Europarecht

Anfechtungsklage gegen eine Nebenbestimmung, Auflage zur Vornahme einer Ersatzpflanzung, Baumschutzverordnung, hinreichende Bestimmtheit der Verordnung (bejaht), Angemessenheit der Ersatzpflanzung, Ermessen

Aktenzeichen  Au 9 K 21.23

Datum:
14.3.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 6493
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1
BayVwVfG Art. 36 Abs. 2 Nr. 4
Baumschutzverordnung der Stadt … § 5 Abs. 2
Baumschutzverordnung der Stadt … § 7 Abs. 2
AGBGB Art. 47

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.  

Gründe

Die zulässige Klage bleibt in der Sache ohne Erfolg.
Die mit der Klage angegriffenen Nrn. 2 und 3 des Bescheids der Beklagten vom 7. Dezember 2020 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
1. Die gegen die Nebenbestimmungen in Nrn. 2 und 3 des Bescheids der Beklagten gerichtete Klage ist zulässig und insbesondere statthaft. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist gegen belastende Nebenbestimmungen eines Verwaltungsakts die Anfechtungsklage gegeben (BVerwG, U. v. 22.11.2000 – 11 C 2.00 – juris Rn. 25). Dies gilt nicht nur für Auflagen und Auflagenvorbehalte, sondern auch für eine Befristung, eine Bedingung oder einen Widerrufsvorbehalt (BVerwG, U. v. 13.12.2000 – 6 C 5.00 – juris Rn. 13). Ob die Klage tatsächlich zur isolierten Aufhebung der Nebenbestimmung führen kann, hängt davon ab, ob der begünstigende Verwaltungsakt ohne die Nebenbestimmung in sinnvoller und rechtmäßiger Weise bestehen bleiben kann; dies indes ist eine Frage der Begründetheit und nicht der Zulässigkeit des Anfechtungsbegehrens, sofern nicht eine isolierte Aufhebbarkeit offenkundig von vornherein ausscheidet. Einer gesonderten Anfechtung von vornherein nicht zugänglich ist lediglich eine sog. Inhaltsbestimmung (modifizierende Auflage) (BVerwG, Urt. v. 30.9.2009 – 5 C 32.08 – juris Rn. 11). Hierbei handelt es sich um eine Einschränkung, die den Inhalt der Hauptregelung qualitativ ändert, indem sie das genehmigte Verhalten oder Vorhaben selbst näher bestimmt. Sie ist weder eine Auflage, also eine gesonderte Leistungsverpflichtung, noch macht sie die Wirksamkeit der Regelung vom Eintritt eines künftigen Ereignisses abhängig, wie es für eine Bedingung oder Befristung kennzeichnend ist (BVerwG, U. v. 17.1.1999 – 3 C 20.98 – juris Rn. 24; U. v. 30.9.2009 – 5 C 32.08 – juris Rn. 11).
Nach diesen Grundsätzen ist die isolierte Anfechtungsklage gegen die als Auflage zur gestatteten Beseitigung der vorhandenen Bäume ausgestaltete Nebenbestimmung zulässig. Sie betrifft nicht den Inhalt der Hauptregelung und ist daher von der Genehmigung (Nr. 1 des streitgegenständlichen Bescheids) denklogisch abtrennbar, ohne dass sich am Inhalt der Hauptregelung etwas ändert, und damit selbständig anfechtbar (vgl. OVG LSA, B. v. 17.9.2008 – 2 M 153/08 – juris Rn. 7).
2. Die Klage ist aber unbegründet. Die Verordnung der Beklagten über den Schutz von Bäumen und Sträuchern vom 4. März 2020, bekanntgemacht im Amtsblatt der Beklagten Nr. 11/12 vom 20. März 2020 (BSVO) ist nicht zu beanstanden (2.1). Auch die Voraussetzungen für eine Ersatzpflanzung durch den Kläger liegen vor (2.2).
