Erbrecht

Verpflichtung der Erben zur Berichtigung der Steuererklärungen des Erblassers

Aktenzeichen  6 K 3189/17

Datum:
26.7.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
ErbStB – 2019, 342
Gerichtsart:
FG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Finanzgerichtsbarkeit
Normen:
FGO § 90a, § 115 Abs. 2 Nr. 1, § 135 Abs. 1, § 169 Abs. 2, § 173 Abs. 1 Nr. 1
AO § 153

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision wird zugelassen.

Gründe

II.
Die Klage ist unbegründet.
1. Gemäß § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen. Die im Jahr 2014 bei der Selbstanzeige erklärten Kapitaleinkünfte bzw. das Kapitalvermögen sind nachträglich bekanntgewordene Tatsachen.
2. Die Änderungsbescheide sind zu Recht ergangen. Die Festsetzungsfrist für die Steuerfestsetzungen 1995 bis 2001 war bei Erlass der Steuerbescheide am 23. Dezember 2016 noch nicht abgelaufen.
a) Die Änderung einer Steuerfestsetzung ist nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist (§ 169 Abs. 1 Satz 1 AO). Die Frist beträgt für die Einkommensteuer grundsätzlich vier Jahre (§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO). Soweit die Steuer hinterzogen worden ist, gilt die zehnjährige Festsetzungsfrist gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 AO. Die Festsetzungsfrist beginnt nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO für die Einkommenwie für die Vermögenssteuer, wenn eine Steuererklärung eingereicht wird, mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuererklärung eingereicht wird.
Gesamtrechtsnachfolger treten sowohl in materieller als auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht in die abgabenrechtliche Stellung des Erblassers ein (BFH-Urteil vom 29. August 2017 VIII R 32/15, BStBl II 2018, 223). Gegen den Erben laufen daher grundsätzlich die gegenüber dem Erblasser in Gang gesetzten Verjährungsfristen weiter. Das gilt auch für die zehnjährige Festsetzungsfrist nach einer Steuerhinterziehung des Erblassers (BFH-Urteil vom 2. Dezember 1977 III R 117/75, BStBl II 1978, 359). Die Verlängerung der Festsetzungsfrist auf zehn Jahre tritt auch dann ein, wenn der Erbe keine Kenntnis von der Steuerhinterziehung eines Miterben hat (BFH-Urteil vom 29. August 2017 VIII R 32/15, BStBl II 2018, 223).
Die angefochtenen Steuerfestsetzungen für die Jahre 1995 bis 2001 betreffen hinterzogene Steuern. Die zehnjährige Festsetzungsfrist für das Jahr 1995 beginnt – da die Steuererklärung im Jahr 1997 eingereicht wurde – mit Ablauf des Jahres 1997. Nach § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO endet die zehnjährige Festsetzungsfrist mit Ablauf des Jahres 2007. Die Steuerfestsetzung für 1995 ist das älteste Jahr; die Festsetzungsfristen für die übrigen Streitjahre 1996 bis 2001 enden entsprechend später.
b) Das Finanzamt hat zu Recht die Steuerbescheide für 1995 bis 2001 geändert, da die Festsetzungsfrist noch nicht abgelaufen war.
(1) Der Ablauf der Festsetzungsfrist war nach § 171 Abs. 7 AO gehemmt. Nach dieser Vorschrift endet im Fall der Steuerhinterziehung die Festsetzungsfrist nicht, „bevor die Verfolgung der Steuerstraftat … verjährt ist“. Zweck des Gesetzes ist es zu verhindern, dass die Steuerstraftat zwar noch verfolgt werden kann, aber die hinterzogenen Steuerbeträge wegen Ablaufs der Festsetzungsfrist nicht mehr festgesetzt werden dürfen (BT-Drucks. VI/1982, 152). Der Gesetzgeber will auf die Steuer nicht verzichten, solange noch bestraft werden kann. Stirbt der Steuerpflichtige, nachdem die reguläre Festsetzungsfrist abgelaufen war, so endet die Ablaufhemmung mit seinem Tod (BFH-Urteil vom 2. Dezember 1977 III R 117/75, BStBl II 1978, 359). Die Erben als Gesamtrechtsnachfolger können für die nach Ablauf der Festsetzungsfrist festgestellten Mehrsteuern nicht mehr in Anspruch genommen werden (Banniza in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 171 AO Rz. 163).
