Baurecht

Vorkaufsrecht, Klage der Käuferin, Kombination von Kaufvertrag und Bauträgervertrag mit Kauf einer selbstgenutzten Eigentumswohnung, Satzung über ein besonderes Vorkaufsrecht, In-Betracht-Ziehen städtebaulicher Maßnahmen, Rechtfertigung durch das Wohl der Allgemeinheit, Ermessen, Ermessensdefizit, Interesse der Verkäuferin an einer selbstgenutzten Eigentumswohnung auf dem Vertragsgrundstück

Aktenzeichen  W 5 K 20.844

Datum:
22.7.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 43240
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 25 Abs. 1 S. 1 Nr. 2
BauGB § 24 Abs. 3 S. 1
VwGO § 114 S. 1
VwGO § 114 S. 2

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Bescheid des Marktes Randersacker vom 19. Juni 2020 wird aufgehoben. 
II. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe

Die Klage ist zulässig und begründet.
1. Die Klage ist zulässig, insbesondere ist die Klagebefugnis der Klägerin als Käuferin gegeben.
Der Käufer kann sich gegen die Ausübung des Vorkaufsrechts im Klagewege zur Wehr setzen, auch wenn das Vorkaufsrecht gemäß § 28 Abs. 2 Satz 1 BauGB durch Verwaltungsakt gegenüber dem Verkäufer auszuüben ist. Die privatrechtsgestaltende Wirkung des Verwaltungsakts besteht darin, dass der Anspruch des Käufers auf Übereignung des Grundstücks vom Verkäufer nicht mehr erfüllt werden kann. Unter diesem Gesichtspunkt kann der Käufer als an dem durch Kaufvertrag begründeten Vertragsverhältnis Beteiligter nach § 42 Abs. 2 VwGO in seinen Rechten verletzt sein (Stock in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 142. EL Mai 2021, § 28 Rn. 26 unter Verweis auf die st. Rspr., so BVerwG, B.v. 30.11.2009 – 4 B 52/09 – BeckRS 2009, 42532).
2. Die Klage ist auch begründet.
Der Bescheid des Marktes Randersacker vom 19. Juni 2020 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Der Bescheid des Beklagten vom 19. Juni 2020 beruht auf § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB und §§ 2 und 3 der Satzung des Marktes Randersacker über ein besonderes Vorkaufsrecht (i.V.m. dem Lageplan zu § 2 dieser Satzung nach § 25 BauGB) vom … … 2020, die am … … 2020 in Kraft getreten ist.
Es bestehen schon rechtliche Bedenken, ob vorliegend der Beklagte aufgrund der Ermächtigungsgrundlage des § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB eine wirksame Vorkaufsrechtssatzung erlassen hat (s.u. 2.1.). Offen ist auch, ob sämtliche Ausübungsvoraussetzungen des § 25 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 24 Abs. 3 Satz 1 BauGB vorliegen (s.u. 2.2.); jedenfalls erfolgte die Ausübung des Vorkaufsrechts ermessensfehlerhaft (s.u. 2.3.).
2.1. Fraglich ist, ob vorliegend von dem Beklagten aufgrund der Ermächtigungsgrundlage des § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB eine wirksame Vorkaufsrechtssatzung erlassen wurde.
Nach § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB kann die Gemeinde in Gebieten, in denen sie städtebauliche Maßnahmen in Betracht zieht, zur Sicherung einer geordneten städtebaulichen Entwicklung durch Satzung Flächen bezeichnen, an denen ihr ein Vorkaufsrecht an den Grundstücken zusteht. Das besondere Vorkaufsrecht nach § 25 BauGB besteht nicht kraft Gesetzes, sondern wird von der Gemeinde durch (besondere) Satzung begründet. Die Vorkaufsrechtssatzung muss wirksam, d.h. formell ordnungsgemäß zustande gekommen und materiell rechtmäßig sein. Fehlt es hieran, ist das besondere Vorkaufsrecht nicht wirksam begründet (Kronisch in Brügelmann, Baugesetzbuch, 118. EL April 2021, § 25 Rn. 14).
2.1.1. Formell-rechtliche Bedenken gegen die vom Markt Randersacker am … … 2020 beschlossene und am … … 2020 in Kraft getretene Satzung über ein besonderes Vorkaufsrecht nach § 25 BauGB bestehen nicht, zumal solche von Klägerseite auch nicht gerügt wurden und insoweit lediglich auf die Inzidenzprüfung des Verwaltungsgerichts hingewiesen wurde. Die Beschlussfassung erfolgte in öffentlicher Sitzung, eine Genehmigungspflicht besteht nicht, die Bekanntmachung erfolgte gemäß den Anforderungen des § 25 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 16 Abs. 2 BauGB. Es bedarf insbesondere keiner Begründung, da § 9 Abs. 8 BauGB keine Anwendung findet. Es genügt, wenn die Gemeinde über ausreichende Unterlagen verfügt, aus denen sich der Erlass der Satzung rechtfertigt. Einer öffentlichen Auslegung bedarf es nicht (vgl. zu den Anforderungen in formell-rechtlicher Hinsicht Kronisch in Brügelmann, Baugesetzbuch, 118. EL April 2021, § 25 Rn. 16 ff.).
