Europarecht

Abschalteinrichtung, qualifizierte elektronische Signatur, sittenwidriges Handeln, Zug um Zug

Aktenzeichen  13 0 1098/18

Datum:
2.7.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 56790
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Amberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 823 Abs. 2, § 826
StGB § 263

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 34.900,00 € festgesetzt.

Gründe

Dem Kläger stehen keine Ansprüche gegen die Beklagte zu bzw. er konnte dem Gericht keinen Vortrag unterbreiten, welcher solche Ansprüche stützen würde.
1. Dem Kläger stehen keine Ansprüche gem. § 826 BGB bzw. 823 Abs. 2 BGB i.V.m. der Verletzung eines Schutzgesetzes zu, da der Kläger dem Gericht keinen Vortrag unterbreiten konnte, aus welchem sich ein schuldhaftes pflichtwidriges Verhalten der Beklagten bzw. gar ein vorsätzlich sittenwidriges Verhalten der Beklagten ergeben könnte.
Der vorliegende Vortrag zu der behaupteten Manipulation („Thermofenster“) ist augenscheinlich keinesfalls ausreichend, um eine wie auch immer geartete Haftung der Beklagten zu begründen. Die Frage einer „Sittenwidrigkeit“ bleibt hier gänzlich offen.
Es liegt somit kein ausreichender Vortrag vor, welcher eine Haftung der Beklagten, sei es gem. § 823 Abs. 2 i.V.m. der Verletzung eines Schutzgesetzes, sei es gem. § 826 BGB, begründen könnte.
2. Im Übrigen ist die Annahme einer Haftung gem. § 826 BGB auf Grundlage der bisher bekannten Tatsachen eher fernliegend.
Ein Verstoß gegen Artikel 3 Nr. 10, 5 Abs. 2 EU-VO 715/2007, wonach unter bestimmten Voraussetzungen die Verwendung von Abgaseinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, unzulässig ist, würde auf Grundlage des bisherigen Kenntnisstandes keine Haftung gem. § 826 BGB zur Folge haben.
Ein Verhalten ist objektiv sittenwidrig, wenn es nach dem Inhalt und Gesamtcharakter, welcher durch eine zusammenfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht denkenden Menschen verstößt, mithin mit den grundlegenden Wertungen des Rechts und der Sittenordnung nicht vereinbar ist. Nicht ausreichend ist hingegen, dass das Verhalten gesetzes- oder vertragswidrig ist, unbillig erscheint oder einen Schaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit des Verhaltens, die sich aus dem verfolgten Zweck, den eingesetzten Mitteln, der zutrage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben muss, gegeben sein. Nach allgemeine Auffassung in Rechtsprechung und Literatur führt ein Gesetzesverstoß nicht zwingend zum Vorliegen der Sittenwidrigkeit, vielmehr muss die relevante Norm auch Ausdruck einer sittlichen Wertung und nicht wertneutral sein.
Für das Urteil der Sittenwidrigkeit genügt damit nicht jedweder Verstoß, sondern es muss sich im Einklang mit den Vorstellungen des historischen Gesetzgebers und der aufbauenden Rechtsprechung um „Auswüchse“, d.h. um „Extremfälle“, handeln (BeckOnline Kommentar-BGB, Bamberger/Roth/Hau/Posseck-Förster, 49. Edition, 01.02.2019, § 826 BGB, Rn 15).
Damit die Gesamtwürdigung als Verstoß gegen das „Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden“ gewertet werden kann, bedarf es einer „besonderen Verwerflichkeit der Handlung“. Diese Voraussetzungen liegen nach den bisherigen Erkenntnissen nicht vor.
Das Landgericht Stuttgart führt im Urteil vom 17.01.2019, Az. 23 O 178/18, unter Rn. 29 (zitiert nach Juris) aus, dass „alle Hersteller aber Abschalteinrichtungen gem. der Definition in Artikel 3 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 nutzen“. Unstreitig würde das gegenständliche Fahrzeug über ein so genanntes „Thermofenster“ verfügen.
Selbst wenn man der Ansicht des Landgerichts Stuttgart folgen würde, dass das Ausnutzen des „Thermofensters“ eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne der Verordnung wäre, da die Ausnahmeregelung zum Motorschutz sehr eng auszulegen sei und ein Verstoß gegen die Verordnung dann gegeben sei, wenn sich die Abschalteinrichtung durch Konzeption, Konstruktion oder Werkstoffwahl vermeiden ließe, führt dies nicht dazu, dass mit einem derartigen Verstoß auch der Vorwurf der Sittenwidrigkeit verbunden wäre. Wie auch das Landgericht Stuttgart herausstellt, behandeln das Kraftfahrtbundesamt und das Bundesministerium für Verkehr eine derartige Abschalteinrichtung wohl (zumindest zum Teil) als zulässig. Die Möglichkeit einer derartigen Abschalteinrichtung zum Motorschutz ist in der entsprechenden EU-Verordnung enthalten. Die Auslegung dieser Verordnung war zumindest zum Zeitpunkt des In-Verkehr-Bringens des Fahrzeugs nicht eindeutig und offensichtlich. Ein sittenwidriges Handeln ist daher nicht ersichtlich. Auch die weiteren Erwägungen des Landgerichts Stuttgart zur Sittenwidrigkeit (vgl. Rn. 63 des Urteils) sind nicht stichhaltig, da alleine das Ziel, einen höheren Gewinn durch Ersparnis bei Entwicklungs- und Fertigungskosten zu erzielen, kein für sich genommen sittenwidriges Ziel ist. Auch die dort angesprochene „Unfähigkeit der Entwickler der Motoren, zu marktgerechten Preisen einen Motor zu entwickeln, der über keine unzulässige Abschalteinrichtung in Form eines Thermofensters verfügt“, kann wohl kaum als sittenwidriges Verhalten bezeichnet werden.
Insgesamt liegen daher die Voraussetzungen des § 826 BGB nicht vor.
3. Auch die Voraussetzungen des § 823 Abs. 2 BGB i.V. m § 263 StGB sind offensichtlich nicht gegeben, dies bereits, da der Kläger einen Gebrauchtwagen erworben hat.
Eine Täuschungshandlung i.S.d. § 263 StGB der Beklagten gerade gegenüber dem Kläger ist nicht ersichtlich. Von dem Kauf des Klägers vom Voreigentümer hatte die Beklagte keine Vorteile und solche waren auch nicht erstrebt.
Daher scheidet auch ein Betrug gem. § 263 StGB (i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB) aus.
4. Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 ZPO, 709 ZPO, 63 Abs. 2 GKG.


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