Baurecht

Verstoß einer Werbeanlage gegen das Verunstaltungsgebot

Aktenzeichen  AN 9 K 16.00421

Datum:
22.11.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO BayBO Art. 8, Art. 68 Abs. 1 S. 1 Hs. 2

 

Leitsatz

1 Unter dem Begriff der Verunstaltung im Sinne des Art. 8 BayBO ist ein hässlicher, das ästhetische Empfinden des für solche Eindrücke aufgeschlossenen Betrachters nicht bloß beeinträchtigender, sondern verletzender Zustand zu verstehen. Er bedeutet nicht nur Störung der architektonischen Harmonie, vielmehr muss die optische Situation als belastend oder Unlust erregend empfunden werden.  (redaktioneller Leitsatz)
2 Soll eine Werbeanlage an einer Gebäudewand oder unmittelbar vor einer solchen errichtet werden, kann ein Verstoß gegen das umgebungsbezogene Verunstaltungsverbot in Art. 8 S. 2 BayBO in Betracht kommen, wenn die Werbeanlage das Gebäude und durch dieses die Umgebung verunstaltet. Eine Werbeanlage verunstaltet ihren Anbringungsort, wenn sie die entsprechende Wand zu einem Werbeträger herabwürdigt bzw. umfunktioniert oder einem vorhandenen ruhigen Erscheinungsbild einen Fremdkörper aufsetzt, der zu seiner Umgebung in keiner Beziehung steht und es damit empfindlich stört.  (redaktioneller Leitsatz)
3 Eine Verunstaltung kann auch angenommen werden, wenn die Werbeanlage vor oder an eine bauliche Anlage ohne Rücksicht auf deren Gestalt und Gestaltung gesetzt wird, wenn sich die Kanten der Werbeanlage mit den Konturen der vorhandenen baulichen Anlage überschneiden oder wenn die Werbeanlage die andere bauliche Anlage, an der sie angebracht wird, deutlich dominiert und so zur Hauptsache wird, wenn sie also mit ihrer Größe in einem Missverhältnis zu ihrem Anbringungsort steht. Eine Werbeanlage, die nach den genannten Kriterien die Architektur eines Gebäudes in verunstaltender Weise stört, verunstaltet damit zugleich auch das (engere) Ortsbild. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
1. Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 7. März 2016 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Ihr steht ein Anspruch auf Erteilung der beantragten Baugenehmigung für die Errichtung einer Werbeanlage für wechselnde Fremdwerbung auf dem Grundstück FlNr. … Gemarkung … der Gemeinde … zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht zu.
Bei dem beantragten Vorhaben („Errichtung einer Werbeanlage für wechselnde Fremdwerbung“) handelt es sich um eine ortsfeste Anlage der Wirtschaftswerbung, die gemäß Art. 2 Abs. 1 Satz 2 BayBO als eigenständige bauliche Anlage gilt und deren Errichtung nach Art. 55 BayBO genehmigungspflichtig ist. Nach Art. 68 Abs. 1 Satz 1 1. Hs. BayBO muss die Bauordnungsbehörde die Baugenehmigung erteilen, wenn dem Vorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften widersprechen, die Gegenstand des Baugenehmigungsverfahrens sind. Art. 68 Abs. 1 Satz 1 2. Hs. BayBO gibt der Baugenehmigungsbehörde indes die Möglichkeit, den Bauantrag auch dann abzulehnen, wenn das Vorhaben gegen sonstige öffentlich-rechtliche Vorschriften verstößt. Einschlägig ist im vorliegenden Fall das vereinfachte Baugenehmigungsverfahren gemäß Art. 59 BayBO, weil es sich bei der beantragten Werbeanlage nicht um einen Sonderbau im Sinne des Art. 2 Abs. 4 BayBO handelt. Zu beurteilen ist sie daher gemäß Art. 59 Satz 1 Nr. 1 Alt. 1 BayBO anhand der Vorschriften über die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit (§§ 29 ff. BauGB) sowie gemäß Art. 59 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2 BayBO nach den Regelungen örtlicher Bauvorschriften im Sinne des Art. 81 Abs. 1 BayBO. Da der Beklagte den Ablehnungsbescheid vom 7. März 2016 auch auf Art. 8 Satz 1 und 2 BayBO gestützt hat und insofern von seinem Ablehnungsrecht aus Art. 68 Abs. 1 Satz 1 2. Hs. BayBO Gebrauch gemacht hat, sind auch diese Vorschriften Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung.
Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit der geplanten Werbeanlage im unbeplanten Innenbereich nach § 34 BauGB kann im vorliegenden Fall dahinstehen. Die Werbeanlagensatzung der Gemeinde … steht der Werbeanlage – ohne dass es hierauf ankommt – zwar nicht entgegen. Diese verstößt aber gegen das Verunstaltungsverbot des Art. 8 BayBO.
1.1 Die Werbeanlagensatzung der Beigeladenen vom 29. April 2015, die in den §§ 2 und 3 Werbeanlagen für Fremdwerbung auf den Grundstücken an den Hauptdurchfahrtsstraßen verbietet, kann dem streitgegenständlichen Vorhaben nicht entgegengehalten werden. Diese Regelungen sind nach dem Urteil der Kammer vom 22. November 2016, Az.: AN 9 K 15.02380 – juris, unwirksam, wegen der Einzelheiten wird auf diese Entscheidung verwiesen.
1.2 Die geplante Werbeanlage verstößt jedoch gegen das Verunstaltungsverbot des Art. 8 BayBO. Art. 8 Satz 1 BayBO regelt, dass bauliche Anlagen nach Form, Maßstab, Verhältnis der Baumassen und Bauteile zueinander, Werkstoff und Farbe so gestaltet sein müssen, dass sie nicht verunstaltet wirken. Nach Satz 2 dürfen bauliche Anlagen das Straßen-, Orts- und Landschaftsbild nicht verunstalten. Art. 8 BayBO hat als Norm des Bauordnungsrechts die Funktion, Auswüchse zu unterbinden, nicht jedoch bestimmte ästhetische Wertvorstellungen zur Gestaltung des Stadt- bzw. Ortsbildes zu verwirklichen (vgl. BayVGH, U.v. 21.2.1995 – 14 B 92.2128; U.v. 11.8.2006 – 26 B 05.3024; Simon/Busse, BayBO, Art. 8, Rn. 53 m. w. N.). Dementsprechend ist unter dem Begriff der Verunstaltung ein hässlicher, das ästhetische Empfinden des für solche Eindrücke aufgeschlossenen Betrachters nicht bloß beeinträchtigender sondern verletzender Zustand zu verstehen. Er bedeutet nicht nur Störung der architektonischen Harmonie, vielmehr muss die optische Situation als belastend oder Unlust erregend empfunden werden (vgl. BayVGH, U.v.25.7.2002, 2 B 02.164; B.v. 12.5.2014, 2 ZB 12.2498). Soll eine Werbeanlage an einer Gebäudewand oder – wie im vorliegenden Fall – unmittelbar vor einer solchen errichtet werden, kann ein Verstoß gegen das umgebungsbezogene Verunstaltungsverbot in Art. 8 Satz 2 BayBO in Betracht kommen, wenn die Werbeanlage das Gebäude und durch dieses die Umgebung verunstaltet (vgl. BayVGH, B.v. 16.2.2016 – 2 ZB 15.2503; Schwarzer/König, BayBO, Art. 8, Rn. 9). Es entspricht gefestigter Rechtsprechung, dass eine Werbeanlage ihren Anbringungsort verunstaltet, wenn sie die entsprechende Wand zu einem Werbeträger herabwürdigt bzw. umfunktioniert (vgl. BayVGH, B.v.24.9.2002 – 14 ZB 02.1849; U.v. 28.10.2014 – 15 B 12.2765; U.v. 11.11.2014 – 15 B 12.765; B.v. 16.2.2016 – 2 ZB 15.2503) oder einem vorhandenen ruhigen Erscheinungsbild einen Fremdkörper aufsetzt, der zu seiner Umgebung in keiner Beziehung steht und es damit empfindlich stört. Eine Verunstaltung kann auch angenommen werden, wenn die Werbeanlage vor oder an eine bauliche Anlage ohne Rücksicht auf deren Gestalt und Gestaltung gesetzt wird, wenn sich die Kanten der Werbeanlage mit den Konturen der vorhandenen baulichen Anlage überschneiden (vgl. HessVGH, U.v. 