2.1.2. Allerdings hegt die Kammer rechtliche Bedenken an der Wirksamkeit der Vorkaufssatzung in materiell-rechtlicher Hinsicht, und zwar wegen der räumlichen Ausdehnung ihres Geltungsbereichs. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:
Die Gemeinde kann nach § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB durch Satzung Flächen bezeichnen, an denen ihr ein Vorkaufsrecht zusteht. Diese Option zum vorsorgenden Grunderwerb gilt ausweislich des Wortlauts der Norm (aber nur) für Flächen in Gebieten, in denen sie städtebauliche Maßnahmen in Betracht zieht (sog. Maßnahmegebiete). Gebiete sind räumliche Bereiche der Gemeinde, wobei aus der pluralen Formulierung „Gebiete“ folgt, dass die Satzung regelmäßig nicht das gesamte Gemeindegebiet erfassen kann. Die satzungsmäßige Bezeichnung von „Flächen“ innerhalb der Gebiete ist vielmehr beschränkt auf denjenigen räumlichen Bereich der Gemeinde, innerhalb dessen sie städtebauliche Maßnahmen in Betracht zieht (Kronisch in Brügelmann, Baugesetzbuch, 118. EL April 2021, § 25 Rn. 47). Bei der räumlichen Abgrenzung hat sie sich von dem Sicherungszweck der Satzung leiten zu lassen. Der räumliche Geltungsbereich der Vorkaufssatzung soll grundsätzlich nicht über den Bereich hinausgehen, auf den sich die in Aussicht genommene Maßnahme erstreckt. Dabei ist der Gemeinde zuzugestehen, die Abgrenzung unter Praktikabilitätsaspekten vorzunehmen. Allzu strenge Anforderungen sind hier nicht zu stellen. Im Ergebnis kommt es darauf an, dass die Abgrenzung der Satzung im Lichte der zu sichernden Maßnahme als vernünftig und sachgerecht angesehen werden kann (Stock in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 142. EL Mai 2021, § 25 Rn. 20 unter Verweis auf BayVGH, U.v. 17.9.2018 – 15 N 17.698 – BeckRS 2018, 24546 Rn. 21; HessVGH, U.v. 26.1.2017 – 4 A 2586/16 – NVwZ-RR 2017, 704 Rn. 56: „Der Zweck des § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB verlangt damit eine ausgewogene Relation zwischen der beabsichtigten städtebaulichen Maßnahme und dem Umfang der Flächen, für die das Satzungsvorkaufsrecht vorgesehen ist“). Eine Begrenzung in räumlicher Hinsicht folgt auch aus dem Tatbestandsmerkmal „zur Sicherung einer geordneten städtebaulichen Entwicklung“: Das Vorkaufsrecht ist kein Mittel allgemeiner Bodenbevorratung, sondern ermöglicht nur eine an städtebaulichen Interessen orientierte Bodenvorratspolitik (BayVGH, U.v. 17.9.2018 – 15 N 17.698 – BeckRS 2018, 24546 Rn. 21; BVerwG, B.v. 15.2.2000 – 4 B 10.00 – NVwZ 2000, 1044; B.v. 8.9.2009 – 4 BN 38.09 – BeckRS 2009, 39254 Rn. 4). Die Gemeinde darf sich des Sicherungsmittels des § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB nur dann bedienen, wenn hierfür ein wirkliches Bedürfnis besteht. Ein Erwerb der von der Vorkaufssatzung betroffenen Grundstücke muss nicht nur für die Verwirklichung eines übergeordneten städtebaulichen Ziels, sondern konkret zur Verwirklichung der von dem Beklagten beabsichtigten städtebaulichen Maßnahme etwas beitragen (BayVGH, U.v. 17.9.2018 – 15 N 17.698 – BeckRS 2018, 24546 Rn. 21; NdsOVG, U.v. 9.6.2015 – 1 KN 69/14 – NVwZ-RR 2015, 870). Insbesondere auch hinsichtlich ihres räumlichen Umgriffs muss die Vorkaufssatzung zur Erreichung des mit ihr verfolgten Sicherungszwecks erforderlich sein. In eine auf § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB gestützte Vorkaufssatzung dürfen mithin nur Flächen einbezogen werden, deren Erwerb der Verwirklichung der beabsichtigten städtebaulichen Maßnahmen dienlich ist (BayVGH, U.v. 17.9.2018 – 15 N 17.698 – BeckRS 2018, 24546 Rn. 21; BVerwG, B.v. 24.2.2010 – 1 ZB 08.3231 – BeckRS 2010, 50198 Rn. 34; B.v. 15.2.2000 – 4 B 10.00 – NVwZ 2000, 1044; vgl. auch Stock in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 142. EL Mai 2021, § 25 Rn. 22). Der Geltungsbereich der Vorkaufsrechtssatzung muss sich daher grundsätzlich auf den Bereich konzentrieren, auf den sich die in Aussicht genommene Maßnahme erstreckt (BayVGH, U.v. 17.9.2018 – 15 N 17.698 – BeckRS 2018, 24546 Rn. 21; BVerwG, B.v. 24.2.2010 – 1 ZB 08.3231 – BeckRS 2010, 50198 Rn. 34; OVG Rh.-Pf., B.v. 4.3.2003 – 8 A 10154/03 – BeckRS 2003, 18279 Rn. 4, 5).
