Erbrecht

Rechtmäßigkeit der Verweigerung der Steuerbefreiung als Familienheim

Aktenzeichen  4 K 692/20

Datum:
16.6.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
StEd – 2021, 568
Gerichtsart:
FG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Finanzgerichtsbarkeit
Normen:
FGO § 47, § 74

 

Leitsatz

1. Der Auszug des Erblassers aus der bislang eigengenutzten Immobilie unter gleichzeitiger Verlegung des Lebensmittelpunkts in eine andere eigengenutzte Immobilie ist nicht mit dem Umzug in ein Senioren- oder Pflegeheim aus zwingenden gesundheitlichen Gründen gleichzustellen. (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Steuerbefreiung als Familienheim kann nur für ein einziges Objekt in Betracht kommen. Dies gilt sowohl bei gleichzeitiger Eigennutzung mehrerer Immobilien durch den Erblasser zu seinen Lebzeiten als auch im Falle zeitlich aufeinander folgender Eigennutzung verschiedener in seinem Eigentum stehender Immobilien. (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Steuerbefreiungsvorschrift begründet kein Recht des Erben, nach dem Erbfall auszuwählen, welche von mehreren ererbten Immobilien, die vom Erblasser nacheinander zeitweise selbst genutzt worden und aufgrund zwingender Gründe jeweils wieder verlassen worden waren, als Familienheim begünstigt sein soll. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der durch die Einspruchsentscheidung vom 18. März 2020 bestätigte Erbschaftsteuerbescheid vom 27. November 2019 wird dahingehend geändert, dass die Erbschaftsteuer auf 313.842 € herabgesetzt wird.
2. im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Die Kosten des Verfahrens tragen der Kläger zu 77% und der Beklagte zu 23%.
4. Das Urteil ist im Kostenpunkt für den Kläger vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten des Klägers die Vollstreckung abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Gründe

1.) Die Klage ist fristgerecht erhoben (§ 47 FGO) und auch im Übrigen zulässig.
Für die Aussetzung des Verfahrens gemäß § 74 FGO besteht im Hinblick auf die durch die Bescheide des Finanzamtes M vom 27. November 2019 gesondert festgestellten Grundbesitzwerte der bebauten Grundstücke in … und in Y kein Anlass. Die Aussetzung des Verfahrens ist nur dann geboten, wenn ein gegen den Kläger gerichteter Grundlagenbescheid (§ 171 Abs. 10 der Abgabenordnung -AO-) besteht und im Rahmen eines anderweitigen Rechtsschutzverfahrens angefochten ist. In diesem Fall ist die gerichtliche Entscheidung über den Steuerbescheid als Folgebescheid erst möglich, wenn das Rechtsschutzverfahren gegen den Grundlagenbescheid abgeschlossen ist.
Den beiden Feststellungsbescheiden des Finanzamtes M kommt jedoch keine Bindungswirkung für den Streitfall zu, weil sich die gesonderten Feststellungen der Grundbesitzwerte der beiden Häuser nach § 151 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Bewertungsgesetzes (BewG) ausschließlich an die Schwester des Klägers als Bescheidadressatin gerichtet haben. Soweit der Beklagte dem Erbschaftsteuerbescheid vom 27. November 2019 den durch das Finanzamt M für das Haus in Y festgestellten Grundbesitzwert zugrunde legte, erfolgte dies ohne formalrechtliche Bindungswirkung an den Feststellungsbescheid als gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen im Sinne des § 157 Abs. 2 AO. Da die Grundbesitzwerte der beiden Häuser zwischen den Beteiligten nicht streitig sind, besteht für den erkennenden Senat kein Sachentscheidungshindernis.
Der Umstand, dass der Kläger den besagten Feststellungsbescheid vom 27. Juni 2019 unzulässigerweise im eigenen Namen durch Einspruch angefochten und das Finanzamt M diesen Einspruch fehlerhafterweise durch Einspruchsentscheidung vom 30. Juli 2020 gegenüber der Schwester des Klägers als unbegründet zurückgewiesen hat, ändert hieran nichts und ist für die vorliegende Streitsache unerheblich.
2.) Die Klage ist nur teilweise begründet.
