Baurecht

Zugehörigkeit von Grundstücken zu einem Gemeindegebiet

Aktenzeichen  3 K 926/20 We

Datum:
17.12.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG Weimar 3. Kammer
Dokumenttyp:
Urteil
Normen:
§ 8 Abs 1 S 1 KomO TH 2003
§ 120 Abs 1 S 2 KomO TH 2003
§ 12 Abs 1 S 1 DGemO
§ 11 Abs 1 KomVerfG
§ 117 Abs 2 KomO TH 2003
Spruchkörper:
undefined

Leitsatz

Für die Zugehörigkeit von Grundstücken zu einem Gemeindegebiet ist für Thüringen auf § 11 Abs. 1 KommVerf (juris: KomVerfG) abzustellen. Hierbei kommt der katasterrechtlichen Gemarkung ausschlaggebende Bedeutung zu.(Rn.18)
(Rn.25)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.
3. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung des Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % der festzusetzenden Kosten abzuwenden, sofern nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

In dem vorliegenden Klageverfahren streiten die Beteiligten letztlich um die Zuordnung der Streusiedlung Hermerthal zur Klägerin. Dem liegt im Wesentlichen folgender Sachverhalt zugrunde:
Auf der Gemarkung Teistungen an der Grenze zur Gemarkung der früheren Gemeinde Hundeshagen liegen einige bebaute Grundstücke, die mit dem Eigennamen Siedlung bzw. Gehöft1so die Bezeichnung im Wikipedia-Eintrag Hermerthalso die Bezeichnung im Wikipedia-Eintrag Hermerthal Hermerthal zusammengefasst werden. Sowohl die Beigeladene zu 2 als auch die frühere Gemeinde Hundeshagen gehörten zunächst der Beigeladenen zu 1 an. Durch § 6 des Thüringer Gesetzes zur freiwilligen Neugliederung kreisangehöriger Gemeinden im Jahr 2018 – ThürGNGG 2018 -2Art. 1 des Thüringer Gesetz zur freiwilligen Neugliederung kreisangehöriger Gemeinden im Jahr 2018 und zur Änderung des Thüringer Gesetzes über die kommunale Doppik vom 28.06.2018 (GVBl. S. 273); das Gesetz trat nach seinem Art. 3 am 06.07.2018 in KraftArt. 1 des Thüringer Gesetz zur freiwilligen Neugliederung kreisangehöriger Gemeinden im Jahr 2018 und zur Änderung des Thüringer Gesetzes über die kommunale Doppik vom 28.06.2018 (GVBl. S. 273); das Gesetz trat nach seinem Art. 3 am 06.07.2018 in Kraft wurde die Gemeinde Hundeshagen aus der Beigeladenen zu 1 ausgegliedert, aufgelöst und in die Klägerin eingegliedert.
Erstmals mit einer kommunalaufsichtlichen Verfügung vom 11.01.2019 (in drei unterschiedlichen Fassungen) des Landratsamts Eichsfeld an die Beigeladene zu 2 wurde die Verwaltung der Siedlung Hermerthal durch die Beigeladene zu 2 beanstandet. Diese Anordnung, die Gegenstand des – dann übereinstimmend für erledigt erklärten – Klageverfahrens 3 K 103/19 We (sowie ebenfalls des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes 3 E 104/19 We) war, wurde schon am 28.01.2019 wieder zurückgenommen.
Das Landratsamt Eichsfeld beanstandete dann mit Bescheid vom 04.02.2019 an die Beigeladene zu 1 die Fortdauer der Verwaltung im übertragenen Wirkungskreis über die Siedlung Hermerthal durch die Beigeladene zu 1.
