Europarecht

Ausbildungsorganisation – Fliegendes Personal der Zivilluftfahrt

Aktenzeichen  M 31 K 19.1077

Datum:
20.5.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 15527
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VO (EG) Nr. 965/2012 Art. 5 Abs. 1, Abs. 5, Art. 6 Abs. 4a lit. c
LuftVG § 5 Abs. 1
LuftPersV § 25 Nr. 1

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Bescheid des Beklagten vom 31. Januar 2019 wird in den Ziffern A.2, A.3 und B.13 aufgehoben.
II. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet.
Die isoliert anfechtbare Nebenbestimmung B.13 des streitbefangenen Bescheids des Beklagten vom 31. Januar 2019 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Es fehlt ihr an der notwendigen Rechtsgrundlage. Mangels Vorliegen eines Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 4a VO (EU) Nr. 965/2012 vom 5. Oktober 2012 zur Festlegung technischer Vorschriften und von Verwaltungsverfahren in Bezug auf den Flugbetrieb gemäß der VO (EG) Nr. 216/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 296 v. 25.10.2012, S. 1), hier maßgeblich in der Fassung der DurchführungsVO (EU) Nr. 2018/1975 der Kommission vom 14. Dezember 2018 zur Änderung der VO (EU) Nr. 965/2012 hinsichtlich der Flugbetriebsvorschriften für Segelflugzeuge und elektronische Pilotenkoffer vom 14. Dezember 2018 (ABl. L 326/53 v. 20.12.2018, S. 1), sind die darauf Bezug nehmende Beanstandung und Androhung einer Höherstufung in A.2 und A.3 des streitgegenständlichen Bescheids ebenfalls aufzuheben.
Die in B.13 des Bescheids vom 31. Januar 2019 enthaltene Nebenbestimmung kann nicht auf Art. 6 Abs. 4a lit. c VO (EU) Nr. 965/2012 gestützt werden, soweit es sich um Einführungsflüge einer Ausbildungsorganisation nach Art. 5 Abs. 5 lit. b VO (EU) Nr. 965/2012 handelt (1.). Unabhängig davon hat eine Ausbildungsorganisation jedoch darauf zu achten, dass zwischen Einführungsflügen und dem (praktischen) Ausbildungsbetrieb kein solches Missverhältnis besteht, dass der Charakter einer Ausbildungsorganisation nur noch untergeordnete Bedeutung hat und damit ihr Wesenskern verletzt wird (2.).
1. Die von der Klägerin erhobene Anfechtungsklage richtet sich in zulässiger Weise gegen die Bestimmungen A.2, A.3 sowie B.13 des Bescheids des Beklagten vom 31. Januar 2019. B.13 stellt eine isoliert anfechtbare Nebenbestimmung dar (1.1). Sie erweist sich mangels Rechtsgrundlage als rechtswidrig; gleiches gilt in der Folge für die auf dieser Nebenbestimmung gründenden Sanktionen, die der Beklagte in A.2 und A.3 angeordnet hat (1.2).
1.1 Bei der Nebenbestimmung B.13 des streitgegenständlichen Bescheids handelt sich um eine Auflage, durch die dem Begünstigten ein bestimmtes Tun auferlegt wird (Art. 36 Abs. 2 Nr. 4 BayVwVfG). Es handelt sich nicht um eine bloße Gesetzeswiedergabe, sondern um einen normkonkretisierenden Verwaltungsakt. Die Regelung stellt eine konkret-individuell für die Klägerin als Bescheidsadressatin geltende Bestimmung zur Durchführung von Einführungsflügen dar, an die auch eine Nachweispflicht geknüpft wurde. Ob eine Erklärung einer Behörde einen Verwaltungsakt darstellt oder lediglich ein unverbindlicher oder normwiederholender Hinweis ist, ist durch Auslegung zu ermitteln. Dabei ist entsprechend §§ 133, 157 BGB darauf abzustellen, wie die Erklärung von ihrem Adressaten bei verständiger Würdigung zu verstehen ist (vgl. OVG Münster, U.v. 22.2.2005 – 15 A 1065/04 – juris). Belastende Regelungen müssen deshalb bestimmt, unzweideutig und vollständig sein (vgl. BVerwG, U.v. 26.6.1986 – 2 C 13.83 – NVwZ 1987, 52). Die o.g. Regelung wurde im Bescheid vom 31. Januar 2019 unter dem Titel „Auflagen“ getroffen. Bereits dies spricht dafür, dass die Behörde auch eine solche Auflage erlassen wollte. Zudem weist der Beklagte im Bescheid am Ende von B.13 auf die Folgen hin, die eine Nichtbeachtung der zuvor getroffenen Verpflichtung seiner Auffassung nach mit sich brächte. Die Regelung in Art. 6 Abs. 4a lit. c VO (EU) Nr. 965/2012 wird zudem dahingehend konkretisiert, dass sie vom Beklagten für die Klägerin als Ausbildungsorganisation und das Durchführen von Einführungsflügen formuliert und somit für sie individualisiert wurde. Aus Sicht eines objektiven Empfängers ist die Regelung daher nicht als bloße Erläuterung oder Gesetzeswiedergabe, sondern als Verpflichtung zu einem konkreten Tun zu verstehen.
