Baurecht

Vorausleistung auf den Straßenausbaubeitrag

Aktenzeichen  B 4 K 17.945

Datum:
26.6.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 41833
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayKAG Art. 5 Abs. 1 S. 3, Art. 13 Abs. 1 Nr. 4
AO § 127
BauGB § 30 Abs. 1, Abs. 2

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

1. Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Der Vorauszahlungsbescheid der Beklagten vom 27. Oktober 2017 ist nicht rechtswidrig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Festsetzung einer Vorauszahlung auf den Straßenausbaubeitrag in Höhe von 6.867,36 Euro ist rechtmäßig.
a) Die Gemeinden können gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 1 des Kommunalabgabengesetzes (KAG) zur Deckung des Aufwands für die Herstellung, Anschaffung, Verbesserung oder Erneuerung ihrer öffentlichen Einrichtungen Beiträgen von den Grundstückseigentümern erheben, denen die Möglichkeit der Inanspruchnahme dieser Einrichtungen besondere Vorteile bietet. Nach Art. 5 Abs. 1 Satz 3 KAG in der bis zum 31.12.2017 anwendbaren Fassung (Art. 19 Abs. 7 Satz 1 KAG) sollen für die Verbesserung oder Erneuerung von Ortsstraßen und beschränkt-öffentlichen Wegen Beiträge erhoben werden, soweit nicht Erschließungsbeiträge nach Art. 5a KAG zu erheben sind. Für ein Grundstück, für das eine Beitragspflicht noch nicht oder nicht in vollem Umfang entstanden ist, können gemäß Art. 5 Abs. 5 Satz 1 KAG Vorauszahlungen auf den Beitrag verlangt werden, wenn mit der Herstellung, Anschaffung, Verbesserung oder Erneuerung der Einrichtung begonnen worden ist. Nach Art. 2 Abs. 1 Satz 1 KAG erfolgt die Heranziehung der Grundstückseigentümer zu Straßenausbaubeiträgen aufgrund einer besonderen Abgabesatzung. Von dieser Ermächtigung hat die Beklagte durch den Erlass der Satzung zur Erhebung von Straßenausbaubeiträgen (Straßenausbaubeitragssatzung – ABS) vom 1. Februar 2015 Gebrauch gemacht. Entgegen den Ausführungen des Prozessbevollmächtigten des Klägers ist diese auch sowohl formell als auch materiell rechtmäßig und stellt damit eine taugliche Rechtsgrundlage für den Erlass des Vorauszahlungsbescheids vom 27. Oktober 2017 dar.
aa) Die Satzung ist zunächst in formell rechtmäßiger Weise zustande gekommen.
Dem Stadtrat lag zum Zeitpunkt der Beschlussfassung am 20. Januar 2015 eine ausreichende sowie zutreffende Information über den Beratungsgegenstand des Erlasses der ABS 2015 durch den ersten Bürgermeister gemäß Art. 46 Abs. 2 Satz 1 der Bayerischen Gemeindeordnung (GO) vor. Unabhängig von der Frage, ob eine unzureichende Vorbereitung Auswirkungen auf die Wirksamkeit eines dennoch gefassten Beschlusses hat (verneinend: BeckOK KommunalR Bayern/Wernsmann/Neudenberger, 3.Ed. 1.8.2019, GO Art. 46 Rn. 9), wurden die Stadtratsmitglieder über den Entscheidungsgegenstand „Ausbaubeitragssatzung“ mittels der vom Haupt- und Kulturausschuss gefassten Beschlussvorlage vom 22. Juli 2014 umfangreich informiert. Insbesondere enthielt die Vorlage auch Ausführungen zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Satzung sowie zu möglichen strafrechtlichen Konsequenzen im Falle einer Ablehnung.