Das Thüringer Landesverwaltungsamt vertrat indessen in einem Schreiben vom 11.03.2019 an das Landratsamt die Auffassung, die Siedlung Hermerthal gehöre zum Gemeindegebiet der Beigeladenen zu 2. Ein dann zunächst beabsichtigter Gemarkungstausch kam nicht zu Stande. Mit Bescheid vom 18.05.2020 nahm das Landratsamt Eichsfeld deshalb seine fachaufsichtliche Weisung vom 04.02.2019 (erneut) zurück, unter dem 28.05.2020 erging dann die hier streitgegenständliche fachaufsichtliche Weisung. Mit dieser wurde die Klägerin verpflichtet, die Einwohnermeldedaten der Siedlung Hermerthal an die Beigeladene zu 1 zurück zu übertragen; die sofortige Vollziehung der Verfügung wurde angeordnet. Die Zustellung erfolgte am 08.06.2020.
Mit am 30.06.2020 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz hat die Klägerin Klage erhoben.
Sie trägt vor, die Einwohner der Siedlung Hermerthal seien bis zur Auflösung der Gemeinde Hundeshagen verwaltungstechnisch, politisch und gesellschaftlich immer dem Ort Hundeshagen zugeordnet gewesen. So seien etwa die Stimmen bei politischen Wahlen immer in Hundeshagen abgegeben, die Einwohnermeldedaten in Hundeshagen geführt, die Gewerbe- und Hundesteuer über Hundeshagen abgerechnet und bei den wiederkehrenden Straßenausbaubeiträgen Hermerthal beim Abrechnungsgebiet Hundeshagen berücksichtigt worden. Die Straßenlampen zum Hermerthal entsprächen denen von Hundeshagen, auch erfolge die Stromversorgung von Hundeshagen aus. Ausweislich der Kommentierung zu § 8 Thüringer Kommunalordnung – ThürKO – sei der Begriff der Gemarkung nicht identisch mit dem des Gemeindegebiets. In Einzelfällen gehörten zu einem Gemeindegebiet auch Grundstücke, die von dem Gebiet einer anderen Gemeinde umschlossen würden. So liege auch etwa das Freibad der Gemeinde Brehme in der Gemarkung Wintzingerode. Der angefochtene Bescheid stelle de facto eine Gebietsänderung i.S. des § 9 ThürKO dar, die gegen den Willen einer Gemeinde eines Gesetzes bedürfe.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid des Landratsamts Eichsfeld vom 28.05.2020 aufzuheben.
Der Beklagte, der um
Klageabweisung
bittet, trägt vor, die Siedlung Hermerthal liege seit unvordenklicher Zeit in der Gemarkung der Beigeladenen zu 2. Zu DDR-Zeiten habe die Siedlung Hermerthal außerhalb des Sperrgebietes gelegen, wohl deshalb sei die Verwaltung von Hundeshagen aus erfolgt. Auch nach der Wiedervereinigung sei die Verwaltung durch die Gemeinde Hundeshagen erfolgt. Dies sei unproblematisch gewesen, da beide Gemeinden (Hundeshagen und die Beigeladene zu 2) Mitglied der Beigeladenen zu 1 gewesen seien. Die Weisung des Landesverwaltungsamts beruhe auf der Sichtweise, dass die Siedlung Hermerthal zur Beigeladenen zu 2 gehöre. Dies entspreche den Eintragungen im Liegenschaftskataster und im Grundbuch und sei die Situation bei Inkrafttreten des § 11 Abs. 1 der DDR-Kommunalverfassung gewesen. Eine Änderung am Bestand des Gemeindegebiets hätte nur durch Landesgesetz erfolgen können.
Die Beigeladenen stellen keinen Antrag.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, die Gerichtsakten 3 K 103/19 We und 3 E 104/19 We sowie die vorgelegten Verwaltungsvorgänge, die alle Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der angegriffene Verwaltungsakt ist rechtmäßig. Er findet seine Rechtsgrundlage in §§ 120 Abs. 1 Satz 2, 117 Abs. 2 ThürKO. Nach letzterer Vorschrift erstreckt sich im übertragenen Wirkungskreis die Kommunalaufsicht auch auf die Fachaufsicht. Meldebehörden sind die Gemeinden, die diese Aufgaben im übertragenen Wirkungskreis wahrnehmen (§ 1 Abs. 1 und 2 Thüringer Gesetz zur Ausführung des Bundesmeldegesetzes). Aufgaben im übertragenen Wirkungskreis führt für Gemeinden, die einer Verwaltungsgemeinschaft angehören, diese als eigene aus (§ 47 Abs. 1 Satz 1 ThürKO). Die Beigeladene zu 2 gehört der Beigeladenen zu 1 an.
