Europarecht

Asylrecht (Syrien), Keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, Grundsatzfrage nicht entscheidungserheblich

Aktenzeichen  21 ZB 21.31483

Datum:
15.10.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 33472
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 1
Asylverfahrens-RL § 33 Abs. 2 Buchst. a

 

Leitsatz

Verfahrensgang

B 3 K 20.31140 2021-08-31 Urt VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung für das Zulassungsverfahren wird abgelehnt.

Gründe

1. Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) liegt nicht vor.
1. Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG, wenn sie eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage aufwirft, die klärungsbedürftig sowie für den Rechtsstreit entscheidungserheblich ist und eine über die einzelfallbezogene Rechtsanwendung hinausgehende Bedeutung hat (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124 Rn. 36).
Der Kläger formuliert als grundsätzlich bedeutsam die Frage, „ob es nicht europarechtlich geboten ist, dass es allein originäre Aufgabe des anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union ist, ein staatliches System vorzuhalten, welches geeignet ist, zu verhindern, dass anerkannte Schutzberechtigte dort in einen Zustand der Verelendung in Form der Obdachlosigkeit geraten und ohne jegliche finanzielle Unterstützung und/oder jegliche Ernährungsunterstützung sind.“
Diese Frage ist nicht klärungsfähig. Sie war für das Verwaltungsgericht nicht entscheidungserheblich und würde sich ersichtlich auch in einem Berufungsverfahren nicht stellen.
Nach der Regelung des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG, die Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der RL 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (Asylverfahrensrichtlinie) in nationales Recht umsetzt, ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union (hier: Ungarn) dem Ausländer bereits internationalen Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gewährt hat. Allerdings kann eine solche Unzulässigkeitsentscheidung, wovon das Verwaltungsgericht zutreffend ausgegangen ist, aus Gründen vorrangigen Unionsrechts ausnahmsweise ausgeschlossen sein. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat insoweit zu Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Asylverfahrensrichtlinie entschieden: Der bloße Umstand, dass die Lebensverhältnisse in dem Mitgliedstaat, der internationalen Schutz gewährt habe, nicht den Bestimmungen des Kapitels VII der RL 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 (Anerkennungsrichtlinie) gerecht werde, führe nicht dazu, dass die Ausübung dieser Befugnis eingeschränkt werde. Vielmehr sei es den Mitgliedstaaten erst dann untersagt, von dieser Befugnis Gebrauch zu machen, wenn die Lebensverhältnisse, die den Betroffenen als anerkannten Schutzberechtigten in dem anderen Mitgliedstaat erwarten würden, ihn der ernsthaften Gefahr aussetzen würden, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 GRC zu erfahren (vgl. EuGH, B.v. 13.11.2019 – C-540/17 u.a. – juris Rn. 36 und 43).
Damit kommt es nicht auf die vom Kläger als grundsätzlich bedeutsam formulierte Frage an, ob es allein originäre Aufgabe des anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union ist, ein staatliches System vorzuhalten, welches geeignet ist, zu verhindern, dass anerkannte Schutzberechtigte dort in einen Zustand der Verelendung geraten. Denn maßgebend ist nicht, ob der Mitgliedstaat seine Verpflichtungen aus Kapitel VII der Anerkennungsrichtlinie erfüllt, wie etwa die Sorge dafür, dass Personen, denen internationaler Schutz zuerkannt worden ist, Zugang zu Wohnraum unter bestimmten Bedingungen erhalten (Art. 32 Abs. 1 der Anerkennungsrichtlinie). Vielmehr ist entscheidungserheblich auf die in dem Mitgliedstaat anzutreffenden Lebensverhältnisse und damit unter anderem auch darauf abzustellen, ob und in welchem Umfang in einem Mitgliedstaat anerkannte Schutzberechtigte dort Unterstützung und Hilfe durch Nichtregierungsorganisationen erhalten können.
Die vom Kläger angeführten Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 12. November 2019 (C-233/18) und vom 20. Januar 2021 (C-255/19) veranlassen keine andere Betrachtung, denn sie ergingen zu anderen Regelungen des Europarechts und weisen keinen Zusammenhang mit der hier entscheidungserheblichen Frage auf, ob der Asylantrag des Klägers unter Berücksichtigung der zu Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Asylverfahrensrichtlinie ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union als unzulässig betrachtet werden durfte.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.
3. Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung für das Zulassungsverfahren war abzulehnen, weil der Antrag auf Zulassung der Berufung aus den unter 1. dargelegten Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (§ 166 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 31. August 2021 rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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