Baurecht

Vorbescheid, Abgrenzung Innen- und Außenbereich

Aktenzeichen  M 11 K 18.4344

Datum:
11.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 24905
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 34
BauGB § 35
BayBO Art. 71

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags vorläufig vollstreckbar.

Gründe

1. Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid vom 17. Juli 2018 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, da er keinen Anspruch auf den begehrten Vorbescheid hat (§ 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Dem beantragten Vorhaben stehen in den beiden abgefragten Varianten öffentlichrechtliche Vorschriften entgegen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind (Art. 71 Satz 4 i.V.m. Art. 68 Abs. 1 Satz 1, Art. 59 BayBO).
Das Landratsamt hat die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens hinsichtlich beider Varianten aufgrund der anzunehmenden Außenbereichslage zu Recht verneint. In der Folge bestand auch kein Anspruch auf eine positive Beantwortung der übrigen Fragen.
1.1 Das Vorhaben liegt nicht innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils im Sinne von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB und deshalb im bauplanungsrechtlichen Außenbereich nach § 35 BauGB.
Ein “im Zusammenhang bebauter Ortsteil” im Sinne von § 34 BauGB ist jede Bebauung im Gebiet einer Gemeinde, die trotz vorhandener Baulücken geschlossen und zusammengehörend wirkt, nach der Zahl der vorhandenen Gebäude ein gewisses Gewicht hat und Ausdruck einer organischen Siedlungsstruktur ist (BVerwG, U.v. 6.11.1968 – 4 C 2.66 – juris). Der Begriff umfasst zwei Komponenten, den “Bebauungszusammenhang” und den “Ortsteil”. Die Voraussetzung des Bebauungszusammenhanges erfordert, dass eine aufeinanderfolgende, zusammengehörend und geschlossen erscheinende Bebauung tatsächlich vorhanden ist. Unter den Begriff der Bebauung im Sinne dieser Vorschrift fällt dabei nicht jede beliebige bauliche Anlage. Gemeint sind vielmehr Bauwerke, die für die angemessene Fortentwicklung der vorhandenen Bebauung maßstabsbildend sind. Dies trifft ausschließlich für Anlagen zu, die optisch wahrnehmbar und nach Art und Gewicht geeignet sind, ein Gebiet als einen Ortsteil mit einem bestimmten städtebaulichen Charakter zu prägen (vgl. BVerwG, U.v. 14.9.1992 – 4 C 15.90; U.v. 17.6.1993 – 4 C 17.91 – jew. juris). Hierzu zählen grundsätzlich nur Bauwerke, die dem ständigen Aufenthalt von Menschen dienen (vgl. BVerwG, U.v. 17.2.1984 – 4 C 55.81 – juris). Baulichkeiten, die nur vorübergehend genutzt zu werden pflegen, sind unabhängig davon, ob sie landwirtschaftlichen Zwecken (z.B. Scheunen oder Ställe), Freizeitzwecken (z.B. kleine Wochenendhäuser, Gartenhäuser) oder sonstigen Zwecken dienen, in aller Regel keine Bauten, die für sich genommen als ein für die Siedlungsstruktur prägendes Element zu Buche schlagen (vgl. BVerwG, B. v. 6.3.1992 – 4 B 35.92 – juris). Darüber, wo die Grenze des Bebauungszusammenhangs verläuft, ist nicht nach geographischmathematischen Maßstäben, sondern aufgrund einer umfassenden, die gesamten örtlichen Gegebenheiten erschöpfend würdigenden Wertung und Bewertung des konkreten Sachverhalts zu entscheiden (BVerwG, U.v. 30.6.2015 – 4 C 5/14 – juris Rn. 16). Eine unbebaute Fläche ist – als “Baulücke” – Teil des Bebauungszusammenhangs, wenn sie von der angrenzenden zusammenhängenden Bebauung so stark geprägt ist, dass die Errichtung eines Gebäudes auf dieser Fläche als zwanglose Fortsetzung der vorhandenen Bebauung erscheint. Soweit eine Prägung durch die benachbarte Bebauung fehlt, handelt es sich um Außenbereich. Das Vorliegen einer Baulücke wird umso unwahrscheinlicher, je größer die unbebaute Fläche ist (vgl. BVerwG, U.v. 12.6.1970 – IV C 77.68 – BVerwGE 35, 256-262). Entscheidend bleibt jedoch stets eine umfassende Bewertung der Grundstücksituation auf Grundlage der konkreten Gegebenheiten. Liegt ein Grundstück am Ortsrand, endet der Bebauungszusammenhang unabhängig vom Verlauf der Grundstücksgrenze regelmäßig am letzten Baukörper; örtliche Besonderheiten können es aber rechtfertigen, ihm noch bis zu einer natürlichen Grenze (z.B. Fluss, Waldrand o.ä.) ein oder mehrere Grundstücke zuzuordnen, die unbebaut sind und trotz des Vorhandenseins von Baulichkeiten sonst nicht zur Prägung der Siedlungsstruktur beitragen (BVerwG, B.v. 2.8.2001 – 4 B 26.01 – juris Rn. 7).
1.1.1 Offen bleiben kann, ob es sich bei dem Gebäudebestand in dem maßgeblichen, von der innerörtlichen Bebauung durch eine Bahnlinie klar abgetrennten Gebiet um einen Ortsteil i.S.d. § 34 BauGB handelt. Im Geodatenportal Bayern Atlas sind in dem fraglichen Bereich lediglich die Anwesen Nr. 3a, 5 und 6 als Wohngebäude gekennzeichnet. Unter Berücksichtigung aller vorhandenen größeren Anlagen handelt es sich im Wesentlichen um Gebäude der heute teilweise als Kinderheim genutzten Klosteranlage, eine Kirche mit Pfarrhaus, ein Wohn- und Betriebsgebäude eines Bootsverleihs und Betriebsgebäude eines Fischereibetriebs. Inwieweit diese Bauwerke, die als Solitäranlagen bzw. in Zusammenhang mit einer bauplanungsrechtlichen Privilegierung entstanden sein dürften, vorliegend als Ausdruck einer organischen Siedlungsstruktur gesehen werden können, mag dahinstehen.
1.1.2 Der geplante Vorhabenstandort stellt sich hinsichtlich beider Varianten jedenfalls nicht als bloße “Baulücke” dar. Der Beklagte hat insofern zu Recht ausgeführt, dass die zur Bebauung vorgesehenen Grundstücksflächen insofern keinen Bestandteil eines durch die vorhandenen Bauten vermittelten Bebauungszusammenhangs bilden.
Der durchgeführte Augenschein hat den sich bereits aus den Lagekarten und Luftbildaufnahmen des Geodatenportals Bayern Atlas ergebenden Eindruck bestätigt, dass der geplante Vorhabenstandort nur relativ weitläufig von Bebauung umgeben ist. Dies genügt nicht, um eine Innenbereichslage der streitgegenständlichen Grundstücksflächen im Sinne einer “Baulücke” annehmen zu können. Die Örtlichkeiten und insbesondere auch die Verteilung der Bebauung auf den umliegenden Flächen lassen vorliegend nicht den Schluss zu, dass die zur Bebauung vorgesehenen Flächen von der umgebenden Bebauung derart geprägt sind, dass sie dieser noch als zugehörig betrachtet werden könnten. Zu Recht hat der Beklagte darauf hingewiesen, dass der geplante Vorhabenstandort selbst unter Berücksichtigung des Betriebsgebäudes des Fischereibetriebs allenfalls auf zwei Seiten – nämlich im Norden (Haus Nr. 5 und 6) und im Osten (Haus Nr. 11) – an Bebauung angrenzt. Die in südwestlicher Richtung gelegenen Anwesen Nr. 13 und 15 liegen zu weit entfernt, um zu dieser Bebauung in einem Bebauungszusammenhang zu stehen, an dem die streitgegenständlichen Flächen teilnehmen könnten. Auch nach den vorgelegten Berechnungen der Klägerseite beträgt die kürzeste Entfernung zwischen den insoweit jeweils nächstgelegenen Anwesen ca. 85 m (Haus Nr. 11 und 15) bzw. mindestens 103 m (Haus Nr. 5 und 15). Zwar handelt es sich bei der Klosteranlage und dem Anwesen Nr. 13 um dominante Anlagen, diese sind jedoch sowohl voneinander als auch von dem übrigen, in unmittelbarer Seeufernähe befindlichen und erheblich dichteren Gebäudebestand erkennbar abgesetzt. Soweit von Klägerseite im Rahmen der vorgelegten Bemessungen schließlich auf ein unmittelbar westlich des geplanten Standorts gelegenes kleineres Nebengebäude abgestellt wurde (Bl. 68 d.GA), handelt es sich hierbei nach dem Vortrag des Beklagten um ein einfaches Gerätehaus, was von Klägerseite nicht bestritten wurde und woran auch nach den Luftbildaufnahmen des Bayern Atlas kein Zweifel besteht. Während bei den größeren Wirtschafts-/ Betriebsgebäuden (Haus Nr. 3, 11, 13 und 15) eine maßstabsbildende Bebauung möglicherweise nicht per se ausgeschlossen werden kann, ist dies jedenfalls für das kleinere Gerätehaus offensichtlich. Nach dem im Rahmen des Augenscheins gewonnenen Gesamteindruck ist die unbebaute Fläche damit unter Berücksichtigung der konkreten Örtlichkeiten und der umliegenden Bebauung deutlich zu groß, um den Bereich des Vorhabenstandorts noch als bloße Baulücke innerhalb eines Bebauungszusammenhangs der umliegenden Bebauung werten zu können. Topographische oder sonstige örtliche Besonderheiten, die es rechtfertigen könnten, die unbebauten Flächen noch dem bestehenden Bebauungskomplex zuzuordnen, sind weder erkennbar noch vorgetragen.
1.2. Als sonstiges Bauvorhaben nach § 35 Abs. 2 BauGB ist das klägerische Vorhaben im Außenbereich nicht zulässig, weil öffentliche Belange beeinträchtigt werden. Insbesondere lässt das Vorhaben die Verfestigung bzw. Erweiterung einer Splittersiedlung befürchten (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB). Das Vorhaben hätte im Falle seiner Zulassung ersichtlich eine negative Vorbildwirkung. Es gibt in der näheren Umgebung weite bisher unbebaute Flächen, bei denen im Falle der Zulassung des vorliegenden Vorhabens ebenfalls Bauwünsche für Vorhaben geäußert werden könnten. Dies betrifft insbesondere die bislang unbebauten Bereiche nördlich und westlich des Vorhabenstandorts auf den weitläufigen Fl.Nrn. 949 und 866. Aufgrund der Größe und des Zuschnitts der umliegenden Grundstücke erscheint eine weitere erhebliche Verdichtung der umliegenden Bebauung ohne weiteres möglich. Selbst bei Annahme eines Ortsteils bestünde damit die Gefahr eines ungeordneten Ausuferns des Bebauungszusammenhangs in den Außenbereich hinein, was einen Vorgang einer städtebaulich unerwünschten, unorganischen Siedlungsweise darstellt, die zu vermeiden ein öffentlicher Belang im Sinne des § 35 Abs. 2 BauGB ist (vgl. BVerwG, U.v. 25.1.1985 – 4 C 29.81 – juris Rn. 9; BayVGH, U.v. 13.4.2015 – 1 B 14.2319 – juris Rn. 28).
Da das klägerische Vorhaben bereits wegen der zu befürchtenden Verfestigung bzw. Erweiterung einer Splittersiedlung (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB) bauplanungsrechtlich unzulässig ist, kommt es hier nicht darauf an, ob weitere öffentliche Belange – wie etwa die Darstellungen des Flächennutzungsplans oder die natürliche Eigenart der Landschaft (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nrn. 1 und 5 BauGB) – beeinträchtigt würden.
1.3 Ferner kommt es nicht mehr entscheidungserheblich darauf an, ob die Erschließung angesichts der bestehenden Eigentumsverhältnisse an den maßgeblichen Wegeflächen (vgl. dazu die Niederschrift der Sitzung des Bau- und Umweltausschusses des Beigeladenen vom 15. Januar 2018, Bl. 8 d.BA) als gesichert anzusehen wäre.
2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 154 Abs. 1 VwGO. Der Beigeladene trägt billigerweise gemäß § 162 Abs. 3 VwGO seine außergerichtlichen Kosten selbst, da er keinen Antrag gestellt und sich damit nicht dem Kostenrisiko aus § 154 Abs. 3 VwGO ausgesetzt hat. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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