Europarecht

Antrag auf Abänderung des Sofortbeschlusses, Dublin-Verfahren, i* Hellip, Staatsangehöriger, Abschiebungsanordnung nach I* Hellip, Bezugnahme auf Bundesamtsbescheid und auf Beschluss in Sofortverfahren, Indizien für illegale Einreise und Aufenthalt des Antragstellers in I* Hellip infolge eigener ausführlicher Angaben

Aktenzeichen  W 8 S 21.50334

Datum:
3.12.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 42610
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 7
Dublin III-VO Art. 13 Abs. 1
Dublin III-VO Art. 22
Anhang II, Verzeichnis B Nr. I.7. DVO (EU) Nr. 118/2014

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Der Antragsteller ist nach eigenen Angaben i. Staatsangehöriger, der sich gegen eine Dublin-Entscheidung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge mit Abschiebungsanordnung nach I. wendet und vorliegend die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage W 8 K 21.50317 unter Abänderung des Beschlusses im Sofortverfahren vom 30. November 2021 (W 8 S 21.50318) begehrt.
Mit Bescheid vom 10. November 2021 lehnte die Antragsgegnerin den Asylantrag des Antragstellers als unzulässig ab (Nr. 1) und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2). Die Abschiebung nach I. wurde angeordnet (Nr. 3). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde angeordnet und auf fünfzehn Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 4).
Am 22. November 2021 ließ der Antragsteller im Verfahren W 8 K 21.50317 Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid erheben und im Verfahren W 8 S 21.50318 beantragen, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung im streitgegenständlichen Bescheid anzuordnen.
Mit Beschluss vom 30. November 2021 (W 8 S 21.50318) lehnte das Gericht im Sofortverfahren den Antrag des Antragstellers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage ab.
Im vorliegenden Verfahren ließ der Antragsteller mit Schriftsatz vom 2. Dezember 2021 b e a n t r a g e n,
die aufschiebende Wirkung der Klage W 8 K 21.50317 unter Abänderung des entgegenstehenden Beschlusses anzuordnen.
Zur Begründung des Antrags ließ der Antragsteller unter Verweis auf einen weiteren Schriftsatz vom selben Tag im Wesentlichen ausführen: Ihm sei erst durch die Übersendung der Beiakte ersichtlich geworden, dass kein EURODAC-Treffer, mithin kein Beweis oder Indiz nach Art. 22 Dublin III-VO, vorliege. Das Gericht habe sich bisher nicht dazu geäußert, ob die Fiktionswirkung nach § 22 Abs. 7 Dublin III-VO eintreten könne, wenn weder Indizien noch Beweise nach Art. 22 Abs. 2 Dublin III-VO vorlägen. Streitig wäre zudem, ob der – laienhafte – Sachvortrag des Antragstellers ein solches Indiz darstellt.
Mit Schriftsatz vom 2. Dezember 2021 ließ der Antragsteller im Klageverfahren W 8 K 21.50317 im Wesentlichen vorbringen, der Antragsteller solle im Rahmen der Anhörung angegeben haben, er sei über die T. nach I. und dann nach Deutschland gekommen. Er habe in It. einen Asylantrag gestellt. Dies habe er jedoch nie gesagt und werde hiermit vom Antragsteller ausdrücklich angefochten. Der Antragsteller spreche S. und habe bei der Anhörung um einen k.prachigen Dolmetscher gebeten. Es habe – anders als im Protokoll angegeben – Verständigungsschwierigkeiten gegeben. Der Antragsteller sei von der T. mit einem Schiff weitergereist; er könne nicht genau sagen, ob dies I., G. oder S. gewesen sei. Er habe jedenfalls nicht vorgetragen, der Ersteinreisestaat in die EU sei definitiv und ohne Zweifel I. Zudem habe er angegeben, in einem der Länder auf der Route ein „Schutzgesuch“ geäußert zu haben. Ob dieses bereits wirksam sei, sei streitig. Es spreche Vieles für eine erstmalige Antragstellung bei der Antragsgegnerin. Die Antragsgegnerin habe weder vorgetragen noch nachgewiesen, dass sich Beweismittel oder Indizien für die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates gebe. Allein die inkorrekt übersetzte Aussage des Antragstellers könne es nicht sein. Wenn aber keine Indizien oder Beweismittel für die Zuständigkeit eines anderen Staates vorlägen, könne schon fiktiv gar kein Zuständigkeitsübergang erfolgen.
