Baurecht

Verpflichtung zu Bodenuntersuchungen – Ermessensfehlerhafte Störerauswahl – Sukzessive Gesamtrechtsnachfolge

Aktenzeichen  Au 3 K 16.1061

Datum:
18.9.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 26662
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BBodSchG § 4 Abs. 3, § 9 Abs. 2
VwGO § 114 S. 2

 

Leitsatz

1. Bei der Auswahl unter den nach § 4 Abs. 3 BBodSchG Verpflichteten liegt ein Ermessensfehler vor, wenn nicht alle in Betracht kommenden Störer in die Auswahl einbezogen werden oder bei einer Vielzahl von in Betracht kommenden Verursachern einer ausgewählt wird, ohne den Verursachungsbeiträgen der anderen nachzugehen. (Rn. 40) (redaktioneller Leitsatz)
2. In den Kreis der nach § 4 Abs. 3 BBodSchG potentiell Verpflichteten ist im Wege der sukzessiven Gesamtrechtsnachfolge auch die nachfolgende Erbengeneration einzubeziehen. (Rn. 42 – 47) (redaktioneller Leitsatz)
3. Das Eigentum am Grundstück bildet lediglich den Anknüpfungspunkt für die Zustandshaftung, begrenzt aber nicht die Reichweite der vom Pflichtigen zu treffenden Maßnahmen. Eine parzellengenaue Aufteilung der Handlungspflichten würde weder der grundstücksübergreifenden Verbreitung von Schadstoffen noch dem Gebot zur effektiven Gefahrenabwehr gerecht. (Rn. 50) (redaktioneller Leitsatz)
4. § 4 Abs. 3 S. 1 BBodSchG bestimmt keine Rangfolge der potentiell Verantwortlichen. Insbesondere gibt es keinen generellen abstrakten Vorrang des Handlungsstörers vor dem Zustandsstörer. Dies gilt erst recht im Verhältnis zwischen einem sukzessiven Gesamtrechtsnachfolger des Verhaltensstörers und einem Zustandsstörer. (Rn. 54) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Bescheid des Landratsamts … vom 13.6.2016 wird in Nr. 1 – 4.3 und Nr. 6 aufgehoben.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid des Landratsamts * vom 13. Juni 2016 ist in den Nr. 1 bis 4.3 sowie Nr. 6 rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Dieser Bescheid ist deshalb antragsgemäß in den genannten Nummern aufzuheben.
I.
Der angefochtene Bescheid, mit dem das Landratsamt die Klägerin zu einer auf das Gesetz zum Schutz vor schädlichen Bodenveränderungen und zur Sanierung von Altlasten (Bundes-Bodenschutzgesetz – BBodSchG) gestützten Detailuntersuchung (Nr. 1.1 des angegriffen Bescheids) und zu einer Gefährdungsabschätzung (Nr. 1.2 des angegriffenen Bescheids) verpflichtet hat, ist rechtswidrig, weil das Landratsamt bei seiner Auswahl unter den potentiell in Anspruch zu nehmenden Verpflichteten ermessensfehlerhaft den Eigentümer des hauptbetroffenen Grundstücks Fl.-Nr., von dem die festgestellten Bodenverunreinigungen ausgegangen sind, ausgeschieden hat (hierzu 2.). Dieser Ermessensfehler wurde auch nicht im Gerichtsverfahren durch das Nachschieben von Ermessenserwägungen nach § 114 Satz 2 VwGO behoben (hierzu 3.). Die Nebenanordnungen in Nr. 2 und 3, die Androhung der Zwangsgelder in Nr. 4.1 bis 4.3 sowie die Kostenentscheidung in Nr. 6 des angegriffenen Bescheides sind deswegen ebenfalls rechtswidrig (hierzu 4.).
1. Das Landratsamt hat die streitgegenständliche Verpflichtung der Klägerin zur Durchführung einer Detailuntersuchung und Gefährdungsabschätzung auf § 9 Abs. 2 BBodSchG gestützt. Danach kann die zuständige Behörde anordnen, dass die in § 4 Abs. 3, 5 und 6 BBodSchG genannten Personen die notwendigen Untersuchungen zur Gefährdungsabschätzung durchführen müssen, wenn aufgrund konkreter Anhaltspunkte der hinreichende Verdacht einer schädlichen Bodenveränderung oder einer Altlast besteht.
