Baurecht

Vergabeverfahren – Zuschlag im Bereich elektronischer Schließsysteme nicht erteilt

Aktenzeichen  RMF-SG 21-3194-2-19

Datum:
23.1.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 7894
Gerichtsart:
Vergabekammer
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GWB § 124, § 134 Abs. 1, § 160 Abs. 3 Nr. 3

 

Leitsatz

1. Nach § 160 Abs. 3 Nr, 3 GWB ist ein Antrag unzulässig, soweit Verstöße gegen Vergabe-Vorschriften, die in den Vergabeunterlagen erkennbar sind, nicht spätestens bis zum Ablauf der Frist zur Angebotsabgabe gegen den Auftraggeber gerügt werden. Ein Verstoß gegen das vergaberechtliche Gebot der produktneutralen Ausschreibung wird als erkennbar angesehen. (Rn. 52)
2. Nach § 134 Abs. 1 GWB hat der öffentliche Auftraggeber u.a. die Gründe für die Nicht-berücksichtigung anzugeben. Hinter dem Erfordernis, die Gründe der Nichtberücksichtigung anzugeben, steht der Zweck, dem Bieter die Prüfung der Erfolgsaussichten eines Rechtsschutzverfahrens zu ermöglichen. Dabei sollen die Anforderungen an die Begründung aber nicht überspannt werden. Der Auftraggeber darf sich kurz fassen. Der unterlegene Bieter muss eine auf den konkreten Einzelfall zugeschnittene Begründung für die Nichtberücksichtigung seines Angebots erhalten. (Rn. 58)
3. Als sogenannte „Kann-Vorschrift” listet § 124 GWB fakultative Ausschlussgründe auf. Das Beurteilungsermessen des öffentlichen Auftraggebers erstreckt sich nicht nur auf die Frage des Vorliegens des Ausschlussgrundes, sondern der Auftraggeber hat auch einen Ermessensspielraum, ob er von der Möglichkeit des Ausschlusses bei nachweislichem Vorliegen des Ausschlussgrundes auch tatsächlich Gebrauch machen will.   (Rn. 64)
4. Auf weitergehende Informationen, wie beispielsweise eine Überlassung der Wertungsmatrix aus der das Abschneiden aller Bieter in der Wertung ersichtlich ist, hat der Antragsteller keinen Anspruch. Der öffentliche Auftraggeber ist nicht verpflichtet, die Platzierung der Bieter offenzulegen. (Rn. 59) (redaktioneller Leitsatz)
5. Angebote sind auszuschließen, wenn sie eindeutig und klar definierte Forderungen des Leistungsverzeichnisses nicht erfüllen. (Rn. 70) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Die ASt trägt die Kosten des Verfahrens und die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der VSt und der BGI.
3. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten durch die VSt und die BGI war notwendig.
4. Die Gebühr für dieses Verfahren beträgt …,– € Auslagen sind nicht angefallen.