Die Klage hat insoweit Erfolg, als der Beklagte bei der Festsetzung der Erbschaftsteuer des Klägers einen zu hohen Wert des erbschaftsteuerrechtlichen Erwerbes des Klägers berücksichtigt hat.
a) Als der Erbschaftsteuer unterliegender Erwerb von Todes wegen gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes in der auf den Streitfall anzuwendenden Fassung (ErbStG) gilt nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG unter anderem der Erwerb durch Erbanfall. Unter Erbanfall ist der Übergang des Vermögens des Erblassers auf den oder die mehreren Erben im Sinne von § 1922 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) zu verstehen. Der Erbanfall ist bei einer Mehrheit von Erben beim jeweiligen Miterben entsprechend seiner Erbquote (§ 2047 Abs. 1 BGB) erbschaftsteuerrechtlich zu erfassen, mit der Folge, dass es für die Besteuerung auch bei einer Teilung in Natur durch Auseinandersetzungsvertrag unerheblich ist, welche Gegenstände oder Vermögensmassen im einzelnen Miterben im Zuge der Auseinandersetzung übertragen werden (vgl. Bundesfinanzhof -BFHUrteile vom 10. November 1982 II R 85-86/78, BFHE 137, 500, BStBl II 1983, 329 und vom 5. Februar 1992 II R 7/89, BFH/NV 1993, 100).
b) Da der Kläger und seine Schwester Miterben der Erblasserin zu je ½ geworden sind, ist der gesamte Nachlass, einschließlich der beiden Häuser in … und in Y, ab dem Erbfalle deren gemeinschaftliches Vermögen (§ 2032 Abs. 1 BGB). Somit sind ihnen die beiden Häuser zum Zwecke der Erbschaftsteuer jeweils in Höhe ihrer Erbquote materiell-rechtlich zuzurechnen gewesen. Die im Streitfall erfolgte Zurechnung der beiden Häuser nach Maßgabe der Vereinbarungen in dem ein knappes Jahr nach dem Tode der Erblasserin geschlossenen notariellen Erbauseinandersetzungsvertrag vom 8. Juni 2016 ist für die Besteuerung nicht maßgeblich. Materiellrechtlich ist dem Kläger somit jeweils die Hälfte des Wertes der beiden Häuser als Wert des erbschaftsteuerrechtlichen Erwerbes zuzurechnen. Der Umstand, dass der Kläger in Vollzug des Erbauseinandersetzungsvertrages zum einen Alleineigentümer des Hauses in Y wurde und zum anderen seine Eigentumsrechte als Miterbe an dem Hause in … auf seine Schwester übertrug, ist für den Wert seines erbschaftsteuerrechtlichen Erwerbes im Zeitpunkt des Erbanfalles nicht von Belang.
c) Der Beklagte wäre auch verfahrensrechtlich befugt gewesen, die von ihm angenommenen Grundbesitzwerte für die beiden Häuser in … und in Y je zur Hälfte als Anteil des Klägers am Nachlass der Erblasserin erbschaftsteuerrechtlich zu berücksichtigen. Abgesehen davon, dass den Feststellungsbescheiden des Finanzamtes M vom 27. Juni 2019 schon wegen der fehlenden Adressierung an den Kläger keine Bindungswirkung für seine Erbschaftsteuer zukommt, ist auch die Vermögenszurechnung durch das Finanzamt M für den Beklagten nicht verbindlich.
Im Falle der gesonderten Feststellung eines Grundbesitzwertes für Zwecke der Erbschaftsteuer nach § 151 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BewG sind im Feststellungsbescheid gemäß § 151 Abs. 2 Nr. 2 BewG auch Feststellungen über die Zurechnung der wirtschaftlichen Einheit und bei mehreren abgabenrechtlichen Beteiligten über die Höhe des Anteiles zu treffen, der für die Besteuerung von Bedeutung ist. Diese Zurechnung ist nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung jedoch ausschließlich auf das Feststellungsverfahren beschränkt. Ihre Rechtswirkung erschöpft sich in der Bestimmung des Inhaltsadressaten, d. h. der Person, für die der festgestellte Bedarfswert seinem Inhalt nach bestimmt ist (vgl. BFH Urteil vom 29. November 2006 II R 42/05, BFHE 215, 529, BStBl II 2007, 319). Das für die Festsetzung der Erbschaftsteuer zuständige Finanzamt ist – im Regelfalle – zwar an den festgestellten Grundbesitzwert, nicht aber an dessen Zuordnung auf die einzelnen Miterben gebunden (vgl. BFH Urteil vom 13. August 2008 II R 7/07, BStBl II 2008, 982).
