Baurecht

Verpflichtungsklage auf Erlass einer bauordnungsrechtlichen Beseitigungsanordnung gegen eine genehmigte Anlage

Aktenzeichen  2 L 110/20

Datum:
22.2.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt 2. Senat
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:OVGST:2022:0222.2L110.20.00
Normen:
§ 79 Abs 1 BauO ST
§ 43 VwVfG ST
Spruchkörper:
undefined

Leitsatz

1. Aus der Legalisierungswirkung einer wirksam erteilten Baugenehmigung ergibt sich ein formeller Bestandsschutz mit der Folge, dass ein Einschreiten der Bauaufsichtsbehörde gegen die Anlage erst nach einer unanfechtbaren oder zumindest für sofort vollziehbar erklärten Aufhebung der Baugenehmigung erfolgen darf.(Rn.8)

2. Hierfür reicht die Wirksamkeit der Baugenehmigung aus.(Rn.8)

3. Eine Bestandskraft der Baugenehmigung in dem Sinne, dass sie nicht mehr mit Rechtsbehelfen angefochten werden kann, ist nicht erforderlich.(Rn.8)

Verfahrensgang

vorgehend VG Halle (Saale), 23. September 2020, 2 A 107/18 HAL, Urteil

Tenor

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Halle – 2. Kammer – vom 7. September 2020 wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsmittelverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die nicht für erstattungsfähig erklärt werden.
Der Streitwert für das Rechtsmittelverfahren wird auf 7.500 € festgesetzt.

Gründe

I.
Der Kläger begehrt bauaufsichtliches Einschreiten gegen eine von der Beigeladenen betriebenen Prismenwendeanlage.
Die Beklagte erteilte der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen unter dem 14. November 2005 eine Baugenehmigung für die Errichtung einer Prismenwendeanlage mit Wechselflächen und Beleuchtung auf dem Nachbargrundstück des Klägers. Die Beigeladene errichtete die Werbeanlage jedoch nicht am Standort, der in der Baugenehmigung vorgesehen war, sondern um einige Meter in den – von der erschließenden Straße aus gesehen – rückwärtigen Bereich versetzt und mit weiteren Abweichungen von der Baugenehmigung. Unter dem 24. April 2012 erteilte die Beklagte der H. GmbH, deren Alleingesellschafter der Kläger ist, die Baugenehmigung für einen „Media Tower“ mit zwei LED-Werbeflächen auf dem Grundstück des Klägers. Der Werbeturm wurde im Jahr 2014 errichtet. Mit Schreiben vom 17. Februar 2016 beantragte der Kläger bei der Beklagten den Rückbau der Prismenwendeanlage der Beigeladenen, die jedenfalls aus einer bestimmten Perspektive die Werbefläche der Anlage auf seinem Grundstück teilweise überdeckt. Unter dem 22. März 2016 erteilte die Beklage der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen eine nachträgliche Baugenehmigung für die bereits errichtete Prismenwendeanlage. Gegen die Baugenehmigung erhob der Kläger Widerspruch. Mit Bescheid vom 25. Mai 2016 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Beseitigung der Prismenwendeanlage ab. Den Widerspruch des Klägers gegen diesen Bescheid wies das Landesverwaltungsamt mit Bescheid vom 25. Juli 2018 zurück. Am 2. August 2018 hat der Kläger die vorliegende Klage erhoben. Mit Bescheid vom 28. August 2018 hat das Landesverwaltungsamt auch den Widerspruch des Klägers gegen die Baugenehmigung zurückgewiesen. Gegen die Baugenehmigung wendet sich der Kläger im Parallelverfahren 2 L 111/20 (erstinstanzlich: 2 A 120/18 HAL).
Das Verwaltungsgericht hat die Klage, mit welcher der Kläger begehrt, die Beklagte zum bauaufsichtlichen Einschreiten in Gestalt einer bauordnungsrechtlichen Beseitigungsverfügung gegen die Prismenwendeanlage der Beigeladenen zu verpflichten, mit Urteil vom 17. September 2020 abgewiesen. Die Klage habe schon deshalb keinen Erfolg, weil die in Rede stehende Anlage durch die nachträglich erteilte Baugenehmigung legalisiert sei. Eine Verletzung nachbarschützender Vorschriften liege nicht vor. Insoweit werde auf die Entscheidungsgründe in dem am gleichen Tag ergangenen Urteil in der Sache 2 A 120/18 HAL Bezug genommen, in dem das Verwaltungsgericht die Klage auf Aufhebung der Baugenehmigung abgewiesen hat. Die Entscheidung der Beklagten, das bauaufsichtliche Einschreiten abzulehnen, sei auch ermessensgerecht. Die Beklagte habe in Gestalt des Widerspruchsbescheides das ihr obliegende Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung ausgeübt.
II.
1. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
Die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bestehen nicht. Solche Zweifel liegen nur dann vor, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt worden sind (vgl. BVerfG, Beschluss vom 16. Juli 2013 – 1 BvR 3057/11 – juris Rn. 36 m.w.N.). Eine Zulassung der Berufung scheidet auch dann aus, wenn sich das angefochtene Urteil aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig darstellt (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. März 2004 – 7 AV 4.03 – juris Rn. 7; SächsOVG, Beschluss vom 5. Januar 2022 – 6 A 826/19 – juris Rn. 2).
Der Kläger trägt vor: Das erstinstanzliche Urteil stelle die Voraussetzungen für einen Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten zwar richtig dar, subsumiere aber fehlerhaft. Das Urteil leide unter ganz erheblichen Begründungsmängeln. Eine Prüfung des Ermessens nach § 114 VwGO habe überhaupt nicht stattgefunden. Auch der Verweis auf den Widerspruchsbescheid gehe fehl, weil dieser gerade keine Ermessenserwägungen anstelle, sondern feststelle, dass nach nachträglicher Baugenehmigung die Voraussetzungen für ein Einschreiten auf Tatbestandsseite schon nicht vorlägen. Im Wesentlichen stütze sich das Urteil auf die Feststellungen und Entscheidungsgründe im Parallelverfahren. Das Urteil im Parallelverfahren habe aber richtigerweise von der Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung ausgehen müssen. Sodann macht der der Kläger mit diversen Einwänden die Unrichtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts im Verfahren 2 A 120/18 HAL geltend.
Diese Einwände greifen nicht durch. Das angefochtene Urteil ist jedenfalls im Ergebnis richtig. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten in Form einer Verfügung zur Beseitigung der Prismenwendeanlage der Beigeladenen. Bereits die Tatbestandsvoraussetzungen des § 79 Satz 1 BauO LSA für die vom Kläger begehrte Anordnung der Beseitigung dieser Anlage sind nicht erfüllt, weil die Anlage nicht in Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften steht. Ein Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften setzt voraus, dass die Anlage seit ihrer Fertigstellung fortdauernd gegen materielles öffentliches Recht verstößt und nicht durch eine Baugenehmigung gedeckt wird. Die Beseitigung einer baulichen Anlage, die mit dem materiellen öffentlichen Recht nicht übereinstimmt, kann nicht angeordnet werden, wenn die Anlage einer wirksam erteilten und noch fortgeltenden Baugenehmigung entspricht. Solange eine Baugenehmigung nicht vollziehbar aufgehoben oder – etwa durch nachträgliche Auflagen – inhaltlich geändert worden ist, kann nicht mit Erfolg geltend gemacht werden, die Anlage entspreche nicht dem materiellen Baurecht (vgl. Beschluss des Senats vom 30. November 2006 – 2 M 264/06 – juris Rn. 2; SächsOVG, Urteil vom 22. Dezember 2017 – 1 A 111/15 – juris Rn. 39; BayVGH, Urteil vom 14. Juli 1978 – 176 II 76 – juris Rn. 28; VG Schleswig, Beschluss vom 6. Januar 2021 – 8 B 27/20 – juris Rn. 43; VG Würzburg, Beschluss vom 29. März 2010 – W 5 E 10.138 – juris Rn. 20; VG Düsseldorf, Urteil vom 30. Januar 2020 – 28 K 12588/17 – juris Rn. 125). Eine Ausnahme kommt lediglich in Betracht, wenn von der betroffenen Anlage eine konkrete Gefahr ausgeht, etwa wenn ein Gebäude einsturzgefährdet ist (vgl. Beschluss des Senats vom 30. November 2006, a.a.O.; BayVGH, a.a.O.).
Für die Prismenwendeanlage besteht mit dem Bescheid vom 22. März 2016 eine wirksame Baugenehmigung (§ 1 Satz 1 VwVfG LSA i.V.m. § 43 VwVfG). Die Baugenehmigung enthält die verbindliche Feststellung, dass dem Vorhaben öffentlich-rechtliche Vorschriften, die im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen sind, nicht entgegenstehen. Aus der Legalisierungswirkung dieser wirksam erteilten Baugenehmigung ergibt sich ein formeller Bestandsschutz mit der Folge, dass ein Einschreiten der Bauaufsichtsbehörde gegen die Anlage erst nach einer unanfechtbaren oder zumindest für sofort vollziehbar erklärten Aufhebung der Baugenehmigung erfolgen darf (vgl. SächsOVG, a.a.O.). Eine Bestandskraft der Baugenehmigung in dem Sinne, dass sie nicht mehr mit Rechtsbehelfen angefochten werden kann, ist hierfür nicht erforderlich. Ausreichend ist insoweit ein formeller Bestandsschutz, der aus einer wirksamen Baugenehmigung resultiert (vgl. hierzu Urteil des Senats vom 16. August 2007 – 2 L 94/05 – juris Rn. 51). Soweit aus dem vom Verwaltungsgericht zitierten Beschluss des Senats vom 18. Februar 2015 – 2 L 22/13 – juris Rn. 46), in dem es heißt, ein Anspruch des Nachbarn auf bauaufsichtliches Einschreiten setzte u.a. voraus, dass die bauliche Anlage nicht durch eine „bestandskräftige“ Baugenehmigung gedeckt sei, Abweichendes hervorgehen sollte, hält der Senat daran nicht mehr fest. Widerspruch und die Anfechtungsklage eines Dritten gegen die Baugenehmigung ändern an deren Wirksamkeit und dem Eintreten des formellen Bestandsschutzes nichts. Ohne eine Aufhebung der Baugenehmigung oder einen anderweitigen Verlust der Wirksamkeit kann die Beseitigung der Anlage nicht angeordnet werden, und zwar unabhängig davon, ob die Baugenehmigung materiell rechtmäßig oder rechtswidrig ist.
Sind bereits die tatbestandlichen Voraussetzungen für ein bauaufsichtliches Einschreiten nicht erfüllt, so sind die Einwände des Klägers gegen die Ermessenserwägungen in den angefochtenen Bescheiden und gegen die Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts Halle im Parallelverfahren 2 A 120/18 HAL unerheblich.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht aus Billigkeitsgründen für erstattungsfähig zu erklären, weil die Beigeladene keinen Antrag gestellt und daher auch kein Kostenrisiko übernommen hat.
3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 1 GKG. Der Senat folgt der erstinstanzlichen Entscheidung.
4. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 66 Abs. 3 Satz 3, 68 Abs. 1 Satz 5 GKG).


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