Aktenzeichen AN 3 E 20.00511
BayBO Art. 54 Abs. 2, Art. 55 Abs. 1, Art. 68 Abs. 1 S. 1 Hs. 1, Art. 75
Leitsatz
1. Wird gerichtlich „Widerspruch gegen den am 18. Februar 2020 unter dem Aktenzeichen … erstellten Bescheid“ (hier: eine Baugenehmigung zu Gunsten eines Nachbarn) erhoben und „um sofortigen Baustopp bis zur Klärung eventueller Schäden oder der zugesicherten Kostenübernahme aller durch den Bau entstehenden Schäden“ gebeten, so ergibt die nach § 88 VwGO zulässige und gebotene Auslegung, dass das Begehren auf einstweiligen Rechtsschutz in Form eines „sofortigen Baustopps“ durch den Erlass einer umfassenden, sofort vollziehbaren Baueinstellungsverfügung hinsichtlich des Bauvorhabens des Nachbarn und damit als ein Fall des § 123 VwGO einzuordnen ist. Mit dieser Auslegung wird dem Rechtsschutzbegehren Rechnung getragen. Eine Auslegung im Rahmen eines Antrages nach § 80 Abs. 5 VwGO wäre nicht zielführend. (Rn. 8) (Rn. 13 – 14) (redaktioneller Leitsatz)
2. Im Hinblick auf eine befürchtete Eigentumsverletzung an einem Gebäude durch Bauarbeiten auf dem inmitten stehenden Baugrundstück wird ein Anordnungsanspruch- und -grund nicht hinreichend glaubhaft gemacht, wenn hierzu insbesondere die Aussagen irgendwelcher Bauarbeiter angeführt werden. Diesbezüglich wäre etwa ein substantiiertes Gutachten im Hinblick auf die befürchteten Schäden an dem Gebäude angezeigt. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 3.750,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt die vorläufige Einstellung der Bauarbeiten zur Errichtung eines von der Antragsgegnerin zugunsten des Beigeladenen am 18. Februar 2020 genehmigten Wohngebäudes nebst einer Doppelgarage und einem nicht überdachtem KFZ-Stellplatz.
Mit Antrag vom 9. Dezember 2019 beantragte der Beigeladene die Baugenehmigung für die Errichtung eines Wohngebäudes mit drei Wohneinheiten, einer Doppelgarage mit Fahrradabstellraum sowie eines nicht überdachten KFZ-Stellplatzes auf dem Grundstück Fl.Nr. … der Gemarkung … (nachfolgend wird auf die Angabe der Gemarkung verzichtet; alle erwähnten Flurnummern beziehen sich auf die Gemarkung …), … Straße … Das Baugrundstück grenzt im Nordenwesten an die … Straße an und war zuletzt mit einem eingeschossigen Gebäude mit Satteldach sowie einem im Norden zum Grundstück Fl.Nr. … grenzständigen Nebengebäude bebaut. An das Baugrundstück grenzt im Süden das Grundstück Fl.Nr. …, im Norden das Grundstück Fl.Nr. … sowie im Osten das Grundstück Fl.NR. … an, auf welchen sich ebenfalls (Wohn-)Gebäude befinden.
Der Antragsteller ist Eigentümer des südlich angrenzenden Grundstücks, Fl.Nr. …, … … und …, und bewohnt die eingeschossige Doppelhaushälfte Nr. … mit Satteldach im rückwärtigen Bereich, wo sich neben einer Terrassenüberdachung/ Wintergarten außerdem im Nordosten ein Gartenhaus sowie im Norden ein zum Grundstück des Beigeladenen grenzständiges Nebengebäude befinden. Straßenseitig befindet sich die ebenfalls eingeschossige Doppelhaushälfte Nr. … mit Satteldach.
Das Baugrundstück und die Nachbargrundstücke liegen im Geltungsbereich des Baulinienplans Nr. … „Vorstädtische Kleinsiedlung …“ mit roten Baufluchtlinien, welcher am 1. Dezember 1932 in Kraft getreten ist.
Mit Bescheid vom 18. Februar 2020 erteilte die Antragsgegnerin dem Beigeladenen unter Auflagen (zur Entwässerung, zur Schnurgerüstabnahme/Höhenlage/Baustelleneinrichtung sowie zu den Garagen, Stellplätzen und Zufahrten im Hinblick auf den Bedarf von drei Pkw-Stellplätzen sowie sechs Abstellplätzen für Fahrräder) die Baugenehmigung für die Errichtung eines Wohngebäudes mit drei Wohneinheiten und eine Befreiung von den festgesetzten überbaubaren Grundstücksflächen des Bebauungsplans Nr. … Zudem wurde die Errichtung einer Doppelgarage mit Fahrradabstellraum sowie eines nicht überdachten KFZ-Stellplatzes außerhalb der überbaubaren Grundstücksflächen zugelassen.
