Aktenzeichen M 26 K 15.50961
Dublin-III-VO Art. 29 Abs. 2 S.1
Leitsatz
Der Übergang der Zuständigkeit nach Ablauf der Sechsmonatsfrist nach Art. 29 Abs. 2 S. 1 Dublin-III-VO ist kein fingierter Selbsteintritt, da es sich bei ihr um eine besondere Zuständigkeitsnorm hadelt, die lediglich vom Ablauf der Frist abhängig ist (ebenso BayVGH BeckRS 2015, 46404) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 26. November 2015 wird aufgehoben.
II.
Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Über die Klage konnte ohne mündliche Verhandlung entschieden werden (§ 101 Abs. 2 VwGO).
Die Klage hat Erfolg.
Die Anfechtungsklage ist zulässig (vgl. BVerwG, U.v. 27.10.2015 – 1 C 32.14 – juris Rn. 13; BayVGH, B.v. 29.1.2015 – 13a B 14.50039 – juris Rn. 17) und begründet. Der Bescheid des Bundesamts vom 26. November 2015 ist im maßgeblichen Zeitpunkt dieser Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG) rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Die unter Nr. 1 des angegriffenen Bescheids erfolgte Ablehnung des Antrags des Klägers als unzulässig ist aufgrund des zwischenzeitlichen Ablaufs der sog. Überstellungsfrist und des hierdurch bedingten Zuständigkeitsübergangs auf die Beklagte rechtswidrig geworden.
Für die Durchführung des Asylverfahrens des Klägers war ursprünglich Italien gemäß Art. 13 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 – Dublin III-VO – zuständig.
Nach Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin-III-VO ist jedoch der zuständige Mitgliedstaat nicht mehr zur Aufnahme oder Wiederaufnahme der betreffenden Person verpflichtet und die Zuständigkeit geht auf den ersuchenden Mitgliedstaat über, wenn die Überstellung nicht innerhalb einer Frist von sechs Monaten durchgeführt wird. Dieser Übergang der Zuständigkeit nach Ablauf der Sechsmonatsfrist stellt keinen fingierten Selbsteintritt, sondern eine besondere Zuständigkeitsnorm dar, die letztlich lediglich vom Ablauf der Frist abhängig ist (BayVGH, B.v. 11.5.2015 – 13a ZB 15.50006 – juris Rn. 5).
Hiernach ist Italien nicht mehr zur Wiederaufnahme des Klägers verpflichtet und die Zuständigkeit für die Prüfung seines Asylantrags ist auf die Beklagte übergegangen. Denn die Überstellungsfrist ist abgelaufen. Nach Art. 29 Abs. 1 Satz 1 Dublin-III-VO beginnt die Frist mit der Annahme des Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs durch einen anderen Mitgliedstaat oder der endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf oder eine Überprüfung, wenn diese aufschiebende Wirkung hat. Da vorliegend auf das Wiederaufnahmegesuch des Bundesamts vom … September 2015 an die zuständigen italienischen Behörden keine Reaktion erfolgte, begann die Frist nach Art. 25 Abs. 2 Dublin-III-VO mit Ablauf von zwei Wochen nach Stellung des Gesuchs an Italien, also am … September 2015, zu laufen und ist beendet. Die Überstellungsfrist wäre auch dann abgelaufen, wenn für den Fristbeginn § 22 Abs. 7 Dublin-III-VO maßgeblich wäre. Gründe für eine Verlängerung der Frist nach Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin-III-VO sind nicht ersichtlich.
Der Kläger ist in Folge des Ablaufs der Überstellungsfrist durch den Bescheid in eigenen Rechten verletzt. Zwar begründen die Regelungen der Dublin-III-VO grundsätzlich keine subjektiven Rechte des Schutzsuchenden, sondern dienen allein der internen Verteilung der Lasten und Verantwortung unter den Mitgliedsstaaten. Allerdings hat der Kläger im Fall des Ablaufs der Überstellungsfrist einen Anspruch darauf, dass die nach Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin-III-VO zuständige Beklagte das Asylverfahren durchführt. Ihm kann nicht die Aufnahmebereitschaft Italiens entgegengehalten werden, da nicht feststeht, dass Italien ihn aufnehmen und das Asylverfahren durchführen wird (OVG NRW, B.v. 11.11.2015 – 13 A 1692/15.A – juris Rn. 6; so nun auch BVerwG, U.v. 27.4.2016 – 1 C 24.15, abrufbar unter www.bverwg.de).
Nach alledem kommt eine Anordnung der Abschiebung in den ursprünglich zuständigen Mitgliedstaat nach § 34a AsylG nicht mehr in Betracht. Die in Nr. 3 des Bescheids vorgenommene Befristung ist damit ebenfalls obsolet geworden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gemäß § 83b AsylG gerichtskostenfrei.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.