Das Landratsamt ist auf der Grundlage der vorliegenden Stellungnahmen des Sachverständigen * und des Wasserwirtschaftsamtes * sowie der historischen Erkundung der Firma *gesellschaft zu Recht davon ausgegangen, dass die Tatbestandsvoraussetzungen für die Anordnung einer Detailuntersuchung und Gefährdungsabschätzung vorliegen. Auf der Grundlage des § 9 Abs. 2 BBodSchG kann nicht nur die Vornahme der eigentlichen Detailuntersuchungen, sondern auch die Vorlage einer aus den Untersuchungsergebnissen abgeleiteten Gefährdungsabschätzung verlangt werden.
2. Der Heranziehung der Klägerin auf der Grundlage der § 9 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 4 Abs. 3 Satz 1 BBodSchG liegt eine ermessensfehlerhafte Auswahl der Verpflichteten durch das Landratsamt zugrunde.
a) Liegen die Tatbestandsvoraussetzungen des § 9 Abs. 2 BBodSchG vor, ist eine derartige Anordnung dann rechtmäßig, wenn sie an eine solche natürliche oder juristischer Person gerichtet ist, die nach dem Gesetz für die jeweilige bodenschutzrechtliche Maßnahme in Anspruch genommen werden darf, und wenn unter gegebenenfalls mehreren möglichen Verpflichteten eine nach dem Maßstab von Art. 40 BayVwVfG und § 114 Satz 1 VwGO ermessensfehlerfreie Auswahl getroffen worden ist. Gemäß § 9 Abs. 2 Satz 1 BBodSchG kann die Anordnung an eine der in § 4 Abs. 3, 5 und 6 BBodSchG genannten Personen gerichtet werden, die Pflichten zur Gefahrenabwehr haben. Dies sind der Verursacher einer schädlichen Bodenveränderung oder Altlast, dessen Gesamtrechtsnachfolger, der Grundstückseigentümer und der Inhaber der tatsächlichen Gewalt über ein Grundstück (§ 4 Abs. 3 Satz 1 BBodSchG). Ferner derjenige, der aus handelsrechtlichem oder gesellschaftsrechtlichem Rechtsgrund für eine juristische Person, der ein belastetes Grundstück gehört, einzustehen hat, und auch derjenige, der das Eigentum an einem belasteten Grundstück aufgibt (§ 4 Abs. 3 Satz 4 BBodSchG).
Das Gesetz bestimmt in § 4 Absatz 3 Satz 1 BBodSchG keine Rangfolge der dort genannten potentiell Verantwortlichen. Es gibt insbesondere keinen generellen abstrakten Vorrang des Handlungsstörers vor dem Zustandsstörer. Weil bei lange zurück liegenden Altlastenursachen ein noch existenter und vor allem solventer Verursacher oft nicht mehr identifizierbar ist, darf in solchen Fällen auch der Zustandsstörer in Anspruch genommen werden, wenn der Handlungsstörer nicht ohne unangemessenen und unzumutbaren Verwaltungsaufwand greifbar ist oder wenn aus faktischen, rechtlichen oder finanziellen Gründen eine Gefahrenbeseitigung durch ihn nicht gewährleistet ist. Ein Ermessensfehler liegt aber u.a. immer dann vor, wenn nicht alle in Betracht kommenden Störer in die Auswahl einbezogen werden oder bei einer Vielzahl von in Betracht kommenden Verursachern einer ausgewählt wird, ohne den Verursachungsbeiträgen der anderen nachzugehen (BayVGH, U.v. 30.1.2018 – 22 B 16.2099 -, NVwZ-RR 2018, 606/607 f., m.w.N.)