d) Ausgehend von den – mangels verbindlicher Feststellungsbescheide – durch den Beklagten für die beiden Häuser im Schätzungswege angenommenen Grundbesitzwerten ist der Wert des erbschaftssteuerlichen Erwerbes des Klägers auf der Grundlage jeweils eines Hälfteanteiles am Wert des Hauses in X und des Hauses in Y zu ermitteln. Wegen der erheblich höheren Bewertung des Hauses in Y ergibt sich zugunsten des Klägers eine Minderung der erbschaftsteuerrechtlichen Bemessungsgrundlage. Dieser rechtliche Gesichtspunkt ist von Gerichts wegen zu berücksichtigen, auch wenn der Kläger diesen nicht ausdrücklich eingewendet hat.
3.) Im Übrigen ist die Klage jedoch unbegründet.
a) Dies gilt insbesondere für das auf die Zuerkennung der Steuerbefreiung des Grundbesitzwertes des Hauses in Y unter dem Gesichtspunkt des Familienheimes gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG gerichtete Klagebegehren. Bei der Festsetzung der Erbschaftsteuer bleibt der Erwerb von Todes wegen eines sogenannten Familienheimes durch Kinder des Erblassers unter den tatbestandlichen Voraussetzungen des § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG steuerfrei. Danach ist der erbschaftsteuerrechtliche Erwerb des Eigentums oder Miteigentums an einem im Inland belegenen bebauten Grundstück durch Kinder des Erblassers im Sinne des § 15 Abs. 1 Steuerklasse I Nr. 2 ErbStG steuerfrei, soweit der Erblasser darin bis zum Erbfall eine Wohnung zu eigenen Wohnzwecken genutzt hat oder bei der er aus zwingenden Gründen an einer Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken gehindert war und die beim Erwerber unverzüglich nach dem Erbfalle zur Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken bestimmt ist. Die Steuerbefreiung wird gewährt, soweit die Wohnfläche der Wohnung 200 m² nicht übersteigt (§ 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 1 ErbStG).
b) Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Steuerbefreiung als Familienheim nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 1 ErbStG sind im Streitfall in Bezug auf das Haus in Y jedoch nicht erfüllt.
Das Haus in Y hat zwar unstreitig bis zum Tode der Erblasserin in ihrem Alleineigentum gestanden. Weiterhin ist unstreitig, dass die Erblasserin in diesem Haus ab dem Zeitpunkt des Erwerbes im Jahre 1954 gemeinsam mit ihrem vorverstorbenen Ehemann gelebt und das Haus bis zu ihrem Auszug zu eigenen Wohnzwecken selbst genutzt hatte. Schließlich ist die tatbestandliche Voraussetzung der Steuerbefreiung in Gestalt der unverzüglichen Bestimmung der Selbstnutzung durch den Erben auch dann erfüllt, wenn dieser – wie im Streitfall der Kläger – bereits vor dem Tode der Erblasserin in dem Haus als seinem Lebensmittelpunkt gewohnt hatte und die Selbstnutzung danach weiterhin fortsetzt.
Der Beklagte hat dem Kläger die Steuerbefreiung als Familienheim aber deshalb zu Recht versagt, weil die Erblasserin das Haus in Y weder bis zu ihrem Tode zu Wohnzwecken eigengenutzt hat, noch der der Eigennutzung gleichgestellte Ausnahmetatbestand vorgelegen hat. Unstreitig hat die Erblasserin das vom Kläger bewohnte Haus bis zu ihrem Tode nicht mehr zu eigenen Wohnzwecken genutzt. Die in § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 1 ErbStG genannte Ausnahme von der Selbstnutzung durch die Erblasserin bis zu ihrem Tode liegt aber auch nicht vor. Ausnahmsweise ist nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 1 ErbStG die Eigennutzung durch die Erblasserin bis zu ihrem Tode dann entbehrlich, wenn sie aus zwingenden Gründen an der Fortsetzung der Eigennutzung gehindert war. Zwingende Gründe für die Beendigung der Eigennutzung durch den Erblasser/die Erblasserin sind nach den Motiven des Gesetzgebers (vgl. Bundestags-Drucksache 16/11107 vom 26. November 2008 zu § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG) beispielsweise der Eintritt der Pflegebedürftigkeit verbunden mit dem Umzug in ein Senioren- oder Pflegeheim oder auch sonstige gesundheitliche Gründe in seiner/ihrer Person, die die Fortsetzung der Eigennutzung der Wohnung ausschließen (vgl. Finanzgericht -FGMünchen Urteil vom 22. Oktober 2014, 4 K 2517/12, EFG 2015, 238).