Die Meldebehörden haben die in ihrem Zuständigkeitsbereich wohnhaften Personen (Einwohner) zu registrieren (§ 2 Abs. 1 Bundesmeldegesetz). Hier hat die Kommunalaufsicht (das Landratsamt Eichsfeld) zu Recht die Beigeladene zu 1 als zuständige Meldebehörde für die in der Siedlung Hermerthal wohnenden Personen angesehen. Maßgeblich hierfür ist, dass diese ihren Wohnsitz im Zuständigkeitsbereich der Beigeladenen zu 2 haben. Letzteres ergibt sich aus folgendem:
Zur Ermittlung des Zuständigkeitsbereichs der Beigeladenen zu 2, aber auch der früheren Gemeinde Hundeshagen und damit heute der Klägerin, ist primär auf die Vorschrift des § 11 Abs. 1 des Gesetzes über die Selbstverwaltung der Gemeinden und Landkreise in der DDR (Kommunalverfassung – KommVerf -) vom 17.05.1990 (GBl. I S. 255) abzustellen. Denn es ist heute soweit ersichtlich allgemeine Auffassung, dass durch dieses am 17.05.1990 in Kraft getretene Gesetz (§ 103 KommVerf) die zu Zeiten der DDR als juristische Personen des öffentlichen Rechts aufgelösten Kommunen rechtlich neu als Selbstverwaltungskörperschaften gegründet wurden (vgl. BGH, Urteil vom 25.10.2005 – XI ZR 353/04 -, Juris Rdnr. 26 ff.; BVerwG, Urteil vom 11.12.2008 – 7 C 1/08 -, Juris Rdnr. 10 und 18 sowie OVG Thüringen, Urteil vom 11.04.2007 – 1 KO 491/05 -, Juris Rdnr. 27 ff.). Durch die Vorschriften der §§ 9 – 11 KommVerf behielten sie aber die bisherigen Namen, Wappen und Gebietszuständigkeiten (so [allgemein] OVG Thüringen, Urteil vom 11.06.2001 – 4 KO 52/97 -, Juris Rdnr. 53).
§ 11 Abs. 1 KommVerf lautete:
„Das Gebiet der Gemeinde bilden die Grundstücke, die nach geltendem Recht zu ihr gehören.“
Die etwas andere Formulierung im Wortlaut des seit 1994 (§ 131 Abs. 1 ThürKO) geltenden § 8 Abs. 1 Satz 1 ThürKO („Das Gebiet der Gemeinde setzt sich aus den zu der Gemeinde gehörenden Grundstücken zusammen.“) beinhaltet keine andere Regelung, sondern erklärt sich allenfalls aus der Tatsache, dass die ThürKO an die KommVerf3die seit 1992 in Kraft befindliche Novelle der KommVerf für Thüringen durch Art. 1 des Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Selbstverwaltung der Gemeinden und Landkreise in der DDR (Kommunalverfassung) vom 11.06.1992 (GVBl. S. 219), mit dem diese in Vorläufige Kommunalordnung für Thüringen (VKO) umbenannt wurde, ließ den § 8 Abs. 1 KommVerf unberührtdie seit 1992 in Kraft befindliche Novelle der KommVerf für Thüringen durch Art. 1 des Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Selbstverwaltung der Gemeinden und Landkreise in der DDR (Kommunalverfassung) vom 11.06.1992 (GVBl. S. 219), mit dem diese in Vorläufige Kommunalordnung für Thüringen (VKO) umbenannt wurde, ließ den § 8 Abs. 1 KommVerf unberührt anknüpfte und von Anfang an für bereits vorhandene Gemeinden galt. Zudem verhalten sich die Gesetzgebungsmaterialien zur ThürKO nur zu den neu geschaffenen Regelungen über gemeindefreie Gebiete (§ 8 Abs. 1 Satz 2 bis Abs. 4 ThürKO), die indes rein vorsorglich geschaffen wurden (vgl. LT-Drs. 1/2149, S. 62). Eine Änderung der vorhandenen Gemeindegebiete, jenseits von gemeindlichen Neugliederungen bereits 1994 etwa durch die §§ 21 ff. des Gesetzes zur Neugliederung der Landkreise und kreisfreien Städte in Thüringen vom 16.08.1993 (GVBl. S. 545), war ersichtlich nicht beabsichtigt.
