Baurecht

Vergaberechtsverstöße bei Lieferauftrag für Granitsteine

Aktenzeichen  RMF-SG 21-3194-4-40

Datum:
19.8.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 31392
Gerichtsart:
Vergabekammer
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GWB § 97 Abs. 1, Abs. 6, § 99, § 103 Abs.2, § 134 Abs. 1, § 135 Abs. 1, Abs. 2 S. 2, § 160, § 166 Abs. 1 S. 3, § 182 Abs. 1
BayNpV § 1 Abs. 2, § 2 Abs. 2 S. 2
VgV § 3 Abs. 6, § 8, § 56 Abs. 2

 

Leitsatz

1. Der Zuschlag der Vergabestelle auf das Angebot der Beigeladenen und der dadurch zustande gekommene Vertrag sind wegen diverser Vergaberechtsverstöße unwirksam. (Rn. 74) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Vergabestelle hat gegenüber den nicht berücksichtigten Bietern die gesetzliche Informationspflicht (§ 134 Abs. 1 GWB) verletzt, indem sie diese nicht über den bereits erfolgten Vertragsschluss informiert hat. (Rn. 74 – 86) (redaktioneller Leitsatz)
3. Das Vergabeverfahren wurde fehlerhaft durchgeführt; das Angebot der Antragstellerin wurde zu Unrecht ausgeschlossen: Die Mustersteine wichen nicht vom Leistungsverzeichnis ab, zumal die von der Vergabestelle zur Vorlage gesetzte Frist unangemessen kurz war.  (Rn. 87 – 97) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die Vergabestelle hat gegen ihre Dokumentationspflicht sowie den vergaberechtlichen Transparenzgrundsatz verstoßen, da die Bewertung der Mustersteine nicht dokumentiert wurde. (Rn. 100 – 102) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass der durch Zuschlag vom 24.06.2019 zustande gekommene Vertrag zwischen der Vergabestelle und der Beigeladenen von Anfang an unwirksam ist.
2. Es wird weiter festgestellt, dass durch die Durchführung des Vergabeverfahrens die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt ist.
3. Bei fortbestehender Beschaffungsabsicht wird der Vergabestelle aufgegeben, unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer das Vergabeverfahren in den Stand vor Wertung der Angebote zurückzuversetzen.
4. Die Vergabestelle und die Beigeladene tragen die Kosten des Verfahrens und die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin je zur Hälfte.
5. Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragstellerin war notwendig.
6. Die Gebühr für dieses Verfahren beträgt … €.
Auslagen sind nicht angefallen.
Die Vergabestelle ist von der Zahlung dieser Gebühr befreit.

Gründe

Der Nachprüfungsantrag ist zulässig und begründet.
1. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig.
a) Die Vergabekammer Nordbayern ist für das Nachprüfverfahren nach § 1 Abs. 2 und § 2 Abs. 2 S. 2 BayNpV sachlich und örtlich zuständig.
b) Die Vergabestelle ist öffentlicher Auftraggeber nach § 99 GWB.
c) Bei dem ausgeschriebenen Lieferauftrag handelt es sich um einen öffentlichen Auftrag im Sinne eines Lieferauftrags gemäß § 103 Abs. 2 GWB. Danach sind Lieferaufträge Verträge zur Beschaffung von Waren.
Werden für ein Bauvorhaben marktübliche Waren beschafft, handelt es sich nicht um Bauleistungen, wenn nicht weitere (Bau-)Arbelten hinzukommen (vgl. nur OLG München, Beschl. vom 28.09.2005 – Verg 19/05).
Gegenstand der Ausschreibung war dezidiert die Beschaffung von Granitsteinen und Granitplatten. Die Bieter wurden ausschließlich zu Angeboten aufgefordert, die die Lieferung der Steine betraf. Nicht hingegen war die Verlegung des Pflasters oder eine andere, zusätzliche Bauleistung Auftragsgegenstand. Es mag sein, dass die Ausschreibung lediglich einen Teil der Leistungen für den gesamten Bauabschnitt betraf. Dies ändert jedoch nichts daran, dass eben gerade nur die Vergabe einer Lieferleistung intendiert war. In der vorliegenden Konstellation, in der nur die Lieferung der Steine an die Vergabestelle erfolgen soll, ist nicht von einem einheitlich zu beurteilenden Bauauftrag auszugehen, sondern von einem eigenständigen Lieferauftrag.
