Aktenzeichen M 19 K 18.53026
AylG § 29 Abs. 1 Nr. 5
Dublin III-VO Art. 29 Abs. 1
AsylG § 34a, § 83b
VwGO § 67 Abs. 4 S. 4, S. 7, § 114
RDGEG § 3, § 5
Leitsatz
Die Frist zur Überstellung eines Asylbwerbers an das ursprünglich für die Durchführung des Asylverfahrens zuständige EU-Land verlängert sich bei Flüchtigkeit des Asylbewerbers gemäß Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-VO auf 18 Monate. Diese Frist gilt auch dann, wenn der Asylbewerber zwischenzeitlich nicht mehr flüchtig ist. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Über den Rechtsstreit kann im Wege des Gerichtsbescheids entschieden werden, da die Sache keine rechtlichen oder tatsächlichen Schwierigkeiten aufweist und die Beteiligten hierzu angehört worden sind (§ 84 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
Die Klage hat keinen Erfolg. Soweit sie zulässig ist, ist sie unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf ein Wiederaufgreifen des Verfahrens.
I.
Die Klage ist nur teilweise zulässig.
1. Die erhobene Verpflichtungsklage ist unstatthaft. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist die Ablehnung der Durchführung eines weiteren Asylverfahrens bei Folgeanträgen mit der Anfechtungsklage anzugreifen. Ein „Durchentscheiden“ des Gerichts findet nicht (mehr) statt. Dies betont das behördliche Asylverfahren, das mit speziellen Verfahrensgarantien ausgestattet ist. Das Verfahren ist strukturiert und gibt eine mehrstufige Prüfung vor (BVerwG U.v. 14.12.2016 – 1 C 4/16 – juris Rn. 18). Diese Rechtsprechung ist auf die vorliegende Konstellation zu übertragen. Es ist daher nicht möglich, im Hauptsacheverfahren gegebenenfalls im Wege der Verpflichtungsklage eine Sachentscheidung zu erzwingen (so noch – vor Änderung der Rechtsprechung des BVerwG – BayVGH, B.v. 21.4.2015 – 10 CE 15.810 – juris Rn. 5).
2. Da vorliegend die Beklagte den Antrag des Klägers auf Abänderung des Bescheids „als unzulässig“ (und nicht als unbegründet) abgelehnt hat, ist der Bescheid so auszulegen, dass die Beklagte es bereits abgelehnt hat, das Verfahren überhaupt wiederaufzugreifen. Der Kläger verfolgt daher bei sachgerechter Auslegung seines Begehrens (§ 88 VwGO) das Ziel, die Beklagte zum Aufgreifen des Verfahrens zu verpflichten, weil entweder bereits die Voraussetzungen des § 51 VwVfG vorliegen und die Beklagte zum Aufgreifen des Verfahrens verpflichtet war oder weil zumindest sein Anspruch auf ermessensgerechte Ausübung der Aufhebungsermächtigung aus §§ 48 f. VwVfG (sog. Wiederaufgreifen i. w. S. als „erste Stufe“ des Verfahrens nach §§ 48 f. VwVfG – hierzu Ramsauer in Kopp/Ramsauer, VwVfG, 19. Aufl. 2018, § 48 Rn. 166a) nicht erfüllt wurde (allg. Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 51 Rn. 15 f.).
Nicht hingegen kann der Kläger vor Gericht die Verpflichtung zur Aufhebung oder Abänderung des bestandskräftigen Dublin-Bescheids vom 19. April 2018 verlangen, wenn bereits – wie hier – die „erste Stufe“ des Verfahrens nach §§ 48 f. VwVfG von der Beklagten nicht „eröffnet“ wurde.