Die Antragsgegnerin b e a n t r a g t e mit Schriftsatz vom 3. Dezember 2021,
den Antrag abzulehnen.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte (einschließlich der Akten des Klageverfahrens W 8 K 21.50317 und des Sofortverfahrens W 8 S 21.50318) und die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag nach § 80 Abs. 7 VwGO hat keinen Erfolg.
Der Antrag gemäß § 80 Abs. 7 VwGO auf Abänderung des im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO ergangenen Beschlusses vom 30. November 2021 (W 8 S 21.50118) ist grundsätzlich zulässig, soweit er sich auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung in Nr. 3 des streitgegenständlichen Bescheides bezieht, aber unbegründet.
Das Gericht kann gemäß § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO Beschlüsse nach § 80 Abs. 5 VwGO jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachte Umstände beantragen (§ 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO).
Es ist indes fraglich, ob das neue Vorbringen nicht ohne Verschulden bereits vorher hätte geltend gemacht werden können, weil der Bevollmächtigte des Antragstellers schon im Rahmen des behördlichen Verfahrens Akteneinsicht seitens der Antragsgegnerin erhalten hat, und aus der bis dahin angefallenen Behördenakte zu erkennen gewesen ist, dass kein EURODAC-Treffer vorliegt, aber der Antragsteller angegeben hatte, über I. nach Deutschland gereist zu sein.
Der Antrag ist jedenfalls deshalb unbegründet, weil weiterhin keine Bedenken gegen die Zuständigkeit I. vorliegen.
Italien ist nach der Dublin III-VO weiterhin zuständig, ohne dass einer Abschiebung nach I. Hinderungsgründe entgegenstehen. Insofern kann im Einzelnen auf die zutreffenden Gründe des streitgegenständlichen Bescheides (§ 77 Abs. 2 AsylG) sowie auf die Ausführungen im Beschluss vom 31. November 2021 (W 8 K 21.50318) Bezug genommen werden. Insoweit ist keine Änderung der Sach- oder Rechtslage eingetreten.
Das Gericht sieht weiterhin ausreichende Indizien für die Zuständigkeit I. im Sinne des Art. 22 Abs. 2 und 3 Dublin III-VO, weil der Antragsteller gegenüber dem Bundesamt wiederholt und dezidiert angegeben hat, über I. eingereist zu sein. Denn ausführliche und nachprüfbare Erklärungen des Antragstellers sind geeignete Indizien für eine illegale Einreise in das Hoheitsgebiet über eine Außengrenze gemäß Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO (siehe ausdrücklich Anhang II, Verzeichnis B, Nr. I.7. der DVO (EU) Nr. 118/2014) mit der Folge, dass der ersuchte Mitgliedstaat seine Zuständigkeit anerkennt (Art. 22 Abs. 5 Dublin III-VO). Davon ist hier gemäß Art. 22 Abs. 7 Dublin III-VO auszugehen.
Der nunmehr erstmals vorgebrachte Einwand, der Antragsteller habe gar nicht sicher sagen können, über I. gereist zu sein, ist als Schutzbehauptung zu werden. Auch der Einwand, es habe Verständigungsschwierigkeiten gegeben, greift nicht durch.
Denn zum einen hat der Antragsteller bei drei verschiedenen Anhörungen und bei jeweiliger Rückübersetzung jeweils ausdrücklich bestätigt, dass keine Verständigungsschwierigkeiten bestanden hätten. Zum anderen erfolgten die Anhörungen am 3. August 2021 sowie am 30. August 2021 seitens des Bundesamtes mit unterschiedlichen Dolmetschern und Anhörungspersonen.