§ 11 Abs. 1 KommVerf orientierte sich am Wortlaut des § 12 Abs. 1 Satz 1 der Deutschen Gemeindeordnung4vom 30.01.1935 (RGBl. I S. 49)vom 30.01.1935 (RGBl. I S. 49) (DGO), der lautete:
„Das Gebiet (die Gemarkung) der Gemeinde bilden die Grundstücke, die nach geltendem Recht zu ihr gehören.“
Dadurch sollte das sog. historische Prinzip fortgelten, also der Zustand, der bei Inkrafttreten des Gesetzes bestand. Maßgebend hierbei war der rechtliche, nicht der tatsächliche Zustand (vgl. Surén/Loschelder, Deutsche Gemeindeordnung, Kommentar, § 12 Anm. 1). Auf dieses historische Prinzip rekurriert auch das Urteil des OVG Lüneburg vom 24.02.1981 (- 2 OVG C 7/76 -, OVGE 36, 352, 354), in dem es zu § 16 Abs. 2 der Niedersächsischen Gemeindeordnung5vom 04.03.1955, GVBl. S. 55vom 04.03.1955, GVBl. S. 55 (dessen 1. Halbsatz wiederum § 11 Abs. 1 KommVerf entsprach) auf die Maßgeblichkeit der historischen Entwicklung und dabei auf die Ausbildung der Gemeindegrenzen im 19. Jahrhundert verweist. Auf diese Zeit als maßgebliche Zeit zur Bildung der Abgrenzungen von ländlichen Gemeinden weist auch v. Unruh (in: v. Unruh/Thieme/Scheuner, Die Grundlagen der kommunalen Gebietsreform [1981], S. 21) hin, ferner (a.a.O. S. 28) auf die Bildung der Gemarkung bzw. Markung als Grundlage der Entwicklung der Gemeinde zur Gebietskörperschaft.
Zwar ist der Begriff der Gemarkung heute primär ein katasterrechtlicher Begriff (vgl. Kriegel/Herzfeld, Katasterkunde in Einzeldarstellungen, Stand: November 2010, Heft 2, Anm. 6.1). Indessen ist die katasterrechtliche Gemarkung auch von ausschlaggebender Bedeutung für die Bestimmung des Gemeindegebiets. So stellt das OVG Lüneburg in seinem Urteil vom 01.03.2011 (- 4 LB 62/07 -, Juris Rdnr. 41; ebenso für Grenzstreitigkeiten zwischen Gemeinden: Fuhrmann in Dietlein/Ogorek, BeckOK Kommunalrecht Hessen, Stand: November 2021, § 15 Rdnr. 11) zur Bestimmung des früheren Grenzverlaufs zwischen zwei Gemeinden vor einer Gebietsreform allein auf alte Unterlagen des Katasteramtes ab. In einem anderen Urteil des OVG Lüneburg vom 19.01.1995 (- 1 L 5943/92 -, Juris Rdnr. 38) spricht das Gericht der Eintragung im Liegenschaftskataster bei einem Streit über die Zuordnung zwischen zwei Gemeinden eine erhebliche Indizwirkung zu. Auf den engen Zusammenhang zwischen der Gemarkung und dem Gemeindegebiet verweist auch die Klammerdefinition des Gemeindegebietes als Gemarkung in § 12 Abs. 1 Satz 1 DGO und heute noch in § 15 Abs. 1 Satz 1 der Hessischen Gemeindeordnung6i.d.F. der Bekanntmachung vom 07.03.2005, GVBl. I 2005, 142i.d.F. der Bekanntmachung vom 07.03.2005, GVBl. I 2005, 142. Allein das Abstellen auf vorhandene Katasterunterlagen sichert auch die exakte, parzellenscharfe Abgrenzbarkeit der Gemeindebezirke, die allein wegen der in der Regel gemeindeweit geltenden Reichweite von gemeindlichen Satzungen notwendig ist.
