Erbrecht

Qualifizierung eines Dokuments als gemeinschaftliches Testament

Aktenzeichen  18 U 2746/17

Datum:
8.6.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 49360
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 2084, § 2288 Abs. 2 S. 1, § 2229 Abs. 4

 

Leitsatz

1. Gegen die Qualifizierung eines Dokuments als gemeinschaftliches Testament spricht nicht, dass es einer der Testierenden in seinem Tagebuch als “Übergabe” bezeichnet hat (Rn. 10). (redaktioneller Leitsatz)
2. Im Hinblick auf ein gemeinschaftliches Testament können auch aus dem Verhalten und den Erklärungen der Längstlebenden Rückschlüsse auf den Willen des Erstverstorbenem gezogen werden (Rn. 10). (redaktioneller Leitsatz)
3. Die tatsächliche Erbringung von geschuldeten Pflegeleistungen kann ein lebzeitiges Eigeninteresse des Erblassers im Rahmen des § 2288 Abs. 2 S. 1 BGB nicht begründen (Rn. 12). (redaktioneller Leitsatz)
4. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Testierunfähigkeit setzt einen hinreichende substantiierten Vortrag voraus (Rn. 14). (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

20 O 7316/16 2017-07-06 Endurteil LGMUENCHENI LG München I

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des Landgerichts München I vom 06.07.2017, Aktenzeichen 20 O 7316/16, wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts München I ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 400.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
Der Kläger macht gegen die Beklagte einen Anspruch aus einem Vermächtnis nach dem Tod der gemeinsamen Eltern der Parteien geltend. Hinsichtlich der Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand im angefochtenen Urteil des Landgerichts München I vom 06.07.2017 (Bl. 87/90 d.A.) Bezug genommen.
Mit Endurteil vom 06.07.2017 hat das Landgericht einen Anspruch des Klägers gegen die Beklagte auf Verschaffung des streitgegenständlichen Grundstücks in Form der Eigentumsübertragung und Herausgabe aus § 2288 Abs. 2 S. 1 BGB analog bejaht und der darauf gerichteten Klage stattgegeben. Im Übrigen wurde die Klage hinsichtlich der geltend gemachten vorgerichtlichen Anwaltskosten abgewiesen. Zu den Entscheidungsgründen wird auf Bl. 91/95 d.A. verwiesen.
Gegen dieses Urteil hat die Beklagte fom- und fristgerecht Berufung eingelegt, mit der sie ihr erstinstanzliches Ziel der vollständigen Klageabweisung weiterverfolgt. Auf die Berufungsbegründung vom 29.09.2017 (Bl. 114/131 d.A.) wird Bezug genommen.
Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Auf die Berufungserwiderung vom 24.11.2017 (Bl. 137/148 d.A.) wird Bezug genommen.
Mit Beschluss vom 22.03.2018 (Bl. 150/156 d.A.) hat der Senat darauf hingewiesen, dass und aus welchen Gründen er beabsichtige, die Berufung der Beklagten durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen. Den Parteien wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Der Kläger hat sich mit Schriftsatz vom 12.04.2018 (Bl. 163 d.A.) den Hinweisen des Senats vollumfänglich angeschlossen. Die Beklagte ist mit Schriftsätzen vom 17.04.2018 (Bl. 158/161 d.A.) und 30.05.2018 (Bl. 165/169 und Bl. 170 d.A.) der beabsichtigten Vorgehensweise entgegengetreten. Wegen der Einzelheiten wird auf die vorgenannten Schriftsätze nebst Anlagen und den Hinweisbeschluss des Senats verwiesen.
II.
Die Berufung gegen das Endurteil des Landgerichts München I vom 06.07.2017, Aktenzeichen 20 O 7316/16, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist. Zur Begründung wird auf den vorausgegangenen Hinweisbeschluss des Senats vom 22.03.2018 Bezug genommen.
Richter am Oberlandesgericht N., der an dem Beschluss vom 22.03.2018 nicht mitgewirkt hat, nunmehr aber mit zur Entscheidung berufen ist, tritt dem Beschluss vom 22.03.2018 in vollem Umfang bei (vgl. BVerfG, Beschluss vom 27.07.2004 – 1 BvR 801/04, NJW 2004, 3696).
Auch die Ausführungen in den Schriftsätzen der Beklagten vom 17.04.2018 und 30.05.2018 geben zu einer Änderung keinen Anlass.
