Europarecht

Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (abgelehnt), Notreiseausweis

Aktenzeichen  M 10 E 21.492

Datum:
4.8.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 23250
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 123
AufenthV § 13

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu I. zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500 EUR festgesetzt.
IV. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe im Verfahren M 10 E 21.492 wird abgelehnt.

Gründe

I.
Der sich in Griechenland aufhaltende Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Ausstellung eines Notreiseausweises.
Der Antragsteller ist iranischer Staatsangehöriger. Er reiste am 24. Juni 2011 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte einen Asylantrag. Nach Abschluss eines Klageverfahrens erkannte ihm das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom 23. September 2013 die Flüchtlingseigenschaft zu.
Am 20. Februar 2014 wurde dem Antragsteller ein Reiseausweis für Flüchtlinge sowie eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 Satz 1 1. Alt. Aufenthaltsgesetz (AufenthG), jeweils gültig bis 19. Februar 2017, ausgestellt (BA Bl. 739, 760).
Am 14. Februar 2017 beantragte der Antragsteller die Verlängerung seines Reiseausweises (BA Bl. 825) sowie seines Aufenthaltstitels (BA Bl. 833).
Am 14. Februar 2017 wurde dem Antragsteller erstmals eine Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 4 AufenthG ausgestellt (BA Bl. 879) und mehrmals verlängert, letztmals am 15. September 2020 bis 15. Dezember 2020 (BA Bl. 1186).
Eine Verlängerung bzw. Neuerteilung von Aufenthaltstitel und Reiseausweis erfolgte bislang nicht.
Am 13. August 2020 reiste der Antragsteller nach eigenen Angaben zu Urlaubszwecken und um Freunde zu besuchen nach Griechenland (BA Bl. 1284). Nach eigenen Angaben wollte er dort maximal für 10 Tage bleiben und die Rückreise vor Ort planen (BA Bl. 1285). In Athen wurde er nach eigenen Angaben am 13. August 2020 bestohlen.
Mit Schreiben vom 30. August 2020 wandte sich der Bevollmächtigte des Antragstellers in der vorliegenden Sache erstmals an den Antragsgegner, teilte mit, dass der Antragsteller in Griechenland bestohlen und dabei unter anderem seine aktuelle Fiktionsbescheinigung entwendet worden sei und bat um Übersendung einer Kopie der aktuellen Fiktionsbescheinigung sowie des letzten Aufenthaltstitels (BA Bl. 1183).
Ausweislich eines in der Behördenakte befindlichen internen E-Mail-Verlaufs des Antragsgegners wurde der Bevollmächtigte des Antragstellers in einem Telefongespräch am 21. September 2020 auf die Möglichkeit der Ausstellung eines Notreiseausweises hingewiesen. Der Bevollmächtigte habe dabei angegeben, dass dem Antragsteller von der Botschaft in Athen mündlich mitgeteilt worden sei, dass ein Notreiseausweis nicht ausgestellt werde. Daher solle der Antragsgegner einen solchen ausstellen (BA Bl. 1192).
Mit E-Mail vom 15. Oktober 2020 beantragte der Bevollmächtigte bei dem Antragsgegner die Erteilung eines ggf. vorläufigen Reiseausweises für Flüchtlinge (BA Bl. 1300).
Mit Schriftsatz vom 19. Januar 2021, eingegangen am 1. Februar 2021, erhob der Bevollmächtigte des Antragstellers Klage zum Verwaltungsgericht München und beantragt, den Antragsgegner zu verpflichten, dem Antragsteller einen Reiseausweis für Flüchtlinge, hilfsweise einen Notreiseausweis auszustellen (M 10 K 21.493). Über die Klage wurde bisher nicht entschieden.
Mit Schriftsatz vom 25. Januar 2021, eingegangen am 1. Februar 2021, beantragt der Bevollmächtigte zudem:
1. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller unverzüglich einen Notreiseausweis auszustellen.