Dementsprechend geht auch die kommunalrechtliche Kommentarliteratur davon aus, dass mit dem Begriff des geltenden Rechts in den gesetzlichen Definitionen des Gemeindegebiets in den verschiedenen Gemeindeordnungen Deutschlands, die mit § 11 Abs. 1 KommVerf wörtlich übereinstimmen, der durch das Kataster dokumentierte Grundstücksbestand gemeint ist (so etwa Schmidt/Kneip, Hessische Gemeindeordnung, Kommentar, § 15 Rdnr. 1; Fuhrmann a.a.O. Rdnr. 2; Wiegand in Wiegand/Grimberg, Gemeindeordnung Sachsen-Anhalt, Kommentar, 2. Auflage, § 15 Rdnr. 1). Auch sonst wird dort der Zusammenhang zwischen der Gemarkung und dem Gemeindegebiet betont, die Gemarkung bilde ab, welche Grundstücke ursprünglich zu einer Gemeinde gehört haben (so Pflumm in Dietlein/Pautsch, BeckOK Kommunalrecht Baden-Württemberg, Stand: Oktober 2021, § 7 Rdnr. 3; Mehde in Dietlein/Mehde, BeckOK Kommunalrecht Niedersachsen, Stand: Oktober 2021, § 23 Rdnr. 5).
Hiervon geht auch die Kommentarliteratur zu § 8 ThürKO aus. Dort wird ebenfalls angenommen, dass die in einer Gemarkung zusammengefassten Grundstücke ursprünglich identisch waren mit dem Gemeindegebiet (vgl. Uckel/Dressel/Noll, Kommunalrecht in Thüringen, Stand: Juli 2021, § 8 Anm. 1 und Rücker u.a., ThürKO, Kommentar, in Kommunalverfassungsrecht Thüringen, Stand: November 2020, § 8 Anm. 1 [decken sich oft]). Soweit dort darauf hingewiesen wird, dass dies heute so nicht mehr zutreffend sei, wird auf Veränderungen durch Gebietsreformen in der Vergangenheit Bezug genommen. Für eine solche formelle Gebietsveränderung zwischen der Beigeladenen zu 2 und der früheren Gemeinde Hundeshagen bezüglich der Siedlung Hermerthal gibt es aber keine Anhaltspunkte. Diese hätte durch einen Hoheitsakt erfolgen müssen, also eine Grenzverschiebung durch vertragliche Vereinbarung zwischen den Gemeinden mit Genehmigung der Kommunalaufsicht bzw. durch ein formelles Gesetz (siehe § 9 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 ThürKO), einen Akt von Behörden der DDR (Beschluss des Kreistages mit Zustimmung des Ministerrates bzw. Bestätigung durch den Rat des Bezirkes7siehe etwa § 80 Abs. 2 Satz 3 und 4 des Gesetzes über die örtlichen Volksvertretungen in der DDR vom 04.07.1985 (GBl. I S. 213) und § 72 Abs. 2 Satz 1 und 3 des