Ferner liegt ein Ermessensfehler vor, wenn sachfremde Erwägungen, die von der Norm nicht gedeckt sind, angestellt werden oder wenn an sich entscheidungserhebliche Gesichtspunkte missachtet werden (sog. Ermessensdefizit). Als sachfremde Erwägungen werden solche tatsächlich oder rechtlichen Umstände angesehen, die nach dem Zweck der Ermächtigungsnorm für die Entscheidung keine Bedeutung haben. Von einem Ermessensdefizit ist auszugehen, wenn die Behörde den Sachverhalt nicht komplett oder ordnungsgemäß aufgeklärt hat und es in Folge dessen an entscheidungserheblichen Tatsachen mindestens partiell fehlt. Insofern setzt die pflichtgemäße Ausübung des Ermessens bei der Störerauswahl stets voraus, dass der entscheidungserhebliche Sachverhalt einschließlich aller ernsthaft in Betracht kommenden Störer und ihre jeweilige Verantwortlichkeit sowie deren Möglichkeiten zur Beseitigung der Bodenverunreinigung zutreffend ermittelt und zur Grundlage der Störerauswahl gemacht wurden (VG Gelsenkirchen, B.v. 10.1.2018 – 9 L 3015/17 – juris Rn. 49, 53). Ob diese Grundsätze bei der Auswahlentscheidung beachtet wurden, unterliegt in dem durch § 114 VwGO gezogenen Rahmen der gerichtlichen Überprüfung.
b) Es ist nicht zu beanstanden, dass das Landratsamt die Klägerin als Gesamtrechtsnachfolgerin im Sinne des § 4 Abs. 3 Satz 1 BBodSchG in den Kreis der potentiell Verantwortlichen einbezogen hat, obwohl sie nicht unmittelbar Erbin des Verursachers ist, sondern nur Erbin der inzwischen verstorbenen Ehefrau, die ihrerseits unmittelbare Erbin des Verursachers war. Ob diese Konstellation der sogenannten „sukzessiven Gesamtrechtsnachfolge durch Erbfolge“ von der Regelung des § 4 Abs. 3 Satz 1 BBodSchG umfasst ist, ist – soweit ersichtlich -obergerichtlich noch nicht entschieden, sondern ausdrücklich offen gelassen worden (VGH Mannheim, U.v. 18.12.2012 – 10 S 744/12 – juris Rn. 49 f.; OVG Lüneburg, U.v.31.05.2016 – 7 LB 59/16 – juris Rn. 69 ff.).
aa) Den Streitstand referiert umfänglich VGH Mannheim, U.v. 18.12.2012 – 10 S 744/12 – juris Rn. 49 f.:
Die Gesetzesmaterialien verhalten sich nicht ausdrücklich zur sukzessiven Gesamtrechtsnachfolge im Gesellschafts- oder Erbrecht. Die Haftung des Gesamtrechtsnachfolgers war im ursprünglichen Entwurf des Bundesbodenschutzgesetzes nicht enthalten und wurde auf Betreiben des Bundesrats durch Vorschlag des Vermittlungsausschusses nachträglich eingefügt. Die Aufnahme des Gesamtrechtsnachfolgers in den Kreis der Verpflichteten sollte einerseits dem Verursacherprinzip stärker Rechnung tragen; zum anderen sollte für den Anwendungsbereich des Gesetzes die bislang umstrittene Rechtsfrage geklärt werden, ob eine Gesamtrechtsnachfolge in die abstrakte Verhaltensverantwortlichkeit stattfindet (vgl. BT-Drs. 13/6701 S. 51). Gleichwohl könnte die vom Gesetzgeber beabsichtigte Stärkung des Verursacherprinzips für die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts und des Klägers sprechen, dass auch nachfolgende Erbengenerationen heranzuziehen sind. Denn der dieses Prinzip tragende Gedanke, dass aus dem Vermögen des Verursachers die Kosten der Sanierung zu begleichen sind, greift grundsätzlich auch dann, wenn dieses Vermögen im Wege der Gesamtrechtsnachfolge ein- oder mehrmals übergegangen ist. Hinzu kommt, dass der Wortlaut des § 4 Abs. 3 Satz 1 BBodSchG nicht zwischen der gesellschaftsrechtlichen Gesamtrechtsnachfolge juristischer Personen und der Gesamtrechtsnachfolge bei natürlichen Personen durch Erbfall differenziert. Bei der gesellschaftsrechtlichen Gesamtrechtsnachfolge geht die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung aber ohne weiteres von einer sukzessiven Gesamtrechtsnachfolge aus (vgl. etwa BVerwG, Urt. v. 16.03.2006 a.a.O.; Senatsurteil vom 18.12.2007 a.a.O.; Senatsurteil vom 22.02.2005 – 10 S 1478/03 -, VBlBW 2005, 388). Bedenken gegen die Inanspruchnahme der nachfolgenden Erbengenerationen könnte dadurch Rechnung getragen werden, dass die Haftung der Erben – ähnlich wie beim Zustandsstörer – verfassungskonform auf den Wert des übernommenen Vermögens begrenzt wird.