2. Dem Antragsteller wird unter seiner Beiordnung Prozesskostenhilfe gewährt.
Zur Begründung führt er aus, dass die Voraussetzungen des § 13 Abs. 1 Nr. 2 Aufenthaltsverordnung (AufenthV) für die Erteilung eines Notreiseausweises vorlägen. Der Aufenthalt des Antragstellers im Bundesgebiet gelte nach § 81 Abs. 4 AufenthG als fortbestehend. Er sei somit unstreitig zum Aufenthalt in der Bundesrepublik berechtigt. Seine Identität sei unstreitig. Es bestehe auch eine unbillige Härte. Der Antragsteller befinde sich nun seit August 2020 unfreiwillig in Griechenland. Er lebe bei einem Bekannten und finanziere sich über Spenden seiner Freunde. Derzeit sei unklar, wann ein Reiseausweis für Flüchtlinge ausgestellt werde. Es sei daher sofort ein Notreiseausweis auszustellen, um die Rückkehr des Antragstellers nach Deutschland sicherzustellen. Es bestehe auch ein Anordnungsgrund. Der Antragsteller befinde sich ohne eigene Mittel in Griechenland. Eine Krankenversicherung sei nicht gewährleistet. Er überlebe aufgrund von Spenden aus dem Freundes- und Bekanntenkreis. Seine gesamte Existenz in Deutschland sei bedroht. Im Übrigen wird auf die Begründung Bezug genommen.
Mit Schriftsatz vom 19. Februar 2021 beantragt der Antragsgegner:
Der Antrag wird abgelehnt.
Zur Begründung wird ausgeführt, dass im Fall des Antragstellers eine unbillige Härte nicht angenommen werden könne. Die bestehende Passlosigkeit führe an sich nicht zum Vorliegen einer solchen. Auch die aus der Passlosigkeit folgenden üblichen Folgen begründeten eine solche nicht. Eine finanzielle Absicherung des Antragstellers finde aktuell durch den Freundes- und Bekanntenkreis statt. Auch eine Obdachlosigkeit bestehe nicht bzw. drohe nicht. Der Antragsteller sei nach eigenen Angaben im August 2020 aus dem Bundesgebiet ausgereist und habe dabei lediglich den seit 19. Februar 2017 abgelaufenen Reiseausweis für Flüchtlinge sowie eine Fiktionsbescheinigung in Besitz gehabt. Dem Antragsteller sei bewusst gewesen, dass die Ausreise und Wiedereinreise in das Bundesgebiet ohne gültiges Identitätsdokument rechtlich nicht zulässig sei. Der Antragsteller sei trotz dieser Kenntnis bewusst ausgereist. Das ausländerrechtliche Verwaltungsverfahren sei infolge der Vielzahl der anhängigen Strafverfahren ausgesetzt, sodass der Antragsteller den Umstand, dass auch fast vier Jahre nach Beantragung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis sowie des Reiseausweises für Flüchtlinge eine Entscheidung der Ausländerbehörde noch nicht ergehen habe können, zumindest teilweise selbst verschuldet habe und es sich gerade nicht so verhalte, dass ihm reguläre Reisedokumente zur Rückkehr ins Bundesgebiet abhanden gekommen wären. Die Ausstellung eines Notreiseausweises stehe im pflichtgemäßen Ermessen der Ausländerbehörde. Der Notreiseausweis könne im Wege des Erst-Recht-Schlusses nur unter noch strengeren Voraussetzungen als der allgemeine Reiseausweis für Ausländer erteilt werden und sei daher ebenfalls nur höchst ausnahmsweise in Betracht zu ziehen. Bei der Ermessensentscheidung stehe das öffentliche Interesse der Bundesrepublik Deutschland im Vordergrund. Das private Interesse des Antragstellers an einer Rückkehr besitze kein derart überragendes Gewicht, dass es gegenüber dem öffentlichen Interesse zwingend Vorrang beanspruche und eine Ermessenreduzierung auf Null vorliege. Derartige Interessen wie zum Beispiel eine lange vollständige Trennung von Familienangehörigen seien weder ersichtlich noch vorgetragen. Der Antragsteller sei in Griechenland auch keiner Verfolgung ausgesetzt. Zudem habe er dort keine Urlaubsreise zu Erholungs- und