2.1. Die Baumschutzverordnung der Beklagten vom 4. März 2020 ist mit höherrangigem Recht vereinbar. Sie wurde auf der Grundlage von § 20 Abs. 2 Nr. 7, § 22 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1, § 29 Abs. 1 und Abs. 2 Sätze 1 und 2 Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) i.V.m. Art. 12 Abs. 1 Satz 1 Bayerisches Naturschutzgesetz (BayNatSchG) erlassen und hält sich im Rahmen dieser Ermächtigungsnormen. Es ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass auf Naturschutzrecht beruhende Verordnungen als Inhalts- und Schrankenbestimmungen im Sinn von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz (GG) regelmäßig zulässig sind (vgl. BayVGH, U.v. 25.4.2012 – 14 B 10.1750 – juris Rn. 26). Eine unverhältnismäßige Belastung der betroffenen Grundstückseigentümer vermeidet die Baumschutzverordnung der Beklagten durch die Möglichkeit der Erteilung einer Genehmigung zum Entfernen oder Verändern geschützter Bäume nach § 5 BaumSchV. Korrespondierend hierzu sieht § 7 Abs. 2 BSVO die Möglichkeit vor, eine Auflage zu erteilen, dass für die eintretende Bestandsminderung angemessener Ersatz durch die Anpflanzung von Gehölzen geleistet wird bzw. der Betroffene eine Ersatzzahlung im Sinne des § 7 Abs. 4 BSVO zu leisten hat.
2.1.1 Bei der streitgegenständlichen Rechtsverordnung handelt es sich um eine gesetzliche Grundlage im materiellen Sinn, die nicht nur verwaltungsintern für die Beklagte, sondern als Außenrecht auch für Gerichte und die hiervon betroffenen Grundstückseigentümer bindend ist. Dem Verwaltungsgericht kommt hierbei eine inzidente Normprüfungs- bzw. Normverwerfungskompetenz zu. Im Rahmen dieser Prüfungskompetenz begegnet die streitgegenständliche Baumschutzverordnung der Beklagten vom 4. März 2020 keinen rechtlichen Bedenken.
2.1.2 Der Gesetzgeber ist verpflichtet, seine Vorschriften so zu fassen, dass sie den aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 3 Abs. 1 BV) abgeleiteten Anforderungen der Bestimmtheit, der Normenklarheit und der Justitiabilität entsprechen (BVerfG, B.v. 12.1.1967 – 1 BvR 169/63 – NJW 1967, 619). Der Bestimmtheitsgrundsatz gebietet, dass eine Rechtsnorm, die die Exekutive zur Vornahme von Einzelmaßnahmen, insbesondere zu Verwaltungsakten ermächtigt, nach Inhalt, Zweck und Ausmaß hinreichend bestimmt und begrenzt ist, sodass das Handeln der Verwaltung messbar und in gewissem Ausmaß für den Staatsbürger voraussehbar und berechenbar wird (BVerwG, U.v. 20.5.1955 – V C 14.55 – BVerwGE 2, 114-117, Rn. 17-19; BVerfG, B.v. 12.11.1958 – 2 BvL 4/56 u.a. – BVerfGE 8, 274 (325) = NJW 1959, 475; BVerfG, B.v. 3.2.1959 – 2 BvL 10/56 – BVerfGE 9, 137 (147) = NJW 1959, 931), dass der Verwaltung angemessen klare Handlungsmaßstäbe vorgegeben werden und dass die Gerichte in der Lage sind, die Anwendung der betreffenden Rechtsvorschrift durch die Verwaltung zu kontrollieren (vgl. BVerfG, U.v. 27.7.2005 – 1 BvR 668/04 – juris Rn. 118-121; Maunz/Dürig/Grzeszick GG Art. 20 VII. Rn. 58, beck-online).
