Erbrecht

Eintragung eines Wegs in das straßen- und wegerechtliche Bestandsverzeichnis

Aktenzeichen  Au 6 K 16.1118

Datum:
22.3.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 121
BayVwVfG BayVwVfG Art. 44 Abs. 1
BayStrWG BayStrWG Art. 67 Abs. 3

 

Leitsatz

1 Ein Fehler im Verfahren der Eintragung in das straßen- und wegerechtliche Bestandsverzeichnis (Art. 67 Abs. 3 BayStrWG) ist wegen der Komplexität des Verfahrens regelmäßig nicht evident, so dass eine Nichtigkeit der Eintragung (Art. 44 Abs. 1 BayVwVfG) ausscheidet. Ein Nichtigkeitsurteil kann daher grundsätzlich allenfalls aus sachlich-rechtlichen, nicht aus verfahrensrechtlichen Rechtsverstößen hergeleitet werden (ebenso BayVGH BeckRS 2013, 46282).  (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
2 Dem straßen- und wegerechtlichen Bestandsverzeichnis kommt eine Registerfunktion zu, die dem Grundbuch vergleichbar ist und daher hohen Ansprüchen an die Rechtssicherheit und den Rechtsfrieden genügen muss. Im Falle des Eintritts der Unanfechtbarkeit einer Eintragung sind daher an deren Nichtigkeit hohe Anforderungen zu stellen. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
3 Eine fehlende Unterrichtung betroffener Grundstückseigentümer bei der erstmaligen Errichtung des straßen- und wegerechtlichen Bestandsverzeichnisses (Art. 67 Abs. 3 S. 4 BayStrWG) führt nicht zu dessen Unwirksamkeit. Um die Eintragung eines Wegs gegenüber den betroffenen Anliegern wirksam werden zu lassen, reicht die öffentliche Bekanntmachung über die Auslegung des Bestandsverzeichnisses aus (Art. 67 Abs. 3 S. 3 BayStrWG); die Unterrichtung hat keine konstitutive, sondern nur eine ergänzende Funktion (ebenso BayVGH BeckRS 2000, 13834). (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet und daher abzuweisen. Die Eintragung des Fußwegs zum Bahnhof in das Bestandsverzeichnis des Beklagten ist nicht unwirksam.
1. Die Klage im Sinne von § 43 Abs. 1 VwGO ist zulässig. Insbesondere steht dieser nicht die Rechtskraft eines früheren Urteils entgegen (§ 121 VwGO).
Rechtskräftige Urteile binden nur, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist (§ 121 VwGO). Streitgegenstand ist der prozessuale Anspruch, der durch die erstrebte, im Klageantrag zum Ausdruck gebrachte Rechtsfolge sowie durch den Klagegrund, nämlich den Sachverhalt, aus dem sich die Rechtsfolge ergeben soll, gekennzeichnet ist (BVerwG, U.v. 10.5.1994 – 9 C 501/93 – juris Rn. 10; BVerwG, U.v. 31.8.2011 – 8 C 15/10 – juris Rn. 18 jeweils m.w.N.). Hingegen erstreckt sich die Rechtskraft nicht auf die einzelnen Urteilselemente, also nicht auf die tatsächlichen Feststellungen, die Feststellung einzelner Tatbestandsmerkmale und sonstige Vorfragen oder Schlussfolgerungen, auch wenn diese für die Entscheidung tragend gewesen sind (BVerwG, U.v. 30.1.2013 – 8 C 2/12 – juris Rn. 12 m.w.N.). An der Rechtskraft nehmen die tragenden Gründe für die Verneinung des Anspruchs teil. Damit entfaltet auch die Aussage im gerichtlichen Urteil Bindungswirkung, aus welchen Gründen der Anspruch nicht besteht. Über den Wortlaut des § 121 VwGO hinaus sind überdies auch die Gerichte in einem späteren Prozess an rechtskräftige Urteile zwischen den Beteiligten gebunden (BVerwG Beschluss vom 14.11.2007 – 8 B 81.07 – juris m.w.N.).
Die in den früheren Gerichtsverfahren geltend gemachten Streitgegenstände sind nicht identisch mit dem jetzigen Verfahrensgegenstand und enthalten – wenn überhaupt – allenfalls implizit bzw. in einzelnen Urteilselementen Ausführungen zur Wirksamkeit bzw. Unwirksamkeit der Eintragung in das Bestandsverzeichnis.