Vergnügungszwecken unternommen, sondern einen politisch motivierten Auslandsaufenthalt. Aufgrund der nach Aktenlage bekannten Umstände gehe vom Antragsteller eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung aus. Das Verhalten des Antragstellers in den letzten fünf Jahren zeige eine staatsgefährdende bzw. -ablehnende Einstellung. Darüber hinaus fehle es an einer Berechtigung des Antragstellers zum Aufenthalt im Bundesgebiet nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AufenthV. Ein Aufenthaltsrecht nach § 13 Abs. 1 Nr. 2 AufenthV stehe ihm mittlerweile nicht mehr zu. Aufgrund der zuletzt bis 15. Dezember 2020 verlängerten Fiktionsbescheinigung sei der Antragsteller nicht im Besitz einer gültigen Aufenthaltserlaubnis und es fehle an einer Berechtigung zum Aufenthalt. Der Antragsteller könne auch keinen Anordnungsgrund glaubhaft machen. Ihm könne zugemutet werden, die Entscheidung im Hauptsacheverfahren abzuwarten. Im Übrigen wird auf die Begründung Bezug genommen.
Der Antragsgegner legte zudem zwei Ausdrucke von Onlineartikeln vor. Laut einem auf der Onlineplattform „… … * … … …“ erschienenen Artikel vom 15. Februar 2021 sei der namentlich genannte und als politischer Aktivist bezeichnete Antragsteller in erster Linie nach Griechenland gereist, um Urlaub zu machen. Zudem habe er andere AktivistInnen treffen wollen. Auch in einem Artikel auf der Onlineplattform „… … … …“ vom 23. Dezember 2020 wird berichtet, dass der Antragsteller sich sowohl zu Urlaubszwecken, als auch um sich mit politischen Kontakten zu treffen, nach Griechenland gereist sei. Der Aufenthalt sei für drei Wochen geplant gewesen. Er habe inzwischen seine … Wohnung und seinen Unterstützungsanspruch nach dem Sozialgesetzbuch verloren.
Mit Schriftsatz vom 1. März 2021 replizierte der Bevollmächtigte des Antragstellers, dass dem Antragsteller die Ausreise nicht vorgeworfen werden könne. Die Nichtausstellung des Reiseausweises stelle einen direkten Verstoß gegen Art. 28 Nr. 1 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) dar. Dem Antragsteller drohe die Vernichtung seiner Existenz in Deutschland. Er müsse jeden Tag Angst haben, von der Polizei aufgegriffen zu werden, da er über kein dauerhaftes Aufenthaltsrecht in Griechenland verfüge. Es erschließe sich nicht, inwieweit Treffen mit anderen Aktivisten ein Grund sein sollten, die Ausstellung eines Reiseausweises zu verweigern. Es bestehe im Übrigen ein erhebliches öffentliches Interesse daran, den Antragsteller zu befähigen, wieder nach Deutschland einzureisen. Die Herstellung rechtmäßiger Zustände liege per se im öffentlichen Interesse. Ebenso wie Deutschland von seinen europäischen Nachbarn erwarten könne, sich um die dort anerkannten Flüchtlinge zu kümmern, so dürfe der griechische Staat dies von der Bundesrepublik erwarten. Der Antragsteller habe die Verlängerung seines Aufenthaltstitels beantragt. Sein Aufenthalt gelte nach § 81 Abs. 3 AufenthG als erlaubt. Ein Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG liege nicht vor. Der Antragsteller sei weder Mitglied noch Unterstützter einer terroristischen Vereinigung. Soweit der Antragsgegner auf das Zeigen einer YPG/YPJ/PYD-Fahne abziele, habe das Bayerische Oberste Landesgericht mit Urteil vom 1. Dezember 2020 entschieden, dass die YPG/YPJ keine Teilorganisationen der PKK seien und das Zeigen einer derartigen Fahne nicht strafbar sei. Von den von dem Antragsgegner vorgetragenen Verstößen sei lediglich der Verstoß gegen das Versammlungsverbot vom 25. Februar 2016 mit einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen rechtskräftig abgeurteilt.
