Europarecht

Ausschluss vom Vergabeverfahren von Angeboten wirtschaftlich miteinander verbundener Unternehmen

Aktenzeichen  Verg 2/21

Datum:
24.6.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
VergabeR – 2021, 706
Gerichtsart:
BayObLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
RL 2014/24/EU Art. 57 Abs. 4 lit. d
AEUV Art. 101
GWB § 97 Abs. 1, Abs. 2, § 124 Abs. 1 Nr. 4

 

Leitsatz

1. Nach Auffassung des Senats kann Art. 57 Abs. 4 lit. d RL 2014/24/EU nicht dahin ausgelegt werden, dass auch miteinander verbundene Bieter, die eine wirtschaftliche Einheit bilden und die abgestimmte Angebote abgeben, nach dieser Vorschrift ausgeschlossen werden können. Ein Verstoß gegen das Gebot des Geheimwettbewerbs kann einen Ausschluss nach dieser Norm vielmehr nur dann rechtfertigen, wenn er eine kartellrechtliche Norm verletzt; dies kommt nicht in Betracht, wenn die handelnden Unternehmen unter das sogenannte Konzernprivileg des Kartellrechts fallen. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2 Der Senat neigt zu der Auffassung, dass unabhängig von der Erweiterung des Katalogs der fakultativen Ausschlussgründe in Art. 57 Abs. 4 RL 2014/24/EU der Grundsatz der Gleichbehandlung weiterhin der Berücksichtigung von Angeboten miteinander verbundener Unternehmen entgegensteht, die weder eigenständig und noch unabhängig sind. Der Grundsatz der Gleichbehandlung steht einer Zuschlagerteilung an Bieter, die eine wirtschaftliche Einheit bilden und weder eigenständige noch unabhängige Angebote einreichen können, erst recht entgegen. (Rn. 25 – 30) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

3194. Z3-3_01-20-15 — VKSUEDBAYERN Vergabekammer München

Tenor

I. Das Beschwerdeverfahren wird ausgesetzt.
II. Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden zur Auslegung der RL 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der RL 2004/18/EG die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt, wobei die Fragen 2 und 3 nur dann einer Antwort bedürfen, wenn die Frage 1 bejaht wird:
1. Ist Art. 57 Abs. 4 Buchst. d) der RL 2014/24/EU dahingehend auszulegen, dass der öffentliche Auftraggeber über hinreichend plausible Anhaltspunkte für einen Verstoß der Wirtschaftsteilnehmer gegen Art. 101 AEUV verfügen muss?
2. Ist Art. 57 Abs. 4 der RL 2014/24/EU in dem Sinn als abschließende Regelung der fakultativen Ausschlussgründe auszulegen, dass der Grundsatz der Gleichbehandlung (Art. 18 Abs. 1 dieser Richtlinie) – bei Abgabe weder eigenständiger noch unabhängiger Angebote – einer Zuschlagserteilung nicht entgegenstehen kann? Ist Art. 18 Abs. 1 der RL 2014/24/EU dahingehend auszulegen, dass er einer Erteilung des Zuschlags an Unternehmen entgegensteht, die eine wirtschaftliche Einheit bilden und jeweils ein Angebot abgegeben haben?