Unter Zugrundelegung dieser rechtlichen Maßstäbe bestehen hier rechtliche Bedenken in Bezug auf den räumlichen Geltungsbereich der vom Markt Randersacker am … … 2020 beschlossenen und am … … 2020 in Kraft getretenen Satzung über ein besonderes Vorkaufsrecht.
Hinreichend konkret von dem Beklagten in Betracht gezogene, durch eine Vorkaufssatzung sicherbare städtebauliche Maßnahmen bestanden im Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses am … … 2020 wohl allenfalls hinsichtlich der räumlichen Teile des Geltungsbereichs der streitgegenständlichen Satzung, die auch von der (später erlassenen) Satzung des Beklagten über die förmliche Festlegung eines Sanierungsgebiets „Ortskern R …“ (Sanierungssatzung Ortskern R …) vom … … 2020, in Kraft getreten am … … 2020, umfasst sind, nicht aber für die darüber hinausgehenden Teile. In diesem Zusammenhang muss festgestellt werden, dass die Sanierungssatzung Ortskern R … sich bereits über mehr als die Hälfte des Ortsgebietes von R … erstreckt und der Geltungsbereich der Vorkaufssatzung nochmals deutlich darüber hinaus geht (vor allem im nordöstlichen Bereich) und ca. ¾ des bebauten Bereiches des Ortes umfasst. Darüber hinaus erstreckt sich der Geltungsbereich der Vorkaufssatzung – anders als der der Sanierungssatzung – nun auch auf große unbebaute Bereiche jenseits des westlichen Ortsrandes, zwischen der Umgehungs straße (Staats straße St …) und dem Main und damit auf Außenbereichsgrundstücke. Es sind weder der Vorkaufssatzung selbst Anhaltspunkte dafür zu entnehmen oder sonst wie vorgetragen, dass der Beklagte auf diesen – über den Geltungsbereich der Sanierungssatzung hinausgehenden – Flächen irgendwelche städtebauliche Maßnahmen in Betracht zieht. Zu den von der Gemeinde ins Auge gefassten städtebaulichen Maßnahmen, die zum Erlass einer Vorkaufsrechtssatzung nach § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB berechtigen, gehören ohne Weiteres die förmlichen Instrumente des Städtebaurechts, mithin neben den Bauleitplänen der Erlass oder die Änderung einer Erhaltungssatzung, einer Sanierungssatzung, Maßnahmen des Stadtumbaus, Entwicklungsmaßnahmen oder Maßnahmen der Sozialen Stadt (vgl. Kronisch in Brügelmann, Baugesetzbuch, 118. EL April 2021, § 25 Rn. 47). Dass derartige Maßnahmen hier für die über den Geltungsbereich der Sanierungssatzung hinausgehenden Flächen der Vorkaufssatzung vorgesehen sind, ist nicht ersichtlich. Aus welchen städtebaulichen Gründen diese Bereiche in die Satzung aufgenommen wurden, konnte nicht geklärt werden. Auf Frage des Gerichts hat die Beklagtenseite insoweit in der mündlichen Verhandlung lediglich erklärt, dass die Vorkaufsrechtssatzung deshalb erlassen worden sei, weil sie einen größeren Geltungsbereich aufweise als die Sanierungssatzung.
Nach allem ist fraglich, ob die Vorkaufssatzung des Beklagten von der Ermächtigungsnorm des § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB gedeckt und damit wirksam ist. Letztlich muss diese Frage nicht abschließend entschieden werden, da sich die Klage aus anderen Gründen als begründet erweist (s.u. 2.3.).
2.2. Die Kammer hat darüber hinaus rechtliche Bedenken am Vorliegen der Ausübungsvoraussetzungen des § 25 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 24 Abs. 3 Satz 1 BauGB.
2.2.1. Zwar erfolgte die Ausübung des Vorkaufsrechts fristgerecht. Der Bescheid vom 19. Juni 2020 wurde der Verkäuferin zugestellt am 23. Juni 2020, mithin innerhalb der Frist des § 28 Abs. 2 Satz 1 BauGB von zwei Monaten nach Übermittlung des vollständigen Kaufvertrages durch den Notar am … … 2020.
2.2.2. Auch der gesetzlichen Regelung des § 25 Abs. 2 Satz 2 BauGB, wonach der Verwendungszweck des Grundstücks anzugeben ist, soweit dies bereits zum Zeitpunkt der Ausübung des Vorkaufsrechts möglich ist, wurde vorliegend Genüge getan. Im Falle eines Vorkaufsrechts nach § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB sind keine hohen Anforderungen zu stellen, da die konkrete künftige Nutzung des Grundstücks angesichts des frühen Planungsstandes in der Regel noch nicht bekannt und damit dann deren Angabe auch noch nicht möglich ist (vgl. Stock in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 142. EL Mai 2021, § 25 Rn. 35; Kronisch in Brügelmann, Baugesetzbuch, 118. EL April 2021, § 25 Rn. 76 f.). Diesem Erfordernis genügt der streitgegenständliche Bescheid. Er hat den Verwendungszweck – die Schaffung von 24 Wohnungen für ambulant betreute Senioren – dem Planungsstadium entsprechend hinreichend konkret angegeben.
2.2.3. Allerdings ist fraglich, ob vorliegend die Ausübung des Vorkaufsrechts gemäß § 25 Abs. 2 Satz 1 und § 24 Abs. 3 Satz 1 BauGB durch das Wohl der Allgemeinheit gerechtfertigt ist.