2.1.3 Dieser Grundsatz verbietet es dem Gesetzgeber indessen nicht, Generalklauseln und unbestimmte Rechtsbegriffe zu verwenden. Die Vielfalt der Verwaltungsaufgaben lässt sich nicht immer in klar umrissene Begriffe einfangen. Der Gesetzgeber muss sich abstrakter und unbestimmter Formulierungen bedienen können, um die Verwaltungsbehörden in die Lage zu versetzen, ihren Aufgaben, den besonderen Umständen des einzelnen Falles und den schnell wechselnden Situationen des Lebens gerecht zu werden (vgl. BVerfG, B.v. 12.11.1958 – 2 BvL 4/56 u.a. – BVerfGE 8, 274 (325) = NJW 1959, 475; BVerfG, B.v. 10.10.1961 – 2 BvL1 /59 – BVerfGE 13, 153 (161)). Zwar darf der Gesetzgeber die Grenzziehung im Einzelnen nicht mittels einer vagen Generalklausel dem Ermessen der Verwaltung überlassen (vgl. BVerfG, U.v. 16.1.1957 – 1 BvR 253/56 – BVerfGE 6, 32 (42) = NJW 1957, 297). An die tatbestandliche Fixierung dürfen jedoch keine nach der konkreten Sachlage unerfüllbaren Anforderungen gestellt werden.
2.1.4 Voraussetzung ist aber, dass die unbestimmten Rechtsbegriffe konkretisierbar sind und damit deren Anwendbarkeit vorhersehbar ist. Das ist dann der Fall, wenn sich mit Hilfe der üblichen juristischen Auslegungsmethoden, insbesondere durch Heranziehung anderer Vorschriften des Gesetzes, der Berücksichtigung des Normzusammenhangs sowie der Begründung, eine zuverlässige Grundlage für die Auslegung und Anwendung der Vorschrift gewinnen lässt (BayVerfGH, E. v. 24.2.1988 – Vf. 16-VIII-86 – VerfGHE 41, 17/24; BayVerfGH, E. v. 28.1.2003 – Vf. 10-VII-02 – VerfGHE 56, 1/9; vgl. auch BVerfG, B.v. 24.11.1981 – 2 BvL 4/80 – NJW 1982, 1275; BVerfG, U.v. 17.11.1992 – 1 BvL 8/87 – NJW 1993, 643/645; vgl auch Maunz/Dürig/Grzeszick GG Art. 20 VII. Rn. 61, beck-online). Erforderlich ist stets, dass die von der Norm Betroffenen die Rechtslage erkennen und ihr Verhalten danach einrichten können. Sie müssen in zumutbarer Weise feststellen können, ob die tatsächlichen Voraussetzungen für die Rechtsfolge vorliegen (BVerfG, B.v. 7.5.2001 – 2 BvK 1/00 – BVerfGE 103, 332 (384 f.) m.w.N.; BVerwG, U.v. 31.7.2013 – 6 C 9/12 – BVerwGE 147, 292-305, Rn. 20). Aus dem Inhalt der Rechtsvorschrift muss sich mit ausreichender Bestimmtheit ermitteln lassen, was von der pflichtigen Person verlangt wird (vgl. BVerwG, B.v. 10.4.2000 – 11 B 61.99 – juris; U.v. 16.6.1994 – 4 C 2.94 – NVwZ 1994, 1099, jeweils m.w.N.; VG Würzburg, U.v. 16.8.2016 – W 4 K 16.81 – juris Rn. 22). Mit anderen Worten: Ein Verstoß gegen das aus Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 3 Abs. 1 BV herzuleitende Erfordernis hinreichender Bestimmtheit einer Norm bei Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe liegt dann vor, wenn es nicht mehr möglich ist, objektive Kriterien zu gewinnen, die eine willkürliche Handhabung durch die Behörden und Gerichte ausschließen.
2.1.5 Zur inhaltlichen Klarheit gehört für Rechtsnormen neben der Bestimmtheit, dass sie in sich widerspruchsfrei sind, ihren Regelungsgehalt nicht verschleiern, für Adressaten und Rechtsanwender auch in ihrem Zusammenwirken, insbesondere bei Verwendung von Verweisungen, verständlich sind und praktikable Merkmale enthalten (vgl. Sachs/Sachs, GG, Art. 20 Rn. 125, beck-online). Das Ausmaß der geforderten Bestimmtheit lässt sich zwar nicht allgemein festlegen. In erster Linie ist jedoch hierbei die Eigenart des zu regelnden Sachgebiets maßgebend. (vgl. BVerfG, B. v. 26.9.1978 – 1 BvR 525/77 – BVerfGE 49, 168 = DVBl. 1987, 881).
2.1.6 Diesen Anforderungen wird die Baumschutzverordnung der Beklagten und hier insbesondere die §§ 5 und 7 Abs. 2 BSVO gerecht.