Gründe

I.
Der Antragsgegner, ein Landkreis, beabsichtigt, im offenen Verfahren öffentliche Busverkehrsdienstleistungen zu vergeben.
Der geschätzte Auftragswert überschreitet den Schwellenwert nach Art. 4 Buchst. c) der RL 2014/24/EU.
Nach Ziffer II.2.5) der Auftragsbekanntmachung vom 17. Dezember 2019 (Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union S. 243) ist der Preis nicht das einzige Zuschlagskriterium, nach Ziffer II.2.10) sind Varianten/Alternativangebote nicht zulässig.
Es sind fristgerecht mehrere Angebote eingegangen, u. a. von den beiden Antragstellern und der Beigeladenen. Der Antragsteller zu 1) ist ein Kaufmann, der unter seiner im Handelsregister eingetragenen Firma auftritt, die Antragsgegnerin zu 2) eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, deren Geschäftsführer und Alleingesellschafter der Antragsteller zu 1) ist. Über das Vermögen des Antragstellers zu 1) ist mit Beschluss vom 1. November 2019 das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Der Insolvenzverwalter hat mit Schreiben vom 1. Dezember 2019 den Betrieb der selbständigen Tätigkeit des Antragstellers zu 1) freigegeben. Die Angebote der beiden Antragsteller vom 27. Februar 2020 sind von derselben Person abgegeben worden, als Person des Erklärenden wurde jeweils der eingetragene Kaufmann (Antragsteller zu 1]) angegeben. Der Antragsteller zu 1) hat in seinem Angebot u. a. angegeben, über das Vermögen des Unternehmers sei ein Insolvenzverfahren weder beantragt noch eröffnet worden.
Mit Informationsschreiben vom 2. April 2020 ist den beiden Antragstellern jeweils mitgeteilt worden, ihre Angebote seien wegen Verstoßes gegen das Gebots des Geheimwettbewerbs und wegen Wettbewerbsverfälschung ausgeschlossen worden, da sie von der gleichen Person gefertigt worden seien. Der Zuschlag solle auf das Angebot der Beigeladenen erteilt werden.
Darauf haben die Antragsteller – fristgerecht – insbesondere gerügt, ihr Ausschluss sei vergaberechtswidrig. Ein Wettbewerbsverstoß bzw. eine Verfälschung des Wettbewerbs könne schon deshalb nicht vorliegen, da sie nicht in einem Wettbewerbsverhältnis zueinander stünden. Nachdem der Antragsgegner die Rügen der Antragsteller mit Schreiben vom 14. April 2020 zurückgewiesen hatte, haben die Antragsteller am 15. April 2020 einen Nachprüfungsantrag gestellt. Sie haben sich insbesondere gegen ihren Ausschluss gewendet, der – zumal ohne vorherige Aufklärung – zu Unrecht erfolgt sei. Entgegen der Annahme des Antragsgegners liege kein Verstoß gegen den Wettbewerbsgrundsatz bzw. keine Verfälschung des Wettbewerbs vor. Sie bildeten einen „qualifiziert faktischen Konzern“ i. S. d. § 17 Abs. 1 AktG, sodass sie nicht in einem Wettbewerbsverhältnis zueinander stünden. Dies sei durch die umfassende Leitungsmacht des Antragstellers zu 1) sowie die vollständige Beherrschung der Antragstellerin zu 2) ausgeschlossen. Folglich bildeten beide Antragsteller ein einheitliches Unternehmen, das keinem Binnenwettbewerb unterliege. Ein nicht bestehender Wettbewerb könne nicht eingeschränkt oder verfälscht werden. Die Wettbewerbsregeln nach § 97 Abs. 1 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) in der Fassung der Bekanntmachung vom 26. Juni 2013 (BGBl. I S. 1750) seien für Unternehmen, die eine wirtschaftliche Einheit bildeten, nicht anwendbar (vgl. EuGH, Urt. v. 17. Mai 2018, C-531/16 – Specializuotas transportas, ECLI:ECLI:EU:C:2018:324). Im streitgegenständlichen Verfahren seien die Angebote der Antragsteller im Verfahren wie mehrere (Haupt-)Angebote durch ein und denselben Bieter zu betrachten. Dies sei nach der Rechtsprechung anerkannt und im vorliegenden Fall in den Vergabeunterlagen auch nicht ausgeschlossen oder untersagt worden. Die Gefahr einer Wettbewerbsverzerrung bestehe in einem solchen Fall nicht (vgl. BGH, Urt. v. 29. November 2016, X ZR 122/14 – Tischlerarbeiten, ECLI:DE:BGH:2016:291116UXZR122.14.0) und sei jedenfalls dann unproblematisch, wenn sich die Angebote nicht nur im Preis, sondern auch sachlichtechnisch voneinander unterschieden (vgl. BGH, a. a. O.; OLG München, Beschluss vom 29. Oktober 2013, Verg 11/13, ECLI:DE:OLGMUEN:2013:1029.VERG11.13.0A). Diese Vorgabe sei hier erfüllt, da ihre Angebote voneinander abweichende Fahrzeugkombinationen beinhalteten.