Der Begriff des Wohls der Allgemeinheit ist ähnlich wie im Bereich des verfassungsrechtlichen Eigentumsschutzes (Art. 14 Abs. 2 und 3 GG) und den speziellen Enteignungsvorschriften (§ 87 Abs. 1 BauGB) nicht mit dem Begriff des öffentlichen Interesses gleichzusetzen. Erst ein qualifiziertes, sachlich objektiv öffentliches Interesse als Ergebnis einer Abwägung der im Einzelfall miteinander in Widerstreit stehenden privaten und öffentlichen Interessen kann mit dem Wohl der Allgemeinheit identifiziert werden (vgl. BayVGH, U.v. 6.2.2014 – 2 B 13.2570 – BeckRS 2014, 47685 Rn. 16; Stock in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 142. EL Mai 2021, § 24 Rn. 63). An die Ausübung des Vorkaufsrechts werden jedoch gegenüber einer Enteignung, die nur zulässig ist, wenn das Wohl der Allgemeinheit diese erfordert, qualitativ geringere Anforderungen gestellt. Es genügt, wenn der Erwerb des Grundstücks im Rahmen der tatbestandlichen Voraussetzungen zu den vom Gesetzgeber gebilligten bodenpolitischen, eigentumspolitischen und städtebaulichen Zwecken erfolgt und dabei überwiegende Vorteile für die Allgemeinheit angestrebt werden (vgl. BayVGH, U.v. 6.2.2014 – 2 B 13.2570 – BeckRS 2014, 47685 Rn. 16; U.v. 9.3.2000 – 2 B 96.467 – BeckRS 2000, 24709; BVerwG, B.v. 15.2.1990 – 4 B 245/89 – NJW 1990, 2703; Stock in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 142. EL Mai 2021, § 24 Rn. 64).
In den Fällen des Vorkaufsrechts in städtebaulichen Maßnahmegebieten nach § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB ist das Wohl der Allgemeinheit jedenfalls zu bejahen, wenn das Grundstück für eine Nutzung für öffentliche Zwecke schon konkret benötigt wird (vgl. VGH BW, U.v. 24.9.2019 – 5 S 1733/17 – juris Rn. 72; Grziwotz in Spannowsky/Uechtritz, BeckOK BauGB, § 25 Rn. 14; Stock in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 142. EL Mai 2021, § 25 Rn. 3). Eine reine allgemeine Bodenbevorratung oder privatwirtschaftliches Gewinnstreben rechtfertigen die Ausübung des Vorkaufsrechts dagegen nicht (vgl. VGH BW, U.v. 24.9.2019 – 5 S 1733/17 – juris Rn. 72; U.v. 30.3.2009 – 8 S 31/08 – juris Rn. 61; Stock in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 142. EL Mai 2021, § 25 Rn. 31). Auch müssen sich die mit der Ausübung verfolgten Ziele im Rahmen der mit der Satzung verfolgten Ziele halten (vgl. OVG NW, U.v. 15.3.2016 – 10 A 1066/14 – juris Rn. 48).
Unter Zugrundelegung dieser rechtlichen Maßstäbe ist fraglich, ob hier das Wohl der Allgemeinheit die Ausübung des Vorkaufsrechts rechtfertigt. Im Einzelnen:
Die Ausübung des Vorkaufsrechts dient zwar – ausweislich der Begründung des streitgegenständlichen Bescheids vom 19. Juni 2020 – dazu, auf den von der Satzung betroffenen Flächen die Durchführung städtebaulicher Maßnahmen zu ermöglichen. Die Satzung diene – so ihre Begründung – zur Sicherung einer geordneten städtebaulichen Entwicklung. Der Markt Randersacker möchte im Geltungsbereich der Satzung u.a. eine geordnete Nachverdichtung und präventive Maßnahmen zur Verhinderung von Leerstand im Ortsbereich sicherstellen, städtebaulichen Missstand beheben, den Ortskern sanieren, gestalten und die Denkmalqualitäten erhalten, die Wohnqualität verbessern und die Daseinsvorsorge und Soziales erhalten und weiterentwickeln. Hierzu gehöre nach § 1 Abs. 2 Ziff. 4 Spiegelstrich 3 der Vorkaufsrechtssatzung auch ausdrücklich die Aufgabe, Angebote für Senioren zu schaffen. Auf dem Grundstück sollten insgesamt 24 Wohneinheiten für ambulant betreute Senioren (Wohnen, Betreuen, Pflege) geschaffen werden. Das Kommunalunternehmen (des Landkreises Würzburg) fungiere in diesem Konzept als Scharnier der Dienstleister zu den Bewohnern, wobei vorausgesetzt werde, dass die Gebäude im Eigentum der Gemeinde stünden (vgl. S. 2 Abs. 3 und 4 des streitgegenständlichen Bescheids). Der Beklagte verfolgt damit wohl im Schwerpunkt einen vom Gesetzgeber gebilligten städtebaulichen Zweck, welcher die Ausübung des Vorkaufsrechts rechtfertigt.