Nicht statthaft ist im Übrigen eine isolierte Anfechtung des Bescheids vom 20. November 2018. Es dürfte bereits am Rechtsschutzbedürfnis fehlen (allg. hierzu Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 42 Rn. 18 ff.; Sodan in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 42 Rn. 337 ff.), jedenfalls aber liegt eine isolierte Anfechtungsklage nicht im Interesse des Klägers. Die für ihn rechtsschutzintensivere Klageart ist die vorstehend dargestellte Verpflichtungsklage, da im Falle der Begründetheit der Klage verbindlich über das Wiederaufgreifen des Verfahrens entschieden ist. Wegen der unterschiedlichen Ausgestaltung der Verfahren lässt sich insoweit die bereits erwähnte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im Falle der Ablehnung der Durchführung eines weiteren Asylverfahrens bei Folge- und Zweitanträgen (BVerwG U.v. 14.12.2016 – 1 C 4/16) auf die vorliegende Konstellation des „Dublin-Folgeantrags“ nicht übertragen. Das Gericht hat also insoweit „durchzuentscheiden“.
Statthaft ist daher im vorliegenden Fall (nur) eine Verpflichtungsklage mit dem Ziel, die Beklagte durch das Gericht zum Aufgreifen des Verfahrens zu verpflichten. Die Auslegung des gestellten Klageantrags vom 4. Dezember 2018 in dieser Weise ist (gerade noch) möglich.
II.
Die statthafte Verpflichtungsklage ist allerdings unbegründet.
Der Bescheid ist rechtmäßig, da kein Anspruch auf ein Wiederaufgreifen des Asylverfahrens gemäß § 51 VwVfG besteht. Es ergeben sich weder aus dem Vortrag des Klägers noch anderweitig Anhaltspunkte für eine Rechtswidrigkeit der Ablehnung, die eine neue Beurteilung unter den Voraussetzungen des § 51 VwVfG veranlassen könnten (1.). Den Anspruch auf ermessensgerechte Ausübung der Aufhebungsermächtigung aus §§ 48 f. VwVfG (sog. Wiederaufgreifen i. w. S.) hat die Beklagte erfüllt (2.).
1. Nach § 51 Abs. 1 VwVfG hat die Behörde auf Antrag des Betroffenen über die Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsakts zu entscheiden, wenn sich die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat (Nr. 1), neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden (Nr. 2) oder Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der Zivilprozessordnung gegeben sind (Nr. 3).
a) Im vorliegenden Fall ist keiner der in dieser Vorschrift genannten Wiederaufgreifensgründe gegeben.
Es ist insbesondere nicht die Überstellungsfrist des Art. 29 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. L 180 v. 29.6.2013, S. 31) – Dublin III-VO – zwischenzeitlich abgelaufen (vgl. VG Regensburg, B.v. 13.3.2019 – RO 9 E 19.50172 – juris Rn. 25; VG München, U.v. 16.12.2015 – M 12 K 15.50788 – juris Rn. 21).
Der Kläger war ausweislich einer Mitteilung der Regierung von Oberbayern vom 4. September 2018 seit dem 17. August 2018 (und damit noch vor Ablauf der sechsmonatigen Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO) untergetaucht und daher flüchtig im Sinne von Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-VO. Die Überstellungsfrist endet deshalb erst 18 Monate nach dem Beschluss vom 8. Mai 2018 und damit am 8. November 2019. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass der Kläger inzwischen nicht mehr flüchtig ist (vgl. Filzwieser/Sprung, Dublin III-Verordnung, 2014, Art. 29 K 12). Eine Überstellung nach Italien ist daher weiterhin zulässig.
b) Die Abschiebung nach Italien kann auch im Sinne des § 34a AsylG weiterhin durchgeführt werden. Abschiebungshindernisse sind nicht erkennbar.
c) Andere nach Eintritt der Bestandskraft des Bescheides vom 19. April 2018 entstandene Gründe, welche die Annahme einer Änderung der Sach- oder Rechtslage zu Gunsten des Klägers im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG zu tragen vermögen und daher einer Überstellung nach Italien entgegenstehen könnten, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
2. Es ist nicht ersichtlich, dass die Beklagte den Anspruch auf ermessensgerechte Ausübung der Aufhebungsermächtigung aus §§ 48 f. VwVfG (sog. Wiederaufgreifen i. w. S.) nicht erfüllt hat. Sie hat die Möglichkeit eines Wiederaufgreifens des Verfahrens benannt und sich in der Bescheidsbegründung inhaltlich mit dem Vorbringen des Klägers auseinandergesetzt. Ermessensfehler (§ 114 VwGO) sind insoweit nicht ersichtlich.
Die Klage ist daher unbegründet.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordung (ZPO).