Die Prüfung des Bauantrags des Beigeladenen erfolgte im vereinfachten Verfahren nach Art. 59 BayBO. Die Antragsgegnerin führt zur Begründung der erteilten Befreiung aus, dass die in dem inmitten stehenden Baulinienplan festgesetzten Bauflächen nicht mehr den heutigen Anforderungen an Wohnnutzungen genügen würde. Vergleichbare Befreiungen seien bereits in ähnlichem Umfang im Bereich der Stadtrandsiedlung erteilt worden, weshalb die Befreiung auch vor dem Gleichbehandlungsgrundsatz zu erteilen sei. Nachdem weder bauordnungsrechtliche noch bauplanungsrechtliche Einwände bestehen würden, habe die Zulassung gemäß § 23 Abs. 5 BauNVO erfolgen können.
Auf die bautechnischen Nachweise sowie die Standsicherheits- und Brandschutznachweise gemäß Art. 62 bis 62b BayBO wurde hingewiesen (vgl. Ziffer 1 der Hinweise). Gemäß Hinweis 4 werden den Eigentümern der benachbarten Grundstücke Fl.Nrn. … sowie …, welche dem Vorhaben nicht zugestimmt haben, Ausfertigungen des Bescheides zugestellt.
Mit Schreiben vom 16. März 2020, eingegangen bei Gericht am 17. März 2020, erhob der Antragsteller „Widerspruch gegen den am 18. Februar 2020 unter dem Aktenzeichen
… erstellten Bescheid“ und bat „um sofortigen Baustopp bis zur Klärung eventueller Schäden oder der zugesicherten Kostenübernahme aller durch den Bau entstehenden Schäden“. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die zuständigen Bauarbeiter des streitgegenständlichen Bauvorhabens dem Antragsteller am 16. März 2020 mitgeteilt hätten, dass aufgrund des Bauvorhabens des Beigeladenen mit „erheblichen Schäden“ an dem Gebäude des Antragstellers, wie etwa dem Abriss seiner Garage, dem Abriss der Einfahrtsüberdachung, dem Absacken der Einfahrt sowie gegebenenfalls massive Beschädigungen an den Häusern, zu rechnen sei. Dem Antragsteller sei bislang noch nicht möglich gewesen, einen geeigneten Baugutachter für seine Gebäude zu beauftragen, da diese eine gewisse Vorlaufzeit benötigen würden.
Überdies habe der Antragsteller trotz Termins beim Bauamt am 6. März 2020 bis dato noch keinen geänderten Bauplan vorgelegt bekommen.
Es wird sinngemäß beantragt,
Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung aufgegeben,
die Bauarbeiten zur Ausführung des mit der Baugenehmigung vom 18. Februar 2020 gestatteten Vorhabens des Beigeladenen auf dem Grundstück Fl.Nr. … der Gemarkung … durch eine für sofort vollziehbar zu erklärende Verfügung vorläufig einzustellen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte verwiesen.
II.
Streitgegenstand des vorliegenden Eilverfahrens ist das Begehren des Antragstellers auf Erlass einer Baueinstellungsverfügung im Hinblick auf den Errichtungsvorgang/ die Ausführung des Bauvorhabens des Beigeladenen.
Die nach § 88 VwGO zulässige und gebotene Auslegung des Schreibens vom 16. März 2020 ergibt, dass das Begehren des Antragstellers auf einstweiligen Rechtsschutz in Form eines „sofortigen Baustopps“ durch den Erlass einer umfassenden, sofort vollziehbaren Baueinstellungsverfügung hinsichtlich des Bauvorhabens der Beigeladenen und damit als ein Fall des § 123 VwGO einzuordnen ist. Mit dieser Auslegung wird dem Rechtsschutzbegehren des Antragstellers Rechnung getragen.