Dabei geht die ganz überwiegende Rechtsprechung gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO von der grundsätzlichen Statthaftigkeit einer isolierten Anfechtungsklage gegen alle Arten von Nebenbestimmungen aus (vgl. BVerwG, U.v. 6.11.2019 – 8 C 14/18 – juris Rn. 13; U.v. 17.10.2012 – 4 C 5/11 – NVwZ 2013, 805; U.v. 13.12.2000 – 6 C 5/00 – BayVBl. 2001, 474/475; U.v. 21.6.2007 – 3 C 39/06 – NVwZ-RR 2007, 776; U.v. 22.11.2000 – 11 C 2/00 – BayVBl. 2001, 632). Der verbleibende Vorbehalt, dass der Restverwaltungsakt sinnvoller- und rechtmäßigerweise bestehen bleiben kann, ist hiernach eine materielle Frage der Begründetheit und nicht der Zulässigkeit (Statthaftigkeit) des mit der Anfechtungsklage verfolgten Aufhebungsbegehrens, sofern nicht ausnahmsweise eine isolierte Aufhebbarkeit offenkundig und von vornherein ausscheidet. Ein solcher Ausnahmefall ist vorliegend indes nicht gegeben.
1.2 Die vom Beklagten unter B.13 in den Bescheid vom 31. Januar 2019 aufgenommene Auflage ist rechtswidrig, da der hierfür vom Beklagten alleine in Betracht gezogene – und materiell-rechtlich im getroffenen Regelungsumfang auch alleine in Frage kommende – Art. 6 Abs. 4a lit. c VO (EU) Nr. 965/2012 keine Rechtsgrundlage dafür darstellt, die Durchführung von Einführungsflügen durch die Klägerin in der vorgenommenen Weise einzuschränken. Die Beschränkungen für die Durchführung von Einführungsflügen in Art. 6 Abs. 4a lit. c Hs. 2 VO (EU) Nr. 965/2012 gelten nicht für die Klägerin als Ausbildungsorganisation im Rahmen ihres gewerblichen Betriebs nach Art. 5 Abs. 5 lit. b VO (EU) Nr. 965/2012. Die Vollzugspraxis des Beklagten beruht insoweit auf einer unzutreffenden Auslegung und Anwendung von Art. 5 Abs. 1 und 5, Art. 6 Abs. 4a VO (EU) Nr. 965/2012.
Wortlaut und Gesetzesmaterialen sind vorliegend unergiebig (1.2.1). Das gefundene Auslegungsergebnis folgt maßgeblich aus einer systematischen Zusammenschau der hier einschlägigen Bestimmung der VO (EU) Nr. 965/2012 sowie aus dem Sinn und Zweck der Anforderungen, die eine Ausbildungsorganisation bei der Gewinnung und Ausbildung von Flugschülern zu erfüllen hat (1.2.2).
1.2.1 Ein Einführungsflug (introductory flight) ist nach Art. 2 Nr. 9 VO (EU) Nr. 965/2012 definiert als jeder gegen Entgelt oder sonstige geldwerte Leistungen durchgeführter Flugbetrieb, der aus einem Flug kurzer Dauer besteht, der von einer Ausbildungsorganisation nach Art. 10a der VO (EU) Nr. 1178/2011 oder einer mit dem Ziel der Förderung des Flugsports oder der Freizeitluftfahrt errichteten Organisation zum Zweck der Gewinnung neuer Flugschüler oder neuer Mitglieder durchgeführt wird.