Für die vom Beklagten vertretene Rechtsauffassung spricht hingegen, dass der Wortlaut des § 4 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. BBodSchG („Der Verursacher und dessen Gesamtrechtsnachfolger…“) auf den (oder die) Gesamtrechtsnachfolger des Verursachers Bezug nimmt. Nach allgemeiner Auffassung ist der Begriff des Gesamtrechtsnachfolgers zivilrechtlich geprägt. Die Vererblichkeit öffentlich-rechtlicher Verpflichtungen als solche bestimmt sich zwar nach öffentlichem Recht (vgl. Leipold in Münchener Kommentar, Bürgerliches Gesetzbuch, 3. Auflage, Band 9, Erbrecht, Einleitung Rn. 86 ff.; § 1967 Rn. 75 ff.); wann ein Fall der Gesamtrechtsnachfolge vorliegt, beantwortet sich aber unter Rückgriff auf das Zivilrecht (BVerwG, Urt. v. 16.03.2006 a.a.O.; Senatsbeschluss vom 11.12.2000 – 10 S 1188/00 – VBlBW 2001, 281 m.w.N.; Bickel; Bundes – Bodenschutzgesetz, Kommentar, 3.Aufl. Rn. 23; Frenz, BBodSchG Kommentar, 1. Aufl., § 4 Abs. 3 Rn. 57). Gesamtrechtsnachfolger ist diejenige natürliche oder juristische Person, die kraft gesetzlicher Anordnung oder vertraglicher Vereinbarung in die gesamten Rechte und Pflichten einer anderen Person eintritt. Die öffentlich-rechtliche Verantwortlichkeit nach § 4 Abs. 3 Satz 1 BBodSchG durch Gesamtrechtsnachfolge knüpft an jenen zivilrechtlichen Vorgang an, setzt also den Eintritt einer Rechtsnachfolge im Sinne des Zivilrechts voraus (Senatsbeschluss vom 11.12.2000 – a.a.O. m.w.N.; HessVGH, Urt. v. 09.09.1999 – 8 UE 656/95 – juris). Im Fall der Erbfolge tritt die Gesamtrechtsnachfolge durch den Erbfall ein (vgl. §§ 1922, 1967 BGB). Damit ist nur der unmittelbare Erbe Gesamtrechtsnachfolger des Erblassers; eine „sukzessive Gesamtrechtsnachfolge“ der zweiten und weiterer Erbengenerationen kennt das Erbrecht – unbeschadet eventueller Ausnahmen bei Vor- und Nacherbschaft – hingegen nicht. Zivilrechtlich gesehen ist die zweite Erbengeneration mithin nicht Gesamtrechtsnachfolger des Verursachers. Auch Sinn und Zweck der Regelung erfordern nicht zwingend eine zeitlich unbegrenzte Haftung der nachfolgenden Erbengenerationen, zumal sich die Erbfolge unter natürlichen Personen in wesentlichen Punkten von der gesellschaftsrechtlichen Gesamtrechtsnachfolge unterscheidet. Der innere Grund für die Haftung des Gesamtrechtsnachfolgers, das gefahrenabwehrrechtliche Verursacherprinzip, ist bei der Erbfolge nicht ohne weiteres tragfähig, weil die Erben gerade nicht die Verursacher der Bodenverunreinigung sind; vielmehr wird ihnen ein Verhalten des Verursachers zugerechnet (vgl. Spieth/Wolfers, NVwZ 1999, 355, 360; Joachim/Lange, ZEV 2011, 53). Die Gefahrennähe geht mit den ferneren Erbengenerationen zunehmend verloren. Ist Zurechnungsgrund aber nicht das eigene Verhalten, sondern die Übernahme des Vermögens des Verursachers, wäre verfassungsrechtlich wohl eine Begrenzung der Haftung auf das vom Verursacher übernommene Vermögen geboten (vgl. Spieth/Wolfers, NVwZ 1999, 355, 360; Joachim/Lange, ZEV 2011, 53); dies würde es mit sich bringen, dass die Behörde über den Verbleib des Vermögens – zwar nicht erfolglose, aber typischerweise aufwendige – Nachforschungen anstellen müsste, was dem Grundsatz der effektiven und raschen Gefahrenabwehr zuwiderliefe. Auch die Intention des Gesetzgebers, es den verantwortlichen Unternehmen durch die Sanierungspflichtigkeit der Gesamtrechtsnachfolger zu