§ 3 Abs. 6 VgV ist nicht heranzuziehen, da dieser nur die Schätzung des Auftragswerts betrifft, nicht aber die Abgrenzung, wann von welcher Art Auftrag im Sinne des GWB auszugehen ist.
d) Der Auftragswert übersteigt den für Lieferaufträge maßgeblichen Schwellenwert nach Art. 4 der Richtlinie 2014/24/EU (§ 106 Abs. 2 Nr. 1 GWB).
e) Die Antragstellerin ist antragsbefugt. Sie hat im Sinne des § 160 Abs. 2 GWB vorgetragen, dass sie ein Interesse an dem öffentlichen Auftrag hat, und eine Verletzung in ihren Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB durch Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend gemacht. Sie hat geltend gemacht, dass ihr durch die beabsichtigte Vergabe an die Beigeladene ein Schaden zu entstehen droht. Im Rahmen der Zulässigkeit sind an die Antragsbefugnis keine allzu hohen Anforderungen geknüpft.
f) Die Antragstellerin hat die geltend gemachten Vergaberechtsverstöße ordnungsgemäß gerügt, § 160 Abs. 3 GWB.
g) Der Zuschlag der Vergabestelle auf das Angebot der Beigeladenen vom 27.06.2019 und der dadurch zustande gekommene Vertrag sind unwirksam, § 135 Abs. 1 Nr. 1 GWB.
Die Vergabestelle hat gegen die Informationspflicht aus § 134 Abs. 1 GWB verstoßen.
Gemäß § 134 Abs. 1 GWB ist jede Vergabestelle verpflichtet, den Bietern, deren Angebot nicht berücksichtigt werden soll, den Namen des Zuschlagsprätendenten, die Gründe der Nichtberücksichtigung und den frühesten Zeitpunkt des Vertragsschlusses mitzuteilen.
Die Vergabestelle hat vorliegend zwar mit Schreiben vom 12.06.2019 der Antragstellerin mitgeteilt, dass ihr Angebot nicht bezuschlagt werden solle, sondern das der Beigeladenen. Jedoch fehlte in diesem Schreiben die Angabe des frühesten Zuschlagstermins, sodass die Informationspflicht nach § 134 GWB nicht erfüllt wurde.
Die 30-Tages-Frist des § 135 Abs. 2 Satz 1 GWB war bei Erhebung des Nachprüfungsantrags noch nicht angelaufen.
Maßgeblich für den Fristbeginn ist zum einen, dass der Bieter über den Zuschlag informiert wird, und zum anderen, dass der Vertragsschluss bei Information bereits erfolgt ist (vgl. Maimann, in: Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 4. Auflage 2016, § 135 Rn. 44; OLG Frankfurt, Beschl. vom 30.01.2014, 11 Verg 15/13). Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut, der ausdrücklich von der Information über den Abschluss des Vertrages ausgeht, was denknotwendig voraussetzt, dass dieser vor der Information erfolgt sein muss. Es genügt nicht, den Bieter über einen irgendwann in der Zukunft geplanten Zuschlag zu informieren, um die Frist beginnen zu lassen.
Der Vertragsschluss erfolgte ausweißlich des Auftragsschreibens vom … und dem Inhalt der Veröffentlichung im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union vom … am …. In den zuvor erfolgten Informationen durch die Vergabestelle wurde immer auf einen irgendwann in der Zukunft liegenden Vertragsschluss verwiesen, der jedoch noch nicht erfolgt war, wie sich aus der Vergabeakte ergibt. Erst mit der Veröffentlichung im EU-Supplement erlangte die Antragstellerin Kenntnis über den Zeitpunkt des Vertragsschlusses.
Soweit die Vergabestelle vorträgt, dass der Zuschlag bereits telefonisch am 13.06.2019 an die Beigeladene erteilt wurde, widerspricht dies dem eindeutigen Inhalt der Vergabeakte und kann nicht nachvollzogen werden.