Der Antragsteller gab schon bei seinem persönlichen Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates und bei der persönlichen Anhörung zur Klärung der Zulässigkeit des gestellten Asylantrags am 3. August 2021 über den Sprachmittler Nr. … gegenüber Frau/Herr G. an, er sei vom I. über die T. und I. nach Deutschland gereist. Er sei zuerst in I. eingereist und habe sich dort ca. zweieinhalb Wochen aufgehalten. Er habe für zwei Wochen in Quarantäne gemusst. Ihm seien dort Fingerabdrücke abgenommen worden.
Weiter gab der Antragsteller bei seiner Anhörung gemäß § 25 AsylG am 30. August 2021 über den/die Sprachmittler/-in Nr. … gegenüber der/dem Anhörenden S. an, der Reiseweg sei vom I. in die T. nach I. und nach Deutschland gewesen. Von der T. aus sei er mit dem Schiff nach I. und dann mit dem Zug weitergereist. In I. habe er kein Handy gehabt, aber mit dem einer anderen Familie gesprochen, nachdem ihn die Polizei freigelassen habe.
Auch bei der weiteren Anhörung zur Zulässigkeit des Asylantrags gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 AsylG i.V.m. § 25 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 AsylG am 30. August 2021 gab der Antragsteller über den/die Sprachmittler/-in Nr. … gegenüber der/dem Anhörenden S. an, mit dem Schiff nach I. gekommen zu sein. Sie seien dann 14 Tage in Quarantäne und im Nachhinein im Camp untergebracht gewesen. Die Polizei habe Fingerabdrücke genommen. Die Frage seitens der Antragsgegnerin, ob er in I. einen Asylantrag gestellt habe, verneinte der Antragsteller ausdrücklich. Ein Schleuser habe ihn nach Italien gebracht. Der Schleuser habe ihm gesagt, wo er hinsolle.
Demnach ist schon festzuhalten, dass der Antragsteller im Widerspruch zu seinem Bevollmächtigten angegeben hat, in I. keinen Asylantrag gestellt zu haben. Von den Angaben des Antragstellers ist auch die Antragsgegnerin ausgegangen.
Des Weiteren hat das Gericht bei der im Sofortverfahren erforderlichen, aber auch ausreichenden provisorischen Prüfung infolge der ausführlichen Aussagen des Antragstellers keine Zweifel, dass der Antragsteller nach seiner illegalen Einreise dort in I. gewesen ist. Denn wie schon ausgeführt überzeugt die nachgereichte Behauptung, es hätten Verständigungsschwierigkeiten bestanden, nicht. Vielmehr hat der Antragsteller bei drei rückübersetzten Anhörungen mit zwei verschiedenen Dolmetschern und Anhörenden jeweils zweifelsfrei angegeben, in I. gewesen zu sein, und jeweils Verständigungsschwierigkeiten explizit verneint. Für einen Aufenthalt in I. spricht auch die weitere Angabe des Antragstellers, dass der Schleuser alles organisiert und ihm auch gesagt habe, was er in I. machen solle. Selbst wenn der Antragsteller nicht I. spricht und sich auch nicht mit den europäischen Ländern auskennt, hat er zumindest über den Schleuser erfahren, dass und wie er nach I. einreisen und über I. weiter nach Deutschland reisen soll.
Liegen aber eindeutige ausführliche Aussagen des Antragstellers vor, über einen Dublin-Staat, hier Italien, gereist zu sein, durfte die Antragsgegnerin auf der Basis der Dublin III-Verordnung auch I. um Übernahme des Verfahrens ersuchen. Die Voraussetzungen der Zuständigkeit Italiens gemäß Art. 13 Abs. 1 i.V.m. Art. 22 Abs. 1 und 7 Dublin III-VO sind weiterhin zweifelsfrei zu bejahen, weil mit den Angaben des Antragstellers hinreichende Indizien nach Art. 22 Abs. 2, Abs. 3 und Abs. 5 Dublin III-VO vorlagen und vorliegen. Eine zusätzliche Asylantragstellung in I. ist nicht erforderlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben