Baurecht

Vorbescheid, Bebauungsgenehmigung, Abgrenzung Innenbereich, Außenbereich

Aktenzeichen  W 4 K 20.453

Datum:
7.9.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 43235
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 34
BauGB § 35
BayBO Art. 71

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe

Die Entscheidung konnte nach § 101 Abs. 2 VwGO vorliegend ohne mündliche Verhandlung ergehen, nachdem die Parteien im Rahmen des Augenscheinstermins sich mit einer Entscheidung ohne weitere mündliche Verhandlung einverstanden erklärt haben.
Streitgegenstand im vorliegenden Verfahren, dies ergibt sich aus der Begründung des klägerischen Schriftsatzes, aber auch aus dem Vortrag des Klägervertreters im Rahmen des Augenscheinstermins, ist die Frage, ob eine Bebauung der Grundstücke Fl.Nrn. … und …1 der Gemarkung G. bauplanungsrechtlich zulässig ist.
Unter Berücksichtigung dessen ist die zulässige Klage unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung des von ihm beantragten Vorbescheids bezüglich der streitgegenständlichen Frage 1. Die Ablehnung durch das Landratsamt Aschaffenburg mit Bescheid vom 17. Februar 2020 war demgemäß rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Ausgangspunkt der rechtlichen Beurteilung ist Art. 71 BayBO. Nach dieser Vorschrift kann vor Einreichung eines Bauantrags auf Antrag des Bauherrn zu einzelnen Fragen des Bauvorhabens ein Vorbescheid erteilt werden. Vorliegend hat der Kläger eine sogenannte Bebauungsgenehmigung beantragt, in der die Frage der planungsrechtlichen Zulässigkeit eines Vorhabens geklärt werden soll.
Der begehrte positive Vorbescheid kann nach Auffassung des erkennenden Gerichts, insbesondere auch unter Berücksichtigung der im Rahmen des Augenscheins gewonnenen Erkenntnisse, nicht erteilt werden, weil die Errichtung der geplanten zwei Doppelhäuser an dem vorgesehenen Standort bauplanungsrechtlich nicht zulässig ist.
Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des streitgegenständlichen Vorhabens richtet sich nämlich nach § 35 BauGB, da die klägerischen Grundstücke, auf denen die jeweiligen Doppelhäuser errichtet werden sollen, nach Auffassung der erkennenden Kammer dem Außenbereich gemäß § 35 BauGB zuzuordnen sind.
Wie der Augenscheinstermin verdeutlicht hat, stellen die Grundstücke mit den Fl.Nrn. … und …1 der Gemarkung G. eine Art „Außenbereichsinsel im Innenbereich“ bzw. „Außenbereichsnase“ und keine Baulücke dar. Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Beschluss vom 15. September 2005 (vgl. BVerwG, B.v. 15.9.2005 – 4 BN 37/05 – juris Rn. 3) zur Abgrenzung von Innen- und Außenbereich zusammenfassend ausgeführt, dass ausschlaggebend für das Bestehen eines Bebauungszusammenhangs i.S.d. § 34 BauGB sei, inwieweit die aufeinanderfolgende Bebauung trotz etwa vorhandener Baulücken nach der Verkehrsauffassung den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt und die zur Bebauung vorgesehene Fläche (noch) diesem Zusammenhang angehört (vgl. BVerwG, B.v. 18.7.1997 – BVerwGE 4 B 238.96 – BRS 59 Nr. 78 m.w.N.). Eine ringsum von Bebauung umgebene Freifläche, die so groß ist, dass sich ihre Bebauung nicht mehr als zwangslose Fortsetzung der vorhandenen Bebauung aufdrängt und die deshalb nicht als Baulücke erscheint, liegt nicht innerhalb eines Bebauungszusammenhangs i.S.d. § 34 Abs. 1 BauGB; sie ist damit bauplanungsrechtlich Außenbereich (vgl. BVerwG, Ue.v. 17.2.1984 – BVerwG 4 C 55.81 – BRS 42 Nr. 94, v. 1.12.1972 – BVerwG 4 C 6.71 – BRS 25 Nr. 36). Wie eng die Aufeinanderfolge von Baulichkeiten sein muss, um sich noch als zusammenhängende Bebauung darzustellen, ist nicht nach geographisch-mathematischen Maßstäben, sondern aufgrund einer umfassenden Bewertung des im Einzelfall vorliegenden konkreten Sachverhalts zu entscheiden.
Dies zugrunde gelegt, nehmen die beiden Vorhabensgrundstücke nicht mehr an dem Bebauungszusammenhang teil. Die bewaldete Fläche kann nicht mehr als Baulücke verstanden werden. Zu Recht weist der Beklagte darauf hin, dass schon die Größe der bewaldeten Freifläche, sie beträgt entlang der Straße „W.“ beachtliche 65 m, ein schwerwiegendes Indiz ist. Mit Blick auf die weite Erstreckung der bewaldeten Fläche bestätigte sich im gerichtlich durchgeführten Augenscheinstermin auch der Eindruck, dass die umgebende Bebauung sich nicht derart prägend auf die bewaldete Fläche auswirkt, dass sich eine dort neu hinzutretende Bebauung als zwanglose Fortsetzung der umgebenden Bebauung darstellt bzw. aufdrängt (vgl. BVerwG, B.v. 15.9.2005 – 4 BN 37/05 – juris Rn. 3). Zu der Annahme des fehlenden Bebauungszusammenhangs und der fehlenden Prägung durch die vorhandene Bebauung trägt auch der Umstand bei, dass der fast bis zur Straße reichende Waldsteilhang eine markante natürliche Grenze bildet und den Außenbereich optisch deutlich wahrnehmbar bis an die Straße „W.“ heranführt. Nach einer wertenden Betrachtungsweise des hier zu beurteilenden Einzelfalls kann demnach von einer einheitlichen oder in sich geschlossenen Achse oder einer Straßenrandbebauung keine Rede sein.
Die Zulässigkeit des Vorhabens richtet sich in der Folge nach § 35 Abs. 2 BauGB. Der Bau der geplanten Doppelhäuser fällt nicht unter die Definition der privilegierten Vorhaben gemäß § 35 Abs. 1 BauGB. Nach § 35 Abs. 2 BauGB können sonstige Vorhaben im Einzelfall zugelassen werden, wenn ihre Ausführung oder Benutzung öffentliche Belange nicht beeinträchtigt und die Erschließung gesichert ist. Da vorliegend öffentliche Belange i.S.v. § 35 Abs. 2, 3 BauGB beeinträchtigt werden, ist das Vorhaben unzulässig.
Das Vorhaben beeinträchtigt jedenfalls die natürliche Eigenart der Landschaft i.S.v. § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB. Die natürliche Eigenart der Landschaft im Außenbereich wird durch die naturgegebene (land- und forstwirtschaftliche) Bodennutzung sowie ihre Erholungseignung für die Bevölkerung geprägt. Zweck des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB ist es, zu verhindern, dass fremde Bebauung in den Außenbereich eindringt. Es soll auch wegen des Erholungszwecks der Landschaft für die Allgemeinheit verhindert werden, dass in den Außenbereich Siedlungsformen vordringen, die nach ihrer Zweckbestimmung nicht hierher passen (vgl. BVerwG, U.v. 30.4.1996 – BVerwG IV C 63.68 – juris Rn. 17). Mit dem Schutz der natürlichen Eigenart der Landschaft und ihres Erholungswertes soll insbesondere verhindert werden, Berufungsfälle zu schaffen, die eine Ausdehnung einer im Außenbereich wesensfremden Bebauung zur Folge haben. Die Ortsrandlage schließt die Schutzwirkung des Belangs der natürlichen Eigenart der Landschaft daher nicht aus (BayVGH, U.v. 25.3.2011 – 1 N 08.1708 – juris Rn. 42). Der öffentliche Belang der natürlichen Eigenart der Landschaft wird beeinträchtigt, wenn das Vorhaben dieser Funktion des Außenbereichs widerspricht. Dies ist bei einem nicht privilegierten Vorhaben – wie dem vorliegend geplanten – regelmäßig der Fall. Nur wenn sich das Baugrundstück wegen seiner natürlichen Beschaffenheit weder für die Bodennutzung eignet, noch einen Erholungswert hat oder wenn es seine Schutzwürdigkeit bereits durch andere Eingriffe eingebüßt hat, wird der Belang nicht beeinträchtigt (vgl. BVerwG, U.v. 11.4.2012 – BVerwGE 116, 169 – juris Rn. 24). Hierfür reicht die Lage am Rand eines Ortes oder außerhalb des Bebauungszusammenhangs allein nicht aus (vgl. BVerwG, U.v. 25.1.1985 – BVerwG 4 C 29.81 – juris Rn. 8).
Unter Berücksichtigung dessen muss vorliegend von einer Beeinträchtigung der natürlichen Eigenart der Landschaft ausgegangen werden, wie der Augenscheinstermin auch verdeutlich hat. Die geplante Bebauung würde, hierauf weist der Beklagte zu Recht hin, extreme Erdbewegungen, Felsabtragungen bzw. Felssprengungen und erhebliche Stützwände zum Abfang des Geländes nach sich ziehen, denn es handelt sich um einen steilen Hangbereich mit vereinzelten Felsbereichen, auf denen die Doppelhäuser errichtet werden sollen. Gartenflächen und die Anordnung von Terrassen wären nur nach starken veränderten Eingriffen in die Topographie realisierbar, so dass zweifellos von einer Verunstaltung des Landschaftsbildes auszugehen ist.
Ebenso sind Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege nach § 35 Abs. 3 Nr. 5 BauGB beeinträchtigt, wie sich überzeugend aus der Stellungnahme des Amtes für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vom 3. September 2019 bzw. den fachtechnischen Stellungnahmen der Unteren Naturschutzbehörde ergibt. Danach handelt es sich um einen steilen Hangbereich mit vereinzelten Felsbereichen und einen Mischwald aus alten, mächtigen Eichen, Kirschen, Buchen, Walnuss, Hainbuche und anderen. Die Gehölzbestände sichern den Hang mit Wurzeln vor Erosion. Insgesamt sei der Waldbereich ein wichtiges Biotop und Habitat für zahlreiche Vogel-, Fledermaus- und Insektenarten.
Eine Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG kann der Kläger ebenso nicht mit Erfolg geltend machen. Soweit hier gerade im Rahmen des Augenscheinstermins Beispielsfälle aufgeführt wurden, fehlt es bei Berücksichtigung der jeweiligen Umgebungsbebauung der Vorhaben schon an der Vergleichbarkeit zum vorliegenden Fall.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 und 2 ZPO.


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