Nach dem vorgetragenen Sachverhalt mögen der Eintritt der Pflegebedürftigkeit des Ehemannes der Erblasserin und schließlich seinerzeit auch ihre eigenen gesundheitlichen Einschränkungen Anlass oder sogar Grund gewesen sein, die Fortsetzung der Eigennutzung des Hauses in Y zu beenden. Dies ergibt sich zumindest aus dem seitens des Beklagten unbestrittenen Sachvortrag des Klägers, die altersbedingt eingeschränkte Mobilität der Erblasserin und die Schwierigkeiten, das Haus in Y angemessen barrierefrei umzubauen, hätten damals für die Erblasserin den Grund geboten, aus dem Hause auszuziehen und ihren Wohnsitz zu verlegen. In diesem Falle wäre auch unschädlich, dass das Erbschaftsteuerrecht im Zeitpunkt des Auszuges der Erblasserin aus ihrem Hause in Y noch keine Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 1 ErbStG vorgesehen hatte. Schließlich hat der Gesetzgeber erst durch das zum 1. Januar 2009 in Kraft getretene Gesetz zur Reform des Erbschaftsteuer- und Bewertungsrechtes vom 24. November 2008 (BGBl 2008 I S. 3018ff) die bis dahin nur für freigebige Zuwendungen des selbst genutzten – damals als Familienwohnheim bezeichneten – Grundstückes zwischen Ehegatten geltende Steuerbefreiung unter anderem auch auf den Erwerb von Todes wegen durch Kinder des Erblassers erweitert. Für die zeitliche Anwendbarkeit der besagten Steuerbefreiungsvorschrift ist jedoch nur Voraussetzung, dass diese im Zeitpunkt des Erbfalles bereits in Kraft getreten war. Der Umstand, dass im Streitfall die Erblasserin ihre Selbstnutzung aus zwingenden Gründen bereits vor dem Inkrafttreten der Steuerbefreiungsvorschrift beendet hatte, würde deren Gewährung nicht ausschließen, weil diese jedenfalls in dem hierfür entscheidenden Zeitpunkt des Erbfalles anwendbar gewesen ist.
Es kann aber letztlich dahingestellt bleiben, ob die seinerzeit vorliegenden Umstände unter der Geltung der Steuerbefreiung für ein Familienheim den Tatbestand zwingender Gründe im Sinne des § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 1 ErbStG erfüllen würden, weil die Anwendbarkeit der Steuerbefreiungsvorschrift auf den Streitfall aus einem anderen Grund zu verneinen ist. Entscheidend ist, dass die Erblasserin durch ihren Auszug aus ihrem Haus in Y ihren bis dahin dort befindlichen Hausstand in Y aufgegeben und für einen Zeitraum von weit über einem Jahrzehnt einen neuen Hausstand in ihrem weiteren Haus in X begründet und unterhalten hatte. Hierdurch hatte die Erblasserin ihren Lebensmittelpunkt zweifelsfrei nach X verlegt. Erfüllt die zum neuen Lebensmittelpunkt bestimmte Wohnung ihrerseits die Voraussetzungen für ein Familienheim im o.g. Sinne, so scheidet die Anwendung der Steuerbefreiung auf die bisherige Wohnung aus (vgl. FG München Urteil vom 11. April 2018, 4 K 532/17, EFG 2018, 1115).