Aus dieser Beschlussvorlage ist ersichtlich, dass die Stadtratsmitglieder ausreichend über das bestehende Ermessen der Stadt bei der Bestimmung des Zeitpunkts des Inkrafttretens der Satzung informiert wurden. Die Vorlage erläutert, dass „der Zeitpunkt des Inkrafttretens […] rückwirkend maximal 20 Jahre nach Vorteilsnahme erfolgen“ kann. Er kann auch „in der Zukunft liegen, nachdem bestimmte Baumaßnahmen, die bereits begonnen bzw. beschlossen wurden, fertiggestellt sind.“ Außerdem wurden dem Stadtrat zwei Beschlussvorschläge an die Hand gegeben. Zum einen die Ablehnung des Erlasses einer Ausbaubeitragssatzung, zum anderen – im Fall eines Erlasses – die Empfehlung, die Satzung erst nach Abschluss der Baumaßnahmen „…“ und „…“ in Kraft treten zu lassen.
Mit diesen Ausführungen wurde den Abstimmenden der zeitliche Rahmen aufgezeigt, in dem der Zeitpunkt des Inkrafttretens der Satzung zu bestimmen ist. Dessen Grenzen stimmen mit den gesetzlichen Vorgaben in Art. 5 Abs. 8 KAG i.V.m. Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 b) bb) KAG überein. Soweit die Klägerseite dem entgegenhält, dass den Mitgliedern das dem Stadtrat eingeräumte Ermessen nicht bewusst gewesen sei, überzeugt dies nicht. Speziell in der Gesamtschau mit dem als Alternative 2 bezeichneten Beschlussvorschlag, der ein Inkrafttreten der ABS 2015 nach Abschluss der genannten Baumaßnahmen empfiehlt, ist ersichtlich, dass den Abstimmenden bei sorgfältiger Durchsicht der Vorlage bewusst gewesen sein muss, dass der Stadt bei der Frage des Inkrafttretens verschiedene Möglichkeiten zur Auswahl standen.
Ebenso liegt nach Überzeugung der entscheidenden Kammer keine Fehlinformation der Stadtratsmitglieder hinsichtlich einer möglichen strafrechtlichen Relevanz vor. Der Haupt- und Kulturausschuss gab den Hinweis, dass bei einer Ablehnung des Erlasses der ABS 2015 die Gefahr bestehe, dass jedes Stadtratsmitglied, das sich gegen den Erlass der Satzung ausgesprochen habe, wegen Untreue strafrechtlich belangt werden könne. Durch die Ablehnung der Satzung entgingen der Stadt zusätzliche Einnahmen und es liege somit ein Vermögensschaden vor. Das Gericht erachtet diesen Hinweis – entgegen der Klägerseite – als rechtlich zutreffend. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Ablehnung des Erlasses einer Straßenausbaubeitragssatzung wegen der grundsätzlich bestehenden Pflicht der Gemeinden zur Beitragserhebung nach Art. 5 Abs. 1 Satz 3 KAG (BayVGH, U.v. 9.11.2016 – 6 B 15.2732 – juris Rn. 34) den Tatbestand der Untreue des einzelnen Stadtratsmitglieds nach § 266 Abs. 1 StGB erfüllt (vgl. OLG Naumburg, U.v. 18.7.2007 – 2 Ss 188/07).
Dem steht auch die angeführte Äußerung der Ministerialrätin Weinl gegenüber dem Ausschuss für kommunale Fragen, Innere Sicherheit und Sport vom 15. Juli 2015 nicht entgegen. Diese gab an, dass es eine vergleichbare Entscheidung wie in Naumburg in Bayern nicht gebe und sie auch nicht wisse, ob dieser Fall auf bayerische Verhältnisse anwendbar sei, da die Rechtslage nicht unbedingt gleich sei. Auch sei es nicht Gepflogenheit des Innenministers, mit dem Staatsanwalt zu drohen. Sie wisse jedoch nicht, was der Staatsanwalt aufgreife.
Der Stellungnahme ist damit kein Ausschluss der Möglichkeit einer strafrechtlichen Verfolgung zu entnehmen. Unabhängig davon ist auch nicht nachvollziehbar, aus welchen Gründen der Verzicht auf eine Beitragserhebung – trotz der gesetzlich bestehenden Pflicht hierzu – nicht auch in Bayern zu einem Treuebruch führen könnte, der den bundesgesetzlichen Straftatbestand der Untreue verwirklicht. Der Hinweis an die Stadtratsmitglieder erfolgte daher berechtigterweise.
bb) Auch gegen die materielle Rechtmäßigkeit der ABS 2015 bestehen keine Bedenken.