(2) Steuerhinterziehung begeht, wer über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht oder die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AO). Steuerhinterziehung kann also auch durch pflichtwidriges Unterlassen begangen werden, etwa bei einer unterlassenen Berichtigung (vgl. etwa Bundesgerichtshof – BGH – Urteil vom 11. Juli 2008 5 StR 156/08, NStZ 2009, 273).
(3) Nach § 153 AO besteht eine Anzeigepflicht, wenn ein Steuerpflichtiger nachträglich vor Ablauf der Festsetzungsfrist erkennt, dass eine von ihm oder für ihn abgegebene Erklärung unrichtig oder unvollständig ist und dass es dadurch zu einer Verkürzung von Steuern kommen kann oder bereits gekommen ist. Diese Anzeigepflicht und die erforderliche Richtigstellung sind unverzüglich vorzunehmen. Die Verpflichtung trifft auch den Gesamtrechtsnachfolger eines Steuerpflichtigen. Der Gesamtrechtsnachfolger muss tätig werden, wenn er erkennt, dass Erklärungen des Rechtsvorgängers unrichtig waren (Seer in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 153 AO Rz. 3, 17). Die Berichtigungspflicht ist nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Gesamtrechtsnachfolger bereits vor dem Tod des Erblassers Kenntnis von dem Kapitalvermögen im Ausland und den unrichtigen Steuererklärungen hatte, da für die nachträgliche Kenntnis auf den Eintritt der Gesamtrechtsnachfolge zum Zeitpunkt des Todes des Erblassers abzustellen ist (BFH-Urteil vom 29. August 2017 VIII R 32/15, BStBl II 2018, 223). Für den Fall, dass der Erbe bereits Mittäter oder Teilnehmer (Anstifter oder Gehilfe) der vorsätzlichen Straftat war, besteht keine Berichtigungspflicht (Seer in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 153 AO Rz. 18 m.w.N.). Mittäter oder Teilnehmer einer Steuerhinterziehung ist nicht, wer als Ehegatte lediglich die gemeinsame Einkommensteuererklärung unterschreibt, in der der andere Ehegatte unrichtige oder unvollständige Angaben zu seinen Einkünften macht (BFH-Urteil vom 16. April 2002 IX R 40/00, BStBl II 2002, 501).
c) Ausgehend von diesen Grundsätzen waren die Einkommensteuerfestsetzungen für die Jahre 1995 bis 2001 nicht festsetzungsverjährt.
Die – aufgrund der Steuerhinterziehung des Erblassers – zehnjährige Festsetzungsfrist für die Einkommensteuer für 1995 (Erklärungseingang 1997) lief bis zum 31. Dezember 2007. In diese Frist traten die Klägerinnen als Gesamtrechtsnachfolgerinnen aufgrund des Erbfalls vom 2. Juni 2007 ein. Zutreffend gehen die Klägerinnen davon aus, dass eine mögliche Strafverfolgung der Steuerhinterziehung durch den Erblasser mit dessen Tod endet. Hierauf kommt es indes nicht an, da für den Erblasser keine Frist nach § 171 Abs. 7 AO gehemmt war.
Die Klägerinnen traf mit dem Erbfall nach § 153 AO die Verpflichtung, die Steuererklärungen und Angaben des Erblassers zu berichtigen, soweit für die Festsetzungen noch nicht Festsetzungsverjährung eingetreten war. Das waren im Zeitpunkt des Erbfalles die Steuerfestsetzungen bis einschließlich 1995.
Die Anzeige und Berichtigungspflicht ist in angemessener Zeit zu erfüllen. Hierfür hatten die Klägerinnen jedenfalls das zweite Halbjahr 2007 als angemessene Zeit zur Verfügung. Eine Berichtigung im Laufe des Jahres 2007 war den Klägerinnen in jedem Falle zuzumuten. Schließlich haben die Klägerinnen nach ihrem eigenen Vortrag Auskehrungen aus den Stiftungen im Jahr 2007 selbst bezogen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war ihnen die Existenz und die Höhe der ausländischen Kapitalanlagen in jedem Fall bekannt.