erschweren, sich der Verantwortung für Altlasten durch das Herbeiführen einer rechtsgeschäftlichen Gesamtrechtsnachfolge zu Lasten der Allgemeinheit zu entziehen, greift bei einer Gesamtrechtsnachfolge, die durch den Tod einer natürlichen Person eintritt, naturgemäß nicht ein. Anders als im Handels- und Gesellschaftsrecht passt auch der Gedanke der freiwilligen Risikoübernahme nicht. Im Unterschied zur gesellschaftsrechtlichen Gesamtrechtsnachfolge tritt die Gesamtrechtsnachfolge im Erbfall kraft Gesetzes ein. Die Möglichkeit zur Ausschlagung der Erbschaft ist zeitlich eng begrenzt (vgl. § 1944 BGB). Ansonsten kann der Erbe seine Haftung nur durch einen Antrag auf Nachlassverwaltung beschränken (§ 1981 BGB). Ungeachtet der Frage, ob ein solcher Antrag der zweiten und den nachfolgenden Erbengenerationen zumutbar ist, sind auch dem gewisse Grenzen gesetzt (Siegmann in Münchener Kommentar, Bürgerliches Gesetzbuch, 3. Auflage, Band 9 Erbrecht § 1981 Rn. 2 Fn. 4). Eine Gleichbehandlung des Erbfalls mit der gesellschaftsrechtlichen Gesamtrechtsnachfolge ist mithin nicht zwingend geboten.
bb) Die Kammer erachtet die Gründe, die für die Einbeziehung der nachfolgenden Erbengenerationen in den Kreis der potentiell Pflichtigen im Wege der sukzessiven Gesamtrechtsnachfolge sprechen, für überzeugender. Zum einen entspricht es dem Verursacherprinzip, das Vermögen des Verursachers, das im Wege der sukzessiven Gesamtrechtsnachfolge übergegangen ist, zur Beseitigung von schädlichen Bodenveränderungen und Altlasten heranzuziehen. Dabei ist zu sehen, dass das so übergegangene Vermögen des Verursachers geringer ausgefallen wäre, wenn dieser die notwendigen und oft kostspieligen Vorkehrungen gegen die eingetretenen schädlichen Bodenveränderungen getroffen hätte. Zudem überzeugt es nicht, dass der in § 4 Abs. 3 Satz 1 BBodSchG enthaltene Begriff des Gesamtrechtsnachfolgers zivilrechtlich geprägt sein soll, da sich der Übergang der Verhaltensstörerhaftung nach dieser bodenschutzrechtlichen Bestimmung und damit nach öffentlichem Recht richten soll. Zum anderen ist letztlich kein wesentlicher Unterschied zur gesellschaftlichen Gesamtrechtsnachfolge zu erkennen, für die die sukzessive Gesamtrechtsnachfolge bedenkenlos anerkannt ist (bspw. BVerwG, U.v. 16.3.2006 – 7 C 3/05 -, BVerwGE 125, 325; VGH Mannheim, U.v. 18.12.2007 – 10 S 2351/06 – juris). Überdies wird dadurch verhindert, dass sich potentiell Pflichtige durch die Möglichkeiten der Testamentsgestaltung der Polizeipflichtigkeit entziehen könnten.
cc) Gleichwohl verkennt das Gericht nicht, dass bei zunehmender Zahl von Erbfällen, die zwischen dem ursprünglichen Verursacher und dem als Gesamtrechtsnachfolger potentiell Pflichtigen liegen, einerseits die der Inanspruchnahme zugrundeliegende Verbindung aus dem Verursacherprinzip zunehmend schwächer wird und andererseits der Verwaltungsaufwand für die Identifizierung der Gesamtrechtsnachfolger und des in die Haftung einbeziehbaren Vermögens immer mehr zunimmt, je mehr Erbfolgen zwischen dem Verursacher und dem sukzessiven Gesamtrechtsnachfolger liegen. Diese Erkenntnis muss aber nicht dazu führen, die nachfolgenden Erbengenerationen a priori aus der Gesamtrechtsnachfolge im Sinne des § 4 Abs. 3 Satz 1 BBodSchG auszuschließen. Vielmehr können diese Umstände im Rahmen der Verhältnismäßigkeit bei der Störauswahl adäquat berücksichtigt werden.