(1) Zunächst stand dem Erlass keine wirksame anderweitige Straßenausbaubeitragssatzung entgegen. Wie von der Beklagtenseite zutreffend angeführt, enthielt die ABS 1978 in § 2 eine Regelung, die sich nicht in jeder Hinsicht an die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage hielt und aufgrund ihrer zentralen Bedeutung als Bestimmung des die Abgabe begründenden Tatbestands zur Nichtigkeit der gesamten Satzung führte (vgl. BayVGH, U.v. 10.7.2002 – 6 N 97.2148). Aus diesem Grund kommt es im Weiteren auf die von der Klägerseite angesprochene Rechtswidrigkeit der Aufhebungssatzung aus dem Jahr 1992 nicht an.
(2) Daneben begegnet auch die in § 3 Abs. 2 ABS 2015 getroffene Regelung keinen Bedenken. Art. 5 Abs. 8 KAG lässt es ausdrücklich und in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise zu, Beiträge auch für solche beitragsfähigen Ausbaumaßnahmen zu erheben, die bereits vor dem Inkrafttreten einer (wirksamen) Ausbaubeitragssatzung endgültig abgeschlossen worden sind (BayVGH, U.v. 15.10.2009 – 6 B 08.1431 – juris Rn. 25; Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 10. Aufl. 2018, § 30 RdNr. 4). Die äußerste zeitliche Grenze der Erfassung bereits abgeschlossener Maßnahmen wird zum einen durch das Gesetz selbst in Art. 5 Abs. 8 KAG i.V.m. Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 b) bb) KAG festgelegt, zum anderen durch das Rechtsinstitut der Verwirkung bestimmt. Ein Recht ist im Allgemeinen verwirkt, wenn seit der Möglichkeit seiner Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist (Zeitmoment) und besondere Umstände hinzutreten, die eine spätere Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen (Umstandsmoment).
Die Klägerseite knüpft hieran an und sieht in der in § 3 Abs. 2 ABS 2015 getroffenen Regelung einen Verstoß gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes, da die Beklagte durch den Erlass der Aufhebungssatzung aus dem Jahr 1992 ein schutzwürdiges Vertrauen auf eine Nichterhebung von Straßenausbaubeiträgen für die vor dem Erlass der ABS 2015 abgeschlossenen Maßnahmen geschaffen habe. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass das Vertrauen der Betroffenen darauf, entgegen der vom Gesetzgeber in Art. 5 Abs. 1 Satz 3 KAG a.F. angeordneten, grundsätzlichen Erhebungspflicht nicht zu Beiträgen herangezogen zu werden, vor Ablauf der Ausschlussfrist des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 b) bb) KAG nicht schutzwürdig ist (BayVGH, U.v. 9.11.2016 – 6 B 15.2732 – juris Rn. 49), sodass es für die Verwirkung am notwendigen Umstandsmoment fehlt. Zwar ist die Gemeinde rechtlich nicht gehindert, den zeitlichen Geltungsbereich ihrer Ausbaubeitragssatzung im Interesse des Rechtsfriedens und der Rechtssicherheit zu beschränken und bereits seit längerem endgültig abgeschlossene Ausbaumaßnahmen von der Beitragserhebung auszunehmen. Das wird durch den Wortlaut des Art. 5 Abs. 8 KAG bestätigt, wonach ein Beitrag auch für vor dem Inkrafttreten der Abgabesatzung abgeschlossene beitragsfähige Baumaßnahmen erhoben werden „kann“ (nicht „soll“ oder gar „muss“). Im Spannungsfeld zwischen Rechtsfrieden und Rechtssicherheit auf der einen Seite und Beitragserhebungspflicht, Einnahmebeschaffungsgrundsätzen sowie Beitragsgerechtigkeit auf der anderen Seite ist der Gestaltungsspielraum des Satzungsgebers umso größer, je weiter in der Vergangenheit die Baumaßnahmen abgeschlossen wurden, umso kleiner, je näher der Abschluss an den Zeitpunkt des Erlasses der neuen (wirksamen) Satzung herangeht (BayVGH, U.v. 15.10.2009 – 6 B 08.1431 – juris Rn. 25). Im Umkehrschluss bedeutet dies jedoch nicht, dass der Satzungsgeber seinen Gestaltungsspielraum sodann automatisch überschreitet, wenn er die Beitragserhebung für in der Vergangenheit liegende Maßnahmen dennoch maximal ausnutzt. Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund, dass die Beklagte aufgrund ihrer stetig wachsenden Verschuldung, die im Jahr des Satzungserlasses 2015 bei insgesamt 11.523.000 Euro (Pro-Kopf-Verschuldung 1.674 Euro) gelegen hat und angesichts der Stabilisierungshilfe, die sie nach wie vor bezieht, im Zeitpunkt des Satzungserlasses zur Einnahmebeschaffung verpflichtet war. Angesichts der sehr angespannten Haushaltslage überwog die Beitragserhebungspflicht gegenüber einem teilweisen Verzicht aus Gründen des Rechtsfriedens. Ein atypischer Ausnahmefall, der den Erlass und die Vorhaltung einer Straßenausbaubeitragssatzung entgegen der gesetzlichen Regel des Art. 5 Abs. 3 Satz 3 KAG in das Ermessen der Gemeinde stellt, ist daher nicht ersichtlich.
Hieran ändert auch die hohe Grundsteuerbelastung nichts. Art. 62 Abs. 2 GO legt fest, dass sich die Gemeinde die zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Einnahmen soweit vertretbar und geboten aus besonderen Entgelten für die von ihr erbrachten Leistungen (Nr. 1) und „im Übrigen“ – also nachrangig – aus Steuern (Nr. 2) zu beschaffen hat. Die darin gesetzlich festgelegte Reihenfolge der Deckungsmittel geht von dem Grundsatz aus, dass derjenige, der eine kommunale Leistung in Anspruch nimmt oder durch eine kommunale Einrichtung einen Sondervorteil erhält, die entstehenden Kosten in vertretbaren Umfang tragen soll. Dabei handelt es sich nicht bloß um einen Programmsatz, sondern schon mit Blick auf den Wortlaut um zwingendes Recht (vgl. BayVGH, U.v. 9.11.2016 – 6 B 15.2732 – juris Rn. 38). Da Straßenausbaubeiträge zu den „besonderen Entgelten“ gehören, sind sie als vorrangige Einnahmeerzielungsmöglichkeit vollständig auszuschöpfen, bevor auf die subsidiäre Einnahmebeschaffung aus Steuern, wie der Grundsteuer, zurückgegriffen werden kann. Der bei der Beklagten bestehende Grundsteuerhebesatz A und B in Höhe von jeweils 400 schließt daher die vorrangige Verpflichtung zum Erlass einer Straßenausbaubeitragssatzung nicht aus.
§ 3 Abs. 2 ABS 2015 stellt zudem keinen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) dar, obwohl die Maßnahmen der Altstadtsanierung vor dem Jahr 1995 aufgrund der 20-jährigen Ausschlussfrist nicht mehr abgerechnet werden können. Die Annahme eines Gleichheitsverstoßes würde dazu führen, dass die Beklagte trotz ihrer nach Art. 5 Abs. 1 Satz 3 KAG a.F. bestehenden Pflicht auf eine Beitragserhebung verzichten müsste, was mit der in Art. 20 Abs. 3 GG angeordneten Bindung der vollziehenden Gewalt an Gesetz und Recht schlechthin unvereinbar wäre. Diese Bindung bezeichnet die Grenze des Gleichheitssatzes, der auf die Gleichbehandlung im Recht ausgerichtet ist und weder den Anspruch des Bürgers noch die Befugnis der Verwaltung beinhaltet, eine rechtswidrige Gleichbehandlung zu fordern oder zu gewähren (vgl. BVerwG, U.v. 10.12.1969 – VIII C 104/69; BayVGH, B.v. 18.6.2008 – 4 ZB 08.258 – juris Rn. 4). Aus der rechtswidrig unterbliebenen Erhebung von Straßenausbaubeiträgen vor dem Jahr 1995 kann daher keine Gleichbehandlung gefordert werden.