Der Wortlaut des Art. 6 Abs. 4a lit. c VO (EU) Nr. 965/2012 bietet keinen klaren Anhalt dafür, dass auch Ausbildungsorganisationen bei der Durchführung von Einführungsflügen darauf zu achten hätten, dass diese insbesondere nur eine untergeordnete Tätigkeit darstellten. Nach dieser Vorschrift darf abweichend von Art. 5 Abs. 1 und 6 VO (EU) Nr. 965/2012 folgender Flugbetrieb mit anderen als technisch komplizierten motorgetriebenen Flugzeugen und Hubschraubern gemäß Anhang VII durchgeführt werden: Einführungsflüge, Flüge zum Zweck des Absetzens von Fallschirmspringern, Flüge zum Schleppen von Segelflugzeugen oder Kunstflüge, die entweder von einer Ausbildungsorganisation nach Art. 10a der Verordnung (EU) Nr. 1178/2011 mit Hauptgeschäftssitz in einem Mitgliedstaat oder von einer mit dem Ziel der Förderung des Flugsports oder der Freizeitluftfahrt errichteten Organisation durchgeführt werden, unter der Bedingung, dass das Luftfahrzeug von der Organisation auf der Grundlage von Eigentumsrechten oder einer Dry-Lease-Vereinbarung betrieben wird, der Flug keinen außerhalb der Organisation verteilten Gewinn erwirtschaftet und solche Flüge nur eine unbedeutende Tätigkeit der Organisation darstellen.
Der offene Wortlaut der Vorschrift gibt nichts Eindeutiges dafür her, dass die im letzten Halbsatz von Art. 6 Abs. 4a lit c VO (EU) Nr. 965/2012 enthaltenen Einschränkungen, die unter anderem für die Durchführung von Einführungsflügen gelten, auch für Ausbildungsorganisationen Geltung beanspruchen. Vielmehr ist die einschränkende Formulierung „unter der Bedingung, dass …“ in diesem letzten Halbsatz sprachlich so unbestimmt gefasst, dass sie sich semantisch sowohl auf Ausbildungsorganisationen und Organisationen mit dem Ziel der Förderung des Flugsports oder der Freizeitluftfahrt (d.h. Flugsportvereine) oder auch nur auf die letztgenannten Organisationen mit dem Ziel der Förderung des Flugsports oder der Freizeitluftfahrt erstrecken könnte.
Auch die Materialien zur VO (EU) Nr. 965/2012 und ihrer zahlreichen Änderungen und Berichtigungen, zuletzt namentlich in Gestalt der DurchführungsVO (EU) Nr. 2018/1975, deren Änderungsumfang sämtliche hier für den Rechtsstreit inmitten stehende Vorschriften erfasst, sowie zudem auch das sogenannte „Guidance Material“ der für den Luftverkehr zuständigen Vollzugsbehörde der Europäischen Union, der European Aviation Safety Agency (EASA), sind zu den vorliegend aufgeworfenen Fragen unergiebig und enthalten insbesondere keine Hinweise dazu, wie die einschränkende Bedingung im letzten Halbsatz von Art. 6 Abs. 4a lit c VO (EU) Nr. 965/2012 im Hinblick auf Ausbildungsorganisationen zu verstehen ist. Somit muss vorliegend auch nicht entschieden werden, ob und gegebenenfalls in welcher Weise das „Guidance Material“ der EASA im Lichte seiner Natur als von einer Behörde der Europäischen Union stammendes Material zur Anwendung europäischen Sekundärrechts – letztlich handelt es sich also um norminterpretierende europäische Verwaltungsvorschriften – einen Beitrag zur Aufhellung normativer Unklarheiten von EU-Verordnungen liefern kann.
1.2.2 Allerdings ergibt sich aus einer systematischen Zusammenschau der Bestimmungen in Art. 5 Abs. 1 und 5, Art. 6 Abs. 4a VO (EU) Nr. 965/2012 sowie aus dem Sinn und Zweck dieser Vorschriften für den Betrieb von Ausbildungsorganisationen, dass die Einschränkung im letzten Halbsatz von Art. 6 Abs. 4a lit. c VO (EU) Nr. 965/2012, wonach Einführungsflüge insbesondere nur eine unbedeutende Tätigkeit der Organisation darstellen dürfen und damit zudem kein außerhalb der Organisation verteilter Gewinn erwirtschaftet werden darf, nicht für Ausbildungsorganisationen nach Art. 5 Abs. 5 lit. b VO (EU) Nr. 965/2012 gilt.