Hinsichtlich des übrigen Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtssowie die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
1. Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung bleibt in der Sache ohne Erfolg. Mit der begehrten einstweiligen Anordnung würde eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache eintreten.
Nach § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (sog. Sicherungsanordnung) oder auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes, wenn dies nötig erscheint, um wesentliche Nachteile für den Antragsteller abzuwenden (sog. Regelungsanordnung). Nach § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 ZPO sind sowohl ein Anordnungsanspruch, d.h. der materielle Grund, für den der Antragsteller vorläufig Rechtsschutz sucht, als auch ein Anordnungsgrund, der insbesondere durch die Eilbedürftigkeit der Regelung begründet wird, glaubhaft zu machen.
Aber selbst bei Vorliegen von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht die zwingende Folge. Stattdessen ist es dem Gericht regelmäßig verwehrt, mit seiner Entscheidung die Hauptsache vorwegzunehmen. Denn es würde dem Wesen und dem Zweck einer einstweiligen Anordnung widersprechen, wenn einem Antragsteller in vollem Umfang das gewährt würde, was er nur in einem Hauptsacheverfahren erreichen kann. Das Gericht ist vielmehr gehalten, die Rechtslage für die Beteiligten trotz Erlass einer Regelung offen zu halten. Allerdings gilt im Hinblick auf das verfassungsrechtliche Gebot eines effektiven Rechtsschutzes gem. Art. 19 Abs. 4 GG das grundsätzliche Verbot einer Vorwegnahme der Hauptsacheentscheidung dann nicht, wenn eine bestimmte Regelung zur Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes schlechterdings notwendig ist, d.h. wenn die Ablehnung der begehrten Entscheidung für den Antragsteller mit unzumutbar schweren, anders nicht abwendbaren Nachteilen verbunden wäre und mit hoher Wahrscheinlichkeit von einem Obsiegen in der Hauptsache auszugehen ist (vgl. u.a. Bostedt in Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 123 VwGO Rn. 82 ff.).
Die vom Antragsteller begehrte einstweilige Anordnung stellt eine Vorwegnahme der Hauptsache dar. Mit der Ausstellung eines Notreiseausweises durch den Antragsgegner würde er dasjenige erhalten, was er auch in der Hauptsache jedenfalls hilfsweise begehrt. Da nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit von einem Obsiegen in der Hauptsache auszugehen ist, ist diese Vorwegnahme unzulässig.
Nach § 13 Abs. 1 AufenthV darf zur Vermeidung einer unbilligen Härte, oder soweit ein besonderes öffentliches Interesse besteht, einem Ausländer ein Notreiseausweis ausgestellt werden, wenn der Ausländer seine Identität glaubhaft machen kann und er Unionsbürger oder Staatsangehöriger eines anderen Vertragsstaats des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftraum, der Schweiz oder eines Staates ist, der in Anhang II der Verordnung (EU) 2018/1806 (Visa-Verordnung) aufgeführt ist (Nr. 1), oder aus sonstigen Gründen zum Aufenthalt im Bundesgebiet, einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union, einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder in der Schweiz oder zur Rückkehr dorthin berechtigt ist (Nr. 2). Nach § 13 Abs. 3 AufenthV kann die Ausländerbehörde nach Maßgabe des § 13 Abs. 1 AufenthV einen Notreiseausweis ausstellen, wenn die Beschaffung eines anderen Passes oder Passersatzes, insbesondere eines Reiseausweises für Ausländer, im Einzelfall nicht in Betracht kommt.
