Europarecht

8 O 450/21

Aktenzeichen  8 O 450/21

Datum:
28.6.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
LG Erfurt 8. Zivilkammer
Dokumenttyp:
Beschluss
Spruchkörper:
undefined

Tenor

Der sofortigen Beschwerde des Antragstellers vom 15. Februar 2022 wird nicht abgeholfen. Die Sache wird dem Thüringer Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.

Gründe

Der sofortigen Beschwerde gegen den Beschluss der Kammer vom 17. Januar 2022 war nicht abzuhelfen. Es fehlt weiterhin an einer hinreichenden Erfolgsaussicht der beabsichtigten Klage.
Hierbei kann offenbleiben, ob und inwieweit die Rechtsprechungsänderung des Bundesgerichtshofes mit Urteil vom Januar 2017 (BGH, Urteil vom 26. Januar 2017 – IX ZR 285/14, juris) in verfassungsrechtlich zulässiger Weise Rückwirkung entfaltet (vgl. BVerfG, Beschluss vom 18. Oktober 2012 – 1 BvR 2366/11, juris). Nach dem Bundesverfassungsgericht ist eine Änderung einer ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes grundsätzlich nur dann unbedenklich, wenn sie hinreichend begründet ist und sich im Rahmen einer vorhersehbaren Entwicklung hält.
Eine Klärung dieser Rückwirkungsproblematik ist im vorliegenden PKH-Verfahren weder veranlasst noch geboten.
Es fehlt nämlich in jedem Fall an einem Verschulden der Antragsgegnerin zu 1, mithin an einer wesentlichen Haftungsvoraussetzung.
Bei der Verschuldensfrage handelt es sich nicht um eine schwierige, bisher ungeklärte Rechts- oder Tatsachenfrage, deren abschließende Prüfung und Klärung sich im PKH-Verfahren verböte. Der im PKH-Verfahren verfassungsrechtlich geltende Prüfungsumfang wird somit nicht überschritten, die geltenden Maßstäbe werden nicht verkannt.
Der Antragsteller wirft der Antragsgegnerin zu 1. eine Verletzung von Pflichten vor, die der Bundesgerichtshof erst im Januar 2017 statuiert hat.
Den beratenden Steuerberatern vermag insoweit jedoch kein Vorwurf vorsätzlichen oder fahrlässigen Handelns gemacht zu werden. Selbst wenn man rückwirkend – für das Erstellen der Jahresabschlüsse 2013, 2014 und 2015 – erhöhte Sorgfalts- und Beratungspflichten annähme, war dies für die hier betrauten Steuerberater keineswegs vorhersehbar. Schließlich galt bis Januar 2017 die gefestigte Rechtsprechung, wonach bei einem Dauermandat keine Pflicht bestand, eine Mandantin bei einer Unterdeckung in der Handelsbilanz auf die Pflicht ihres Geschäftsführers hinzuweisen, eine Überprüfung in Auftrag zu geben oder selbst vorzunehmen, ob Insolvenzreife besteht. Dies hatte der Bundesgerichtshof mit seiner Entscheidung vom März 2013, d. h. im Jahr des ersten relevanten Jahresabschlusses, nochmals bekräftigt (BGH, Urteil vom 7. März 2013 – IX ZR 64/1, juris).
Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass sich in den Folgejahren die erst im Januar 2017 vorgenommene Änderung – und gravierende Haftungsverschärfung – durch den Bundesgerichtshof als maßgebliche Instanz bereits abzeichnete, ankündigte und vorhersehbar war, zumal die bisherige Rechtsprechungslinie von vernünftigen und überzeugenden Erwägungen getragen war. Der Antragsteller hat nicht dargelegt, dass und inwieweit die spätere Änderung der höchstrichterlichen Judikatur bereits in Literatur und Instanzrechtsprechung angelegt war.
Es handelt sich bei dem Urteil aus 2017 nicht um eine bloße Fortführung und weitere Ausformung bereits vorhandener Senatsrechtsprechung, die für die beteiligten Verkehrskreise bei der gebotenen Sorgfalt bereits ab 2013 absehbar gewesen wäre, vielmehr um eine grundlegende und nicht vorhersehbare Weiterentwicklung der bisherigen Rechtsprechung (vgl. zu diesen Kriterien BGH, Beschluss vom 29. Juni 2010 – XI ZR 308/09, juris Rn. 11). Das gesamte Rechtsgebiet war auch nicht ersichtlich in der Entwicklung begriffen, so dass eine Haftungsverschärfung naheliegend gewesen wäre. Nichts wies auf eine neue Richtung hin (vgl. zu diesen Gesichtspunkten Schultz, in: Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, 2. Aufl. 2020, Zivilrechtliche Anwaltshaftung Rn. 201).
Es konnte somit eine „Hermeneutik des Vertrauens“ herrschen, d. h. die beratenden Berufe durften auf den Fortbestand der bisherigen Rechtsprechung vertrauen. Es gab schlicht keine „vorhersehbare Entwicklung“, die erkennbar in dem Judikat vom Januar 2017 münden würde.


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