Art. 5 Abs. 1 VO (EU) Nr. 965/2012 bestimmt, dass ein Flugzeug oder ein Hubschrauber für die Zwecke des gewerblichen Luftverkehrsbetriebs (CAT-Betrieb) ausschließlich gemäß den Bestimmungen der Anhänge III und IV betrieben werden darf. Nach Art. 5 Abs. 5 VO (EU) Nr. 965/2012 müssen Ausbildungsorganisationen nach Art. 10a VO (EU) Nr. 1178/2011, deren Hauptgeschäftssitz sich in einem Mitgliedstaat befindet, bei der Durchführung von Schulungsflügen technisch komplizierte motorgetriebene Flugzeuge und Hubschrauber gemäß den Bestimmungen des Anhangs VI, andere Flugzeuge und Hubschrauber gemäß den Bestimmungen des Anhangs VII betreiben.
Art. 6 VO (EU) Nr. 965/2012 ist insgesamt als Ausnahmevorschrift konzipiert. In seinem hier allein relevanten Absatz 4a lit. c ist, wie bereits vorstehend ausgeführt, statuiert, dass abweichend von Art. 5 Abs. 1 und 6 mit anderen als technisch komplizierten motorgetriebenen Flugzeugen und Hubschraubern gemäß Anhang VII u.a. Einführungsflüge von Ausbildungsorganisationen nach Art. 10a VO (EU) Nr. 1178/2011 mit Hauptgeschäftssitz in einem Mitgliedstaat und von mit dem Ziel der Förderung des Flugsports oder der Freizeitluftfahrt errichteten Organisationen durchgeführt werden dürfen, allerdings unter der Bedingung, dass das Luftfahrzeug von der Organisation auf der Grundlage von Eigentumsrechten oder einer Dry-Lease-Vereinbarung betrieben wird, der Flug keinen außerhalb der Organisation verteilten Gewinn erwirtschaftet und solche Flüge nur eine unbedeutende Tätigkeit der Organisation darstellen.
Daraus folgt für das systematische Verständnis der Vorschriften zur Überzeugung des Gerichts Folgendes: Der Schulbetrieb von Ausbildungsorganisationen stellt i.S.d. Art. 5 VO (EU) Nr. 965/2012 gewerblichen Flugbetrieb dar, unterfällt allerdings den besonderen Bestimmungen der nach Art. 5 Abs. 5 lit. a und b jeweils einschlägigen Anhänge VI und VII. Dies ergibt sich aus einer Zusammenschau von Art. 5 und Art. 6 Abs. 4a VO (EU) Nr. 965/2012. Art. 6 Abs. 4a VO (EU) Nr. 965/2012 regelt Ausnahmen von Art. 5 Abs. 1 (und hier nicht relevant auch Abs. 6) der Verordnung. Nachdem Art. 6 Abs. 4a lit. c VO (EU) Nr. 965/2012 erleichternde Regelungen für den Betrieb von Ausbildungsorganisationen unter Bezugnahme auf Anhang VII der Verordnung statuiert und gleichzeitig ausdrücklich auf den Ausnahmecharakter zu Art. 5 Abs. 1 VO (EU) Nr. 965/2012 Bezug nimmt, gebieten sowohl Wortlaut als auch die systematische Stellung der Vorschriften zueinander den oben genannten Schluss.
Für die Klägerin, die in ihrem Ausbildungsbetrieb Luftfahrzeuge i.S.d. Art. 5 Abs. 5 lit. b VO (EU) 965/2012 betreibt und damit den Erleichterungen des Anhangs VII unterfällt, hat die Regelung in Art. 6 Abs. 4a lit. c VO (EU) Nr. 965/2012 daher keine konstitutive, eine Erlaubnis zur Durchführung von Einführungsflügen begründende oder diese erleichternde Funktion, sondern allenfalls eine klarstellende Bedeutung. Die Privilegierung in Art. 6 Abs. 4a lit. c VO (EU) Nr. 965/2012 hat im Hinblick auf Einführungsflüge mithin nur für solche Einrichtungen konstitutive Bedeutung, die nicht bereits über Art. 5 Abs. 5 lit. b. VO (EU) Nr. 965/2012 zulässigerweise Einführungsflüge im Rahmen des Anhangs VII durchführen dürfen.
