Baurecht

Verlängerung einer Veränderungssperre

Aktenzeichen  15 N 14.1019

Datum:
13.12.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB BauGB § 14 Abs. 1

 

Leitsatz

Dass im Rahmen einer gemeindlichen Bauleitplanung ganz bestimmte Vorstellungen einzelner Bauantragsteller „verhindert“ werden, liegt in der Natur der Sache jeglicher planerischer Aktivitäten und stellt noch keine unzulässige Verhinderungsplanung dar. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III.
Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
IV.
Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Gegenstand des Rechtsstreits ist die ursprüngliche Veränderungssperre in der Gestalt ihrer erstmaligen Verlängerung (vgl. BVerwG, U. v. 19.2.2004 – 4 CN 13/03 NVwZ 2004, 984 = juris Rn. 9). Der dagegen erhobene Antrag auf Normenkontrolle ist zulässig (vgl. § 47 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1 und 2 VwGO, Art. 5 Satz 1 AGVwGO); er hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.
1. Die Satzung über die Veränderungssperre für den Bereich des Gewerbegebiets K. Straße in der Stadt Furth im Wald weist in formeller Hinsicht (vgl. § 16 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2 BauGB) keine Fehler auf.
2. Die in § 14 Abs. 1 BauGB genannten und im Übrigen von der Rechtsprechung entwickelten Voraussetzungen (vgl. zusammenfassend König, Baurecht Bayern, 5. Aufl. 2015, Rn. 331 bis 333) für den Erlass dieser Veränderungssperre liegen gleichfalls vor.
2.1 Die Antragsgegnerin hat am 8. April 2014 u. a. die Aufstellung des Bebauungsplanes beschlossen (vgl. Beschluss Nr. 1. zu TOP 1. der 29. Sitzung des – insoweit beschließenden, vgl. § 8 2.a GeschO – Bauausschusses). Neben der Benennung der im Planungsgebiet befindlichen sieben Grundstücke, von denen zwei dem Antragsteller gehören, enthält der Beschluss folgenden Wortlaut:
„Der Bauausschuss beschließt für die im Flächennutzungsplan als Gewerbegebiet dargestellte Fläche an der K. Straße die Aufstellung eines Bebauungsplanes nach § 13a BauGB für ein Gewerbegebiet.
Das Planungsgebiet soll die Grundstücke FlNr…mit einer Gesamtfläche von 39.330 m² umfassen.
Planungszweck ist die Steuerung der möglichen Einzelhandelsentwicklung insbesondere die räumliche Begrenzung der Einzelhandelsnutzung und die Begrenzung der überbaubaren Fläche, die Einschränkung einer Einzelhandelsentwicklung auf den Bereich der für Furth im Wald nicht-zentralrelevanten Sortimente sowie der Anschluss an die öffentlichen Verkehrsflächen. Für Vergnügungsstätten und Spielhallen soll keine Ausnahme vorgesehen werden. Eine Parzellierung des Planungsgebiets soll nicht erfolgen.“
Der Aufstellungsbeschluss wurde gemäß § 10 Abs. 1 Satz 2 BauGB durch Anschlag an die Amtstafeln am 10. April 2014 ortsüblich bekannt gemacht.
Unter TOP 2. der Sitzung vom 8. April 2014 fasste die Antragsgegnerin den Beschluss einer Satzung über die Veränderungssperre für den vorgenannten Planbereich. Dieser wurde erstmals am 14. April 2014 bekannt gemacht und – nach Berichtigung des zunächst fehlerhaften Jahres der Beschlussfassung (2013 statt 2014) in der Bekanntmachungsverfügung – am 8. Mai 2014 erneut in ortsüblicher Weise veröffentlicht.
2.2 Der Aufstellungsbeschluss beschreibt den wesentlichen Inhalt der von der Antragsgegnerin ins Auge gefassten Planung, er lässt ohne weiteres „ein Mindestmaß dessen erkennen, was Inhalt des zu erwartenden Bebauungsplans sein soll“ (vgl. BVerwG, U. v. 19.2.2004 – 4 CN 13/03 – NVwZ 2004, 984 = juris Rn. 15 m. w. N.; B. v. 21.10.2010 – 4 BN 26.10 – ZfBR 2011, 160 = juris Rn. 6).
Insoweit geht die höchstrichterliche Rechtsprechung davon aus, dass es grundsätzlich erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass die Gemeinde im relevanten Zeitpunkt des Erlasses einer Veränderungssperre zumindest Vorstellungen über die Art der baulichen Nutzung besitzt, sei es, dass sie einen bestimmten Baugebietstyp, sei es, dass sie nach den Vorschriften des § 9 Abs. 1 BauGB festsetzbare Nutzungen ins Auge gefasst hat (vgl. BVerwG, B. v. 21.10.2010 a. a. O. juris Rn. 8; U. v. 30.8.2012 – 4 C 1.11 – BVerwGE 144, 82 ff. = juris Rn. 12; BayVGH, U. v. 30.1.2014 – 15 B 11.750 – juris Rn. 23). Dieser Anforderung ist unzweifelhaft genügt. Der Aufstellungsbeschluss benennt als beabsichtigte Art der baulichen Nutzung die Festsetzung eines Gewerbegebiets.
