der Kommission vom 31. Oktober 2019 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 347/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. April 2013 in Bezug auf die Unionsliste der Vorhaben von gemeinsamem Interesse (ABl. L 74 S. 1) ist nicht ersichtlich. Vielmehr ist in Anhang VII, Abschnitt B. (Unionsliste der Vorhaben von gemeinsamem Interesse) der SuedOstLink weiterhin sowohl unter (3) – Vorrangiger Korridor “Nord-Süd-Stromverbindungsleitungen in Mittelosteuropa und Südeuropa” (NSI East Electricity) – als auch unter (11) – Vorrangiges thematisches Gebiet “Stromautobahnen” – jeweils unter der Gliederungsnummer 3.12 verzeichnet. Die Kommission hat keinen Anlass gesehen, dieses Vorhaben gemäß Art. 5 Abs. 8 der Verordnung Nr. 347/2013 wegen fehlenden Einklangs mit Unionsrecht aus der Unionsliste zu streichen (Erwägungsgrund 10 Satz 2); dieser Entscheidung ist auch eine Kosten-Nutzen-Analyse seitens der Entscheidungsgremien der regionalen Gruppen vorausgegangen (siehe Erwägungsgrund 5 Satz 2; Anhang V der VO (EU) Nr. 347/2013).
35
Für einen Verstoß gegen die Verordnung (EU) 2018/1999 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2018 über das Governance-System für die Energieunion und für den Klimaschutz (ABl. L 328 S. 1) ist ebenfalls nichts dargetan. Die Verwirklichung der in Art. 4 der Verordnung genannten fünf Dimensionen der Energieunion, nämlich Sicherheit der Energieversorgung, Energiebinnenmarkt, Energieeffizienz, Dekarbonisierung sowie Forschung, Innovation und Wettbewerbsfähigkeit, erfordern nach Erwägungsgrund 38 auch den Ausbau der Stromverbindungen; dies soll jedoch insbesondere nach Maßgabe der Verordnung Nr. 347/2013 geschehen. Schließlich gibt es auch keinerlei Anhaltspunkt dafür, dass das Vorhaben mit der Verordnung (EU) 2019/943 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juni 2019 über den Elektrizitätsbinnenmarkt (ABl. L 158 S. 54) nicht vereinbar sein könnte. Nach Erwägungsgrund 60 sollen auch Investitionen in Großinfrastrukturen wie Gleichstromverbindungsleitungen stark gefördert werden, wobei es das ordnungsgemäße Funktionieren des Elektrizitätsbinnenmarkts sicherzustellen gilt. Auch diese Zielrichtung knüpft an den nach Maßgabe anderer Vorschriften festzulegenden Ausbau der Netzverbindungen an.
36
(2) Ein Sicherungsbedürfnis in Hinblick auf das eingeleitete Planfeststellungsverfahren (§§ 18 ff. NABEG) als Voraussetzung für die Veränderungssperre ist ebenfalls gegeben. Bei Umsetzung der von der Klägerin vorgetragenen Überlegungen für eine ökologische Aufwertung ihres Grundstücks besteht die Möglichkeit, dass die Trassierung des SuedOstLink im bindend festgelegten Trassenkorridor (§§ 4, 15 Abs. 1 Satz 1 NABEG) erheblich erschwert wird.
37
Eine erhebliche Erschwernis der Trassierung durch beabsichtigte bauliche oder sonstige erhebliche Veränderungen auf und an Grundstücken im Bereich von Trassenvorschlägen, denen durch die Rechtswirkungen der Veränderungssperre nach § 16 Abs. 1 Satz 2 NABEG begegnet werden soll, entfällt nicht deswegen, weil innerhalb des Trassenkorridors zumindest ernsthaft in Erwägung zu ziehende Trassenalternativen zur Verfügung stehen und folglich eine Realisierung des Leitungsvorhabens als solches nicht ausgeschlossen ist. Der Sicherungszweck der Veränderungssperre soll eine ordnungsgemäße Prüfung aller in Betracht kommenden Trassenvarianten und eine umfassende Abwägungsentscheidung ermöglichen. Dies schließt es aus, bereits im Rahmen der rechtlichen Bewertung der Veränderungssperre bestimmte Trassenalternativen im Wege einer nur überschlägigen und mangels ausreichender Untersuchungen letztlich unzureichenden Vorprüfung für vorzugswürdig und andere, denen Hindernisse entgegenstehen können, als entbehrlich einzustufen und für das weitere Verfahren auszuscheiden.
38
Fehl geht der Einwand der Klägerin, ihr am Rande des Trassenkorridors gelegenes Grundstück sei für die Planung ohne Bedeutung, sodass ein Sicherungsbedürfnis nicht gegeben sei. Die anstehende Planfeststellung ist im betreffenden Abschnitt des Trassenkorridors besonders komplex, weil auch über den Standort der Konverter und deren Anbindung an den Netzverknüpfungspunkt zu entscheiden ist. Vor diesem Hintergrund sind, wie die Beigeladene in ihrem Antrag nach § 19 NABEG vom 17. April 2020 zum Abschnitt D3b aufzeigt, zahlreiche Trassenalternativen zu prüfen. Das Grundstück der Klägerin wird dabei von zwei Trassenvorschlägen (AC-Anbindungsleitung – als Freileitung bzw. Erdkabel – vom Konverter-Suchraum 3; Antrag Ziffern 5.3.1.1 und 5.4.1.1, S. 246, 265) und zwei Trassenalternativen (AC-Anbindungsleitung – als Freileitung bzw. Erdkabel – vom Konverter-Suchraum 4; Antrag Ziffern 5.3.2.2 und 5.4.2.2, S. 254, 278) berührt. Die Feststellung einer möglichen Erschwernis für die Planung wird entgegen der Auffassung der Klägerin nicht dadurch infrage gestellt, dass drei hintereinander in Richtung Westen an das Grundstück der Klägerin anschließende Flurstücke nicht von der Veränderungssperre erfasst sind. Denn die Beklagte und die Beigeladene legen insoweit nachvollziehbar dar, dass eine Trassierung in diesem Bereich wegen der Schwierigkeiten einer dann erforderlichen zweimaligen Querung von Bahnstrecken von vornherein ausscheidet.
39
bb) Die Bundesnetzagentur hat das ihr eröffnete Ermessen fehlerfrei ausgeübt. Bei dieser Prüfung sind auch die Ausführungen im Bescheid vom 1. Februar 2021 zu beachten, mit dem der Anhörungsmangel geheilt und die tragenden Erwägungen ergänzt worden sind.
40
Soweit die Klägerin die Erstreckung des räumlichen Geltungsbereichs der Veränderungssperre beanstandet und damit deren Eignung infrage stellt, ist auf die vorstehenden Ausführungen zum Sicherungszweck zu verweisen. Es ist nicht dargetan, dass das Grundstück möglichen Trassenalternativen nicht entgegenstehen kann.
41
Ein milderes Mittel als das in § 16 Abs. 1 Satz 2 NABEG normierte Veränderungsverbot, auf das der Text der Allgemeinverfügung unter Ziff. 1 Abs. 3 Bezug nimmt, kommt zur Erreichung des Sicherungszwecks nicht in Betracht. Eine Errichtung baulicher Anlagen (§ 16 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 NABEG) ist auf dem Grundstück der Klägerin zwar nicht vorgesehen. Eine erhebliche Veränderung im Sinne von § 16 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 NABEG kann aber auch in der nach dem Vortrag der Klägerin geplanten ökologischen Aufwertung liegen (zur Berücksichtigung ausgewiesener Ökokontoflächen siehe Bundesfachplanungsentscheidung S. 229 f.). Denn bei der offenen Verlegung eines Erdkabels wird der bestehende Bewuchs und – in unterschiedlichem Maß – der Boden auf der gesamten Arbeitsbreite in Mitleidenschaft gezogen. Bei geschlossener Querung der nördlich verlaufenden Bahnstrecke kann es erforderlich sein, eine Baugrube auf dem Grundstück anzulegen. Unbeachtlich ist, dass die beabsichtigte Aufwertung keine Erschwernis für eine Überspannung des Grundstücks mit einer Freileitung bildet. Denn die Trassenalternativen sollen gerade nicht auf eine bestimmte Art der Anbindung der Konverter verengt werden.
42
Schließlich ist die Bundesnetzagentur ohne Rechtsverstoß davon ausgegangen, dass die geltend gemachten Belange der Klägerin das Interesse der Beklagten und der Beigeladenen an der Sicherung der Planung und Realisierung des als vordringlich eingestuften Leitungsvorhabens nicht überwiegen.
43
Das Vorbringen der Klägerin zum behaupteten Bauvorhaben ist nur ansatzweise, das zu dessen planerischer Absicherung ist in keiner Weise substantiiert. Ungeachtet der diesbezüglichen Einwendungen seitens der Beklagten und der Beigeladenen hat die Klägerin bislang keine Unterlagen vorgelegt, die die vermeintlich schon langjährig betriebenen Planungen für den Kindergartenneubau nachvollziehbar belegen; erst in der mündlichen Verhandlung hat der Vertreter der Klägerin erklärt, dass sie mittlerweile ein passendes Grundstück erworben habe. Von Überlegungen zur Bauleitplanung im betroffenen Bereich hat die Klägerin auf Anfrage eines Planungsbüros im Auftrag der Beigeladenen noch im Mai und Juni 2020 nichts zu berichten gewusst, und hierzu ist auch mittlerweile nichts von Substanz vorgetragen worden. Zu den von der Beigeladenen aufgeworfenen Fragen zur Eignung des betroffenen Grundstücks als Kompensationsfläche hat die Klägerin sich ebenso wenig verhalten. Des Weiteren ist – auch wenn von ernsthaften Planungen für einen Kindergartenneubau ausgegangen und ein insoweit bestehender ökologischer Ausgleichsbedarf unterstellt wird – nicht nachvollziehbar dargetan, dass eine als dringlich erachtete Erweiterung des örtlichen Angebots an Kinderbetreuungsplätzen an einem fehlenden Zugriff auf das betroffene Grundstück scheitern könnte. Die Beigeladene hat hierzu eingewandt, nach ihrer Kenntnis sei die Klägerin Eigentümerin verschiedener Grundstücke in der Umgebung, die als Ackerflächen jedenfalls ein hohes Aufwertungspotenzial aufwiesen, teilweise aber als für die landwirtschaftliche Nutzung besonders geeignete Böden gegebenenfalls nur nachrangig in Betracht zu ziehen sein könnten. Hierzu hat die Klägerin nicht weiter Stellung genommen; in der mündlichen Verhandlung hat der Vertreter der Klägerin lediglich vage bekundet, dass die Klägerin aufgrund des großen Zuzugsdrucks im Landkreis L. “auf jeden Quadratmeter angewiesen” sei. Abgesehen davon zeigt ein Blick auf den Internet-Auftritt der Klägerin, dass sie in den letzten Jahren verschiedene Neubaugebiete ausgewiesen hat. Vor diesem Hintergrund drängt sich die Frage auf, wie sie das jetzt als zentral dargestellte Problem der Bereitstellung ökologischer Ausgleichsflächen im Rahmen dieser Planungen bewältigt hat. Nach alledem kann von einem überwiegenden Belang seitens der Klägerin nicht ausgegangen werden.
44
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO.


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