1. Soweit die Beklagte hinsichtlich der eingefügten Parzellierungen im Dokument vom 19.04.1990 (Anlage SNP 1) darauf verweist, dass diese Einfügungen bei Errichtung ursprünglich nicht vorhanden waren (vgl. Anlage B 16) und ergänzend ein Schriftgutachten vorlegt (Anlage B 17), ist dies für die Entscheidung nicht von Belang. Weder das Landgericht noch der Senat sind bisher davon ausgegangen, dass die Einfügungen von Anfang an vorhanden waren bzw. von den Erblassern selbst oder den Parteien stammen. Der Senat hat vielmehr in seinem Hinweisbeschluss unter Ziffer I. 2 a.E. ausgeführt, dass sich aus dem Testament selbst ergebe, dass eine Parzellierung zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung noch nicht erfolgt und lediglich ein Parzellierungsvorschlag beigefügt worden sei. Aus den Verfügungen selbst gehe jedoch hinreichend deutlich hervor, welche Grundstücke im Einzelnen erfasst sein sollten. Dies sei auch zwischen den Parteien im hiesigen Verfahren nicht streitig. Hieran hält der Senat weiterhin fest.
Nicht gegen die Qualifizierung des Dokuments vom 19.04.1990 als gemeinschaftliches Testament und damit als Verfügung von Todes wegen spricht, dass nicht alle Grundstücke durch die Erblasser verteilt worden sind oder dass der Vater, d.h. einer der beiden Erblasser, in seinem Tagebucheintrag (Anlage B 4) das Dokument entsprechend der Überschrift mit „Übergabe“ und nicht als Testament bezeichnet hat. Wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, spricht bereits der Wortlaut des Schriftstücks für das Vorliegen einer Verfügung von Todes wegen („beurkunden hiermit folgenden Nachlass“, „nach Ableben des letzten Elternteils“). In Übereinstimmung mit dem Landgericht ist außerdem festzuhalten, dass auch aus dem Verhalten bzw. den Erklärungen der Mutter als Längstlebender Rückschlüsse auf den Willen des Vaters als Erstverstorbenem gezogen werden können (vgl. Palandt/Weidlich, BGB, 77. Aufl. 2018, § 20184 Rn. 2 m.w.N.). Hieraus ergibt sich ebenfalls, dass ein rechtsverbindliches gemeinschaftliches Testament errichtet werden sollte (vgl. Anlage SNP 6 und Anlage SNP 2, S. 12). Entgegen der Auffassung der Beklagten kann das streitgegenständliche Dokument auch nicht lediglich als Anlage zum Antrag an das Vermessungsamt angesehen werden. Dem steht nicht nur der Wortlaut entgegen, sondern auch der Umstand, dass das Vermessungsamt ohne Angabe der Parzellierungsnummern im Text hieraus nichts hätte ableiten können. Die Parzellierungen selbst sollten entsprechend dem Schlusssatz im Testament von den Eltern umgehend beim Vermessungsamt beantragt werden; in diesem Zusammenhang hätte lediglich der erstellte Parzellierungsvorschlag relevant werden können.
2. Hinsichtlich der Frage der Wechselbezüglichkeit der Verfügungen hält der Senat auch nach nochmaliger Prüfung an seinen Ausführungen im Hinweisbeschluss unter Ziffer I. 2 fest. Die Beklagte trägt hierzu nichts Neues vor.
3. Gleiches gilt für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 2288 Abs. 2 S. 1 BGB, der vorliegend analog anwendbar ist. Auf die Ausführungen des Senats im Hinweisbeschluss unter Ziffer I. 3 wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen. Wie bereits ausgeführt, vermag die tatsächliche Erbringung von (geschuldeten) Pflegeleistungen durch die Beklagte ein lebzeitiges Eigeninteresse der Erblasserin im Rahmen des § 2288 Abs. 2 S. 1 BGB nicht zu begründen. Auch die Frage, ob zum Zeitpunkt der Betreuung der Erblasserin der von der Beklagten behauptete Pflegekräftemangel bestand, ist angesichts der getroffenen Regelung ohne Belang. Einen Ausgleich für die erbrachten Pflegeleistungen kann die Beklagte vom Kläger nicht verlangen. Auch auf die Frage des Wertes einzelner Immobilien kommt es angesichts des Wunsches der Eltern zu einer bestimmten Verteilung des Nachlasses, der im Testament zum Ausdruck gekommen ist, nicht im Einzelnen an.