Allerdings lässt sich – worauf die Klägerseite zutreffender Weise hinweist – dem Abschlussbericht des integrierten städtebaulichen Entwicklungskonzepts (ISEK) des Marktes Randersacker vom … … 2020 entnehmen, dass auf dem Grundstück Fl.Nr. …4 – also dem streitgegenständlichen Grundstück – auf der der O … S … zugewandten Seite eine Wohnbebauung („Neubau von Wohngebäuden“) vorgesehen ist (vgl. ISEK, S. 70). Nur auf den südlich hieran angrenzenden Grundstücken – nicht aber auf dem streitgegenständlichen Grundstück – ist im Rahmenplan eine Fläche für „Erhalt, Entwicklung von Einrichtungen der soz. Infrastruktur und Daseinsvorsorge“ dargestellt. Ob allerdings der Klägerin beizupflichten ist, wenn sie vorträgt, dass von dem Beklagten die Sanierungsziele dadurch bereits soweit konkretisiert worden seien, dass sich Aussagen dazu treffen ließen, welche Nutzungsziele für die streitgegenständlichen Grundstücke bestünden oder nicht bestünden, und dass sich die Ausübung des Vorkaufsrechts anhand der Vorkaufssatzung an den Zielen des ISEK messen lassen müsste, erscheint offen. Zwar können auch informelle städtebauliche Planungen wie die Ergebnisse eines städtebaulichen Entwicklungskonzepts nicht nur ein bei der Bauleitplanung nach § 1 Abs. 6 Nr. 11 BauGB abwägungserheblicher Belang sein, sondern auch eine städtebauliche Maßnahme i.S.v. § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB (vgl. Stock in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 142. EL Mai 2021, § 25 Rn. 17 m.w.N.; s.a. BayVGH, B.v. 24.2.2010 – 1 ZB 08.3231 – BeckRS 2010, 50198 Rn. 29). Allerdings ist fraglich, ob hier der Beklagte mit dem im ISEK niedergelegten Rahmenplan eine „parzellenscharfe“ Festlegung getroffen hat, wie die Klägerseite wohl meint, mit der Folge, dass ausschließlich auf dem sich südlich an das streitgegenständliche Grundstück anschließenden Grundstück eine Zuweisung für ein seniorengerechtes Wohnen getroffen werden sollte. Hiergegen spricht schon der Charakter des ISEK als informelle Planung und die Aussage im Abschlussbericht des ISEK in der Maßnahmenbeschreibung, wonach zu „prüfen“ sei, ob das Gelände des ehemaligen EDEKA-Marktes am südlichen Ortsausgang für eine derartige Nutzung in Frage komme (vgl. ISEK, S. 80).
Letztlich kann dies auch offenbleiben, da sich die Klage aus anderen Gründen als begründet erweist (s.u. 2.3.).
2.3. Denn die Ausübung des Vorkaufsrechts durch den Beklagten ist ermessensfehlerhaft erfolgt. Der streitgegenständliche Bescheid des Beklagten leidet an einem Ermessensdefizit, da der Beklagte wesentliche Belange nicht in seine Ermessensentscheidung eingestellt hat und dieser Mangel auch nicht durch das Nachschieben von Gründen geheilt worden ist. Im Einzelnen:
2.3.1. Die Entscheidung über die Ausübung des Vorkaufsrechts liegt im Ermessen der Gemeinde. Sie kann bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen ihr Recht ausüben, sie ist aber dazu nicht verpflichtet (Stock in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 142. EL Mai 2021, § 24 Rn. 66).
Gemäß § 114 Satz 1 VwGO prüft das Gericht, ob der Verwaltungsakt deswegen rechtwidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht wurde. Ein Ermessensfehler liegt zunächst dann vor, wenn die Behörde überhaupt kein Ermessen ausgeübt hat (sog. Ermessensausfall oder -nichtgebrauch), wenn sie die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschreitet (sog. Ermessensüberschreitung), wenn sie nicht alle nach Lage des Falles betroffenen Belange in ihre Ermessensentscheidung eingestellt, sie ihre Entscheidung also auf einer unzureichenden Tatsachengrundlage getroffen hat (sog. Ermessensdefizit) und schließlich wenn von dem durch die Befugnisnorm eingeräumten Ermessen nicht in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist, die Behörde sich von sachfremden Erwägungen hat leiten lassen oder ein Belang willkürlich falsch gewichtet (sog. Ermessensfehlgebrauch) worden ist (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, § 114 Rn. 14 ff.). Insoweit unterwirft § 114 Satz 1 VwGO die behördliche Ermessensausübung auch der Kontrolle durch die Verwaltungsgerichte.
Der nach Art. 19 Abs. 4 GG verfassungsrechtlich garantierte gerichtliche Rechtsschutz setzt dabei voraus, dass die Behörde offenbart, von welchen Gesichtspunkten sie sich bei der Ausübung des Ermessens hat leiten lassen. Diesem Zweck dient auch die Pflicht zur Begründung von Verwaltungsakten (vgl. Art. 39 Abs. 1 BayVwVfG; BayVGH, U.v. 13.10.2009 – 14 B 07.1760; BVerwG, U.v. 5.9.2006 – 1 C 20/05 – NVwZ 2007, 470; Rennert in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 114 Rn. 23). Ob die Ermessensausübung im Einzelfall pflichtgemäß oder fehlerhaft erfolgte, lässt sich nur anhand der nach Art. 39 Abs. 1 Satz 3 BayVwVfG erforderlichen Begründung des Bescheids ermitteln (Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, § 114 Rn. 14 ff.). Eine bezüglich der Ermessensausübung fehlende oder unzureichende Begründung indiziert einen Ermessensnicht- oder -fehlgebrauch, sofern sich nicht aus den Umständen anderes ergibt. Die von Art. 39 Abs. 1 BayVwVfG verlangten Ermessensbegründungen haben verfahrensrechtlichen Charakter, geben also für die materielle Frage, ob Ermessen überhaupt oder missbräuchlich ausgeübt und seine Grenzen eingehalten worden sind, nur Anhaltspunkte, denen andere Belege, z.B. aus Aktenvermerken, gleich stehen (Stelkens in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 39 Rn. 29 m.w.N.). Fehlt in einer gegebenen Begründung ein wesentlicher Gesichtspunkt, so spricht dies für die Annahme, dass dieser Punkt auch tatsächlich übersehen wurde (Rennert in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 114 Rn. 23). Das Fehlen einer Ermessensbegründung ist ein starkes Indiz für einen materiellen Ermessensausfall (Stelkens in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 39 Rn. 29 m.w.N.).