Zudem war die E-Mail der Vergabestelle an die Antragstellerin vom 13.06.2019 aus objektiver Sicht so zu verstehen, dass der Auftrag gerade noch nicht an die Beigeladene erteilt wurde. Im Wortlaut: „[…] Der Auftrag geht an den Mitbewerber … aus …“ Die Formulierung „geht“ in der Zeitform Präsens bringt zum Ausdruck, dass die Auftragsvergabe entweder momentan im Gange ist oder aber in der Zukunft stattfindet. Insofern ist die Formulierung nicht eindeutig. Eindeutig ist aber, dass durch die Verwendung des Präsens keinesfalls der bereits erfolgte Abschluss der Vergabe zum Ausdruck kommt. Hierzu hätte die Vergabestelle die Formulierung „ging“ öder „ist gegangen“ verwenden müssen. Bei verständiger Würdigung des Wortlauts aus Sicht eines objektiven Dritten ist nicht von einer Information über einen geschlossenen Vertrag auszugehen.
Damit war die Antragstellerin aber zu keinem Zeitpunkt über einen in der Vergangenheit liegenden, bereits erfolgten Vertragsschluss informiert, sodass die Frist des § 135 Abs. 2 Satz 1 GWB nie zu laufen begann.
Es kann daher vorliegend auch die umstrittene Frage dahinstehen, ob für den Beginn der Frist nach § 135 Abs. 2 Satz 1 GWB eine entsprechende Belehrung erforderlich ist.
Maßgeblich war hier die 30-Tages-Frist des § 135 Abs. 2 Satz 2 GWB ab Veröffentlichung der Auftragsvergabe im EU-Supplement, die noch nicht abgelaufen war.
Gemäß §§ 187, 188 BGB begann die Frist am 27.06.2019 um 0 Uhr und endete am 26.07.2019 um 24 Uhr. Der Nachprüfungsantrag wurde am 25.07.2019 bei der erkennenden Vergabekammer eingereicht, also noch rechtzeitig vor Fristablauf.
2. Der Nachprüfungsantrag ist begründet. Das Vergabeverfahren wurde fehlerhaft durchgeführt. Die Antragstellerin ist in ihren Rechten aus § 97 Abs. 6 GWB verletzt.
a) Das Angebot der Antragstellerin war nicht auszuschließen, weil es vom Leistungsverzeichnis abwich. Die von der Antragstellerin angebotenen Mustersteine wichen nicht vom Leistungsverzeichnis ab.
Die Vergabestelle hat im Leistungsverzeichnis jeweils das bereits verbaute Referenzprodukt benannt und unter dem Titel „Verbaute Materialien“ den Handelsnamen bezeichnet. Darunter befanden sich vom jeweiligen Bieter auszufüllende Felder mit dem Titel „Angebotenes Material“, wo der Handelsname des angebotenen Materials, der petrographische Name und Land und Ort der Gewinnung anzugeben waren. Bereits die Vergabestelle selbst ist also bei Erstellung des Leistungsverzeichnisses davon ausgegangen, dass nicht der identische Handelsname bei den angebotenen Steinen vorliegen muss. Sie kann eine Abweichung davon nicht als Ausschlussgrund heranziehen.
Auch hat die Vergabestelle in den restlichen Vergabeunterlagen ebenfalls nirgendwo die Voraussetzung aufgestellt, dass die angebotenen Steine in bestimmten Kriterien identisch zu den verlegten Steinen zu sein haben, sondern die Beurteilung, wie groß die Ähnlichkeit zum Referenzprodukt ist, jeweils ausdrücklich bei der Bewertung des Kriteriums Optik bzw. dessen Unterkriterien verortet.