b) Der auf dieser Rechtsgrundlage ergangene Vorauszahlungsbescheid vom 27. Oktober 2017 begegnet keinen formell-rechtlichen Bedenken. Die Frage, ob der Bescheid gemäß Art. 13 Abs. 1 Nr. 3 b) KAG i.V.m. § 119 Abs. 3 Satz 2 Hs. 2 AO formularmäßig oder mit Hilfe automatischer Einrichtungen erlassen wurde, sodass auf die grundsätzlich notwendige Unterschrift oder die Namenswiedergabe des Behördenleiter, seines Vertreters oder seines Beauftragten verzichtet werden konnte, braucht nicht entschieden werden, da dieser Verfahrensfehler unbeachtlich ist. Mangels Nichtigkeit des Verwaltungsaktes nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 3 b) KAG i.V.m. § 125 AO kann die Aufhebung gemäß Art. 13 Abs. 1 Nr. 3 b) KAG i.V.m. § 127 AO nicht allein deshalb beansprucht werden, weil der Verwaltungsakt unter Verletzung von Formvorschriften zustande gekommen ist, wenn keine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden können. Dies ist vorliegend der Fall, da die Beklagte aufgrund der gebundenen Entscheidung in § 2 ABS 2015 selbst bei Vorliegen eines Verfahrensfehlers zur Beitragserhebung verpflichtet gewesen wäre.
c) Im Weiteren ist der Bescheid auch materiell-rechtlich nicht zu beanstanden. Die Erhebung einer Vorauszahlung auf den Straßenausbaubeitrag in Höhe von 6.867,36 Euro ist durch o.g. Rechtsgrundlagen gedeckt.
aa) Zunächst ist die Einstufung der gegenständlichen Straße als Anlieger straße mit einer gemeindlichen Eigenbeteiligung in Höhe von 20% nicht zu beanstanden. Gemäß § 7 Abs. 3 ABS 2015 sind Anliegerstraßen Straßen, die ganz überwiegend der Erschließung der Grundstücke dienen. Ausgehend von den von der Beklagtenseite dem Gericht übermittelten Lichtbildern vom Beginn bzw. vom Ende der ausgebauten Straße ist festzustellen, dass am Beginn der ausgebauten Straße ein Sackgassenschild angebracht ist und sich am Ausbauende ein Feld- und Waldweg anschließt, der für den motorisierten Verkehr – mit Ausnahme land- und forstwirtschaftlichen Verkehrs – gesperrt ist. Ein durchgehender inner- bzw. überörtlicher Durchgangsverkehr im Sinn des § 7 Abs. 3 Nr. 2 ABS 2015 (Haupterschließungsstraße) bzw. § 7 Abs. 3 Nr. 3 ABS 2015 (Hauptverkehrs straße) findet daher offensichtlich nicht statt.
Darüber hinaus steht der Ansatz der Eigenbeteiligung in Höhe von 20% ebenfalls im Einklang mit den gesetzlichen Vorgaben. Die Beklagte hat in § 7 Abs. 2 ABS 2015 die drei Straßenkategorien Anlieger straße, Haupterschließungsstraße und Hauptverkehrs straße einschließlich deren Teileinrichtungen gebildet und diese entsprechend ihrer Verkehrsbedeutung mit verschieden hohen Eigenbeteiligungssätzen gestaffelt. Die Festsetzung des Gemeindeanteils bei einer Anlieger straße in Höhe von 20% ist – wenn auch wohl als Untergrenze – nicht zu beanstanden (BayVGH, U.v. 29.10.1984 – 6 B 82 A. 2893 – UA S. 16; U.v. 27.9.2018 – 6 BV 17.1320 – juris Rn. 22).