Gesetzes über die örtlichen Volksvertretungen und ihre Organe in der DDR vom 12.07.1973 (GBl. I S. 313); der Kreistag war die örtliche Volksvertretung der sozialistischen Staatsmacht auf Kreisebene (siehe jeweils § 1 der beiden zitierten DDR-Gesetze)siehe etwa § 80 Abs. 2 Satz 3 und 4 des Gesetzes über die örtlichen Volksvertretungen in der DDR vom 04.07.1985 (GBl. I S. 213) und § 72 Abs. 2 Satz 1 und 3 des Gesetzes über die örtlichen Volksvertretungen und ihre Organe in der DDR vom 12.07.1973 (GBl. I S. 313); der Kreistag war die örtliche Volksvertretung der sozialistischen Staatsmacht auf Kreisebene (siehe jeweils § 1 der beiden zitierten DDR-Gesetze)) oder des Deutschen Reiches (§ 15 Abs. 1 Satz 1 DGO, Ausspruch des Reichsstatthalters) bzw. des früheren Landes Thüringen (Entscheidung der Kommunalaufsicht oder durch Gesetz8§ 8 Abs. 1 der Gemeinde- und Kreisordnung für Thüringen vom 08.07.1926 (Ges.-S. S. 235)§ 8 Abs. 1 der Gemeinde- und Kreisordnung für Thüringen vom 08.07.1926 (Ges.-S. S. 235)).
Für die in der Kommentarliteratur zur ThürKO (vgl. Uckel/Dressel/Noll und Rücker u.a. jeweils a.a.O.) geschilderte Verfahrensweise zu Zeiten der DDR, Gemeinden neu oder um zu bilden, ohne dabei Rücksicht auf alte Gemarkungsgrenzen zu nehmen oder diese anzupassen, bestehen hier keine Anhaltspunkte, zumal die Siedlung Hermerthal nicht erst in dieser Zeit entstand. Soweit ersichtlich ist es zu Zeiten der DDR zwischen der Beigeladenen zu 2 und der früheren Gemeinde Hundeshagen nur 1986 in einem anderen Gebiet zu einer Ummarkung der heutigen Flur 9 der Gemarkung Hundeshagen (früher Flur 6 der Beigeladenen zu 2) gekommen, die von beiden Seiten zugleich als Änderung des Gemeindegebietes akzeptiert ist, wenn auch die Beigeladene zu 2 politisch eine Rückgängigmachung dieser Änderung in einem Gemeinderatsbeschluss aus dem Jahre 2018 fordert (siehe Bl. 23 und 38 der Gerichtsakte 3 K 103/19 We). Aufgrund der Lage der Siedlung Hermerthal unmittelbar an der Gemarkungsgrenze zwischen der Beigeladenen zu 2 und der Klägerin bzw. der früheren Gemeinde Hundeshagen bedürfen die Möglichkeit von Enklaven bzw. Exklaven von Gemeindegebieten hier keiner Diskussion, die Siedlung Hermerthal bildet unabhängig von ihrer Zuordnung weder das eine noch das andere.