Der Antragsgegner und die Beigeladene haben beantragt, den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen. Der Antragsgegner hat seine bisherige Argumentation vertieft.
Mit Beschluss vom 12. Januar 2021 hat die Vergabekammer insbesonder entschieden, die Angebote des Antragstellers zu 1) und der Antragstellerin zu 2) seien unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer wieder in die Prüfung aufzunehmen. Der Nachprüfungsantrag sei im Hauptantrag begründet, da der Antragsteller zu 1) und die Antragstellerin zu 2) zu Unrecht wegen Verstoßes gegen den Grundsatz des Geheimwettbewerbs vom Verfahren ausgeschlossen worden seien. Das Verhalten der Antragsteller sei nach geltender Rechtslage am fakultativen Ausschlussgrund des § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB zu messen. Die vom Antragsgegner zitierte ältere Rechtsprechung sei nicht ohne Weiteres auf die aktuelle Rechtslage und den konkreten Fall übertragbar. Der Gerichtshof der Europäischen Union habe im Urteil vom 17. Mai 2018 (C-531/16 – Specializuotas transportas, ECLI:ECLI:EU:C:2018:324) darauf hingewiesen, dass Art. 101 AEUV nicht anwendbar sei, wenn die Absprache oder die Verhaltensweisen, die er verbiete, von Unternehmen angewandt würden, die eine wirtschaftliche Einheit bildeten, wie dies bei den Antragstellern der Fall sei. Die Angebote stellten auch keine unzulässigen Doppelangebote dar. Sie stammten von unterschiedlichen, wenn auch stark mit einander verflochtenen Unternehmen.
Gegen den Beschluss der Vergabekammer hat der Antragsgegner sofortige Beschwerde bei dem Bayerischen Obersten Landesgericht eingelegt, der sich die Beigeladene angeschlossen hat. Zur Begründung führen der Antragsgegner und die Beigeladene insbesondere aus, Aufgabe des Vergaberechts sei es, für einen echten Wettbewerb der an dem Vergabeverfahren teilnehmenden Bieter zu sorgen, die Anspruch darauf hätten, dass die Angebote in Unkenntnis der Angebote der Mitbewerber abgegeben werden. Diesen Grundsatz zu durchbrechen, wenn zwei Bieter eine wirtschaftliche Einheit bildeten, lasse die Interessen der übrigen Bieter unberücksichtigt. Die eine wirtschaftliche Einheit bildenden Bieter würden gegenüber den übrigen Einzelbietern ohne rechtlich tragfähige Grundlage bevorzugt, was zu einer Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes und Beeinträchtigung bzw. Verfälschung des nach § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB zu schützenden Wettbewerbs führe. Denn diese eine wirtschaftliche Einheit bildenden Unternehmen könnten sich, da sie formal zwei unterschiedliche Rechtssubjekte bildeten, z. B. dadurch einen Vorteil verschaffen, dass sie sich unter Nachweis unterschiedlicher Eignungsvoraussetzungen an der Ausschreibung mittels abgestimmter Angebote beteiligten. Dadurch hätten die eine wirtschaftliche Einheit bildenden Unternehmen die Möglichkeit, die bei dem einen Bieter der wirtschaftlichen Einheit gegebenenfalls bestehenden Eignungsmängel dadurch zu überwinden, dass im Falle eines dadurch bedingten Ausschlusses der andere Bieter der wirtschaftlichen Einheit mit dem zwischen diesen Bietern abgestimmten Angebot im Wettbewerb verbleibe. Die Auffassung der Vergabekammer schränke den Anwendungsbereich des § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB in unzulässiger Weise ein. Bei den in dieser Norm genannten Absprachen und abgestimmten Verhaltensweisen gehe es nicht nur um den Schutz des Wettbewerbs zwischen den an solchen Absprachen und abgestimmten Verhaltensweisen beteiligten Unternehmen. Auch die Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 17. Mai 2018 (C-531/16 – Specializuotas transportas, ECLI:ECLI:EU:C:2018:324) trage die Auffassung der Antragsteller und der Vergabekammer nicht, vielmehr stehe danach ein Verstoß gegen die Grundsätze der Gleichbehandlung und der Transparenz einer Erteilung des Zuschlags an die Antragsteller entgegen. Jedenfalls handele es sich um die unzulässige Abgabe eine Doppelangebots.