Der Antragsteller hat keinen Anspruch gegenüber dem Antragsgegner auf Ausstellung eines Notreiseausweises glaubhaft gemacht.
a) Der Antragsteller hat nicht glaubhaft gemacht, dass ein Anspruch auch nach inzwischen fast einjährigem Aufenthalt in Griechenland bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen noch gegenüber dem Antragsgegner bestehen würde.
Nach § 71 Abs. 2 Satz 1 AufenthG sind im Ausland für Pass- und Visaangelegenheiten die vom Auswärtigen Amt ermächtigten Auslandsvertretungen zuständig. Diese sind insoweit Ausländerbehörden, vgl. § 71 Abs. 1 Satz 1 AufenthG. Da sich der Antragsteller vorliegend im Ausland befindet und es sich bei der begehrten Ausstellung eines Passersatzes um eine Passangelegenheit handelt, ist nach dem Wortlaut des § 71 Abs. 2 Satz 1 AufenthG die deutsche Auslandsvertretung in Griechenland zuständig, sodass ein entsprechender Anspruch auf Ausstellung auch nur gegenüber der Bundesrepublik Deutschland bestehen kann.
Selbst wenn man eine Zuständigkeit der Auslandsvertretung erst ab dem Zeitpunkt annimmt, in dem der Antragsteller seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht mehr in der Bundesrepublik, sondern im Ausland hat (vgl. Hofmann in ders. Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 71 AufenthG Rn. 17; Wittmann in Decker/Bader/Kothe, BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, 8. Edition, Stand: 1.5.2021, § 71 AufenthG Rn. 43), ist dieser Zeitpunkt nach Auffassung der Kammer bereits überschritten.
Nach Nr. 71.1.2.2 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz vom 26. Oktober 2009 (AufenthGAVwV) ist für die Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts (i.S.d. Regelungen der Länder zur örtlichen Zuständigkeit der Ausländerbehörden, vgl. § 6 Abs. 1 Satz 1 der (Bayerischen) Verordnung über Zuständigkeiten im Ausländerrecht) maßgebend, wo der Ausländer sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Auf den Willen zur ständigen Niederlassung komme es nicht an. Im Allgemeinen habe der Ausländer dort seinen gewöhnlichen Aufenthalt, wo er seine alleinige Wohnung oder Hauptwohnung im melderechtlichen Sinn habe.
Danach spricht mehr dafür, dass der Antragsteller inzwischen nicht mehr über einen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland verfügt. Der Antragsteller befindet sich inzwischen seit knapp einem Jahr in Griechenland. Auch wenn er, wie das vorliegende Verfahren zeigt, nach wie vor eine Rückkehr in die Bundesrepublik beabsichtigt, ändert dies nichts daran, dass er sich nach allgemeiner Lebenserfahrung inzwischen ein Leben in Griechenland eingerichtet haben wird. Der Antragteller hat selbst vorgetragen, ursprünglich auch zu Besuchszwecken nach Griechenland gereist zu sein. Er verfügte daher bereits damals über soziale Kontakte, die sich aufgrund seines inzwischen fast einjährigen Aufenthalts verstärkt haben dürften. Seinen Alltag bestreitet der Antragsteller nunmehr seit geraumer Zeit in Griechenland. Nach den von dem Antragsgegner vorgelegten Online-Artikeln verfügt der Antragsteller auch nicht mehr über eine Wohnung im Bundesgebiet. Dies hat der Antragsteller nicht bestritten.
Hinzukommt, dass nach Nr. 71.1.4.1 AufenthGAVwV die Zuständigkeit der Ausländerbehörde (i.S.v. § 71 Abs. 1 AufenthG) grundsätzlich in den Fällen des § 51 Abs. 1 Nr. 6 und 7 AufenthG endet. Da vorliegend die Voraussetzungen von § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG erfüllt sind (dazu sogleich unter b)), folgt auch daraus, dass eine Zuständigkeit des Antragsgegners nach § 71 Abs. 1 AufenthG jedenfalls aktuell nicht mehr besteht.
b) Nicht glaubhaft gemacht hat der Antragsteller zudem, dass er zum Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland oder zur Rückkehr dorthin berechtigt ist.
