Aktenzeichen 15 U 180/22
Verfahrensgang
vorgehend LG Mainz, 5. Januar 2022, 9 O 247/21, Urteilvorgehend OLG Koblenz, 11. Mai 2022, 15 U 180/22, Beschlussvorgehend OLG Koblenz 15. Zivilsenat, 11. Mai 2022, 15 U 180/22, Beschluss
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der Einzelrichterin der 9. Zivilkammer des Landgerichts Mainz vom 05.01.2022, Aktenzeichen 9 O 247/21, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 16.380,59 € festgesetzt.
Gründe
Die Berufung war gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
Zur Begründung wird auf den vorausgegangenen Hinweis des Senats Bezug genommen.
Auch die Ausführungen in der Stellungnahme des Klägers vom 24.05.2022 geben zu einer Änderung keinen Anlass.
Es kann dahinstehen, ob der Kläger, wie er weiterhin meint, zu den von ihm behaupteten unzulässigen Abschalteinrichtungen substantiiert vorgetragen hat und ob hierfür Beweis angeboten wurde, da nach Auffassung des Senats jedenfalls weder ein sittenwidriges noch ein vorsätzliches Handeln der Beklagten dargelegt ist. Entgegen seiner Auffassung ist aus den im Hinweisbeschluss bereits ausführlich dargelegten Gründen nicht ausreichend vorgetragen, dass die Implementierung der Abschalteinrichtungen in dem Bewusstsein geschah, hiermit gegen gesetzliche Vorschriften zu verstoßen und dass dieser Verstoß zumindest billigend in Kauf genommen wurde. Nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist es nicht ausreichend, dass eine Abschalteinrichtung unzulässig ist, um dem Verhalten der Motor- bzw. Fahrzeugherstellerin ein sittenwidriges Gepräge zu geben. Ein damit verbundener Gesetzesverstoß ist für sich genommen nicht geeignet, den Einsatz dieser Technologie durch die für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen zu lassen. Die Annahme von Sittenwidrigkeit setzt vielmehr auch voraus, dass diese bei der Entwicklung und/oder Verwendung der beanstandeten Technologie in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Fehlt es hieran, ist bereits der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit nicht erfüllt (BGH, Beschluss vom 29.09.2021 – VII ZR 126/21 -, Rn. 12, Beschluss vom 19.01.2021 – VI ZR 433/19 -, Rn. 19, Beschluss vom 09.03.2021 – VI ZR 889/20 -, Rn. 28, juris).
Insbesondere war die europarechtliche Gesetzeslage – zumindest bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 17.12.2020, und damit zumindest zum hier relevanten Zeitpunkt (die Erstzulassung des streitgegenständlichen Fahrzeugs datiert vom 11.03.2016) – weder unzweifelhaft noch eindeutig. Dies zeigt bereits die kontrovers geführte Diskussion über Inhalt und Reichweite der Ausnahmevorschrift des Art. 5 Abs. 2 Satz 2 a) VO (EG) 715/2007 und die Einführung des RDE-Prüfverfahrens.
Ohne Erfolg verweist der Kläger erneut auf die von der …[A] an Fahrzeugen mit dem Motortyp EA288 durchgeführten Messungen, wonach die Stickoxidemissionen im normalen Fahrbetrieb um ein Vielfaches erhöht seien. Bei dem vom Kläger in seiner Stellungnahme erwähnten Testfahrzeug, einem …, handelt es sich ausweislich der im Gutachten (Anlage K20, zu Bl. 131 eGA-OLG) aufgeführten technischen Daten um ein Fahrzeug (Erstzulassung September 2015), dessen Motor einen Hubraum von 1,6 l und eine Leistung von 81 kW aufweist, wohingegen das streitgegenständliche Fahrzeug (Erstzulassung im März 2016) über einen 2,0 l-Motor mit 110 kW (Anlage K1a, zu Bl. 4 eGA-LG) verfügt und damit hinsichtlich Fertigungszeitraum und Motorisierung (Motorleistung, Hubraum) nicht identisch ist. Selbst für den Fall, die Messergebnisse wären dennoch vorliegend übertragbar, wäre aus den im Hinweisbeschluss vom 11.05.2022 bereits ausführlich dargelegten Gründen weiterhin nicht ersichtlich, inwiefern der Beklagten in diesem Zusammenhang ein besonders verwerfliches Verhalten vorzuwerfen wäre. Zudem wurde bereits dargelegt, dass zur Erlangung der Typgenehmigung nach damaliger Rechtslage allein die Prüfstandsbedingungen maßgeblich waren (vgl. insoweit erneut BGH, Urteil vom 13.07.2021 – VI ZR 128/20 -, Rn. 23 juris).