Die Antragstellerin hat Granitsteine angeboten. Das angebotene Material stimmt mit dem im Leistungsverzeichnis geforderten Material überein, soweit von der Vergabestelle Granit mit den damit einhergehenden Eigenschaften gefordert wurde. Lediglich die Färbung der Steine differiert. Insofern liegt jedoch kein Ausschlussgrund vor, da die Färbung nicht derart eklatant von dem im Leistungsverzeichnis bezeichneten Referenzprodukt abweicht, dass von einem gänzlich anderen Angebot ausgehen muss. Auch die angebotenen Steine haben, wie auch die Referenzsteine, als Farbe einen mehr oder weniger hellen bzw. dunklen Grauton. Die nähere Bestimmung, inwieweit diese Grautöne mit den Referenzsteinen übereinstimmen bzw. als geeignet für die großflächige Verlegung angesehen werden, ist der Bewertung durch die Vergabestelle vorbehalten, jedoch nicht als Ausschlussgrund geeignet.
b) Das Angebot der Antragstellerin war auch nicht auszuschließen, weil die von der Vergabestelle mit Schreiben vom 29.04.2019 angeforderten Mustersteine nicht bis zum 07.05.2019 vorgelegt wurden.
Bislang ungeklärt ist die Frage, wie bei Lieferaufträgen die erstmalige Anforderung von Unterlagen nach Angebotsabgabe rechtlich zu behandeln ist. Eine Parallelvorschrift zu § 16 Nr. 4 VOB/A-EU gibt es in der VgV nicht, § 56 Abs. 2 VgV ist nicht anwendbar, da dieser nur die Nachforderung von bereits bei Angebotsabgabe angeforderten Unterlagen regelt, nicht jedoch die Erstanforderung durch den Auftraggeber (vgl. Steck, In: Ziekow/Völlink, Vergaberecht. 3. Auflage 2018, § 56 VgV, Rn. 17). Voraussetzung ist jedenfalls aber, dass von der Vergabestelle eine angemessene Frist gesetzt wurde (vgl. Ziekow/Völlink, a.a.O.). Unter Heranziehung der Grundsätze zu § 16 Nr. 4 VOB/A-EU ist eine Frist jedenfalls dann angemessen, wenn sie der Bedeutung und dem Umfang der Anforderung gerecht wird, wobei eine zu kurze Frist nicht automatisch eine angemessene Frist in Gang setzt und der Bieter nicht verpflichtet ist, schon vorsorgliche Maßnahmen zu treffen (vgl. zu § 16 VOB/A-EU Opitz, in: Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, 3. Auflage 2019, § 16 VOB/A-EU, Rn. 121).
Die vorliegend von der Vergabestelle gesetzte Frist war nicht angemessen. Sie hat mit Schreiben vom 29.04.2019 die Mustersteine bis 07.05.2019 angefordert. Die Antragstellerin hat diese Schreiben per Post am 02.05.2019 erhalten. Es muss bei postalischer Versendung von Schreiben die Zustellungsdauer bei der Fristsetzung mitbeachtet werden. Zudem war der 01.05.2019, ein Mittwoch, als bundesweiter Feiertag zu berücksichtigen. Effektiv standen der Antragstellerin damit nur wenige Werktage zur Verfügung, um die Mustersteine der Vergabestelle zur Verfügung zu stellen. Die Frist ist unter diesen Umständen als zu kurz anzusehen.
Die Argumentation der Vergabestelle, ein Bieter müsse Muster vorhalten und unverzüglich übersenden, wenn die Vergabestelle sich vorbehalte, diese anzufordern, geht fehl. Es ist gerade Sinn und Zweck einer gesonderten Anforderung auf Anfrage, nicht von jedem Bieter, der ein Angebot abgibt, zugleich die Übersendung von Mustern zu verlangen, sondern nur von denen, die auch eine reelle Chance auf den Zuschlag haben. Dies dient sowohl den Bietern, die nicht Aufwendungen tätigen müssen ohne Aussicht auf Zuschlag, als auch der Vergabestelle, die sich organisatorischen und logistischen Aufwand erspart.
Weder Bieter noch Vergabestelle wissen aber bei Auftragsbekanntmachung, wie viele Bieter Angebote abgeben, welche von diesen eine Zuschlagschance haben und zu welchem genauen Zeitpunkt die Bewertung der Muster vorgenommen wird. Wenn nun ein Bieter verpflichtet wäre, schon bei Angebotsabgabe Muster vorrätig zu halten und auf Anfrage unverzüglich zu übersenden, würde der ursprüngliche Zweck in höchstem Maße konterkariert.