Der erkennende Senat versteht den vom Gesetzgeber beabsichtigten Zweck der Vorschrift des § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 1 ErbStG in dem Sinne, dass die Steuerbefreiung nur auf diejenige Immobilie Anwendung finden soll, die als zeitlich letzte vor dem Erbfall die Funktion als Familienheim des Erblassers erfüllt hat. Nach Ansicht des erkennenden Senats hat der Gesetzgeber nicht beabsichtigt, im Falle des wiederholten Wechsels des Lebensmittelpunktes des Erblassers jede diesem gehörende Immobilie zu begünstigen, die der Erblasser im Laufe seines Lebens zeitweise zu Wohnzwecken eigengenutzt und aus den in § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 1 ErbStG gemeinten zwingenden Gründen verlassen hatte. Der Auszug aus der bislang eigengenutzten Immobilie unter gleichzeitiger Verlegung des Lebensmittelpunktes in eine andere eigengenutzte Immobilie ist nicht mit dem vom Gesetzgeber ins Auge gefassten Fall des Umzuges in ein Senioren- oder Pflegeheim aus zwingenden gesundheitlichen Gründen gleichzustellen. Letzteres hat der Gesetzgeber ausnahmsweise lediglich deshalb der im Regelfall erforderlichen Nutzung zu eigenen Wohnzwecken durch den Erblasser bis zu seinem Tode gleichgestellt, um sachliche Unbilligkeiten infolge schwerwiegender – in der Regel gesundheitlicher – Hinderungsgründe des Erblassers, die Eigennutzung dort weiter fortzusetzen, zu vermeiden.
Die Steuerbefreiung als Familienheim kann schließlich auch nur für ein einziges Objekt in Betracht kommen. Dies gilt sowohl bei gleichzeitiger Eigennutzung mehrerer Immobilien durch den Erblasser/die Erblasserin zu seinen/ihren Lebzeiten (vgl. FG München Gerichtsbescheid vom 4. Mai 2020, 4 K 3287/18, EFG 2020, 1088), als auch im Falle zeitlich auf einander folgender Eigennutzung verschiedener in seinem/ihrem Eigentum stehender Immobilien. Die Steuerbefreiungsvorschrift begründet nach dem Erbfall ebenso wenig ein Recht des oder der Erben zwischen mehreren ererbten Immobilien auszuwählen, die vom Erblasser/von der Erblasserin nach einander zeitweise selbst genutzt worden und aufgrund zwingender Gründe jeweils wieder verlassen worden waren. Das Haus in Y hat deshalb im Zeitpunkt des Todes der Erblasserin als deren Familienheim nicht mehr in Betracht kommen können.
c) Der Kläger vermag die Steuerbefreiung als Familienheim gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 1 ErbStG auch nicht im Hinblick auf das von ihm zur Hälfte erworbene Haus in X geltend zu machen. Dies scheidet – ungeachtet aller weiteren Rechtsüberlegungen – schon deswegen aus, weil er dieses Haus nach dem Erbfall nicht zu eigenen Wohnzwecken genutzt hat.
4.) Nach den oben dargestellten Ausführungen unter Nr. 2 und Nr. 3 errechnet sich folgende festzusetzende Erbschaftsteuer des Klägers:
Wert des Erwerbes laut Erbschaftsteuerbescheid vom 27.11.2019
2.318.115,50
Abzüglich Hälfteanteil des Hauses in Y
./. 996.120,00
Zuzüglich Hälfteanteil des Hauses in X
+ 497.815,00
Freibetrag nach § 13 Abs. 1 Nr. 1a-c ErbStG
./. 5.000,00
Zuzüglich Vorerwerb
+ 281.000,00
Freibetrag § 16 ErbStG
./. 400.000,00
Restbetrag
1.695.810,50
Steuerpflichtiger Erwerb auf 100 Euro abgerundet
1.695.800,00
Tarifliche Erbschaftsteuer nach Steuerklasse I (Steuersatz: 19%)
322.202,00
Steuer auf den Vorerwerb
./. 8.360,00
Erbschaftsteuer laut Urteil
313.842,00
5.) Die Beiladung der Schwester des Klägers zum Verfahren nach § 60 FGO, § 174 Abs. 5 Satz 2 AO kommt wegen Ablaufs der Festsetzungsfrist nicht in Betracht.
6.) Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO.
7.) Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten und des Vollstreckungsschutzes folgt aus § 151 Abs. 1 Satz 1, Halbsatz 1, Abs. 3 FGO in Verbindung mit den sinngemäß anzuwendenden Vorschriften des § 708 Nr. 10, § 711 der Zivilprozessordnung -ZPO- (vgl. zur Anwendung des § 708 Nr. 10 ZPO im finanzgerichtlichen Verfahren: FG München Urteil vom 20. Januar 2005, 3 K 4519/01, EFG 2005, 969; FG Hamburg Urteil vom 23. Juli 2017, 3 K 287/14, EFG 2017, 1064).


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