bb) Der Heranziehung des Klägers zu einem Straßenausbaubeitrag steht auch nicht entgegen, dass die Ausbaumaßnahmen nicht über die gesamte Straßenlänge bis zum klägerischen Grundstück durchgeführt wurden, sondern bereits auf Höhe des Grundstücks Fl.-Nr. … geendet haben. Der Teilstreckenausbau erfasst weit mehr als ein Viertel der gesamten Straßenlänge und erfüllt damit die Anforderungen der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs zum beitragsfähigen Teilstreckenausbau (vgl. BayVGH, U.v. 28.1.2010 – 6 BV 08.3043 – juris Rn. 13 f.; U.v. 11.12.2015 – 6 BV 14.586 – juris Rn. 16; U.v. 18.5.2017 – 6 BV 16.2345 – juris Rn. 17; U.v. 29.11.2018 – 6 B 18.248 – juris Rn. 21; B.v. 10.7.2019 – 6 CS 19.987 – juris Rn. 13). Im Übrigen ist auch gegen die von Beklagtenseite vorgenommene Anlagenbildung nichts einzuwenden.
cc) Ferner wurden die Grundstücke mit den Fl.-Nrn. …, … und … zu Recht nicht mit in das Abrechnungsgebiet einbezogen. Zum einen liegen sie nicht – auch nicht punktförmig – an der ausgebauten Straße an. Zum anderen handelt es sich bei der Verbindungs straße Fl.-Nr. …, an der die angesprochenen Grundstücke anliegen, um eine selbständige Verkehrseinrichtung, die nicht als sogenannte Stich straße als zur ausgebauten Straße zugehörig anzusehen ist. Ausschlaggebend für die Unterscheidung zwischen selbständigen Ortsstraßen einerseits und unselbständigen Zufahrten zu solchen Ortsstraßen als deren Bestandteil („Anhängsel“) andererseits ist der Gesamteindruck der zu beurteilenden Einrichtung. Besondere Bedeutung kommt ihrer Ausdehnung und Beschaffenheit sowie vor allem dem Maß der Abhängigkeit zwischen ihr und der Straße, in die sie einmündet, zu (BayVGH, U.v. 14.4.2011 – 6 BV 08.3182 – juris Rn. 21; U.v. 30.6.2016 – 6 B 16.515 – juris Rn. 17; U.v. 25.9.2018 – 6 B 18.342 – juris Rn. 17). Danach sind – öffentliche wie private – Stichstraßen grundsätzlich als unselbständig zu qualifizieren, wenn sie nach den tatsächlichen Verhältnissen den Eindruck einer Zufahrt vermitteln. Da eine Zufahrt typischerweise ohne Weiterfahrmöglichkeit endet, typischerweise nur eine bestimmte Tiefe aufweist und ebenso typischerweise gerade, also nicht in Kurven verläuft, ist dies regelmäßig dann der Fall, wenn sie bis zu 100 m tief und nicht verzweigt ist (BayVGH, B.v. 20.4.2012 – 6 ZB 09.1855 – juris Rn. 8; B.v. 17.2.2016 – 6 ZB 14.1871 – juris Rn. 11; B.v. 15.1.2018 – 6 B 17.1436 – juris Rn. 11; U.v. 25.9.2018 – 6 B 18.342 – juris Rn. 17).
Gemessen an diesen Grundsätzen handelt es sich bei der angesprochenen Straße offensichtlich um eine selbständige Verkehrseinrichtung, da sie eine Weiterfahrmöglichkeit zur Straße in Richtung … bietet und sich über eine Länge von deutlich über 100 m erstreckt.