4. Soweit sich die Beklagte erstmals im Schriftsatz vom 30.05.2018 darauf berufen hat, dass ihr Vater zum Zeitpunkt der Errichtung des Schriftstücks vom 09.04.1990 aufgrund seiner Erkrankung (ZNS Metastasen) testierunfähig gewesen sei und zum Beweis hierfür medizinische Unterlagen als Anlagenkonvolut B 18 vorlegt sowie die Einholung eines Sachverständigengutachtens beantragt, ist dieser Vortrag bereits als verspätet anzusehen (§ 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO und §§ 530, 520, 296 Abs. 1 ZPO). Es ist weder hinreichend vorgetragen noch ersichtlich, dass und warum die Beklagte, der die Erkrankung ihres Vaters im damaligen Zeitraum bekannt war, ohne ihr Verschulden gehindert gewesen sein sollte, hierzu – ggf. nach ergänzenden Erkundigungen – in dem über ein Jahr dauernden Verfahren in erster Instanz Ausführungen zu machen.
Im Übrigen fehlt es aber hinsichtlich der behaupteten Testierunfähigkeit zum Zeitpunkt der Verfügung am 19.04.1990 (§ 2229 Abs. 4 BGB) auch an hinreichend substantiiertem Vortrag der Beklagten, der Anlass zur Einholung des beantragten Sachverständigengutachtens geben könnte. Insbesondere sind auch aus den vorgelegten Unterlagen im Anlagenkonvolut B 18 keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Erblasser zum maßgeblichen Zeitpunkt an einer krankhaften Störung der Geistestätigkeit gelitten hat, aufgrund derer er nicht mehr in der Lage war, sich über die Tragweite seiner Anordnungen ein klares Urteil zu bilden und dann frei von den Einflüssen etwaiger interessierter Dritter zu handeln (vgl. Palandt/Weidlich a.a.O., § 2229 Rn. 8).
In dem Bericht des psychiatrischen Konsiliardienstes vom 09.04.1990 wird als Diagnose „V.a. beginnendes hirnorganisches Psychosyndrom mit im Vordergrund stehender Wesensänderung bei Hirnmetastasen“ angegeben. Nach der Befragung des Patienten wird als Befund folgendes festgehalten: „wach, orientiert, freundlich aufgeschlossen. Auffassung vermindert, Patient kann Zusammenhänge jedoch erfassen und entsprechend reproduzieren. Konzentration und Mnestik, soweit eruierbar, ungestört. Formales Denken verlangsamt, jedoch geordnet. Derzeit kein Anhalt für psychotisches Erleben.“ Der 10 Tage vor der Testamentserrichtung erhobene psychiatrische Befund lässt damit gerade keine Einschränkungen der geistigen Leistungsfähigkeit erkennen, die geeignet wären, die Testierfähigkeit des Erblassers zum maßgeblichen Zeitpunkt in Frage zu stellen. Auch aus den späteren Berichten ergeben sich hierfür keine Anhaltspunkte. Der Radiotherapiebericht nennt insoweit keine relevanten Einzelheiten. In dem Bericht des Zentralkrankenhauses G. vom 08.05.1990 lautet die Diagnose „metastasierendes Adenokarzinom mit Hirnfilialisierung“ und in der Anamnese wird von einer deutlichen Wesensveränderung sowie von Denk- und Merkstörungen gesprochen, wobei der diesbezügliche Satz allerdings unvollständig ist und nähere Ausführungen hierzu nicht erfolgen. In dem Bericht des Städt. Krankenhauses M.-N. vom 17.05.1990 wird als Diagnose neben Bronchialcarcinom und Z. n. cerebralem Krampfanfall wiederum „V. a. beginnendes hirnorganisches Psychosyndrom“ festgehalten und nur in der Vorgeschichte zu dem am 31.03.1990 erllittenen Krampfanfall Halluzinationen und seit einigen Wochen eine Wesensveränderung erwähnt. Der Bericht des Zentralkrankenhauses G. vom 28.08.1990 führt im Rahmen der Ananmese lediglich eine ständige Müdigkeit und eine seit 14 Tagen verspürte Verschlechterung des Allgemeinzustands an. Halluzinationen werden mithin nur vor dem Krampfanfall im Rahmen der Vorgeschichte erwähnt, im Rahmen der psychiatrischen Untersuchung 10 Tage vor der Testamentserrichtung und auch später nicht mehr.
Zusammenfassend liegen mithin keine hinreichenden Anhaltspunkte vor, die Anlass zu Zweifeln an der Testierfähigkeit des Erblassers und damit zur Einholung eines Gutachtens geben könnten.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48 GKG, § 6 ZPO bestimmt.


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