Die Antragsteller verteidigen die Entscheidung der Vergabekammer, soweit sie den die Vorlagefragen betreffenden Ausschluss ihrer Angebote als vergaberechtswidrig angesehen hat. Nach der Gesetzessystematik bestehe neben den normierten Tatbeständen für den Ausschluss eines Bieters im §§ 123, 124 GWB kein Raum für weitere, ungeschriebene Ausschlussgründe. Der Gesetzgeber habe über § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB einen Gleichlauf mit § 1 GWB und Art. 101 Abs. 1 AEUV hergestellt. Die Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union sei für die Auslegung des Wettbewerbsbegriffs im gesamten Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen maßgeblich und damit auch für den Ausschlussgrund in § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB. Der Gerichtshof der Europäischen Union habe in seiner Entscheidung vom 17. Mai 2018, C-531/16 – Specializuotas transportas, zwei Fallgruppen klar unterschieden. Nur für den zweiten – hier nicht vorliegenden – Fall, dass die beteiligten Unternehmen keine wirtschaftliche Einheit bildeten, habe der Gerichtshof (Rn. 29) darauf hingewiesen, dass der Grundsatz der Gleichbehandlung in Art. 2 der RL 2004/18 verletzt wäre, wenn man es zuließe, dass miteinander verbundene Bieter abgesprochene oder abgestimmte, d. h. weder eigenständige noch unabhängige, und ihnen deshalb gegenüber den anderen Bietern möglicherweise ungerechtfertigte Vorteile verschaffende Angebote einreichen könnten. Der daran anschließende Zusatz, es bedürfe keiner Prüfung, ob die Einreichung solcher Angebote auch ein Verhalten darstelle, das gegen Art. 101 AEUV verstoße, unterstreiche ausdrücklich, dass die gesamten Ausführungen in Rn. 29 nur für den Fall gälten, dass keine wirtschaftliche Einheit vorliege. Eine Verletzung des Grundsatzes der Gleichbehandlung in Art. 2 der RL 2004/18 EG (= Art. 18 Abs. 1 der RL 2014/24/EU) komme nur dann in Betracht, wenn keine wirtschaftliche Einheit vorliege. Die Entscheidung enthalte keine Grundlage für den vom Senat erwogenen Erstrecht-Schluss. Ein Rückgriff auf den Grundsatz der Gleichbehandlung könne – ohne Wertungswiderspruch – allenfalls zu einem fakultativen Ausschluss von Angeboten führen, die weder eigenständig noch unabhängig seien. Gegen diesen vom Senat erwogenen Rückgriff auf den Grundsatz der Gleichbehandlung spreche aber, dass die Antragsteller sich keinen ungerechtfertigten Vorteil verschafft hätten. Aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz, nach dem Ungleiches ungleich zu behandeln sei, ergebe sich vielmehr, dass Bieter im Falle einer nach § 1 GWB erlaubten Abstimmung nicht ausgeschlossen werden dürfen.
II.
Der Erfolg des Rechtsmittels hängt nach Auffassung des Senats von der Beantwortung der Vorlagefragen ab. Vor einer Entscheidung ist daher das Verfahren auszusetzen und gemäß Art. 267 Abs. 1 lit. b) und Abs. 2 AEUV eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union einzuholen. Der Vorlageentscheidung liegen folgende Überlegungen zu Grunde:
1. Die Grundsätze der Vergabe sind in § 97 GWB normiert, der auszugsweise lautet:
§ 97 Grundsätze der Vergabe
(1) 1Öffentliche Aufträge und Konzessionen werden im Wettbewerb und im Wege transparenter Verfahren vergeben. 2Dabei werden die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und der Verhältnismäßigkeit gewahrt.
(2) Die Teilnehmer an einem Vergabeverfahren sind gleich zu behandeln, es sei denn, eine Ungleichbehandlung ist aufgrund dieses Gesetzes ausdrücklich geboten oder gestattet.
§ 124 GWB regelt, wann ein Unternehmen von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren ausgeschlossen werden kann. Die Vorschrift, deren Absatz 1 der Umsetzung von Art. 57 Abs. 4 der RL 2014/24/EU dient (BT-Drs. 18/6281 S. 105), lautet:
§ 124 Fakultative Ausschlussgründe