dd) Des Weiteren ist von einer zutreffenden Ermittlung des umlagefähigen Aufwands sowie des Beitragssatzes auszugehen. Der Kläger rügt zwar die mangelnde Nachvollziehbarkeit der Kostenaufstellung aufgrund der fehlenden Aufschlüsselung der Einzelkosten, er tut dies jedoch ohne zu konkretisieren, aus welchen Gründen diese fehlerhaft sei. Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs genügt es nicht, wenn eine Klagepartei ohne jegliche konkrete Belegung lediglich behauptet, die bestimmten Beitragssätze seien nicht ordnungsgemäß ermittelt worden. Zwar verlangt der Grundsatz der Amtsermittlung des § 86 VwGO, dass das Gericht alle vernünftigerweise zu Gebote stehenden Möglichkeiten zur Aufklärung des für seine Entscheidung maßgeblichen Sachverhalts ausschöpft, die geeignet erscheinen, die dafür erforderliche Überzeugung zu gewinnen. Diese Pflicht findet aber in der Mitwirkungspflicht der Beteiligten eine Grenze. Jene besteht nicht nur darin, dass das Gericht die Beteiligten zur Erforschung des Sachverhalts mit heranziehen kann, sondern auch und gerade darin, dass die Klägerseite die zur Begründung ihrer Rechtsbehelfe oder ihrer Einwendungen dienenden Tatsachen und Beweismittel nach § 82 Abs. 1 Satz 3 VwGO angeben soll. So lange sie dieser Pflicht nicht nachkommt, überprüfbare und einem Beweis zugängliche Tatsachen vorzutragen, braucht das Gericht der bloßen Möglichkeit fehlerhaft bestimmter Beitragssätze nicht nachzugehen. Dass es für den Kläger nicht ganz einfach ist, die von der Beklagten ermittelten Beitragssätze auf ihre Richtigkeit zu überprüfen, entbindet ihn nicht davon, sich im Rahmen der ihm obliegenden Mitwirkungspflicht selbst durch Akteneinsicht sachkundig zu machen, notfalls mit Hilfe eines von ihr beauftragten Sachverständigen (BayVGH, U.v. 29.04.2010 – 20 BV 09.2010 – juris Rn. 64 m.w.N.).
Die Behördenakte enthält zwei Kostenaufstellungen, aus denen die jeweiligen Gesamtkosten für die Fahrbahn sowie den Regenwasserkanal ersichtlich sind. Zudem wurden bei der Ermittlung der beitragsfähigen Aufwendungen der Fahrbahn richtigerweise die Kosten des Leitungsgrabens abgezogen. Zutreffend ist auch der anteilige Ansatz der Straßenentwässerung in Höhe von 50% der Gesamtkosten des Regenwasserkanals, da dieser einerseits das auf den angeschlossenen Grundstücken anfallende Oberflächenwasser und andererseits das auf der Straße anfallende Oberflächenwasser ableitet (BayVGH, B.v. 1.9.2016 – 6 ZB 16.798 – juris Rn. 9; U.v. 1.12.2016 – 6 BV 16.856 – juris Rn. 31). Da somit weder der Behördenakte noch dem Vortrag des Klägers ein relevanter Anhaltspunkt zu entnehmen ist, die vorgelegten Abrechnungsunterlagen in Zweifel zu ziehen, geht das Gericht von deren Rechtmäßigkeit aus. Schließlich hat die Beklagte ihren Angaben zufolge auch keine öffentlichen Fördermittel erhalten, die bei der Ermittlung des umlagefähigen Aufwands mindernd hätten berücksichtigt werden müssen.
ee) Daneben war entgegen der Auffassung des Klägers auch die Festsetzungsfrist noch nicht abgelaufen, als die Beklagte am 27. Oktober 2017 den streitgegenständlichen Vorausleistungsbescheid erließ. Gemäß § 170 Abs. 1 AO und § 169 Abs. 2 AO, die Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 b bb) und cc) KAG für entsprechend anwendbar erklären, beginnt die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Straßenausbaubeitrag entstanden ist und beträgt vier Jahre. Da im Zeitpunkt des Bescheiderlasses der nach § 3 Abs. 1 ABS 2015 notwendige Straßengrunderwerb noch nicht abgeschlossen war, konnten keine Beitragspflichten entstehen, die den Beginn der Festsetzungsfrist in Gang gesetzt hätten.