Gründe

1.
Der Nachprüfungsantrag ist teilweise zulässig.
a) Die Vergabekammer Nordbayern ist für das Nachprüfverfahren nach § 1 Abs. 2 und § 2 Abs. 2 Satz 2 BayNpV sachlich und örtlich zuständig.
b) Die VSt ist Sektoren auftraggeber nach § 100 Abs. 1 GWB.
c) Bei den elektronischen Schließsystemen handelt es sich um einen öffentlichen Auftrag im Sinne von § 103 Abs. 1 GWB.
d) Der Auftragswert übersteigt den Schwellenwert, § 106 Abs. 2 Nr. 2 GWB.
e) Der Zuschlag wurde noch nicht erteilt (§ 168 Abs. 2 Satz 1 GWB).
f) Die ASt ist antragsbefugt. Sie hat im Sinne des § 160 Abs. 2 GWB vorgetragen, dass sie ein Interesse an dem öffentlichen Auftrag hat und eine Verletzung in ihren Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB durch Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend macht.
g) Die ASt hat am 05.12.2017 rechtzeitig das Informationsschreiben vom 28.11.2017 als unzureichend und die Wertung ihres Angebots beim „Einsatz im EX-Bereich“ gerügt.
Soweit die ASt im Schriftsatz vom 12.01.2018 darauf abhebt, dass die Ausschreibung gegen das vergaberechtliche Gebot der produktneutralen Ausschreibung verstoße, ist die ASt mit dieser Rüge gemäß 160 Abs. 3 Nr. 3 GWB präkludiert. Nach § 160 Abs. 3 Nr. 3 GWB ist ein Antrag unzulässig, soweit Verstöße gegen Vergabevorschriften, die in den Vergabeunterlagen erkennbar sind, nicht spätestens bis zum Ablauf der Frist zur Angebotsabgabe gegen den Auftraggeber gerügt werden. Für die Erkennbarkeit kommt es darauf an, ob dem Antragsteller das Übersehen des Verstoßes gegen das Vergaberecht vorgeworfen werden kann. Prüfungsmaßstab ist die Erkenntnismöglichkeit eines durchschnittlichen Antragstellers. Erkennbar sind somit Vergaberechtsverstöße, die von einem Durchschnittsbieter bei üblicher Sorgfalt und den üblichen Kenntnissen erkannt werden. Ein Vergabeverstoß ist in der Regel erkennbar, wenn er dem Bieter bei der Erarbeitung des Angebots einschließlich der Kalkulation Probleme bereitet. (Summa in: Heiermann/Zeiss/Summa, jurisPK-Vergaberecht, 5. Aufl. 2016, § 160 Rdn. 286). Ein Verstoß gegen das vergaberechtliche Gebot der produktneutralen Ausschreibung wird als erkennbar angesehen (OLG München v. 10.12.2009 Verg18/09).
Somit wäre ein Vergaberechtsverstoß wegen der vorgegebenen Länge der Doppelzylinder, wenn überhaupt gegeben, schon bei der Angebotserarbeitung für die ASt erkennbar gewesen und hätte deshalb spätestens mit der Abgabe des Angebots gerügt werden müssen.
h) Zum Zeitpunkt der Stellung des Nachprüfungsantrags am 07.12.2017 war auch die 15-Tages-Frist gem. § 160 Abs. 3 Nr. 4 GWB nicht abgelaufen, die einem Antragsteller nach der Rügezurückweisung vom 06.12.2017 zur Verfügung steht.
2.
Der Nachprüfungsantrag ist jedoch unbegründet.
Die ASt ist in ihren Rechten aus § 97 Abs. 6 GWB nicht verletzt.
a) Das Schreiben vom 28.11.2017 genügt der Informationspflicht der VSt.
Nach § 134 Abs. 1 GWB hat der öffentliche Auftraggeber u.a. die Gründe für die Nichtberücksichtigung anzugeben. Hinter dem Erfordernis, „die Gründe“ der Nichtberücksichtigung anzugeben, steht der Zweck, dem Bieter die Prüfung der Erfolgsaussichten eines Rechtsschutzverfahrens zu ermöglichen. Dabei sollen die Anforderungen an die Begründung aber nicht überspannt werden. Der Auftraggeber darf sich kurz fassen. Der unterlegene Bieter muss eine auf den konkreten Einzelfall zugeschnittene Begründung für die Nichtberücksichtigung seines Angebots erhalten (Sommer in: Heiermann/Zeiss/Summa, jurisPK-Vergaberecht, 5. Aufl. 2016, § 134 GWB Rdn. 29 ff.).