2.3.2. Im vorliegenden Fall liegt zwar kein Ermessensausfall oder -nichtgebrauch vor, – also der Fall, dass die Behörde verkennt, dass sie ein Ermessen hat -auch wenn die Ermessenserwägungen des Beklagten im streitgegenständlichen Bescheid sehr kurz ausgefallen sind. Dass die Ausübung des Vorkaufsrechts eine Ermessensentscheidung darstellt, kommt letztlich knapp, aber dennoch deutlich im streitgegenständlichen Bescheid zum Ausdruck („Die Gemeinde hat auch das ihr zustehende Ermessen ausgeübt“, S. 3 des Bescheids vom 19.6.2020).
Der streitgegenständliche Bescheid leidet jedoch an einem Ermessensdefizit, weil der Beklagte wesentliche Belange der Verkäuferin (und der Käuferin) nicht in seine Entscheidung eingestellt hat. Im Einzelnen:
Die Behörde muss als Voraussetzung ihrer Entscheidung bzw. ihres Handelns alle dafür vom Zweck der Ermächtigung her relevanten Tatsachen umfassend ermitteln und bei der Entscheidung alle Ergebnisse dieser Ermittlungen und alle sonst einschlägigen wesentlichen Gesichtspunkte berücksichtigen. Übersieht sie einen wesentlichen Gesichtspunkt, so sind ihre Ermessenserwägungen unvollständig und rechtswidrig. Nach dem gesetzlichen Entscheidungsprogramm muss die Behörde berücksichtigen die öffentlichen Belange, die im Zweck des ermächtigenden Gesetzes liegen, sowie die betroffenen privaten Belange. Aus diesem Umkreis muss die Behörde jedenfalls die wesentlichen Umstände berücksichtigen. Um ihr Ermessen sachgerecht ausüben zu können, muss die Behörde den Sachverhalt in wesentlicher Hinsicht vollständig und zutreffend ermittelt haben (vgl. Rennert in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 114 Rn. 24 f. m.w.N.).
Diesen rechtlichen Maßstäben wird die Ermessensentscheidung des Beklagten nicht gerecht. Denn der Markt Randersacker hat sich im streitgegenständlichen Bescheid nicht mit den wesentlichen Belangen der Verkäuferin und auch nicht mit den wesentlichen Belangen der Käuferin auseinandergesetzt bzw. diese sind in die Abwägungsentscheidung überhaupt nicht eingeflossen. Es spricht nichts dafür, dass der Beklagte insoweit überhaupt erkannt hat, dass das wesentliche Interesse der Verkäuferin am Abschluss des Notarvertrags vom … … 2020, also der gewählten Vertragsgestaltung eines Kaufvertrags verbunden mit einem Bauträgervertrag, darin besteht – wie jene in der mündlichen Verhandlung erläutert hat -, auf ihrem bisherigen Grundstück in R … eine selbstgenutzte Wohnung zu beziehen. Frau K … S … hat hierzu – unwidersprochen und für die Kammer nachvollziehbar – ausgeführt, dass das streitgegenständliche Grundstück sich in langjährigem Familienbesitz befinde und das Grundstücksgeschäft in Abstimmung mit ihrer 82-jährigen Mutter erfolgt sei. Tragender Grund für die gewählte Vertragsgestaltung eines Kaufvertrags mit einem Bauträgervertrag sei die Möglichkeit gewesen, wieder nach R … zurück zu kehren und die größere der beiden Wohnungen selbst zu bewohnen und eventuell die kleinere Wohnung durch die Mutter bewohnen zu lassen. Dieser private Belang am Erwerb von zwei Wohnungen wurde auch bereits in der Klageschrift vom 10. Oktober 2020 angesprochen, wenn dort gerügt wird, dass der Vorkaufsbescheid sich nicht mit den Inhalten des notariellen Kaufvertrags, und hier dem Verkauf von zwei Wohneinheiten an Frau K … S … auseinandersetze, und weiter ausgeführt wird, dass diese „ersichtlich das bislang unbebaute Grundstück nur verkaufen (wollte), damit die Käuferin als erfahrene Bauträgerin eine Wohnanlage errichtet, in der anschließend Frau K … S … wiederum zwei Wohnungen übereignet werden“ (vgl. Klageschrift vom 10.10.2020, S. 10). Der Klägerbevollmächtigte hat hierzu im Schriftsatz vom 16. Februar 2021 ausgeführt, dass die Unterstellung des Beklagten, „die Drittkäuferin verfolge mit dem Vertrag nur Vermögensinteressen (…), unzutreffend“ sei und es „den Organvertretern des Beklagten bekannt sein (sollte), dass die Drittkäuferin persönliche und familiäre Bindungen an R …“ habe und es deshalb für sie „auch wesentliches Motiv (sei), hier eine Wohnung zum Selbstbezug zu erwerben“ (S. 4 des Schriftsatzes). Dem ist die Klägerseite nicht entgegengetreten und es besteht nach dem Eindruck der mündlichen Verhandlung für die Kammer kein Anlass, an diesen Angaben zu zweifeln.