Eine vorliegend allein in Frage kommende Berechtigung des Antragstellers aus sonstigen Gründen zum Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland und zur Rückkehr dorthin i.S.v. § 13 Abs. 1 Nr. 2 AufenthV liegt nach summarischer Prüfung nicht vor.
Nach § 50 Abs. 1 AufenthG ist ein Ausländer zur Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland verpflichtet, wenn er einen erforderlichen Aufenthaltstitel nicht oder nicht mehr besitzt und ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei nicht oder nicht mehr besteht. Dies bedeutet im Umkehrschluss auch, dass ein Ausländer ohne den erforderlichen Aufenthaltstitel weder zum Aufenthalt in der Bundesrepublik noch zur Rückkehr dorthin berechtigt ist, vgl. auch § 4 Abs. 1 Satz 1 AufenthG.
Offenbleiben kann vorliegend die Frage, ob die Fiktion eines Aufenthaltstitels ausreicht, um eine Berechtigung zum Aufenthalt im Bundesgebiet und zur Rückkehr dorthin i.S.v. § 13 Abs. 1 Nr. 2 AufenthV zu begründen (vgl. eine Rechtmäßigkeit des Aufenthalts i.S.v. Art. 28 GFK bei nur fingierter Rechtmäßigkeit ablehnend: Diehl in Decker/Bader/Kothe, BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, 8. Edition, Stand: 1.5.2021, Art. 28 GFK Rn. 20 ff. mit Verweis auf BVerwG, U.v. 16.10.1990 – 1 C 15/88 – NVwZ 1991, 787 zu Art. 28 des Übereinkommens über die Rechtsstellung der Staatenlosen; im Ergebnis so auch Marx in ders., Aufenthalts-, Asyl- und Flüchtlingsrecht, 7. Aufl. 2020, § 5 Rn. 13).
Denn jedenfalls zum maßgeblichen Zeitpunkt dieser Entscheidung liegt eine solche Fiktion des Aufenthaltstitels nicht mehr vor.
Zwar galt der Aufenthaltstitel des Antragstellers aufgrund des rechtzeitigen Antrags auf dessen Verlängerung am 14. Februar 2017 nach § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG bis zu dessen Verlängerung als fortbestehend. Auf die Ausstellung einer Fiktionsbescheinigung kommt es entgegen der Auffassung des Antragsgegners für den Fortbestand der Fiktionswirkung nicht an, da die Ausstellung bzw. Verlängerung insoweit nur deklaratorisch ist. Allerdings ist die Fiktionswirkung inzwischen nach § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG erloschen. Danach erlischt ein Aufenthaltstitel, wenn der Ausländer ausgereist ist und nicht innerhalb von sechs Monaten oder einer von der Ausländerbehörde bestimmten längeren Frist wieder eingereist ist.
Vorliegend ist der Antragsteller am 13. August 2020 nach Griechenland ausgereist und befindet sich damit seit über sechs Monaten außerhalb der Bundesrepublik. Ein Antrag auf Verlängerung der Frist wurde nach Aktenlage nicht gestellt. Die Ausreise des Antragstellers nach Griechenland ist freiwillig erfolgt und stellt damit zweifelsfrei eine „Ausreise“ i.S.v. § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG dar (zum Begriff der Ausreise: Fleuß in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, 29. Edition, Stand: 1.4.2021, § 51 AufenthG Rn. 39 ff. m.w.N.).