Die Klage aus dem Jahr 1992 (Au 3 K 92.1246) war auf die Aufhebung der Eintragungsverfügung betreffend den Fußweg zum Bahnhof gerichtet und nicht auf die Feststellung der Nichtigkeit der Eintragung. Das Gerichtsverfahren Au 6 K 96.1381 hatte die Aufhebung eines Bescheides zum Gegenstand, der feststellte, dass der Fußweg im Zeitpunkt der Anlegung des Bestandsverzeichnisses eine Breite von 2 m hatte. In diesem Verfahren erging wegen der Klagerücknahme schon kein Urteil, welches eine entgegenstehende Rechtskraft begründen könnte. Das Urteil des Amtsgerichts Memmingen vom 22. Juli 1998 (11 C 750/92) hatte die Unterlassungsverpflichtung zum Gegenstand, die Benutzbarkeit des Weges einzuschränken oder zu unterbinden. Das im Jahr 1998 vor dem Verwaltungsgericht Augsburg anhängig gemachte Verfahren (Au 3 K 98.1543) hatte die Verpflichtung zur Einziehung des Wegs und keine Nichtigkeitsfeststellung zum Gegenstand. Das verwaltungsgerichtliche Verfahren Au 6 K 10.778 sah die wirksame Eintragung ins Bestandsverzeichnis als Prämisse an, da ansonsten die Klage bereits deshalb unbegründet sei, da eine Einziehung einer rechtlich nicht existenten Straße schon gar nicht erfolgen könne. Eine positive Aussage zur Nichtigkeit der Eintragung ins Bestandsverzeichnis wurde hier gerade nicht getroffen. Die im Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs über die Nichtzulassung der Berufung vom 7. Dezember 2012 (8 ZB 11.1811) enthaltenen Ausführungen stellen lediglich ein Urteilselement dar, auf das es im damaligen Verfahren nicht entscheidungserheblich ankam, da die Klage bereits aufgrund fehlender Klagebefugnis (§ 42 Abs. 2 VwGO) unzulässig war.
2. Die Klage ist jedoch unbegründet, da die streitgegenständlich Ersteintragung des Fußwegs zum Bahnhof in das Bestandsverzeichnis im Jahr 1963 nicht nichtig ist.
Nach Art. 44 Abs. 1 BayVwVfG ist ein Verwaltungsakt nichtig, wenn er an einem besonders schwerwiegenden, offensichtlichen Fehler leidet oder die in Art. 44 Abs. 2 BayVwVfG aufgelisteten Nichtigkeitsgründe vorliegen. Als Nichtigkeitsgrund kommen im hier zu entscheidenden Fall ausschließlich mögliche Verfahrensfehler in Betracht. Nichtigkeitsgründe nach Art. 44 Abs. 2 BayVwVfG wurden nicht vorgetragen.
a) Dabei ist in der Rechtsprechung geklärt, dass aus einem fehlerhaften Durchlaufen des Verfahrens nach Art. 67 Abs. 3 BayStrWG ein Nichtigkeitsvorwurf grundsätzlich nicht hergeleitet werden kann, zumal dieses Verfahren auch viel zu komplex ist, als dass es ein verständiger, aber juristisch nicht vorgebildeter Beobachter überhaupt überschauen könnte. Ein daraus hergeleiteter Nichtigkeitsvorwurf würde regelmäßig bereits an der Evidenz im Sinn des Art. 44 Abs. 1 BayVwVfG scheitern. Dies hat zur Folge, dass ein Nichtigkeitsvorwurf in der Regel allenfalls aus sachlich-rechtlichen, nicht aus verfahrensrechtlichen Rechtsverstößen hergeleitet werden kann (BayVGH, U.v. 28.2.2012 – 8 B 11.2934 – juris Rn. 54 ff. m.w.N.). Solche Verstöße macht die Klägerin hier jedoch nicht geltend, sondern verweist – gestützt auf fehlende Verfahrensunterlagen des Beklagten – auf behauptete Verfahrensverstöße, die jedoch eine nähere Aktenprüfung erfordern und schon deswegen keine „offensichtlichen“ Fehler im Sinne des Art. 44 Abs. 1 BayVwVfG darstellen können.
b) Einer Nichtigkeitsfeststellung steht hier jedoch auch die Widmungsfiktion der unanfechtbar gewordenen Eintragung des Wegs in das Bestandsverzeichnis nach Art. 67 Abs. 4 BayStrWG entgegen. So sind die Beteiligten auf die Tatbestandswirkung der Eintragung nach Art. 67 Abs. 3 BayStrWG zu verweisen. Hierbei ist auch in den Blick zu nehmen, dass das Bestandsverzeichnis eine Registerfunktion, vergleichbar dem Grundbuch, besitzt und insoweit hohen Ansprüchen an die Rechtssicherheit und den Rechtsfrieden genügen muss (vgl. BayVGH, Urt. v. 15.7.1997 – 8 B 96.1539 – BeckRS 1997, 22927, beck-online; BayVGH, U.v. 19.11.1997 – 8 B 96.2966, BeckRS 1998, 20789, beck-online). Im Falle des Eintritts der Unanfechtbarkeit sind unter diesen Gesichtspunkten an die Nichtigkeit von Eintragungen im Sinne des § 67 Abs. 3 BayStrWG hohe Anforderungen zu stellen, die regelmäßig nicht aus Verfahrensfehlern hergeleitet werden können. Vorliegend ist die Eintragung unanfechtbar geworden (vgl. VG Augsburg, U.v. 18.6.1993 – Au 3 K 92.1246; BayVGH, B.v. 25.5.1994 – 8 B 93.2681). Die Klägerin bzw. ihr damaliger Rechtsvorgänger hat sich nicht gegen die Eintragung gewendet und die Belastung seines Grundeigentums durch die Widmung hingenommen. Die Klägerin hat 1991 das Grundstück in seiner damaligen Belegenheit einschließlich dieser rechtlichen Belastung erworben. Ob ihr diese mitgeteilt, bekannt oder erkennbar war, ist im vorliegenden Verfahren unerheblich.