Zwar wird in der bereits zitierten Entscheidung des OVG Lüneburg vom 19.01.1995 (a.a.O.) auch der verwaltungspraktischen Handhabung eine indizielle Bedeutung bei Grenzstreitigkeiten zwischen Kommunen zugesprochen. Diese ist, abgesehen von der dann in der Regel fehlenden exakten Grenzbestimmung (s.o.), hier aber jedenfalls nicht eindeutig. Die Beigeladene zu 2 hat in dem kurzfristig anhängigen Verfahren 3 K 103/19 We zahlreiche Belege vorgelegt (dort Bl. 26 ff. Gerichtsakte), dass die Grundsteuer der Bewohner der Siedlung Hermerthal an die Beigeladene zu 2 gezahlt wird und auch zu DDR-Zeiten gezahlt wurde. Die Grundsteuererhebung knüpft dabei an den Grundbesitz im Gebiet der jeweiligen Gemeinde an (§ 1 Abs. 1 Grundsteuergesetz9ganz ähnlich § 1 Abs. 2 des – in der DDR fortgeltenden – Grundsteuergesetzes vom 01.12.1936 (RGBl. I. S. 986)ganz ähnlich § 1 Abs. 2 des – in der DDR fortgeltenden – Grundsteuergesetzes vom 01.12.1936 (RGBl. I. S. 986)). Dies spricht für eine Zuordnung auch dieses Gebietes zur Beigeladenen zu 2. Die von der Klägerin vorgetragene Handhabung anderer Verwaltungsbereiche (Gewerbesteuer-, Hundesteuer-, Straßenausbaubeitragserhebung, Teilnahme an Wahlen) durch die frühere Gemeinde Hundeshagen für die Bewohner der Siedlung Hermerthal deutet zwar in die andere Richtung. Indessen hat der Beklagte einen einleuchtenden Grund für die teilweise faktische Verlagerung der Verwaltungszuständigkeit für das Hermerthal nach Hundeshagen angeführt. Unstreitig lag die Siedlung Hermerthal zu Zeiten der DDR außerhalb des DDR-Grenzsperrgebiets, die eigentliche Ortschaft Teistungen indessen innerhalb des Grenzsperrbezirkes. Hier ist die Entwicklung einer pragmatischen Lösung auf Verwaltungsebene zu DDR-Zeiten, die dann wegen der Zugehörigkeit sowohl der Beigeladenen zu 2 als auch der früheren Gemeinde Hundeshagen zur Beigeladenen zu 1 mangels relevanter Auswirkungen auf die Verwaltung durch die Beigeladene zu 1 nicht wieder rückgängig gemacht wurde, gut nachvollziehbar. Diese aber rein faktische teilweise Verschiebung der Verwaltungstätigkeit ist indessen ohne Auswirkung auf die Zuordnung von Grundstücken zu den 1990 wiederentstandenen Gemeinden, da hier auf die rechtliche Zugehörigkeit abgestellt wird. Für eine formelle Zuweisung der Siedlung Hermerthal zur Gemeinde Hundeshagen während der DDR-Zeit etwa durch einen Beschluss des DDR-Kreistages (s.o.) fehlen jegliche Anhaltspunkte. Somit führt diese unterschiedliche Handhabung insbesondere der Abgabenerhebung nicht zu einem so eindeutigen Ergebnis zu Gunsten der Klägerin, die das Gewicht der klaren katasterrechtlichen Zuordnung der Siedlung Hermerthal zur Beigeladenen zu 2 in Frage stellen kann.
Erst recht ist deshalb die gesellschaftliche Orientierung der Bewohner des Hermerthals eher Richtung Hundeshagen, die aufgrund der weitgehenden Unzugänglichkeit der Ortschaft Teistungen zu DDR-Zeiten, aber auch aufgrund der Lage der Siedlung räumlich näher zur Ortslage Hundeshagen als zur Ortschaft Teistungen leicht erklärlich ist, ohne Bedeutung. Ebensowenig ist die in der mündlichen Verhandlung angesprochene kirchenrechtliche Zuordnung der Siedlung Hermerthal auch bereits zeitlich vor der DDR (also schon im Deutschen Reich) zu Hundeshagen für die (weltliche) Zuordnung von Grundstücken zu Gemeindegebieten maßgeblich.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO -. Da die Beigeladenen keinen formellen Antrag gestellt haben, entsprach eine Belastung der Klägerin mit ihren außergerichtlichen Kosten nicht der Billigkeit i.S. des § 162 Abs. 3 VwGO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten und die Abwendungsbefugnis ergeben sich aus §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung. Die Berufung zum Thüringer Oberverwaltungsgericht war nicht zuzulassen, da ein Grund für die Zulassung gem. § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 VwGO i.V.m. § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht vorliegt.
Beschluss
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 15.000 € festgesetzt (§ 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz i.V.m. Nr. 22.5 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit [NVwZ-Beilage 2013, 58]).


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