Die hier streitgegenständliche Regelung über eine Ersatzpflanzung in § 7 Abs. 2 BSVO hält sich im gesetzlich eröffneten Rahmen des § 29 Abs. 2 Satz 2 BNatSchG, wonach für den Fall der Bestandsminderung die Verpflichtung zu einer angemessenen und zumutbaren Ersatzpflanzung oder zur Leistung von Ersatz in Geld vorgesehen werden kann. Die Baumschutzverordnung der Beklagten vom 4. März 2020 greift das ihr in der Ermächtigungsgrundlage eröffnete Ermessen („kann“) auf und berücksichtigt die Tatsache, dass die Ermächtigungsgrundlage gerade keinen Automatismus der Ersatzpflanzung kennt (vgl. hierzu VG Frankfurt, U.v. 9.6.2009 – 8 K 920/09.F – juris Rn. 30; ähnlich OVG Berlin-Bbg, U.v. 26.1.2006 – OVG 11 VB 12.05 – juris Rn. 19). Mit dem in § 7 Abs. 2 BSVO eröffneten Ermessen ist es aber im Einzelfall möglich, im Rahmen der verfassungsrechtlich gebotenen Abwägung der Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeit die jeweils betroffenen Eigentümerinteressen angemessen zu berücksichtigen. Diesen ist umso eher und umso mehr Rechnung zu tragen, je geringer im konkreten Fall die Schutzzwecke der Verordnung durch den Verlust eines einzelnen Baumes, etwa im Hinblick auf dessen Alter, Zustand, Standort etc., berührt werden (vgl. OVG NW, U.v. 8.10.1993 – 7 A 2021/92 – juris; OVG NW, U.v. 15.6.1998 – 7 A 759/96 – NVwZ-RR 1999, 239).
Den Grundsätzen der Normbestimmtheit bzw. Normklarheit wird in § 7 Abs. BSVO insbesondere dadurch Rechnung getragen, dass bei der Bestimmung eines Ersatzes für die Beseitigung von Bäumen bzw. Gehölzen die Vitalität und die ökologische Bedeutung jedes einzelnen zur Beseitigung vorgesehenen Gehölzes sowie eine angemessene innerörtliche Durchgrünung, die Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts, die schädlichen Umwelteinwirkungen, die klimatischen Verhältnisse und das Ortsbild zu berücksichtigen sind. Durch die Kriterien wird eine willkürliche Handhabung durch die Beklagte hinreichend sicher ausgeschlossen. Soweit mit der Verwendung des Begriffs „angemessener Ersatz“ in § 7 Abs. 2 BSVO ein unbestimmter Rechtsbegriff verwendet wird, begegnet dies keinen rechtlichen Bedenken. Die Verwendung dieses Begriffs dient in der Sache der Herstellung einer Einzelfallgerechtigkeit, in dem es auf die Korrelation zwischen beseitigtem Gehölz und der im Einzelfall erforderlichen Ersatzpflanzung unter Berücksichtigung der Ziele einer innerörtlichen Durchgrünung und der Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts sowie des Ortsbilds abstellt. § 7 BSVO lässt auch im Zusammenspiel der Absätze 2 und 4 ausreichenden Raum für die Berücksichtigung der jeweiligen betroffenen Eigentümerinteressen. Sofern nämlich eine Ersatzpflanzung im Sinne des § 7 Abs. 2 BSVO infolge des jeweiligen Grundstückszuschnitts und der dort vorhandenen Fläche zur Durchführung einer vorrangigen Ersatzpflanzung nicht ausreicht, so ist nach § 7 Abs. 4 Satz 1 BSVO eine Ersatzzahlung zu leisten. Mit den in § 7 Abs. 4 Satz 1 BSVO geregelten weiteren Voraussetzungen für eine Ersatzzahlung, nämlich dass eine angemessene Ersatzpflanzung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht möglich oder nicht zumutbar ist, wird ebenfalls den verfassungsrechtlichen Vorgaben aus Art. 20 Abs. 3 GG entsprochen und eine willkürliche Handhabung durch die Beklagte im Einzelfall sicher ausgeschlossen.