(1) Öffentliche Auftraggeber können unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ein Unternehmen zu jedem Zeitpunkt des Vergabeverfahrens von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren ausschließen, wenn
1.das Unternehmen bei der Ausführung öffentlicher Aufträge nachweislich gegen geltende umwelt-, sozial- oder arbeitsrechtliche Verpflichtungen verstoßen hat,
2.das Unternehmen zahlungsunfähig ist, über das Vermögen des Unternehmens ein Insolvenzverfahren oder ein vergleichbares Verfahren beantragt oder eröffnet worden ist, die Eröffnung eines solchen Verfahrens mangels Masse abgelehnt worden ist, sich das Unternehmen im Verfahren der Liquidation befindet oder seine Tätigkeit eingestellt hat,
3.das Unternehmen im Rahmen der beruflichen Tätigkeit nachweislich eine schwere Verfehlung begangen hat, durch die die Integrität des Unternehmens infrage gestellt wird; § 123 Absatz 3 ist entsprechend anzuwenden,
4.der öffentliche Auftraggeber über hinreichende Anhaltspunkte dafür verfügt, dass das Unternehmen mit anderen Unternehmen Vereinbarungen getroffen oder Verhaltensweisen aufeinander abgestimmt hat, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken,
5.ein Interessenkonflikt bei der Durchführung des Vergabeverfahrens besteht, der die Unparteilichkeit und Unabhängigkeit einer für den öffentlichen Auftraggeber tätigen Person bei der Durchführung des Vergabeverfahrens beeinträchtigen könnte und der durch andere, weniger einschneidende Maßnahmen nicht wirksam beseitigt werden kann,
6.eine Wettbewerbsverzerrung daraus resultiert, dass das Unternehmen bereits in die Vorbereitung des Vergabeverfahrens einbezogen war, und diese Wettbewerbsverzerrung nicht durch andere, weniger einschneidende Maßnahmen beseitigt werden kann,
7.das Unternehmen eine wesentliche Anforderung bei der Ausführung eines früheren öffentlichen Auftrags oder Konzessionsvertrags erheblich oder fortdauernd mangelhaft erfüllt hat und dies zu einer vorzeitigen Beendigung, zu Schadensersatz oder zu einer vergleichbaren Rechtsfolge geführt hat,
8.das Unternehmen in Bezug auf Ausschlussgründe oder Eignungskriterien eine schwerwiegende Täuschung begangen oder Auskünfte zurückgehalten hat oder nicht in der Lage ist, die erforderlichen Nachweise zu übermitteln, oder
9.das Unternehmen
a)versucht hat, die Entscheidungsfindung des öffentlichen Auftraggebers in unzulässiger Weise zu beeinflussen,
b)versucht hat, vertrauliche Informationen zu erhalten, durch die es unzulässige Vorteile beim Vergabeverfahren erlangen könnte, oder
c)fahrlässig oder vorsätzlich irreführende Informationen übermittelt hat, die die Vergabeentscheidung des öffentlichen Auftraggebers erheblich beeinflussen könnten, oder versucht hat, solche Informationen zu übermitteln.
(2) § 21 des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes, § 98c des Aufenthaltsgesetzes, § 19 des Mindestlohngesetzes und § 21 des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes bleiben unberührt.
Zwischen § 1 GWB und Art. 101 Abs. 1 AEUV besteht eine weitgehende Textidentität. § 1 GWB lautet:
§ 1 Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen V
ereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken, sind verboten.
2. Die Vorlagefragen haben im Einzelnen folgenden rechtlichen Hintergrund:
a) Nach Art. 57 Abs. 4 Buchst. d) der RL 2014/24/EU können öffentliche Auftraggeber einen Wirtschaftsteilnehmer von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren ausschließen oder dazu von den Mitgliedstaaten verpflichtet werden, wenn der öffentliche Auftraggeber über hinreichend plausible Anhaltspunkte dafür verfügt, dass der Wirtschaftsteilnehmer mit anderen Wirtschaftsteilnehmern Vereinbarungen getroffen hat, die auf eine Verzerrung des Wettbewerbs abzielen. Art. 45 Abs. 2 der RL 2004/18/EG enthielt keine entsprechende Regelung. Der Begriff des Wirtschaftsteilnehmers ist in Art. 2 Abs. 1 Nr. 10 der RL 2014/24/EU definiert. Nach Satz 1 des Erwägungsgrunds 101 sollten öffentliche Auftraggeber die Möglichkeit erhalten, Wirtschaftsteilnehmer auszuschließen, die sich als unzuverlässig erwiesen haben, beispielsweise wegen Verstoßes gegen umwelt- oder sozialrechtliche Verpflichtungen, einschließlich Vorschriften zur Barrierefreiheit für Menschen mit Behinderungen, oder wegen anderer Formen schwerwiegenden beruflichen Fehlverhaltens wie der Verletzung von Wettbewerbsregeln oder Rechten des geistigen Eigentums. Was unter der Verletzung von Wettbewerbsregeln zu verstehen ist, wird nicht weiter erläutert.