Wie ausgeführt sind für eine Ausbildungsorganisation Einführungsflüge zur Gewinnung von Flugschülern Teil ihrer gewerblichen, bereits von Art. 5 Abs. 1 und 5 VO (EU) Nr. 965/2012 umfassten Tätigkeit und stellen sich als von der Durchführung des Ausbildungsbetriebs umfasster „mitgezogener“ Bestandteil dieser gewerblichen Betätigung dar. Als nach Absatz 5 spezielles Flugbetriebssegment des CAT-Betriebs sind Einführungsflüge bereits als gewerblicher Luftverkehr von Art. 5 Abs. 1 VO (EU) Nr. 965/2012 erfasst. Dies folgt – wie ebenfalls bereits dargelegt – gerade aus der Formulierung in Art. 6 Abs. 4a lit. c VO (EU) Nr. 965/2012, wonach der Flugbetreib dort „abweichend von Art. 5 Abs. 1“ durchgeführt werden darf.
Mit anderen Worten ist die Klägerin nicht auf die Bestimmung in Art. 6 Abs. 4a lit. c VO (EU) Nr. 965/2012 angewiesen, wenn sie Einführungsflüge durchführen will. Eigenständige Bedeutung hat das Privileg nach Art. 6 Abs. 4a lit. c VO (EU) Nr. 965/2012, Einführungsflüge unter den dort aufgeführten Bedingungen durchführen zu dürfen, daher maßgeblich für nicht gewerblich tätige Flugsportvereine, also Organisationen, die mit dem Ziel der Förderung des Flugsports oder der Freizeitluftfahrt errichtet worden sind. Solche sind, da sie nicht von Art. 5 VO (EU) Nr. 965/2012 erfasst sind, nicht bereits aufgrund einer gewerblichen Betätigung – anders als eine Ausbildungsorganisation – von Rechts wegen dazu in der Lage, Einführungsflüge durchzuführen, und bedürfen dafür mithin der normativen Privilegierung des Art. 6 Abs. 4a VO (EU) Nr. 965/2012 (vgl. dazu sowie zum Verhältnis zu § 20 Abs. 1 Satz 2 und 3 LuftVG auch: VG Gießen, U.v. 27.1.2016 – 6 K 1343/14.GI – juris Rn. 24).
Dieses Verständnis wird unter Beachtung des Normzwecks darüber hinaus auch dadurch gestützt, dass für Einführungsflüge die in Art. 6 Abs. 4a lit. c VO (EU) Nr. 965/2012 im letzten Halbsatz genannten Einschränkungen sinnvollerweise nur für die weitere, neben der Ausbildungsorganisation in Art. 2 Nr. 9 VO (EU) Nr. 965/2012 genannte Organisation, die mit dem Ziel der Förderung des Flugsports oder der Freizeitluftfahrt errichtet worden ist – also für einen Flugsportverein – gelten können. Für Ausbildungsorganisationen hingegen ergibt es keinen Sinn, weshalb Einführungsflüge als Teil der gewerblichen Tätigkeit nur eine unbedeutende Tätigkeit der Organisation darstellen sollen dürfen bzw. weshalb damit kein außerhalb der Organisation verteilter Gewinn erwirtschaftet werden können soll. Bei Flugsportvereinen hingegen steht die nicht-gewerbliche Betätigung wesensimmanent im Vordergrund. Die Ausbildungsorganisation hat zudem üblicherweise – anders als ein Flugsportverein – auch keine Mitglieder und ist regelmäßig – ebenso im Unterschied zu einem nicht wirtschaftlichen Verein (§ 21 BGB) – auf Gewinnerzielung ausgerichtet.
Darüber hinaus ist insbesondere auch nach dem Sinn und Zweck der Vorschriften kein tragfähiger Grund dafür zu erkennen, weshalb bei einem Einführungsflug für die Ausbildungsorganisation strengere Anforderungen gelten sollen als bei der Ausübung des gewerblichen Ausbildungsbetriebs, insbesondere dann, wenn man davon ausgeht, dass auch Einführungsflüge zur Gewinnung neuer Flugschüler einen Teilbereich der gewerblichen Betätigung darstellen. Es ist nichts dafür ersichtlich, weshalb es vom Verordnungsgeber gewollt sein sollte, die Durchführung von Einführungsflügen bei Ausbildungsorganisationen, zu deren wirtschaftlicher Betätigung es zählt, neue Flugschüler zu gewinnen, dahingehend einzuschränken, dass Einführungsflüge nur eine unbedeutende und zudem gewinnneutrale Tätigkeit der Organisation darstellen sollten.