Im Übrigen lassen sich dem zwischen der Verkäuferin und der Klägerin geschlossenen Notarvertrag vom … … 2020, der dem Beklagten mit Schreiben des Notars … W … F … vom 22. April 2020 am 24. April 2020 vorgelegt wurde, diese wesentlichen Belange der Verkäuferin ohne Weiteres entnehmen. Die Verkäuferin hat mithin in der vorliegenden Konstellation nicht nur ein maßgebliches Interesse am Erhalt des Kaufpreises. Sie hat vielmehr – und dies macht die Besonderheit dieses Falles aus – ein gewichtiges Interesse daran, dass ihr von ihrer Vertragspartnerin zwei genau bezeichnete Wohneinheiten in der zu schaffenden Wohnanlage auf dem streitgegenständlichen Grundstück verschafft werden sollen, von denen sie eine auch künftig selbst bewohnen will. Dies wird durch das Rücktrittsrecht in Ziffer 3 des Abschnitts C des Kaufvertrags deutlich unterstrichen, wonach Frau S … zum Rücktritt berechtigt ist, wenn die Käuferin ihrer Verpflichtung zur Stellung des Bauantrags nicht fristgerecht nachgekommen sein sollte. Dieser für die Verkäuferin wesentliche Belang am Erwerb der selbstgenutzten Wohnung wurde genauso wenig in die Entscheidung eingestellt wie der Belang der Käuferin an der Durchführung des Projekts und den bereits getätigten Aufwendungen hinsichtlich der Planung bis zur Einreichung eines Bauantrags.
Dem streitgegenständlichen Bescheid lässt sich in Bezug auf die durchgeführte Ermessensentscheidung nicht das Geringste dafür entnehmen, dass dieser wesentliche Belang vom Beklagten gesehen wurde. Vielmehr werden Belange der Verkäuferin überhaupt nicht erwähnt. Dieser Eindruck wird noch verstärkt, wenn ausschließlich auf den Standard-Fall eines Grundstücksverkaufs abgestellt und pauschal ausgeführt wird, dass „das private Interesse des Käufers, das Grundstück zu erwerben, (…) demgegenüber im Regelfall zurücktreten“ muss. Es ist zwar richtig, dass im Regelfall das private Erwerbsinteresse des Käufers zurücktreten muss, gleichwohl wird aber eine explizite Abwägung der Interessen von Käufer und Verkäufer mit dem öffentlichen Interesse verlangt (vgl. Kronisch in Brügelmann, Baugesetzbuch, 118. EL April 2021, § 24 Rn. 195 m.w.N.). Wenn sich dann die Würdigung der privaten Interessen der Käuferin darin erschöpft, dass „Gründe, die zugunsten der Käuferin gegen die Ausübung des Vorkaufsrechts streiten und über das allgemeine Interesse an der Aufrechterhaltung des ursprünglich geschlossenen Kaufvertrags hinausgehen, (…) weder der Gemeinde bekannt noch in sonstiger Weise ersichtlich oder vorgetragen (sind)“, dann liegt dies schlicht daran, dass der Beklagte entgegen Art. 28 BayVwVfG seiner Pflicht zur Anhörung vor Erlass des Verwaltungsakts nicht entsprochen hat und die dem Notarvertrag zu entnehmenden besonderen Interessen der Käuferin wie auch der Verkäuferin von dem Beklagten nicht aufgenommen wurden.
Auch aus dem Beschlussbuchauszug zur Sitzung des Gemeinderats vom … … 2020 ergibt sich nicht der geringste Anhaltspunkt, dass das maßgebliche Organ der Gemeinde in irgendeiner Weise Belange der Verkäuferin und auch der Käuferin gesehen und diese in ihre Ermessensentscheidung eingestellt hätte. Auch lässt sich der Behördenakte im Übrigen nichts dafür entnehmen, dass der Beklagte das Interesse der Verkäuferin an einer selbstgenutzten Wohnung auf ihrem bisherigen Grundstück gesehen und in seine Entscheidung einbezogen hätte.
Nach allem ist die Ermessensentscheidung über die Ausübung des Vorkaufsrechts unter Berücksichtigung des § 114 Satz 1 VwGO ermessensfehlerhaft ergangen.
2.3.3. Vorliegend kann auch nicht von einer nachträglichen Heilung der Ausübung des Vorkaufsrechts, die wegen defizitärer Ermessenserwägungen fehlerhaft ist, durch zusätzliche Ermessenserwägungen im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens ausgegangen werden.