Dass der Antragsteller innerhalb von sechs Monaten wieder in die Bundesrepublik einreisen wollte und diese Rückreise nach seinem Vortrag aufgrund des Fehlens geeigneter Reisedokumente scheiterte, hindert das Erlöschen nicht. Der Erlöschenstatbestand nach § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG ist selbständig und von der Natur des Ausreisegrunds unabhängig. Ändert sich der Aufenthaltszweck während des Aufenthalts im Ausland oder erstreckt sich der Aufenthalt aus einem anderen Grund über mehr als sechs Monate, muss der Ausländer zur Vermeidung jeglichen Risikos eine längere Frist bei der Ausländerbehörde beantragen. Die Fristverlängerung muss spätestens vom Ausland her vor Ablauf von sechs Monaten beantragt werden. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist grundsätzlich ausgeschlossen. Für den Eintritt des gesetzlichen Erlöschenstatbestands ist es unerheblich, ob eine unterbliebene Fristverlängerung oder eine nicht erfolgte Rückkehr innerhalb von sechs Monaten auf einer freiwilligen, selbstbestimmten Entscheidung des Ausländers bzw. auf seinem Verschulden beruht oder auf Gründen, die von seinem Willen unabhängig sind (beispielsweise einer Erkrankung oder Inhaftierung). Unschädlich ist das Überschreiten nur, wenn die Frist zuvor auch tatsächlich verlängert ist (Dollinger in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, § 51 AufenthG Rn. 18 m.w.N.). Damit kommt es vorliegend nicht auf die Frage an, weshalb der Antragsteller nicht innerhalb von sechs Monaten nach seiner Ausreise wieder in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist. Entscheidend ist, dass er sich seit mehr als sechs Monaten außerhalb der Bundesrepublik Deutschland aufhält.
Auch die Vorschrift des § 51 Abs. 7 Satz 1 AufenthG verhindert ein Erlöschen vorliegend nicht. Danach erlischt der Aufenthaltstitel im Falle der Ausreise eines Asylberechtigten oder eines Ausländers, dem das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge unanfechtbar die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt hat, nicht, solange er im Besitz eines gültigen, von einer deutschen Behörde ausgestellten Reiseausweises für Flüchtlinge ist. Der dem Antragsteller am 20. Februar 2014 ausgestellte Reiseausweis für Flüchtlinge war bis 19. Februar 2017 gültig und wurde bisher nicht verlängert. Damit liegen die Voraussetzungen des § 51 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vor.
Die Erlöschensvorschriften des § 51 AufenthG sind auch auf die fingiert fortbestehende Aufenthaltserlaubnis anwendbar. Wenn bereits ein erteilter Aufenthaltstitel unter den Voraussetzungen des § 51 AufenthG erlischt, muss das erst recht für einen fingierten Aufenthaltstitel gelten (vgl. Fleuß in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, 29. Edition, Stand: 1.4.2021, § 25 AufenthG Rn. 38a).
c) Nicht glaubhaft gemacht wurde zudem, dass das dem Antragsgegner nach § 13 AufenthV eingeräumte Ermessen auf Null reduziert ist und der Antragsteller somit einen Anspruch auf Ausstellung des Notreiseausweises hat. Die Geltendmachung einer unbilligen Härte allein rechtfertigt insoweit noch keine Ermessensreduzierung auf Null. Immerhin stellt diese bereits eine Tatbestandsvoraussetzung des § 13 AufenthV dar. Dass der zuständigen Behörde in diesem Fall ein Ermessen hinsichtlich einer Erteilung des Notreiseausweises eingeräumt wurde, zeigt gerade, dass die Erteilung nicht die zwingende Folge aus dem Bestehen einer Härte ist.
d) Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
e) Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Nrn. 1.5 und 8.4 des Streitwertkatalogs 2013.
2. Auch ohne Erfolg bleibt der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe.
Gemäß § 166 VwGO i.V.m. §§ 114 ff. ZPO ist unter anderem Voraussetzung für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Dies ist vorliegend nicht der Fall. Hierzu wird auf die Ausführungen unter 1.) Bezug genommen. Auch im Zeitpunkt der Bewilligungsreife des Prozesskostenhilfeantrags hatte der Antrag keine hinreichenden Erfolgsaussichten (vgl. hierzu BVerfG, B.v. 5.12.2018 – 2 BvR 1122/18 u.a. – BeckRS 2018, 33446 Rn. 16).
Die Entscheidung ergeht insoweit kostenfrei; Auslagen werden nicht erstattet.


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