Die Kammer ist daher der Auffassung, dass die streitgegenständliche Vorschrift des § 7 Abs. 2 BSVO wirksam ist, weil sie mit den höherrangigen Rechtsstaatsgeboten der Bestimmtheit und Normenklarheit aus Art. 20 Abs. 3 GG vereinbar ist.
2.2 Die Voraussetzungen für eine Ersatzpflanzung nach § 7 Abs. 2 BSVO liegen vor.
2.2.1 Die vom Kläger aufgrund der Genehmigung (Nr. 1 des Bescheids vom 7. Dezember 2020) beseitigten Bäume (Robinie und Schwarzkiefer) unterfallen unstreitig dem Schutz des § 1 Abs. 2 BSVO, denn es handelt sich um Gehölze mit einem Stammumfang von mehr als 80 cm. Für den Kläger ist auch keine Ausnahme von den Schutzgeboten im Sinn des § 1 Abs. 4 BSVO erkennbar. Insbesondere handelt es sich bei den beseitigten Bäumen insbesondere nicht um Pappeln, Weiden, Thuja, Scheinzypressen und Fichten sowie deren verschiedenen Arten.
2.2.2 Die dem Kläger nach § 5 Abs. 2 BSVO erteilte und bestandskräftig gewordene Gestattung zur Beseitigung des Altbestandes auf dem streitgegenständlichen Grundstück eröffnet für die Beklagte nach § 7 Abs. 1 und 2 BSVO die Möglichkeit der Beifügung von Nebenbestimmungen, insbesondere zur Ersatzpflicht aus Gründen der innerörtlichen Durchgrünung. Nach § 7 Abs. 2 Satz 1 BSVO kann insbesondere die Auflage erteilt werden, für die eintretende Bestandsminderung angemessenen Ersatz durch die Anpflanzung von Gehölzen zu leisten. Bedenken dagegen, dass die angeordnete Ersatzpflanzung erforderlich, angemessen und dem Kläger zumutbar ist, bestehen nicht. Ausweislich der Feststellungen beim durchgeführten nicht-öffentlichen Augenscheinstermin am 8. Dezember 2021 und insbesondere dem von der Beklagten vorgelegten Luftbild (Gerichtsakte Bl. 49) bestehen auf dem streitgegenständlichen Grundstück des Klägers ausreichende Möglichkeiten, die von der Beklagten geforderten Ersatzpflanzungen vorzunehmen. Bereits auf der östlichen Seite des Grundstücks ist eine Fläche von etwa 420 m2 vorhanden, die jedenfalls zur Aufnahme eines bzw. zwei der geforderten Ersatzbäume auch unter Berücksichtigung des bereits vorhandenen Baumbestands, dem Schutz des Straßen- bzw. Wegekörpers und unter Berücksichtigung der vorhandenen Wohnbebauung geeignet ist. Gleiches gilt für die westliche Seite des Grundstücks, auf der die beiden großwüchsigen ursprünglichen Bäume (Robinie, Schwarzkiefer) entfernt wurden. Auch diese Fläche ist nach Auffassung der Kammer ausreichend, für die Aufnahme eines bzw. von zwei Ersatzbäumen. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der gesetzlichen Grenzabstände nach dem Gesetz zur Ausführung des Bürgerlichen Gesetzbuchs (AGBGB). Nach Art. 47 Abs. 1 AGBGB kann der Eigentümer eines Grundstücks verlangen, dass auf einem Nachbargrundstück nicht Bäume, Sträucher oder Hecken, Weinstöcke oder Hopfenstöcke in einer geringeren Entfernung als 0,50 m oder, falls sie über 2 m hoch sind, in einer geringeren Entfernung als 2 m von der Grenze seines Grundstücks gehalten werden. Art. 49 AGBGB bestimmt zur Messung des erforderlichen Grenzabstands weiter, dass der Abstand nach Art. 47 und 48 AGBGB von der Mitte des Stammes an der Stelle, an der dieser aus dem Boden hervortritt, abgemessen wird. Deshalb ist bei der Messung des Grenzabstandes nicht, wie vom Kläger angesprochen, auf die spätere Krone des Baumes abzustellen, sondern auf den Stamm des zu pflanzenden Baumes. Unter Berücksichtigung von Art. 49 AGBGB ist es auf dem Grundstück des Klägers auch an der westlichen Seite unschwer möglich, die geforderte Ersatzpflanzung vorzunehmen. Auch die vom Kläger wohl beabsichtigte Herstellung von zwei weiteren Stellplätzen auf der westlichen Grundstücksseite können der Pflicht zur Ersatzpflanzung nicht entgegengehalten werden. Insoweit handelt es sich lediglich um eine künftige, ungewisse Planungsabsicht des Klägers, die im maßgeblichen Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung keine Berücksichtigung finden kann. Ob eine Ersatzpflanzung möglich und dem Eigentümer zumutbar ist, beurteilt sich stets nach dem Zeitpunkt des Bescheidserlasses.