c) Dass der Beklagte hinsichtlich der Ersteintragung des Wegs ins Bestandsverzeichnis keine Originalunterlagen mehr vorlegen kann, begründet keine Zweifel an der Wirksamkeit der Eintragung, insbesondere dass diese tatsächlich erfolgt ist. Denn die ursprünglichen Originalverfahrensakten und -karteikarten muss der Beklagte nicht vorhalten, zumal nach einem Zeitraum seit der erstmaligen Eintragung von nunmehr über 50 Jahren (so auch BayVGH, B.v. 7.12.2012 – 8 ZB 11.1811 – Bl. 1089 der Behördenakte zum streitgegenständlichen Weg).
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Prüfbogen zu Beanstandungen der gemeindlichen Bestandsverzeichnisse durch das Staatliche Rechnungsprüfungsamt Augsburg im Jahr 1988. Soweit darin bezüglich der Auslegung und der Bekanntmachung der Auslegung fehlende Nachweise bemängelt, bzw. aufgrund dessen lediglich auf einen Gemeinderatsbeschluss abgestellt wurde, lassen sich daraus ebenfalls keine ernsthaften Zweifel an der Wirksamkeit der Eintragung herleiten. Das Fehlen bestimmter der Unterlagen bereits zu dieser Zeit kann auch auf den Rathausumbau zurückgeführt werden, da dieser in den Jahren 1977 und 1978 und damit zeitlich früher stattfand.
Der von der Klägerin angeführte Brief eines Anliegers ist nicht behilflich. Da die Errichtung des Bestandsverzeichnisses durch öffentliche Bekanntmachung erfolgt (Art. 67 Abs. 3 BayStrWG), kommt der fehlenden subjektiven Wahrnehmung einzelner Personen hinsichtlich dieses Vorgangs keine Bedeutung zu.
Im Ergebnis kann daher aus dem Vorliegen einzelner Splitter von Verfahrensakten – wie hier – nichts mehr hergeleitet werden, weil redlicherweise nicht angenommen werden kann, dass es sich um die vollständigen, ein vollständiges und ordnungsgemäßes Verfahren dokumentierenden Verwaltungsakten handelt (BayVGH, U.v. 28.2.2012, a.a.O. Rn. 55.).
d) Eine eventuell fehlende Unterrichtung betroffener Grundstückseigentümer bei der erstmaligen Errichtung des Bestandsverzeichnisses gemäß Art. 67 Abs. 3 Satz 4 BayStrWG führt nicht zu dessen Unwirksamkeit. Denn nach der ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ist allein die öffentliche Bekanntmachung über die Anlegung des Bestandsverzeichnisses nach Art. 67 Abs. 3 Satz 3 BayStrWG geeignet, die Eintragung eines Wegs gegenüber betroffenen Anliegern wirksam werden zu lassen; die Unterrichtung hat keine konstitutive, sondern nur ergänzende Bedeutung (vgl. BayVGH, U.v. 12.12.2000 -8 B 99.3111 – juris Rn. 42 f. m.w.N.). Diese Auslegung des Art. 67 Abs. 3 Satz 4 BayStrWG ist auch im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG nicht zu beanstanden (vgl. BVerfG, B.v. 17.9.1999 – 1 BvR 1771/91 – juris Rn. 21).
e) Die Nichtigkeit der Eintragung des Wegs in das Bestandsverzeichnis ergibt sich auch nicht aus sonstigen sachlich-rechtlichen Erwägungen. Unabhängig davon, ob überhaupt eine Ungleichbehandlung ohne sachlichen Grund im Hinblick auf das Grundstück Fl.Nr. 133 vorliegt, würde eine Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG nicht zur Nichtigkeit der Eintragung führen. Die Klägerin könnte – wenn überhaupt -allenfalls einen Anspruch auf Einziehung geltend machen. Jedoch sind die Voraussetzungen für eine sachgrundlose Ungleichbehandlung schon nicht dargelegt, da der Beklagte den Wegverlauf in einem Teilstück zwar leicht modifiziert hat, den Weg indes nicht beseitigen wollte und zudem im Bereich der Klägerin weiterhin ein eigenständig nutzbares Teilstück des Weges vorhanden ist (Verbindung der B* …straße mit der Straße L.).
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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