c) Nicht zu beanstanden ist auch, dass die Firma * GmbH & Co. KG aus dem Kreis der potentiell Pflichtigen ausgeschieden wurde; insoweit liegt kein Ermessensfehler vor. Das Landratsamt ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Firma * GmbH & Co. KG auch in Ansehung des Unternehmenskaufes nicht als Gesamtrechtsnachfolger des Verursachers in die Adressatenauswahl einzubeziehen war. Denn ein derartiger Unternehmenskaufvertrag stellt einen gesetzlichen Schuldbeitritt dar, der gerade keine Gesamtrechtsnachfolge im Sinne des § 4 Abs. 3 S. 1 BBodSchG ist (vgl. Giesberts/Hilf, BeckOK UmweltR, 47. Edition 1.7.2018, § 4 BBodSchG Rn. 27). Dass die Firma * GmbH & Co. KG nicht als Handlungstörer in die Störerauswahl einbezogen wurde, ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Dass die Eigenverbrauchstankstelle nach dem Unternehmenskauf faktisch von der Firma * GmbH & Co. KG mehr als geringfügig weiterbetrieben worden wäre, obwohl die relevanten Grundstücke nicht in den Unternehmenskauf einbezogen waren und im Eigentum des * verblieben, konnte bei der durchgeführten historischen Untersuchung nicht hinreichend sicher festgestellt werden.
d) Der Heranziehung der Klägerin auf der Grundlage der § 9 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 4 Abs. 3 BBodSchG liegt keine ermessensfehlerfreie Auswahl der Verpflichteten durch das Landratsamt zugrunde, weil die Inanspruchnahme der Zustandsverantwortlichen mit unzutreffenden Erwägungen ausgeschlossen wurde und damit im Sinne der oben dargelegten Kriterien ermessensfehlerhaft war.
Zwar hat das Landratsamt vorliegend zunächst sowohl die Klägerin und den Kläger im Verfahren Au 3 K 16.1089 als (sukzessive) Gesamtrechtsnachfolger des Verursachers * als auch die betroffenen Grundstückseigentümer als Zustandsverantwortliche in die Störerauswahl einbezogen. Anschließend wurde jedoch die Inanspruchnahme der Zustandsverantwortlichen mit unzutreffenden Erwägungen – und damit ermessensfehlerhaft – ausgeschlossen. Das Landratsamt erachtete die Inanspruchnahme der Zustandsverantwortlichen deshalb nicht für wirtschaftlich, zielführend und insgesamt effizient, weil sich der Schaden über mehrere Grundstücke erstrecke, die Zustandsverantwortlichen aber nur für ihr jeweiliges Grundeigentum herangezogen werden könnten. Diese der behördlichen Auswahlentscheidung zugrunde liegende rechtliche Überlegung ist jedoch nicht tragfähig. Denn das Eigentum am Grundstück bildet lediglich den Anknüpfungspunkt für die Zustandshaftung, begrenzt aber nicht die Reichweite der vom Pflichtigen zu treffenden Maßnahmen. Eine Beschränkung der Pflichten nach dem Bundes-Bodenschutzgesetz auf den räumlichen Bereich des Grundstücks würde nämlich der Tatsache, dass das Grundwasser typischerweise fließt, mithin nicht örtlich gebunden ist, und die Verbreitung von Schadstoffen damit nicht an Grundstücksgrenzen Halt macht, nicht Rechnung tragen. Im Übrigen ließen sich eine parzellengenaue Aufteilung der Handlungspflichten nach dem Bundes-Bodenschutzgesetz auch schwerlich mit dem Gebot zur effektiven Gefahrenabwehr in Einklang bringen (vgl. zum Ganzen mit ausführlicher und überzeugender Begründung VG Ansbach, U.v. 20.4.2016 – An 9 K 15.02552 – juris Rn. 105 f.). Der zivilrechtlich begrenzten Verfügungsmacht des einzelnen Grundstückseigentümers kann durch die Anordnung von Duldungspflichten gegenüber den anderen Grundstückseigentümern Rechnung getragen werden (vgl. die Duldungsanordnungen unter 5.1, 5.2 und 5.3 des angefochtenen Bescheids).