Im Übrigen hat die Vergabestelle nach einem Telefonat mit der Antragstellerin die Frist bis zum 10.05.2019 verlängert. Ausweislich des Sendungsverfolgungsprotokolls wurden die Steine am 09.05.2019 bei der Vergabestelle angeliefert, sodass ein Ausschluss wegen verspäteter Überlassung der Mustersteine nicht in Betracht kommt.
c) Die Formeln für die Berechnung der Wertungspunkte waren eindeutig. Zwar waren im Formblatt L 227 zu jedem Wertungskriterium andere Formeln angegeben. Allerdings wurde von der Vergabestelle jeweils ausdrücklich angemerkt „sh. Zuschlagskriterien, Bestbieterermittlung“. Es war für jeden Bieter erkennbar, dass nur diese Wertungskriterien, nicht aber die weiteren Angaben auf dem Formblatt L 227 maßgeblich sein würden. Die dortigen Angaben zu Mindestpunktzahlen passen ohnehin nicht zu den von der Vergabestelle selbst aufgestellten Wertungskriterien, die auf jeden Fall gelten sollten, sodass bei verständiger Würdigung der Vergabeunterlagen nicht von widersprüchlichen Angaben auszugehen ist.
Ein eventueller Widerspruch, von dem die Vergabekammer nicht ausgeht, hätte von der Antragstellerin durch Nachfrage oder Rüge bereits vor Angebotsabgabe geklärt werden müssen. Insoweit wäre die Geltendmachung eines diesbezüglichen Verstoßes ohnehin präkludiert gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB.
d) Die Vergabestelle hat gegen ihre Dokumentationspflicht gemäß § 8 VgV sowie den vergaberechtlichen Transparenzgrundsatz gemäß § 97 Abs. 1 GWB verstoßen, da die Bewertung der Mustersteine nicht dokumentiert wurde.
Grundsätzlich ist es einer Vergabestelle gestattet, in der Auftragsbekanntmachung lediglich die Zuschlagskriterien und deren Gewichtung bekannt zu geben, sie muss dann jedoch das Wertungsergebnis umso genauer dokumentieren (vgl. Renner, in: NomosKommentar Vergaberecht, 3. Auflage 2019, § 127 GWB, Rn. 49 m.w.N.).
In der vorliegenden Vergabeakte finden sich lediglich die rechnerischen Ermittlungen der erreichten Punktzahlen. Warum welchem Bieter ein bestimmter Rang zuerkannt wurde, kann in keiner Weise nachvollzogen werden. Es fehlen jegliche schriftlichen Erwägungen, die die Vergabestelle zur Bewertung der einzelnen Mustersteine gemacht hat. In der Vergabeakte ist nicht auch nur ansatzweise vermerkt, warum die Mustersteine der Antragstellerin denen der Beigeladenen unterlegen sein sollen. Eine solche Vergabeentscheidung kann weder nachvollzogen noch überprüft werden und ist bereits aus diesem Grund aufzuheben.
e) Die Wertung ist ferner vergaberechtswidrig durchgeführt worden, weil bei der Bewertung ein kürzerer Abschnitt de… als Referenz herangezogen wurde.
Statt des in den Vergabeunterlagen angegebenen Abschnitts der … wurde nur ein kürzerer Abschnitt der … als Referenzfläche verwendet. Dies ergibt sich aus dem Vergabevorschlag des Ingenieur-Teams, das von der Vergabestelle beauftragt wurde. Dort ist die Rede davon, dass der Bereich zwischen … und … als Vergleichsmaßstab herangezogen worden sei, was einer Verkürzung der Vergleichsstrecke um ca. 30 % Prozent entspricht.
Damit hat die Vergabestelle gegen die von ihr selbst aufgestellten Wertungskriterien verstoßen. Bei Bewertung der Steine war der Gesamteindruck der … zugrunde zu legen. Wenn die Vergabestelle bzw. ihr Ingenieur-Team nunmehr einen kürzeren Abschnitt als Maßstab heranziehen will, muss sie die Vergabeunterlagen ändern und das Vergabeverfahren entsprechend weiter zurückversetzen. Die Wertung ist jedenfalls so, wie sie hier vorgenommen wurde, nicht ordnungsgemäß erfolgt.
f) Die Antragstellerin ist durch die festgestellten Vergaberechtsverstöße in ihren Rechten verletzt, § 97 Abs. 6 GWB.