Eigenständige Bedeutung hat Art. 6 Abs. 4a (EU) Nr. 965/2012 bei Ausbildungsorganisationen daher nur insoweit, als er die Erlaubnis zur Durchführung von Flügen zum Zwecke des Absetzens von Fallschirmspringern, Flüge zum Schleppen von Segelflugzeugen oder Kunstflüge regelt. Solcher Flugbetrieb ist für die Ausbildungsorganisation nicht bereits nach Art. 5 Abs. 5 i.V.m. Abs. 1 VO (EU) Nr. 965/2012 als Teil der danach erlaubten gewerblichen (Ausbildungs-) Tätigkeit zugelassen und bedarf daher entsprechender Regelung in Gestalt der mit Art. 6 Abs. 4a lit. c VO (EU) Nr. 965/2012 gewährten Ausnahme unter Bedingungen (vgl. dort letzter Halbsatz).
Aufgrund des Ausgeführten kann der Beklagte damit sein mit der Auflage B.13 verfolgtes Ziel aus Rechtsgründen nicht in der von ihm gewählten Art und Weise erreichen. Die von der Klägerin als Einführungsflüge nach Art. 2 Nr. 9 VO (EU) Nr. 965/2012 durchgeführten Flüge, unter denen nach Auffassung des Beklagten insbesondere auch sogenannte Event-Flüge enthalten sind, und das seines Erachtens daraus hier folgende Missverhältnis der Anzahl und Zeiten dieser Einführungsflüge zum auch tatsächlich auf den Erwerb von Lizenzen für Luftfahrzeugführer gerichteten praktischen Ausbildungsbetrieb von Flugschülern durch die Klägerin können nicht im Wege des Art. 6 Abs. 4a lit. c VO (EU) Nr. 965/2012 reglementiert werden.
Demzufolge waren die Bestimmung B.13 des angefochtenen Bescheids sowie die darauf gründenden Sanktionen, die der Beklagte dort in A.2 und A.3 verfügt hat, aufzuheben.
2. Für den weiteren Vollzug erachtet das Gericht allerdings folgende Hinweise für veranlasst:
Auch wenn die vom Beklagten herangezogene Regelung des Art. 6 Abs. 4a lit. c VO (EU) Nr. 965/2012 nicht dazu fruchtbar gemacht werden kann, die von der Klägerin durchgeführten Einführungsflüge unter Bezugnahme auf das dort statuierte Erfordernis einer unbedeutenden Tätigkeit zahlen-/stundenmäßig zu reglementieren, ist eine Ausbildungsorganisation wie die Klägerin gehalten, darauf zu achten, dass zwischen (namentlich dem praktischen) Ausbildungsbetrieb und der entgeltlichen Durchführung von Einführungsflügen als Mittel der Akquise von Flugschülern (vgl. Art. 2 Nr. 9 VO (EU) Nr. 965/2012: „…zum Zweck der Gewinnung neuer Flugschüler …“) ein ausgewogenes Verhältnis dergestalt besteht, dass der Ausbildungsbetrieb, gerichtet auf tatsächlichen Lizenzerwerb, den Wesenskern der gewerblichen Tätigkeit der Ausbildungsorganisation darstellt, da andernfalls ihre Eigenschaft und ihr Charakter als Flugschule infrage stünde.
Wie der Beklagte im angefochtenen Bescheid ausgeführt hat, besteht im Falle der Klägerin ein Überhang der durchgeführten Einführungsflüge gegenüber dem Ausbildungsbetrieb in zahlenmäßiger wie auch zeitlicher Hinsicht. So wurden im Zeitraum vom 1. August 2017 bis zum 30. Juni 2018 79 Einführungsflüge in einem zeitlichen Umfang von 39 Stunden 30 Minuten durchgeführt, während auf die theoretische Ausbildung von Flugschülern 23 Stunden 25 Minuten und auf die praktische Ausbildung 6 Stunden und 20 Minuten aufgewandt worden sind. Im Zeitraum vom 1. Januar 2018 bis zum 31. Dezember 2018 fanden 86 Einführungsflüge über einen Zeitraum von 43 Stunden statt; demgegenüber stand in dieser Zeit theoretische Ausbildung im Umfang von 22 Stunden 55 Minuten und praktische Ausbildung im Umfang von 6 Stunden und 20 Minuten.