Zwar hat der Antragsteller mit seinem Schreiben vom 16. März 2020 gegen den die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung Anfechtungsklage erhoben. Sein Begehren auf Erlass eines „sofortigen Baustopps“ wäre jedoch im Rahmen eines Antrages nach § 80 Abs. 5 VwGO nicht zielführend. Denn Gegenstand der Prüfung in einem Genehmigungsverfahren ist gemäß Art. 55 Abs. 1, Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 BayBO ausschließlich die zur Genehmigung gestellte „Errichtung“ bzw. (Nutzungs-)„Änderung“ des „Bauvorhabens“, nicht aber der Errichtungsvorgang als solcher (vgl. etwa BayVGH, B.v. 28.3.2017 – 15 ZB 16.1306 – juris; B.v. 14.10.2008 – 2 CS 08.2582 – juris; B.v. 23.3.2011 – 2 CS 11.1218 – juris; B.v. 6.2.2017 – 15 B 16.398 – juris). Wie die Ausführung des Vorhabens technisch im Einzelnen vor sich gehen soll und ob dies mit öffentlich-rechtlichen Vorschriften vereinbar ist, ist nicht Prüfgegenstand der Baugenehmigung. Da mithin etwa Standsicherheitsfragen hinsichtlich des Nachbargebäudes im Zusammenhang mit dem Errichtungsvorgang des Bauvorhabens im Baugenehmigungsverfahren nicht geprüft werden, trifft die Unbedenklichkeitsfeststellung einer Baugenehmigung diesbezüglich keine Aussage und kann folglich keine subjektiven Nachbarrechte des Antragstellers verletzen (BayVGH, B.v. 28.3.2017 – 15 ZB 16.1306 – juris). Mit Angriffen gegen die Baugenehmigung kann der Antragsteller daher die befürchteten Schäden an seinem Gebäude nicht verhindern.
Betroffene Nachbarn sind jedoch im Falle eines tatsächlichen, materiellen Verstoßes eines Vorhabens gegen entsprechende sicherheitsbezogene Anforderungen der Bayerischen Bauordnung nicht rechtsschutzlos, weil sie neben zivilrechtlichem Nachbarschutz (§ 1004 Abs. 1, § 823 BGB) gegebenenfalls auch Ansprüche auf bauordnungsrechtliches Einschreiten oder ermessensfehlerfreie Entscheidung hierüber (Art. 54 Abs. 2, Art. 75 BayBO) geltend machen können (BayVGH, B.v. 28.3.2017 – 15 ZB 16.1306 – juris). Entsprechend muss der Nachbar Klage auf Verpflichtung zum bauaufsichtlichen Einschreiten erheben, so dass sich der vorläufige Rechtsschutz in diesen Fällen mithin nach § 123 VwGO richtet.
Der Antrag des Antragstellers ist zulässig.
Nach § 123 VwGO kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden, drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen notwendig erscheint. Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind dabei glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO, § 920 Abs. 2 ZPO).
Anträge nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO sind bei – wie hier – in vereinfachten Genehmigungsverfahren zugelassenen Bauvorhaben statthaft, wenn Verstöße gegen nachbarschützende Vorschriften gerügt werden, die nach Art. 59 Satz 1 BayBO nicht zu prüfen sind und über die in der Baugenehmigung folglich nicht entschieden wird. In diesem Fall können durch die Baugenehmigung selbst Nachbarrechte nicht verletzt werden (BayVGH, B.v. 27.10.1999 – 2 CS 99.2387 – juris).
Dem auf bauaufsichtliches Einschreiten gerichteten Antrag fehlt auch nicht das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis. Zwar hat der Antragsteller bislang offenbar keinen Antrag auf Baueinstellung bei der Antragsgegnerin gestellt. Eine pauschale Forderung nach vorheriger Antragstellung bei der Behörde wird den Besonderheiten des Verfahrens nach § 123 VwGO jedoch grundsätzlich nicht gerecht (vgl. BayVGH, B.v. 4.7.2008 – 15 CE 08.1155 – juris).
Der Antrag auf Verpflichtung des Antragsgegners zum Erlass einer Baueinstellungsverfügung gegenüber der Beigeladenen ist jedoch unbegründet.
Der Antragsteller hat im Hinblick auf die befürchtete Eigentumsverletzung an seinem Gebäude durch die Bauarbeiten auf dem inmitten stehenden Baugrundstück einen Anordnungsanspruch- und -grund nicht hinreichend glaubhaft gemacht hat. Insbesondere sind hierzu die Aussagen irgendwelcher Bauarbeiter nicht geeignet. Wie der Antragsteller selbst ausführt, wäre diesbezüglich etwa ein substantiiertes Gutachten im Hinblick auf die von ihm befürchteten Schäden an seinem Gebäude angezeigt gewesen.
Schon aus diesem Grund war der Antrag mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Die Festsetzung des Streitwertes ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziffern 1.5 und 9.7.1 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.