ff) Zugleich liegt auch keine Verwirkung der Vorauszahlung vor. Die Verwirkung kann eintreten, wenn seit der Möglichkeit, den Vorauszahlungsanspruch durch Bescheid geltend zu machen, längere Zeit verstrichen ist und besondere Umstände hinzugetreten sind, auf Grund derer die verspätete Geltendmachung als treuwidrig empfunden wird, weil der Abgabenschuldner auf die Nichtheranziehung zur Vorauszahlung vertrauen durfte. Da sie die Nichtausübung eines bestehenden Rechts voraussetzt, scheidet eine Verwirkung aus, solange es an einem Recht der Gemeinde, eine Vorauszahlung zu verlangen, fehlt (vgl. BVerwG, U.v. 23.5.1975 – IV C 7373 – BVerwGE 48, 247 – juris). Die Gemeinde ist nach Art. 5 Abs. 5 KAG berechtigt, Vorauszahlungen auf künftig entstehende Beiträge zu erheben. Voraussetzung für die Erhebung von Vorauszahlungen ist aber, dass eine gültige Beitragssatzung vorhanden ist und der Beitrag nach dieser Satzung noch nicht entstanden ist. Da es bis zum Inkrafttreten der ABS 2015 am 1. Februar 2015 an einer gültigen Beitragssatzung fehlte, hatte die Beklagte bis zu diesem Zeitpunkt keine Möglichkeit, einen Vorauszahlungsanspruch geltend zu machen. Nachdem bis zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses am 27. Oktober 2017 kein außergewöhnlich langer Zeitraum vergangen ist und auch keine weiteren Anhaltspunkte vorliegen, die nach dem Erlass der ABS 2015 auf eine Nichtheranziehung des Klägers schließen ließen, sind die Voraussetzungen der Verwirkung nicht einschlägig.
gg) Schließlich führt auch die von der Beklagten durchgeführte Tiefenbegrenzung nicht zur Rechtswidrigkeit des Bescheids, auch wenn die Beklagte bei der Anwendung der Regelung des § 8 Abs. 3 Nr. 2 ABS 2015 teilweise fehlerhaft gehandelt. § 8 Abs. 3 Nr. 2 ABS 2015 legt fest, dass – soweit ein Bebauungsplan im Sinne von § 30 Abs. 1 und 2 BauGB nicht besteht – die tatsächliche Grundstücksfläche bis zu einer Tiefe von 50 m als Grundstücksfläche gilt, gemessen von der gemeinsamen Grenze des Grundstücks mit der das Grundstück erschließenden Verkehrsfläche. Reicht die bauliche oder gewerbliche oder sonstige vergleichbare Nutzung über diese Begrenzung hinaus, so ist die Tiefe maßgebend, die durch die hintere Grenze der Nutzung bestimmt wird.
Daran gemessen wurde bei den Grundstücken Fl.-Nr. …, Fl.-Nr. …, Fl.-Nr. …, Fl.-Nr. … sowie Fl.-Nr. … zu Unrecht nicht die Tiefe der tatsächlichen baulichen, gewerblichen oder sonstigen vergleichbaren Nutzung über die Begrenzung hinaus als hintere Grenze zur Bestimmung der Grundstücksfläche herangezogen. Dabei wurde teilweise auch nicht berücksichtigt, dass es nicht auf die letzte rückwärtige Gebäudeaußenwand, sondern auf die Nutzung ankommt, sodass auch ein Umgriff miteinzubeziehen ist.
Letztlich führen diese von der Beklagten im Rahmen der fiktiven Endabrechnung vorzunehmenden Korrekturen – die im Verhältnis zum umlagefähigen Gesamtaufwand nur eine äußerst geringe Auswirkung auf die Beitragshöhe des Klägers haben werden – nicht zur Rechtswidrigkeit des Vorauszahlungsbescheids. Nach Überzeugung des Gerichts ist davon auszugehen, dass der endgültige Beitrag des Klägers den Vorauszahlungsbescheid trotzdem übersteigen wird, da die Kosten für den noch ausstehenden Straßengrunderwerb bislang noch nicht miteinberechnet worden sind. Falls dies wider Erwarten nicht der Fall sein sollte, gelangt dies dennoch nicht zum Nachteil des Klägers, da er dann den Unterschiedsbetrag nach Art. 19 Abs. 8 Satz 3 KAG auf Antrag von der Beklagten erstattet bekommt. Demnach fehlt es an einer Rechtsverletzung des Klägers.
Somit war die Klage vollumfänglich abzuweisen.
2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11 und 711 ZPO.


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