Das Gericht geht davon aus, dass vom Vorliegen einer Ausbildungsorganisation dann nicht mehr ausgegangen werden kann, wenn deren Ausbildungsbetrieb als Wesenskern gegenüber den Einführungsflügen als lediglich mitgezogenem Teil, der auf Kundenakquise angelegt ist, in zeitlicher wie auch in wirtschaftlicher Hinsicht eine nur noch untergeordnete Rolle spielt. Hierbei wird das Verhältnis des zeitlichen Umfangs, in dem diese Einführungsflüge stattfinden, dem zeitlichen Umfang der praktischen Flugausbildung gegenüberzustellen und auch die wirtschaftliche Bedeutung, die die Durchführung von Einführungsflügen für die Ausbildungsorganisation hat – namentlich die erzielten Umsätze -, in den Blick zu nehmen sein. Ein wesentliches Indiz dafür, dass kein Ausbildungsbetrieb mehr vorliegt, sondern in unzulässiger, den Wesenskern der Ausbildungsorganisation verletzender Weise sogenannte Event-Flüge im bloßen Gewande von Einführungsflügen durchgeführt werden, wird jedenfalls ein Verhältnis von 1 : 4 beim zeitlichen Umfang, in dem praktische Flugausbildung stattfindet, gegenüber dem zeitlichen Umfang der Einführungsflüge sein; dies gilt im Rahmen einer Gesamtschau der für die Behörde verfügbaren Erkenntnismittel insbesondere dann, wenn durch diese „Einführungsflüge“ sodann Flugschüler auch nicht oder nicht in relevanter Anzahl i.S.d. Art. 2 Nr. 9 VO (EU) Nr. 965/2012 gewonnen worden sind. Wird also die Grenze von 20 v.H. des zeitlichen Umfangs, in dem praktische Flugausbildung in einer Ausbildungsorganisation stattfindet, im Sinne des Vorstehenden erreicht oder unterschritten, besteht für die zuständige Luftverkehrsbehörde Anlass und Grund, im Rahmen einer Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls, namentlich unter Prüfung der wirtschaftlichen Bedeutung, die die Durchführung von Einführungsflügen für den jeweiligen Ausbildungsbetrieb hat und unter Auswertung der Zahl der durch diese Einführungsflüge tatsächlich gewonnenen Flugschüler, die den Lizenzerwerb angetreten und absolviert haben, in eine entsprechende Prüfung einzutreten.
Jedenfalls dann, wenn der nach obigen Maßstäben zu betrachtende reine Schulungsbetrieb nur noch 10 v.H. oder weniger des gesamten praktischen Ausbildungsbetriebs (gemessen in Stunden und Minuten je Kalender- oder Berichtsjahr) ausmacht, wird davon auszugehen sein, dass kein Ausbildungsbetrieb mehr vorliegt, sondern rechtsmissbräuchlich unter Verletzung des Wesenskerns der Ausbildungsorganisation im Schwerpunkt Event-Flugbetrieb im bloßen Gewande von „Einführungsflügen“ angeboten und betrieben wird.
Bei der vorstehend getroffenen Grenzziehung, die nach Auffassung des Gerichts die Verletzung des Wesenskerns eines Ausbildungsbetriebs indiziert (20 v.H.-Grenze) bzw. ohne Weiteres zu ihr führt (10 v.H.-Grenze), lässt sich das Gericht davon leiten, dass nach der allgemeinen Lebenserfahrung Strukturen im Wirtschafts- und Rechtsverkehr insbesondere dann umso mehr an Prägekraft einbüßen, wenn ihr quantitativer Anteil deutlich hinter der Hälfte der zu betrachtenden gesamten Einheit – hier also des praktischen Schulungsbetriebs der Ausbildungsorganisation – zurückbleibt. Erreicht der für die Natur der Sache charaktergebende, prägende Anteil das Maß von nur mehr 20 v.H., beginnt er zur Überzeugung des Gerichts das für die Prägung notwendige, maßgebliche Gewicht zu verlieren, sodass diesem Wert Indizwirkung zukommt. Erreicht oder unterschreitet er sogar das Maß von 10 v.H., entspricht es der allgemeinen Lebenserfahrung, dass er seine prägende Wirkung in Gänze einbüßt und zur bloßen Nebensache wird.
3. Der Klage war daher entsprechend den unter 1. gemachten Ausführungen stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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