3. Dieser Ermessensfehler wurde vorliegend auch nicht gemäß § 114 Satz 2 VwGO durch die seitens des Landratsamtes in der mündlichen Verhandlung angestellten ergänzenden Erwägungen behoben.
a) Die ergänzenden Ausführungen des Landratsamts zur Störerauswahl sind in die rechtliche Prüfung einzubeziehen. Nach § 114 Satz 2 VwGO kann die Verwaltungsbehörde ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des angefochtenen Verwaltungsakts auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen. Nach Art. 45 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 BayVwVfG kann die erforderliche Begründung eines Verwaltungsakts bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz nachgeholt werden. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass die Ergänzung von Ermessenserwägungen durch die Behörde gemäß § 114 Satz 2 VwGO, sofern im einschlägigen materiellen Recht und Verwaltungsverfahrensrecht dafür eine Rechtsgrundlage eröffnet ist, keinen verfassungsrechtlichen Bedenken unterliegt (vgl. BVerwG, B.v. 30.4.2010 – 9 B 42.10 – NVwZ-RR 2010, 550; BVerwG, U.v. 5.5.1989 – 1 C 17.97 – BVerwGE 106, 351/363 ff.). Damit ist allerdings kein uneingeschränktes Nachschieben von Ermessenserwägungen eröffnet, insbesondere nicht deren vollständige Nachholung oder Auswechslung, sondern nur die Ergänzung einer zumindest ansatzweise bereits vorhandenen Ermessensentscheidung (BVerwG, U.v. 5.5.1998 a.a.O). So liegt es hier. Das Landratsamt hat im angegriffenen Bescheid Ermessenserwägungen zur Störerauswahl angestellt. Die Zustandsverantwortlichen sind auch zunächst in den Kreis der potentiellen Pflichtigen einbezogen, dann aber letztlich aus nicht tragfähigen rechtlichen Erwägungen ausgeschlossen worden. Demnach konnte das Landratsamt in der mündlichen Verhandlung seine Erwägungen, weshalb es eine Heranziehung der Zustandsverantwortlichen nicht zielführend erachtet, noch ergänzen.
b) Allerdings sind auch die in der mündlichen Verhandlung angestellten ergänzenden Erwägungen des Landratsamts ermessensfehlerhaft.
aa) Soweit das Landratsamt sich in der mündlichen Verhandlung darauf gestützt hat, dass es eine Rangfolge der heranzuziehenden Störer gebe, wonach die Haftung des Verhaltensstörers bzw. seines Gesamtrechtsnachfolgers grundsätzlich oder im Regelfall gegenüber der Heranziehung des Zustandsstörers vorrangig sei, steht dies im Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs. Nach dieser Rechtsprechung bestimmt § 4 Abs. 3 Satz 1 BBodSchG gerade keine Rangfolge der dort genannten potentiellen Verantwortlichen. Es gibt insbesondere keinen generellen abstrakten Vorrang des Handlungsstörers vor dem Zustandsstörer (BVerwG, B.v. 16.2.2017 – 7 B 16/16 – juris Rn. 7; BayVGH, U.v. 30.1.2018 – 22 B 16.2099 – NVwZ-RR 2018, 606/607, jeweils m.w.N.). Dies gilt erst recht im Verhältnis zwischen einem sukzessiven Gesamtrechtsnachfolger des Verhaltensstörers und einem Zustandsstörer. Vielmehr ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts für die behördliche Auswahlentscheidung allein die Effektivität der Maßnahme zur Beseitigung der schädlichen Bodenveränderung maßgeblich (BVerwG, B.v. 7.8.2013 – 7 B 9/13 – juris; BVerwG, B.v. 16.2.2017 – 7 B 16/16 – Rn. 6 juris).