2.2.3 Schließlich führt auch die vom Kläger beanstandete Verpflichtung zur Anpflanzung von drei Ersatzgehölzen (ein heimischer Laubbaum der I. Wuchsklasse und zwei heimische Laubbäume der II. Wuchsklasse jeweils als Hochstamm mit Ballierung, 18 bis 20 cm Stammumfang) nicht zu einer fehlerhaften Handhabung des in § 7 Abs. 2 Satz 1 BSVO der Beklagten eröffneten Ermessens.
Es besteht nämlich kein Automatismus dahingehend, dass die durch die Gestattung der Beseitigung eingetretene Bestandsminderung deckungsgleich durch die gleiche Anzahl von Ersatzgehölzen ausgeglichen werden muss. § 7 Abs. 2 Satz 1 BSVO fordert insoweit lediglich angemessenen Ersatz, wobei eine Korrelation zwischen beseitigten Bäumen und Ersatzpflanzung unter Berücksichtigung der Zwecke einer angemessenen innerörtlichen Durchgrünung, der Leistungsfähigkeit des Naturhaushaltes, der schädlichen Umwelteinwirkungen, der klimatischen Verhältnisse und dem Ortsbild herzustellen ist. Mit den in § 7 Abs. 2 Satz 2 BSVO genannten ermessenslenkenden Kriterien wird der Beklagten ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer naturschutzfachlicher Beurteilungsspielraum eingeräumt, den Umfang der jeweiligen Ersatzpflanzung im Einzelfall unter Berücksichtigung des beseitigten Bestandes, den verfolgten Zielsetzungen und den betroffenen Eigentümerinteressen zu bestimmen. Daraus folgt, dass die dem Kläger gestattete Beseitigung von zwei Bäumen der Wuchsklasse I nicht zwangsläufig zur Folge haben muss, dass sich die Ersatzpflanzung auf wiederum zwei Bäume der Wuchsklasse I zu beschränken hat. Im Rahmen der vorbezeichneten naturschutzfachlichen Einschätzungsprärogative ist es auch vor dem Hintergrund der nur eingeschränkten gerichtlichen Überprüfung der Ermessensausübung in § 114 VwGO nicht ermessensfehlerhaft, für einen der beseitigten Bäume der Wuchsklasse I eine Ersatzpflanzung im Umfang von zwei Bäumen der kleineren Wuchsklasse II zu verlangen. Dies gilt umso mehr, als dem Kläger ausgehend von der ihm zur Verfügung stehenden Grundstücksgröße unter Beachtung der gesetzlichen Grenzabstände aus Art. 47, 49 AGBGB die geforderte Ersatzpflanzung durchaus möglich und zumutbar ist. Beachtliche Ermessensfehler im Sinne des § 114 VwGO vermag das Gericht nicht zu erkennen. Die Beklagte hat in Nr. 3 der Gründe des streitgegenständlichen Bescheids vom 7. Dezember 2020 das ihr in § 7 Abs. 2 BSVO eröffnete Ermessen erkannt und jedenfalls im Rahmen der Klageerwiderungsschrift vom 1. September 2021 (Gerichtsakte Bl. 43 ff.) auch entsprechende Erwägungen im Sinne des § 114 Satz 2 VwGO in rechtlich zulässiger Weise nachgeschoben bzw. ergänzt.
3. Nach allem war die Klage daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Als im Verfahren unterlegen hat der Kläger die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).


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