Mit der Verlängerung der Veränderungssperre verfolgt die Antragsgegnerin dieses Konzept inhaltlich unverändert weiter. Nachdem § 17 Abs. 1 Satz 3 BauGB insoweit keine besonderen Voraussetzungen aufstellt (vgl. BVerwG, B. v. 8.1.1993 – 4 B 258/92 – BRS 55 Nr. 96 = juris Rn. 4, 5), durfte sie die Veränderungssperre, wie durch den am 2. Mai 2016 bekannt gemachten Beschluss des Bauausschusses vom 4. April 2016 geschehen, um ein Jahr verlängern.
Aufgrund des nach Lage der Dinge nicht mit dem Planungskonzept der Gemeinde übereinstimmenden Vorhabens des Antragstellers steht das erforderliche Sicherungsbedürfnis außer Frage.
2.3 Die übrigen Einwände des Antragstellers (unzulässige Individualsperre, Verhinderungsplanung, fehlende Verhältnismäßigkeit) entbehren – jeglicher – Grundlage.
2.3.1 Abgesehen davon, dass eine Veränderungssperre nicht schon deshalb Bedenken begegnete, weil sie nur für wenige oder nur für ein einziges Grundstück erlassen wurde (BVerwG, U. v. 10.9.1976 – IV C 39.74 – BVerwGE 51, 121 = juris Ls. 2 und Rn. 33), liegt auch keine „Individualsperre“ in diesem Sinn vor. Die Veränderungssperre erfasst sieben Grundstücke mit einer Gesamtfläche von ca. 39.330 m².
Die Gemeinde durfte auch zur Verhinderung des vom Antragsteller zuletzt beantragten Vorhabens tätig werden. Nach § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB haben die Gemeinden die Bauleitpläne aufzustellen, sobald und soweit es für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung erforderlich ist. Es steht daher außer Frage, dass die Antragsgegnerin den Antrag des Antragstellers auf Verlegung („Translozierung“) des auf FlNr. 575/1 genehmigten Verbrauchermarkts zum Anlass nehmen durfte, im fraglichen Bereich planerisch aktiv zu werden (vgl. BVerwG, U. v. 24.11.1989 – 4 C 54/87 – ZfBR 1990, 95 = juris Ls. 1 und Rn.26, 31 ff.: Inkrafttreten eines Bebauungsplans nach der Stellung eines Vorbescheidsantrags). Die Gemeinde darf sich bei der Steuerung der städtebaulichen Entwicklung grundsätzlich von „gemeindepolitischen“ Motiven leiten lassen, sie darf unter Beachtung der dafür geltenden gesetzlichen Regeln Bauleitplanung nach ihren Vorstellungen betreiben (vgl. BVerwG, U. v. 19.2.2004 – 4 CN 16/03 – BVerwGE 120, 138 = juris Rn. 23). Für die Annahme, die Gemeinde könnte im vorliegenden Fall außerhalb des angesprochenen gesetzlichen Rahmens gehandelt haben, bietet der Sachverhalt keinerlei Anlass.
2.3.2 Entsprechendes gilt für die Behauptung, es läge eine „Verhinderungsplanung“ vor. Was nach der insoweit ausschlaggebenden Sicht der Gemeinde mit der hier verfolgten Bauleitplanung einschließlich der streitigen Veränderungssperre vor allem verhindert werden soll, ist eine städtebauliche Fehlentwicklung des Einzelhandels in Bezug auf Standorte und Sortimente im Gesamtort sowie die Ansiedlung von Vergnügungsstätten und Spielhallen im konkreten Plangebiet. Das sind legitime Ziele einer Bauleitplanung, vgl. die nach § 1 Abs. 6 Nr. 4, Nr. 8 Buchst. a und Nr. 11 BauGB bei der Aufstellung der Bauleitpläne insbesondere zu berücksichtigenden Gesichtspunkte und Belange. Dass im Rahmen dessen ganz bestimmte Vorstellungen einzelner Bauantragsteller „verhindert“ werden, liegt in der Natur der Sache jeglicher planerischer Aktivitäten. Der von Art. 14 Abs. 1 GG gewährte Schutz des Grundeigentums umfasst nicht die bestmögliche wirtschaftliche Verwertung desselben (vgl. BVerfG, B. v. 23.9.1992 – 1 BvL 15/85, 1 BvL 36/87 – BVerfGE 87, 114 = juris Rn. 99, 101, 117: Pachtpreisbindung für Kleingärten).