Nichts anderes ergibt sich aus der Gesetzesbegründung zu § 4 Abs. 3 BBodSchG. Denn auch wenn dort davon die Rede ist, dass die Reihenfolge der Verantwortlichen in § 4 Abs. 3 Satz 1 BBodSchG im Regelfall die Rangfolge der Verpflichtung angebe, wird dies in den nächsten Sätzen dahingehend relativiert, dass die Effektivität der Gefahrenabwehr als Grund, von dieser Rangfolge abzuweichen, in den Vordergrund gerückt wird (BT-Drs. 13/6701 S. 35). Damit steht die Gesetzesbegründung, die ja ohnehin nur einer der bei der Auslegung der Norm in den Blick zu nehmenden Faktoren ist, der zitierten Rechtsprechung nicht entgegen. Überdies ergibt sich aus der zitierten Stelle jedenfalls im Hinblick auf ein etwaiges Rangverhältnis von Gesamtrechtsnachfolger und Zustandsverantwortlichem schon deshalb nichts, weil die Gesetzesbegründung den Gesamtrechtsnachfolger noch gar nicht im Blick hatte. Der Gesamtrechtsnachfolger wurde erst später im Gesetzgebungsverfahren in die Vorschrift des § 4 Abs. 3 Satz 1 BBodSchG aufgenommen.
bb) Soweit sich das Landratsamt in der mündlichen Verhandlung ergänzend darauf gestützt hat, dass vorliegend deshalb die Gesamtrechtsnachfolger des Handlungsstörers vorrangig heranzuziehen gewesen seien, weil man sich noch im Stadium vor den Detailuntersuchungen befinde, keine Gefährdungsabschätzung vorliege und die Auswirkungen der Bodenverunreinigung auf dem zentralen Grundstück auf die benachbarten Grundstücke noch nicht ausermittelt seien, ist darauf hinzuweisen, dass es für das Verfahrensstadium vor der Detailuntersuchung gerade typisch ist, dass der Sachverhalt noch nicht vollständig ermittelt ist. Weshalb die Heranziehung der Gesamtrechtsnachfolger aber deshalb effektiver sein soll als die Heranziehung der Zustandsverantwortlichen, erschließt sich für das Gericht nicht. Zur Klarstellung wird angemerkt, dass es im vorliegenden Fall denkbar erscheint, dass sowohl die beiden Gesamtrechtsnachfolger des Verhaltensstörers als auch der Eigentümer des hauptsächlich betroffenen Grundstücks Fl.-Nr. * gemeinsam als Gesamtschuldner zur Gefahrenabwehr nach dem Bodenschutzrecht herangezogen werden.
cc) Soweit das Landratsamt seine Auswahlentscheidung schließlich darauf stützen will, die Haftung des Zustandsstörers sei grundsätzlich auf den Wert seines Grundstücks beschränkt, handelt es sich im Hinblick auf die Anordnung der Detailuntersuchung und Gefährdungsabschätzung ebenfalls um eine nicht stichhaltige Erwägung. Zwar ist richtig, dass die bodenschutzrechtliche Haftung des Zustandsverantwortlichen aus verfassungsrechtlichen Gründen auf den Wert des Grundstücks beschränkt ist (vgl. BVerfG, B.v. 16.2.2000 – 1 BvR 242/91 – BVerfGE 102, 1). Angesichts dessen, dass die voraussichtlichen Kosten der angeordneten Detailuntersuchungen nach eigener Einschätzung des Landratsamtes voraussichtlich zwischen 15.000,- und 30.000,- EUR liegen werden, erscheint es fernliegend, dass diese Kosten den Wert der einzelnen Grundstücke der Zustandsverantwortlichen übersteigen, zumal diese innerorts gelegen sind und damit jedenfalls nach der Sanierung bebaubar sein dürften. Etwas anderes wurde auch beklagtenseits nicht geltend gemacht.
Ob diese Erwägung bei der künftigen Entscheidung des Landratsamts über die Pflicht zur tatsächlichen Sanierung tragfähig ist, ist im vorliegenden Verfahren, in dem es nur um die Detailuntersuchung und Gefährdungsabschätzung geht, nicht zu entscheiden.
4. Da der angegriffene Bescheid aufgrund dieses Ermessensfehlers in Ziffer 1.1 und 1.2 aufzuheben war, sind auch die darauf fußenden Nebenanordnungen der Ziffern 2 und 3 des Bescheides, die Zwangsgeldandrohungen der Nr. 4.1 bis 4.3 und die Kostenentscheidung der Nr. 6 des Bescheids rechtswidrig und daher aufzuheben.
II.
Die Entscheidung über die Kosten ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO, § 708 ff. ZPO.


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