Dem Kläger ist es mit seinem weiteren Vorbringen, die Beklagte habe gewusst, dass das KBA „anlasslose eigene Tests, Untersuchungen oder andere Nachforschungen“ aus fiskalischen Gründen nicht durchführen würde, auch nicht gelungen, seine Behauptungen zur angeblichen Täuschung des KBA im Typgenehmigungsverfahren durch die Beklagte zu substantiieren. Der Vorwurf bleibt pauschal und ohne Substanz. Es besteht vorliegend daher weiterhin keine Veranlassung, der Beklagten gemäß § 142 ZPO aufzugeben, sämtliche „Unterlagen im Kontext mit der Typgenehmigung“ vorzulegen. Auch wenn die Regelung des § 142 ZPO nicht unmittelbar Beweiszwecken dient, sondern dem Gericht als Maßnahme der materiellen Prozessleitung ermöglichen soll, sich frühzeitig einen umfassenden Überblick über den Prozessstoff zu verschaffen (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 142 Rn. 1), setzt eine solche Anordnung einen schlüssigen Klagevortrag voraus (Zöller/Greger a.a.O., § 142 Rn. 7) und dient nicht dazu, einen solchen erst herbeizuführen (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 15.12.2020 – 16a U 123/19 -, Rn. 39, juris).
Der Senat hält auch daran fest, dass dem Kläger vorliegend nicht die Grundsätze der sekundären Beweislast zu Gute kommen. Zwar trifft den Bestreitenden nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine sekundäre Beweislast dann, wenn die beweisbelastete Partei außerhalb des von ihr darzulegenden Geschehensablaufs steht und keine nähere Kenntnis der maßgebenden Tatsachen hat, während der Gegner alle wesentlichen Tatsachen kennt und ihm detaillierte Angaben zuzumuten sind. Für die Frage der Zumutbarkeit ist jedoch zu berücksichtigen, dass der Beibringungsgrundsatz nicht ausgehöhlt werden darf, nach dem es zunächst dem Beweisbelasteten obliegt, die ihm günstigen Umstände in der erforderlichen Tiefe darzulegen. Dies wird auch in der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 28.01.2020 (BGH, Beschluss vom 28.01.2020 – VIII ZR 57/19 -, juris) nicht in Abrede gestellt. Die Grundsätze der sekundären Darlegungslast reduzieren nicht bereits die allgemeinen Anforderungen an die Substantiierung der primären Darlegung des Anspruchstellers auf die allgemeine Behauptung der maßgebenden Tatbestandsmerkmale.
Das mit der Gegenerklärung zitierte Urteil des Oberlandesgerichts Köln vermag an der Beurteilung des Senats gleichfalls nichts zu ändern. Nach den dort getroffenen Feststellungen ist Gegenstand der Entscheidung ein Fahrzeug mit SCR-Katalysator (vgl. OLG Köln, Urteil vom 10.03.2022 – 24 U 112/21 -, Rn. 1, juris) und nicht – wie dasjenige im vorliegenden Verfahren – mit NOx-Speicherkatalysator (NSK), dieses also mit einem insoweit in anderer Weise funktionierenden Abgasreinigungssystem ausgerüstet. In der Folge setzt sich das OLG Köln mit dem Spezifikum des SCR-Katalysators auseinander, dass aufgrund der Prüfstandserkennung auch nach Erreichen der optimalen Betriebstemperatur des SCR-Katalysators von 200° C eine hohe AGR-Rate beibehalten, diese jedoch im Straßenbetrieb heruntergeregelt werde. Die technischen Abläufe sind mit der Funktionsweise des NSK nicht vergleichbar. Die Beklagte hat insoweit nachvollziehbar – vom Kläger nicht bestritten – erläutert (Berufungserwiderung; Bl. 88 eGA-OLG), dass die prüfzyklusabhängige NSK-Steuerung durch gezielte Platzierung des Regenerationsevents im Precon der Vermeidung verzerrter NEFZ-Testergebnisse, also einem nicht-manipulativen, grundsätzlich anerkennenswerten Zweck gedient habe (vgl. BGH, Beschluss vom 21.03.2022 – VIa ZR 334/21 -, Rn. 20, juris). Selbst wenn man – wie bereits ausführlich im Hinweisbeschluss vom 11.05.2022 dargelegt – zugunsten des Klägers die im streitgegenständlichen Fahrzeug implementierte Fahrkurvenerkennung als unzulässige Abschalteinrichtung annehmen wollte, ergäbe sich daraus noch kein sittenwidriges Vorgehen der Beklagten, da angesichts des Vorstehenden nicht von deren bewusst unzulässiger Verwendung auszugehen wäre. Daher gibt die Bezugnahme auf das Urteil des OLG Köln auch keine Veranlassung, die Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO zuzulassen. Die Voraussetzungen einer Haftung gemäß § 826 BGB sind zudem höchstrichterlich abstrakt geklärt und durch die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19 – (BGHZ 225,316) hinsichtlich der Entwicklung und des Einsatzes einer unzulässigen Abschalteinrichtung weiter konkretisiert worden. Ob die Voraussetzungen für eine Haftung der Beklagten danach vorliegen, ist von den in tatrichterlicher Würdigung des jeweiligen Sachvortrags zu treffenden Feststellungen des Berufungsgerichts abhängig und kann nicht Gegenstand einer Klärung durch den Bundesgerichtshof sein.
Der Senat sieht sich auch weiterhin nicht veranlasst, das Verfahren bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über die Vorlagefragen in den Vorabentscheidungsverfahren Az. C-663/19 – 1 und C-100/21 auszusetzen. Es sind keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Gesetz- und Verordnungsgeber mit den in Verbindung mit § 823 Abs. 2 BGB als Anspruchsgrundlage diskutierten Regelungen in §§ 6, 27 EG-FGV und Art. 5 VO (EG) Nr. 715/2007 (auch) einen Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit und speziell des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts der einzelnen Käufer bezweckte und bereits an die fahrlässige Erteilung einer inhaltlich unrichtigen Übereinstimmungsbescheinigung einen gegen den Hersteller gerichteten Anspruch auf (Rück-) Abwicklung eines mit einem Dritten geschlossenen Kaufvertrags hätte knüpfen wollen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 12.01.2022 – VII ZR 438/21 -, Rn. 3 und – VII ZR 580/21 -, Rn. 2, juris).
Zwar verleihen die relevanten Normen für das klägerische Fahrzeug im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union dem Einzelnen Rechte; hierfür genügt es, dass eine Norm darauf abzielt, einem hinreichend bestimmten Personenkreis ein Recht einzuräumen, dessen Inhalt sich anhand der verletzten Norm ermitteln lässt (vgl. BGH, Beschluss vom 10.02.2022 – III ZR 87/21 -, Rn. 9, juris; vgl. auch EuGH, Urteil vom 19.11.1991, NJW 1992, 165 Rn. 11 f.).
Auch haben die RL 2007/46/EG und die VO (EG) Nr. 715/2007 insofern drittschützende Wirkung zugunsten der Fahrzeugerwerber, als deren Interesse betroffen ist, „dass ein erworbenes Fahrzeug zur Nutzung im Straßenverkehr zugelassen wird und dass diese Nutzung nicht aufgrund mangelnder Übereinstimmung mit dem genehmigten Typ bzw. den für diesen Typ geltenden Rechtsvorschriften untersagt wird“. Die Verletzung dieses Interesses macht der Kläger jedoch nicht geltend. Sein Fahrzeug ist zugelassen und die Betriebserlaubnis nicht wieder entzogen worden. Es droht auch keine Entziehung der Betriebserlaubnis. Vielmehr macht der Kläger als verletztes Schutzgut sein wirtschaftliches Selbstbestimmungsrecht und damit den Schutz des Käufers vor dem Abschluss eines ungewollten Vertrags geltend. Diese Interessen werden jedoch vom Schutzzweck der RL 2007/46/EG und der VO (EG) Nr. 715/2007 nicht erfasst (vgl. BGH, Beschluss vom 10.02.2022 – III ZR 87/21 -, Rn. 13 f., juris).
Nichts anderes ergibt sich für den vorliegenden Fall aus den Schlussanträgen des Generalanwalts beim Gerichtshof der Europäischen Union vom 02.06.2022 zu dem Vorabentscheidungsersuchen des Landgerichts Ravensburg (vgl. Schlussanträge des Generalanwalts vom 02.06.2022, C-100/21, Celex-Nr. 62021CC0100, juris), der entsprechend der Schutzrichtung der RL 2007/46/EG und der VO (EG) Nr. 715/2007 einen individuellen Schutz des Erwerbers aus dem Vorliegen einer ordnungsgemäßen Übereinstimmungsbescheinigung für das erworbene Fahrzeug ableitet. Auch eine Verletzung dieses Interesses macht der Kläger hier nicht geltend. Sein Fahrzeug ist zugelassen und verfügt über eine gültige Übereinstimmungsbescheinigung, die es ihm erlaubt, das Fahrzeug innerhalb der Mitgliedstaaten der EU zuzulassen und zu veräußern. Es ist nicht dargetan oder sonst ersichtlich, dass insoweit eine Änderung zu erwarten wäre.
Die an den Gerichtshof der Europäischen Union gerichteten Vorabentscheidungsersuchen geben daher keinen Anlass, das Verfahren auszusetzen, da sie die tragenden Erwägungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht betreffen (BGH, Beschluss vom 12.01.2022 – VII ZR 491/21, Rn. 14 zum Vorabentscheidungsersuchen des LG Ravensburg, Beschluss vom 09.03.2021 – 2 O 315/20 -, das dieselben Vorlagefragen zum Gegenstand hat, zu denen sich die Schlussanträge des Generalanwaltes vom 02.06.2022 in der Sache C-100/21, Celex-Nr. 62021CC0100, verhalten).
Einer Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 Abs. 2 AEUV bedarf es im Hinblick auf die eindeutige Rechtslage („acte clair“) nicht (vgl. BGH, Urteile vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19 -, Rn. 77, vom 30.07.2020 – VI ZR 5/20 -, Rn. 10 ff., Beschlüsse vom 12.01.2022 – VII ZR 268/21, 438/21 und 580/21 -, jeweils Rn. 1,- VII ZR 491/21 -, Rn. 12 ff.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48 GKG bestimmt.