2.3.2 Der Erlass einer Veränderungssperre nach § 14 Abs. 1 BauGB und die Möglichkeit, nach § 15 BauGB bei der Baugenehmigungsbehörde die Zurückstellung von Baugesuchen zu beantragen, stehen untereinander nicht in einem Rangverhältnis. Es steht der Gemeinde grundsätzlich frei, sich für eines der beiden Sicherungsmittel zu entscheiden und entweder nur die Genehmigung oder Verwirklichung eines konkreten Vorhabens durch Verwaltungsakt verhindern oder unterbinden zu lassen oder einen über den Einzelfall hinaus allgemein gültigen, materiellen Versagungsgrund zu schaffen. Die Gemeinde darf sich bei ihrer Entscheidung für das im Einzelfall zu ergreifende Sicherungsinstrument am Gesichtspunkt der Erforderlichkeit orientieren (vgl. BayVerfGH, E. v. 21.6.2016 – Vf. 15-VII-15 – juris Rn. 52 unter Hinweis auf OVG Lüneburg, U. v. 16.6.1982 – 1 A 194/80 – BauR 1982, 557 f.: Beim Erlass einer Veränderungssperre findet prinzipiell keine „Abwägung“ statt; ebenso ist ein „Sicherungsermessen“ regelmäßig zu verneinen). Vor diesem Hintergrund hat sich die Antragsgegnerin rechtsfehlerfrei für das Instrument der Veränderungssperre entschieden. In der Vorlage zum Beschluss vom 8. April 2014 wird nachvollziehbar ausgeführt, dass zwar jeweils auch eine Zurückstellung von Bauanträgen beantragt werden könnte. Davon würden allerdings sonstige wertsteigernde Investitionen und alle nicht genehmigungs-, zustimmungs- oder anzeigepflichtigen Veränderungen nicht erfasst bzw. die Stadt müsste in jedem Einzelfall eine vorläufige Untersagung beantragt werden. Deshalb werde vorgeschlagen, eine Veränderungssperre für das Gewerbegebiet zu erlassen.
Die ursprüngliche Einschätzung der Antragsgegnerin, dass die Bauleitplanung für das Gewerbegebiet an der K. Straße wegen ihrer Einbindung in das integrierte städtebauliche Entwicklungskonzept für den Gesamtort längere Zeit beanspruchen werde als die auf zwölf Monate begrenzte Zurückstellung eines Baugesuchs gemäß § 15 BauGB, ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Der weitere Ablauf des Verfahrens bestätigt die Richtigkeit dieser Annahme.
Unabhängig davon handelt es sich in beiden Fällen um eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Inhalts- und Schrankenbestimmung des Grundeigentums (vgl. zur zweiten Verlängerung einer Veränderungssperre nach § 17 Abs. 2 BBauG: BVerwG, U. v. 10.9.1976 – IV C 39.74 – BVerwGE 51, 121 = juris Rn. 39).
3. Kosten: § 154 Abs. 1 VwGO. Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 167 VwGO, § 709 Satz 1, § 708 Nr. 11 ZPO.
4. Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.
Rechtsmittelbelehrung
Nach § 133 VwGO kann die Nichtzulassung der Revision durch Beschwerde zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig angefochten werden. Die Beschwerde ist beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (in München Hausanschrift: Ludwigstraße 23, 80539 München; Postfachanschrift: Postfach 34 01 48, 80098 München; in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach) innerhalb eines Monats nach Zustellung dieser Entscheidung einzulegen und innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieser Entscheidung zu begründen. Die Beschwerde muss die angefochtene Entscheidung bezeichnen. In der Beschwerdebegründung muss die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts, von der die Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden.
Vor dem Bundesverwaltungsgericht müssen sich die Beteiligten, außer in Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und Rechtslehrern an den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Hochschulen mit Befähigung zum Richteramt nur die in § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO und in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen. Für die in § 67 Abs. 4 Satz 5 VwGO genannten Angelegenheiten (u. a. Verfahren mit Bezügen zu Dienst- und Arbeitsverhältnissen) sind auch die dort bezeichneten Organisationen und juristischen Personen als Bevollmächtigte zugelassen. Sie müssen in Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht durch Personen mit der Befähigung zum Richteramt handeln.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf 10.000 Euro festgesetzt.
Gründe:
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 52 Abs. 1 und 8 GKG unter Berücksichtigung der Nr. 9.8.1 des Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ-Beilage 2013, 57).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben