Baurecht

Verunstaltungsverbot bei beleuchteten Werbeanlagen

Aktenzeichen  Au 5 K 16.1186

Datum:
5.10.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO BayBO Art. 8

 

Leitsatz

1 Bei der Errichtung einer Werbetafel an einem Gebäude scheidet das anlagenbezogene Verunstaltungsverbot nach Art. 8 S. 1 BayBO aus, da es sich nicht um die selbe Anlage handelt. Vielmehr liegt eine umgebungsbezogene Verunstaltung iSd Art. 8 S. 2 BayBO vor. (redaktioneller Leitsatz)
2 Eine Werbetafel an einem Gebäude verstößt gegen das umgebungsbezogene Verunstaltungsverbot des Art. 8 S. 2 BayBO, wenn der ästhetische Eindruck eines Durchschnittsbetrachters die Werbeanlage an angebrachter Stelle als belastend oder Unlust erregend empfindet. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Entscheidungsgründe:
Die zulässige Verpflichtungsklage, über die aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden konnte (§ 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO), bleibt in der Sache ohne Erfolg.
1. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erteilung der beantragten Baugenehmigung. Der ablehnende Bescheid der Beklagten vom 14. Juli 2016 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin deshalb nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Dem beantragten Bauvorhaben stehen öffentlich-rechtliche Vorschriften entgegen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind (Art. 68 Abs. 1 Satz 1 BayBO). Prüfungsmaßstab sind nach Art. 59 Satz 1 Nr. 1 BayBO im vereinfachten Genehmigungsverfahren die Vorschriften über die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit (§ 29 bis 38 BauGB) sowie die Regelungen örtlicher Bauvorschriften im Sinne des Art. 81 Abs. 1 BayBO. Da sich die Beklagte als Ablehnungsgrund zusätzlich auf das Verunstaltungsverbot des Art. 8 BayBO berufen hat, ist auch diese Vorschrift im gerichtlichen Verfahren Prüfungsgegenstand (Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 BayBO).
Die beantragte beleuchtete Werbeanlage ist nach Art. 55 Abs. 1 i. V. m. Art. 57 Abs. 1 Nr. 12 BayBO genehmigungspflichtig. Die Anlage ist jedoch im Hinblick auf den von der Beklagten zulässigerweise erweiterten Prüfungsmaßstab gemäß Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 BayBO nicht genehmigungsfähig, so dass die Klage keinen Erfolg hat.
2. Zutreffend hat die Beklagte im streitgegenständlichen Bescheid vom 14. Juli 2016 festgestellt, dass die beleuchtete Werbeanlage nicht gegen Bauplanungsrecht (Art. 59 Satz 1 Nr. 1 BayBO) verstößt. Insoweit kann auf die zutreffenden Ausführungen der Beklagten im streitgegenständlichen Bescheid verwiesen werden. Im vorliegend gegebenen faktischen Mischgebiet nach § 34 Abs. 2 BauGB i. V. m. § 6 BauNVO bzw. einer bloßen Gemengelage begegnet die zur Genehmigung gestellte Werbeanlage keinen bauplanungsrechtlichen Bedenken.
3. Die geplante Werbeanlage widerspricht jedoch dem bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsverbot des Art. 8 BayBO.
3.1 Die Beklagte hat sich zur Ablehnung des Bauvorhabens zunächst auf das anlagenbezogene Verunstaltungsverbot des Art. 8 Satz 1 BayBO berufen, wonach bauliche Anlagen nach Form, Maßstab, Verhältnis der Baumassen und Bauteile zueinander, Werkstoff und Farbe so gestaltet sein müssen, dass sie nicht verunstaltet wirken. Vorliegend scheidet eine Verletzung von Art. 8 Satz 1 BayBO jedoch aus. Wenn eine bauliche Anlage wie eine Werbetafel an einer baulichen Anlage wie einem Gebäude errichtet werden soll, ist – da es sich nicht um die gleiche bauliche Anlage handelt – eine Verunstaltung nicht nach Satz 1, sondern nach dem umgebungsbezogenen Satz 2 zu beurteilen (vgl. Dirnberger in Simon/Busse, BayBO, Stand: Januar 201., Art. 8 Rn. 70; BayVGH, B.v. 16.2.2016 – 2 ZB 15.2503 – BayVBl 2016,597 f.).
3.2 Das Vorhaben verstößt jedoch gegen das umgebungsbezogene Verunstaltungsverbot des Art. 8 Satz 2 BayBO, wonach bauliche Anlagen das Straßen- und Ordnungsbild nicht verunstalten dürfen. Eine Verunstaltung im Sinne dieser Vorschrift ist anzunehmen, wenn ein für ästhetische Eindrücke offener Durchschnittsbetrachter die betreffende Werbeanlage an ihrer Anbringungsstelle als belastend oder Unlust erregend empfinden würde. Aufgabe des Art. 8 Satz 2 BayBO ist es in erster Linie, Auswüchse zu unterbinden, nicht aber bestimmte ästhetische Wertvorstellungen zur Stadtbildgestaltung durchzusetzen.
Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (vgl. U.v. 18.7.2002 – B 01.1198 – juris; U.v. 16.9.2005 – 26 B 04.3258 – juris) ist für die Beurteilung von Werbeanlagen an freien Giebelwänden zur Beurteilung einer Verunstaltung im Sinne von Art. 8 Satz 2 BayBO von folgenden Überlegungen auszugehen:
Werbeanlagen sind von ihrer Natur aus dazu bestimmt, aufzufallen und erfüllen ihren Zweck nur dann, wenn sie sich deutlich von der Umgebung abheben. Dieser naturgemäße Kontrast muss maßvoll sein, um das vorhandene Gesamtbild nicht zu stören. Dieses wird beeinträchtigt, wenn eine Werbeanlage so aufdringlich wirkt, dass sie als wesensfremdes Gebilde zu ihrer Umgebung in keiner Beziehung mehr steht. Werbung an bislang freigehaltenen Giebeln, die als „architektonische Beruhigungsflächen“ wirken, ist in aller Regel verunstaltend. Gebäudeabschlussmauern dürfen nur nach sorgfältiger Prüfung im Einzelfall mit Werbeschriften oder zeichnerischen Werbedarstellungen versehen werden und dann nur in einer Form, welche die ästhetischen mit den technischen Anforderungen in einen ausgewogenen Ausgleich bringt.
Die Umgebung, die hierbei zur gestalterischen Beurteilung heranzuziehen ist, bestimmt sich nach dem Umfang der gestalterischen Auswirkungen der jeweiligen baulichen Anlage (vgl. BayVGH, U.v. 16.2.2016 – 2 ZB 15.2503 – juris Rn. 5; BayVBl 2016 597 f.). Dabei kann das Straßenbild in Einzelfällen bereits dann verunstaltet sein, wenn ein architektonisch hervorgehobenes Gebäude – wie es hier nach den Erkenntnissen des Augenscheins vom 4. Oktober 2016 vorliegt – Bestandteil des Straßenbilds ist.
Nach dem Ergebnis des gerichtlichen Augenscheins vom 4. Oktober 2016 ist das Gericht davon überzeugt, dass durch die Anbringung der beantragten Werbeanlage bereits die betroffene Giebelwand des zur Anbringung vorgesehen Gebäudes verunstaltet wird. Durch ihre beleuchtete und großflächige Ausführung in der vorgesehenen Anbringungshöhe hat die Werbeanlage auf die streitgegenständliche Giebelwand eine beherrschende Wirkung. Die Beklagte hat zutreffend darauf hingewiesen, dass die einheitlich gestaltete Fassade insoweit zum bloßen Werbeträger umfunktioniert und herabgewürdigt wird. Gerade im Obergeschoss ist die zur Straßenseite (…) gewandte Seite einheitlich gegliedert und durch zwei symmetrisch übereinander verlaufende Fensterreihen mit jeweils vier Fenstern einheitlich gegliedert und geprägt. Die Anbringung des Werbeträgers in der linken unteren Ecke würde diese bislang harmonische und symmetrische Struktur auflösen und die ruhige Fassade auffallend stören. Die Werbetafel wirkt auch nach der von der Klägerin im Verfahren vorgelegten Fotomontage als deutlich wahrnehmbarer Fremdkörper. Die vorgesehene Beleuchtung unterstreicht diesen Effekt nochmals. Für den für ästhetische Eindrücke offenen Durchschnittsbetrachter wird dies als massive Belastung empfunden.
3.3 Zu dem Umstand, dass die geplante Werbetafel am vorgesehenen Standort die einheitlich vorhandene und gegliederte Gebäudeabschlusswand zu einem Werbeträger umfunktioniert und dem ruhigen Erscheinungsbild einen Fremdkörper aufsetzt, kommt vorliegend hinzu, dass mit der Werbetafel in der näheren Umgebung, soweit diese durch Blickachsen verbunden ist, erstmalig und singulär eine großflächige beleuchtete Plakatwerbetafel die gewerblich genutzte Erdgeschossebene verlässt und in den Bereich der Obergeschosse vordringt. Dadurch würde die in der näheren, vom Gericht in Augenschein genommenen Umgebung, bisher dem Erdgeschossbereich vorbehaltene gewerbliche Betriebsamkeit, die durch mehrere Werbeanlagen für Werbung am Ort der Leistung (Eigenwerbung) in Anspruch genommen wird in die darüber liegenden, bislang von Wohnnutzung geprägten oberen Geschosse hineingetragen. Die mit der Werbeanlage verbundene gestalterische Unruhe beschränkt sich daher nicht nur auf das Anbringungsgebäude selbst, sondern bewirkt auch eine Disharmonie des in der Umgebung vorhandenen engeren Ortsbildes.
3.4 Darüber hinaus geht von dem Bauvorhaben eine ausgeprägte Bezugsfallwirkung aus. Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass sich nach den Erkenntnissen des Ortsaugenscheins auf dem Grundstück … (Modehaus …) im oberen Bereich der Geschossfläche zu diesem Zeitpunkt zwei größere Werbeträger (für die Firmen … und …) als Eigenwerbung für im Modehaus verkaufte Produkte befanden. Diese Werbeanlagen sind bereits aufgrund ihrer Entfernung und nicht bestehender Blickachsen zur streitgegenständlich beantragten Werbefläche nicht geeignet, die Beurteilung nach Art. 8 Satz 2 BayBO zu beeinflussen und die von der Werbeanlage ausgehende Bezugsfallwirkung und deren Störgrad zu beseitigen. Im Übrigen handelt es sich bereits beim Anbringungsort selbst um ein architektonisch hervorgehobenes Gebäude im Straßenzug der …, an dessen Fassade die Anbringung selbst bei gebotener isolierter Betrachtung eine Beeinträchtigung von Art. 8 Satz 2 BayBO für das Gericht naheliegt.
Die negative Wirkung auf das Orts- und Straßenbild wird vorliegend noch dadurch verstärkt, dass die Werbeanlage hinterleuchtet ausgeführt werden soll und damit auch bei Nacht und in Zeiten mit verkürzter Taghelligkeit am Abend bzw. in den frühen Morgenstunden beherrschend hervorgehoben werden soll und eine insbesondere wegen ihrer Großflächigkeit verunstaltende Wirkung für das die nähere Umgebung prägende Orts- und Straßenbild hat.
4. Nach allem war die Klage daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Als im Verfahren unterlegen hat die Klägerin die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 1678 Abs. 2 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).


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