Die VSt begründet im Informationsschreiben vom 28.11.2017 die Vergabeentscheidung mit einem besseren Ergebnis der BGI beim Wertungskriterium „Einsatz EX-Bereich“. Auf weitergehende Informationen, wie beispielsweise eine Überlassung der Wertungsmatrix aus der das Abschneiden aller Bieter in der Wertung ersichtlich ist, hat die ASt keinen Anspruch. Der öffentliche Auftraggeber ist nicht verpflichtet, die Platzierung der Bieter offenzulegen (Braun in Ziekow/Völlink, Kommentar Vergaberecht, 2. Aufl., § 101 a Rdn. 64 unter Verweis auf die BT-Drucks. 16/10117 vom 13.08.2008, Seite 31).
b) Die VSt hat die Angebotswertung entsprechend § 127 GWB durchgeführt. Die Zuschlagsentscheidung ist nicht zu beanstanden.
Nach § 127 Abs. 1 GWB ist der Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot zu erteilen. Grundlage dafür ist eine Bewertung des öffentliche Auftraggebers, ob und inwieweit das Angebot die vorgegebenen Zuschlagskriterien erfüllt. Nach § 127 Abs. 5 GWB sind die Zuschlagskriterien und deren Gewichtung in den Vergabeunterlagen aufzuführen.
Auf Seite 15 des Leistungsverzeichnisses sind die Zuschlagskriterien eindeutig bekannt gegeben. Dort heißt es unter Ziffer 5 „Einsatz im EX-Bereich 5 Punkte“. Auf Seite 17 des Leistungsverzeichnisses ist festgelegt, dass die Bewertung nach dem Punkteschema auf Grundlage der Herstellerangaben erfolgt. Ein Angebot erhält 5 Punkte, wenn das Schließsystem in Ex Ausführung lieferbar und 0 Punkte, wenn der Schließsystem in Ex Ausführung nicht lieferbar ist. Die VSt hat auf Grundlage der E-Mail der ASt vom 13.11.2017 dem Angebot der ASt beim Kriterium „Einsatz im EX-Bereich“ 0 Punkte zurecht zuerkannt. In der E-Mail hat der Hersteller angegeben, dass die …-Schlüssel über kein EX-Schutz Zertifikat verfügen und ihm nicht bekannt sei, ob … Zylinder in Gasbereichen einsetzbar seien.
c) Der Ausschluss der ASt vom Vergabeverfahren nach § 124 Abs. 1 Nr. 9 c) GWB ist rechtswidrig. Folglich kann die VSt nicht geltend machen, dass die ASt nicht antragsbefugt sei, weil ihr die Eignung abhandengekommen ist.
Als sogenannte „Kann-Vorschrift“ listet § 124 GWB fakultative Ausschlussgründe auf. Das Beurteilungsermessen des öffentlichen Auftraggebers erstreckt sich nicht nur auf die Frage des Vorliegens des Ausschlussgrundes, sondern der Auftraggeber hat auch einen Ermessensspielraum, ob er von der Möglichkeit des Ausschlusses bei nachweislichem Vorliegen des Ausschlussgrundes auch tatsächlich Gebrauch machen will (Hausmann/von Hoff in: Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 4. Auflage, § 124 GWB Rdn. 69).
Der Transparenzgrundsatz verlangt, dass der öffentliche Auftraggeber die wesentlichen Entscheidungen des Vergabeverfahrens in den Vergabeakten dokumentiert, um die Entscheidungen der VSt für Bieter und Nachprüfungsinstanzen kontrollierbar zu machen. Gegen diese Dokumentationspflicht hat die VSt verstoßen. Sie ist ihrer Pflicht nach § 8 Abs. 1 SektVO nicht nachgekommen, das Vergabeverfahren zeitnah zu dokumentieren und die Entscheidungen in allen Phasen des Vergabeverfahrens nachvollziehbar zu begründen.
Wegen der fehlenden Dokumentation muss die Frage offen bleiben, ob die VSt erneut in ein Zuverlässigkeitsermessen eintreten durfte. In einem laufenden Vergabenachprüfungsverfahren kommt eine erneute Ermessensausübung unter Berücksichtigung neuer oder der Vergabestelle erstmals bekannt gewordener Tatsachen in Betracht (Opitz in: Burgi/Dreher Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1 – GWB 4. Teil –, 3. Auflage, § 124 Rdn. 19).
Unabhängig davon liegen nach Ansicht der Vergabekammer die Tatbestandsvoraussetzungen des § 124 Abs. 1 Nr. 9 c) GWB nicht vor. Nach § 124 Abs. 1 Nr. 9 c) GWB können öffentliche Auftraggeber unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ein Unternehmen von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren ausschließen, wenn das Unternehmen fahrlässig oder vorsätzlich irreführende Informationen übermittelt hat, die die Vergabeentscheidung des öffentlichen Auftraggebers erheblich beeinflussen könnten.
Die Vergabekammer sieht keinen Anhaltspunkt für einen Versuch der ASt, mit irreführenden Informationen die Vergabeentscheidung der VSt zu beeinflussen. Die ASt hat im Angebot erklärt, dass für die Schlüssel eine Freigabe durch den EX-Schutzbeauftragten nötig sei. Noch vor der Zuschlagsentscheidung hat die ASt in der E-Mail vom 13.11.2017 klargestellt, dass die angebotenen Schlüssel kein Ex-Schutz Zertifikat haben.
d) Das Angebot der ASt ist auszuschließen, weil es nicht alle Vorgaben des Leistungsverzeichnisses erfüllt.
Angebote sind auszuschließen, wenn sie eindeutig und klar definierte Forderungen des Leistungsverzeichnisses nicht erfüllen. Auf den Seiten 10 und 12 des Leistungsverzeichnisses sind Doppelzylinder mit einer Gesamtlänge von 63 mm festgelegt. Die Vorgabe „Gesamtlänge 63 mm, für DIN-Profilzylinder“ ist auch eindeutig zu erkennen. Die von der ASt angebotenen Doppelzylinder haben eine Grundlänge von 80 mm. Dies zeigt das Produktdatenblatt zu diesem Schließsystem und wird von ASt auch nicht ernsthaft bestritten.
Damit entspricht das Angebot der ASt nicht den Vorgaben des Leistungsverzeichnisses und ist zwingend auszuschließen.
3.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 182 GWB.
a) Die ASt trägt die Kosten des Verfahrens, weil sie unterlegen ist (§ 182 Abs. 3 Satz 1, 3 u. 5 GWB).
b) Die Kostenerstattungspflicht gegenüber der VSt ergibt sich aus § 182 Abs. 4 Satz 1 GWB. Es entspricht zudem der Billigkeit nach § 182 Abs. 4 Satz 2 GWB, der unterliegenden ASt auch die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der BGI aufzuerlegen. Die ASt hat ein Prozessrechtsverhältnis zur BGI begründet, indem sie den Zuschlag auf das Angebot der BGI zu verhindern versucht. Die BGI hat sich zudem durch Schriftsatzvortrag aktiv ani Nachprüfungsverfahren beteiligt (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 8. Februar 2006, VII-Verg 61/05; Beschluss vom 10. Mai 2012, VII-Verg 5/12) und hat eigene Anträge gestellt. Sie hat damit ein Kostenrisiko auf sich genommen. Sie erhält daher im Umkehrschluss ihre Aufwendungen erstattet, da sie mit ihrem Antrag erfolgreich ist.
c) Die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes war für die VSt und die BGI notwendig (§ 182 Abs. 4 Satz 4 GWB i.V.m. Art. 80 Abs. 2 Satz 3 BayVwVfG entspr.).
Es handelt sich um einen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht nicht einfach gelagerten Fall, so dass es der VSt und der BGI nicht zuzumuten war, das Verfahren vor der Vergabekammer selbst zu führen. Da die ASt rechtsanwaltlich durch eine auf das Vergaberecht spezialisierte Anwaltskanzlei vertreten war, ist es im Sinne einer Gleichstellung auch sachgerecht, dass sich die VSt und die BGI von einer auf das Vergaberecht spezialisierten Anwaltskanzlei vertreten ließen.
d) Die Gebühr war nach § 182 Abs. 2 GWB festzusetzen.
Im Hinblick auf die Bruttoangebotssumme der ASt aus dem Angebot und unter Zugrundelegung eines durchschnittlichen personellen und sachlichen Aufwands der Vergabekammer errechnet sich entsprechend der Tabelle des Bundeskartellamtes eine Gebühr in Höhe von …,– €.
e) Die von der ASt zu tragende Gebühr in Höhe von …,– € wird mit dem von ihr geleisteten Kostenvorschuss von …,– € verrechnet.
Für den übersteigende Betrag von …,– € erhält die ASt eine Kostenrechnung.


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