Die fehlende Dokumentation führt dazu, dass die Entscheidungen der Vergabestelle nicht nachgeprüft werden können. Die ohne Niederlegung einer Begründung vorgenommene Bewertung der Antragstellerin im Kriterium „Optik“ mit 0 von 55 Punkten beeinträchtigt ihre Zuschlagschance erheblich. Es ist unter Zugrundelegung der von der Vergabestelle bei der Punktermittlung herangezogenen Formeln rechnerisch überhaupt nicht möglich, bei einer Bewertung mit 0 von 55 Punkten im Kriterium Optik, den Zuschlag noch zu erhalten, da mindestens ein Bieter 55 von 55 Punkten erhält. Selbst wenn dieser Bieter in den Kriterien „Preis“ und „Transportweite“ 0 Punkte erhielte, was rechnerisch ebenfalls unmöglich ist, läge er immer noch von dem anderen Angebot.
Durch die rechtswidrige Verkürzung der Vergleichsstrecke wurde der Antragstellerin eventuelle Möglichkeiten genommen, dadurch eine bessere Bewertung zu erhalten, dass womöglich andere Pflasterabschnitte der … besser mit den von ihr angebotenen Steinen übereinstimmen. Ihre Zuschlagschancen sind dadurch ebenfalls beeinträchtigt.
g) Aus diesen Gründen war das Vergabeverfahren in den Stand vor Angebotswertung zurückzuversetzen. Die Vergabestelle hat, sofern sie an ihrer Beschaffungsabsicht festhält, die Wertung unter Beachtung der gemachten Ausführungen zu wiederholen, um die Vergaberechtsverstöße zu beseitigen. Der Zuschlag vom 24.06.2019 ist unwirksam, die durchgeführte fehlerhafte Bewertung darf nicht zur Grundlage einer erneuten Zuschlagserteilung gemacht werden. Zu einer weiteren Zurückversetzung in eine noch frühere Phase des Vergabeverfahrens ist vorliegend die erkennende Vergabekammer nicht berufen, weil es zur Beseitigung der hier erfolgreich geltend gemachten Vergaberechtsverstöße ausreichend ist, wenn die Bewertung der Mustersteine ordnungsgemäß erneut mit einer nachvollziehbaren, diskriminierungsfreien und sachgerechten Bewertung, die nachvollziehbar dokumentiert ist, durchgeführt wird.
Weitergehende Maßnahmen durch die erkennende Vergabekammer kommen nicht in Betracht.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 182 GWB.
a) Die Vergabestelle und die Beigeladene tragen die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte, weil sie mit ihren Anträgen unterlegen sind (§ 182 Abs. 3 Satz 1 GWB).
b) Die Kostenerstattungspflicht gegenüber der Antragstellerin ergibt sich aus § 182 Abs. 4 Satz 1 GWB.
c) Die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes war für die Antragstellerin notwendig (§ 182 Abs. 4 Satz 4 GWB i.V.m. Art. 80 Abs. 2 Satz 3 BayVwVfG entspr.).
Es handelt sich um einen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht nicht einfach gelagerten Fall, so dass es der Antragstellerin nicht zuzumuten war, das Verfahren vor der Vergabekammer selbst zu führen.
d) Die Gebühr war nach § 182 Abs. 2 und 3 GWB festzusetzen.
Im Hinblick auf die Gesamtauftragssumme für das gegenständliche Los und unter Zugrundelegung eines durchschnittlichen personellen und sachlichen Aufwands der Vergabekammer errechnet sich entsprechend der Tabelle des Bundeskartellamtes eine Gebühr in Höhe von … €.
e) Der geleistete Kostenvorschuss von …- € wird nach Bestandskraft dieses Beschlusses an die Antragstellerin zurücküberwiesen.
Die Vergabestelle ist gemäß § 182 Abs. 1 GWB i.V.m. § 8 Abs. 1 Nr. 3 VwKostG in der am 14.08.2013 geltenden Fassung von der Zahlung der Gebühr befreit.
Die Kostenrechnung für die Beigeladene wird nachgereicht.


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