Die Klägerinnen waren nicht Mittäter oder Teilnehmer an der Straftat des Erblassers. Dies gilt auch für die Klägerin zu 1), die die Steuererklärung, die nach den Angaben der Kläger vom Erblasser erstellt wurde, gemeinsam mit dem Erblasser abgegeben und diese Steuererklärungen unterschrieben hat. Die Berichtigungspflicht besteht nach der Rechtsprechung auch dann, wenn die Klägerinnen vor dem Erbfall von den ausländischen Kapitalanlagen wussten.
Die Klägerinnen haben die Berichtigungspflicht nach § 153 AO nicht erfüllt und hierdurch ihrerseits eine Steuerhinterziehung begangen. Die Steuerstraftat der Klägerinnen als schwere Steuerhinterziehung unterliegt einer zehnjährigen Strafverfolgungsverjährung (§ 376 und § 370 Abs. 3 AO). Folge dieser neuen und eigenständigen Straftat ist, dass die Festsetzungsfrist für die Einkommensteuerfestsetzung 1995 nach § 171 Abs. 7 AO so lange gehemmt ist, solange die Steuerstraftat nicht verjährt ist (a. A. Radermacher, Berichtigungspflichten des Erben unter Einfluss des § 171 Abs. 7 AO, StBW 2014 956M; Fromm, § 153 AO im Angesicht der strafbefreienden Selbstanzeige, DStR 2014, 1747; Sommer/Kauff-mann, Verklammerung der Steuerhinterziehung (durch aktives Tun) des Erblassers und der Steuerhinterziehung (durch Unterlassen) des Erben – ein rein fiskalisches Konstrukt contra le…, NZWiSt 2015, 63).
Die Klägerinnen berufen sich auf die Formulierung der Vorschrift, die auf die Fälle des § 169 Abs. 2 Satz 2 AO Bezug nimmt und die „Verfolgung der Steuerstraftat“. Die Formulierung „Verfolgung der Straftat“ soll sich ausschließlich auf die Steuerhinterziehung beziehen, die zu der verlängerten Festsetzungsfrist geführt hat. Dies wäre die Steuerhinterziehung des Erblassers. Die Strafverfolgung im Sinne des § 171 Abs. 7 AO muss nach dem auslegungsfähigen Wortlaut der Norm indes nicht die Strafverfolgung des Steuerhinterziehers selbst sein.
d) Entscheidend bei der Auslegung der Norm ist der Normzweck.
Der Zweck der Norm rechtfertigt keine einschränkende Auslegung auf die Straftat des Erblassers. Nach dem Zweck des § 171 Abs. 7 AO soll keine Inkongruenz zwischen der Möglichkeit der Steuerfestsetzung und der Möglichkeit der Strafverfolgung entstehen. Eine Steuerfestsetzung soll so lange möglich sein, wie eine Strafverfolgung für eine hinterzogene Steuer möglich ist. Dies ist auch dann der Fall, wenn während der aufgrund der Steuerhinterziehung des Erblassers verlängerten Festsetzungsfrist die Gesamtrechtsnachfolger ihrerseits eine eigenständige Steuerhinterziehung begehen.
Die Klägerinnen traf vor dem 31. Dezember 2007 die Anzeige- und Berichtigungspflicht des § 153 AO für alle Steuererklärungen der Jahre 1995 bis 2001. Die Steuerhinterziehung der Klägerinnen aufgrund der Unterlassung der Anzeige- und Berichtigungspflicht erfolgte als eigene Steuerhinterziehung. Für die Veranlagungszeiträume war die verlängerte Festsetzungsfrist aufgrund der Steuerhinterziehung des Erblassers noch nicht abgelaufen.
Die verletzte Anzeige- und Berichtigungspflicht ist zwar nicht mit der Steuererklärungspflicht des Erblassers gleichzusetzen und es entsteht kein zusätzlicher Steueranspruch. Dennoch fallen die hinterzogenen Steuern in den Schutzbereich des § 171 Abs. 7 AO, da noch vor Ablauf der steuerlichen Verjährungsfristen des § 169 Abs. 2 Satz 2 AO eine eigenständige Steuerhinterziehung begangen wird. Wäre unter der „Verfolgung der Straftat“ nur die Straftat des Erblassers als Ursprungstäter erfasst, träte der vom Gesetzgeber nicht gewollte Fall ein, dass die Steuerhinterziehung durch unterlassene Anzeige- und Berichtigungspflicht für die Jahre 1995 bis 2001 noch bis zum Jahr 2017 strafverfolgt, die Steuer hingegen nicht mehr festgesetzt werden kann.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
4. Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen.


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