Zwar kann gemäß § 114 Satz 2 VwGO die Verwaltungsbehörde ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsaktes auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen. Diese Vorschrift regelt lediglich die prozessuale Seite des Nachschiebens von Gründen und betrifft die Geltendmachung und Berücksichtigung ergänzender Ermessenserwägungen im Prozess (Rennert in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 114 Rn. 86). Durch das Nachschieben von Ermessenserwägungen im Anwendungsbereich des § 114 Satz 2 VwGO darf – wie das Bundesverwaltungsgericht mehrfach betont hat (vgl. U.v. 13.12.2011 – 1 C 14/10 – NVwZ 2012, 698 Rn. 18 m.w.N.) – der Betroffene nicht in seiner Rechtsverteidigung beeinträchtigt werden. Daraus folgt, dass bei der Ergänzung von behördlichen Ermessenserwägungen im gerichtlichen Verfahren strenge Anforderungen an Form und Handhabung zu stellen sind. Die Behörde muss klar und eindeutig zu erkennen geben, mit welcher „neuen“ Begründung die behördliche Entscheidung letztlich aufrechterhalten bleibt, da nur dann der Betroffene wirksam seine Rechte verfolgen kann und die Gerichte die Rechtmäßigkeit der Verfügung überprüfen können. Dafür genügt es nicht, dass die Behörde bei einer nachträglichen Änderung der Sachlage im gerichtlichen Verfahren neue Ermessenserwägungen geltend macht. Sie muss zugleich deutlich machen, welche ihrer ursprünglichen bzw. bereits früher nachgeschobenen Erwägungen weiterhin aufrechterhalten bleiben und welche durch die neuen Erwägungen gegenstandslos werden. Auch muss sie im gerichtlichen Verfahren erkennbar trennen zwischen neuen Begründungselementen, die den Inhalt ihrer Entscheidung betreffen, und Ausführungen, mit denen sie lediglich als Prozesspartei ihre Entscheidung verteidigt. Aus Gründen der Rechtsklarheit und -sicherheit muss die Nachholung von Ermessenserwägungen grundsätzlich schriftlich erfolgen. Ergänzungen in der mündlichen Verhandlung sollten vom Gericht als solche protokolliert werden. Da etwaige Zweifel und Unklarheiten über Inhalt und Umfang nachträglicher Ergänzungen zu Lasten der Behörde gehen, erscheint es sinnvoll, wenn sie bei nachträglichen Ergänzungen die nunmehr maßgebliche Begründung zusammenhängend darstellt (BVerwG, U.v. 13.12.2011 – 1 C 14/10 – NVwZ 2012, 698 Rn. 18; vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, § 114 Rn. 50).
Unter Zugrundelegung dieser rechtlichen Maßstäbe kann hier nicht von einer Heilung durch ein Nachschieben von Ermessenserwägungen gesprochen werden. Von dem Beklagten selbst wurden während des gerichtlichen Verfahrens keinerlei zusätzliche Ermessensgründe vorgebracht. Durch die Beklagtenbevollmächtigten wurde im Klageverfahren mit Schriftsatz vom 4. Januar 2021 insoweit lediglich erklärt, dass „es dem Beklagten unbenommen möglich (sei), nach der Vorschrift des § 114 S. 2 VwGO weitere Ermessenserwägungen auch noch im Verwaltungsprozess nachzuschieben“. Insoweit wurde auf die Möglichkeit des Nachschiebens von Gründen verwiesen. Mithin verweist die Beklagtenseite aber lediglich auf die Möglichkeit einer Heilung. Die bloße Berufung auf Heilungsvorschriften genügt aber nicht, um klar und eindeutig zu erkennen zu geben, mit welcher Begründung die behördliche Entscheidung letztlich aufrechterhalten bleiben soll (vgl. BayVGH, U.v. 22.1.2016 – 9 ZB 15.2027 – NVwZ-RR 2016, 491 Rn. 14). Nachdem der Klägerbevollmächtigte mit Schriftsatz vom 19. Januar 2021 auf das Interesse von Frau K … S … an den beiden Wohneinheiten hingewiesen hatte, haben die Beklagtenbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 9. Februar 2021 (erneut) erklärt, dass ein Nachschieben von Ermessenserwägungen „gleichwohl noch möglich“ sei und „das Interesse der Verkäuferin an dem Erhalt des Kaufpreises, bzw. dem Erhalt des Wertes des Grundstückes“ berücksichtigt worden sei. Wenn dann weiter ausgeführt wird, dass „abgesehen davon, dass der Bauträgervertrag nicht Gegenstand des Vorkaufsrechts sein kann“, auch das Interesse der Verkäuferin hieraus nicht das öffentliche Interesse überwiege und das „Interesse der Verkäuferin an diesen Wohnungen, die wohl der Vermietung bzw. Vermögensanlage dienen sollen“, das öffentliche Interesse nicht überwiege, wird zum einen deutlich, dass der Beklagte nach wie vor das Interesse der Verkäuferin an einer selbstgenutzten Wohnung auf ihrem (früheren) Grundstück immer noch nicht gesehen hat, sondern nun von einer reinen Vermögensanlage ausgeht. Zum anderen wird auch hier nicht klar und eindeutig zu erkennen gegeben, mit welcher „neuen“ Begründung die behördliche Entscheidung letztlich aufrechterhalten bleibt und ob es sich hier um Verteidigungsvorbringen oder ein neues Begründungselement handelt; von einer zusammenhängenden Darstellung der nunmehr maßgeblichen Begründung kann erst recht nicht gesprochen werden.
3. Nach allem war der Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO statt zu geben.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 und § 711 ZPO.


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