14.4.1982 – IV OE 11/80) oder wenn die Werbeanlage die andere bauliche Anlage, an der sie angebracht wird, deutlich dominiert und so zur Hauptsache wird, wenn sie also mit ihrer Größe in einem Missverhältnis zu ihrem Anbringungsort steht (vgl. BayVGH, U.v. 24.6.1965 – 147 VI 64; Simon/Busse, BayBO, Art. 8, Rn. 202, 233). Anerkannt ist zudem, dass eine Werbeanlage, die nach den genannten Kriterien die Architektur eines Gebäudes in verunstaltender Weise stört, damit zugleich auch das (engere) Ortsbild verunstaltet (vgl. BayVGH B.v. 16.2.2016 – 2 ZB 15.2503).
Insbesondere aufgrund des Ergebnisses des durchgeführten Augenscheins geht die Kammer davon aus, dass die geplante Werbeanlage an ihrem Anbringungsort eine solche Verunstaltung bewirken würde. Bei dem Gebäude, vor dem sie errichtet werden soll, handelt es sich um ein kleines, untergeordnetes, eingeschossiges Nebengebäude zu dem auf demselben Grundstück FlNr. … sich nordwestlich anschließenden ehemals landwirtschaftlich genutzten Betriebsgebäude sowie dem dort befindlichen Wohnhaus. Ausgeführt ist es mit einem flachen Satteldach mit nach Nordosten zeigender Giebelseite. Durch ihre Abmessungen würde die Werbeanlage die Giebelwand des Nebengebäudes nahezu vollständig verdecken und optisch verdrängen. Auch die Dachform und die Außenkonturen würden überdeckt, so dass die zwar schlichte aber dennoch vorhandene architektonische Gliederung des Nebengebäudes vollständig verloren ginge. Hierdurch würde die geplante Werbeanlage in ihrer Umgebung übermäßig dominant und nicht mehr maßstäblich wirken. Hiermit ist nach Ansicht der Kammer eine Verunstaltung des Straßen- und Ortsbildes im Sinne des Art. 8 Satz 2 BayBO verbunden. Ob daneben – wie in dem Ablehnungsbescheid angenommen – die Werbeanlage auch für sich verunstaltet im Sinne des Art. 8 Satz 1 BayBO ist, kann dahinstehen.
2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Rechtsmittelbelehrung
Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zugelassen wird. Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils beim Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach,
Hausanschrift:
Promenade 24 – 28, 91522 Ansbach, oder
Postfachanschrift:
Postfach 616, 91511 Ansbach,
schriftlich zu beantragen.
Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist; die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift:
Ludwigstraße 23, 80539 München;
Postfachanschrift:
Postfach 34 01 48, 80098 München, oder in
in Ansbach:
Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen.
Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn
ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
das Urteil von einer Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, des Bundesverwaltungsgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Bevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz mit Befähigung zum Richteramt oder die in § 67 Abs. 2 Satz 2 Nrn. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und Organisationen zugelassen. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf 3.000,00 Euro festgesetzt.
Rechtsmittelbelehrung
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 EUR übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde.
Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach,
Hausanschrift:
Promenade 24 – 28, 91522 Ansbach, oder
Postfachanschrift:
Postfach 616, 91511 Ansbach,
schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.

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