Nach Art. 57 Abs. 7 Satz 1 der RL 2014/24/EU obliegt es den 15 Mitgliedstaaten, unter Beachtung des Unionsrechts die „Bedingungen für die Anwendung“ festzulegen. Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ergibt sich, dass Art. 57 Abs. 7 der RL 2014/24/EU keine einheitliche Anwendung der in ihm angeführten Ausschlussgründe auf Unionsebene verfolgt, da die Mitgliedstaaten die Möglichkeit haben, diese Ausschlussgründe entweder überhaupt nicht anzuwenden oder aber diese Gründe je nach den auf nationaler Ebene maßgeblichen rechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Erwägungen im Einzelfall mit unterschiedlicher Strenge in die nationale Regelung aufzunehmen. Die Mitgliedstaaten verfügen somit über einen gewissen Ermessensspielraum bei der Festlegung der Bedingungen für die Anwendung der in Art. 57 Abs. 4 dieser Richtlinie vorgesehenen fakultativen Ausschlussgründe (EuGH, Urt. v. 30. Januar 2020, C-395/18 – Tim, ECLI:ECLI:EU:C:2020:58 Rn. 33 f.; zu Art. 45 Abs. 2 der RL 2004/18/EG: EuGH, Urt. v. 20. Dezember 2017, C178/16 – Impresa di Costruzioni Ing. E. Mantovani und Guerrato, ECLI:ECLI:EU:C:2017:1000 Rn. 31).
Der deutsche Gesetzgeber hat in § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB die Formulierung des Verbots wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen in § 1 GWB aufgegriffen. Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 18/6281 S. 106) liegt dieser Ausschlussgrund jedenfalls dann vor, wenn eine Kartellbehörde einen Verstoß in einer Entscheidung festgestellt hat. Die bloße Durchführung von kartellbehördlichen Ermittlungsmaßnahmen, beispielsweise Durchsuchungen, werde dagegen regelmäßig noch nicht ausreichen, um einen Ausschlussgrund nach § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB zu begründen.
Art. 101 AEUV ist nicht anwendbar, wenn die Absprachen oder Verhaltensweisen, die er verbietet, von Unternehmen, die eine wirtschaftliche Einheit bilden, angewandt werden (EuGH, Urt. v. 17. Mai 2018, C-531/16 – Specializuotas transportas, ECLI:ECLI:EU:C:2018:324 Rn. 28 m. w. N.; Urt. v. 12. Juli 1984, C-170/83 – Hydrotherm, ECLI:ECLI:EU:C:1984:271 Rn. 11).
Nach Auffassung des Senats bilden die Antragsteller eine wirtschaftliche Einheit in diesem Sinne. Zwei Wirtschaftsteilnehmer sind eine wirtschaftliche Einheit, also als ein Unternehmen im Sinne des Art. 101 AEUV anzusehen, wenn die Tochtergesellschaft trotz eigener Rechtspersönlichkeit ihr Marktverhalten nicht eigenständig bestimmt, sondern im Wesentlichen Weisungen der Muttergesellschaft befolgt, und zwar vor allem wegen der wirtschaftlichen, organisatorischen und rechtlichen Bindungen, die die beiden Rechtssubjekte verbinden (vgl. EuGH, Urt. v. 27. Januar 2021, C-595/18 – Goldman Sachs, ECLI:ECLI:EU:C:2021:73 Rn. 31; Urt. v. 24. Juni 2015, C-293/13 P und C- 294/13 P – Fresh Del Monte Produce/Kommission und Kommission/Fresh Del Monte Produce, ECLI:ECLI:EU:C:2015:416, Rn. 75 m. w. N.). Dass die „Mutter“ hier keine Gesellschaft, sondern ein eingetragener Einzelkaufmann ist, führt zu keiner anderen Beurteilung.
Vor diesem Hintergrund stellt sich für den Senat die Frage, ob Art. 57 Abs. 4 Buchst. d) der RL 2014/24/EU dahin auszulegen ist, dass der öffentliche Auftraggeber über hinreichend plausible Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen Art. 101 AEUV verfügen muss.
Der Senat ist der Ansicht, dass die Vorlagefrage 1 zu bejahen ist, da in dem Erwägungsgrund 101 die Verletzung von Wettbewerbsregeln erwähnt wird (vgl. Friton in BeckOK VergabeR, 19. Ed. Stand: 30. April 2020, § 124 GWB Rn. 44).
Nach Auffassung des Senats kann Art. 57 Abs. 4 Buchst. d) der RL 21 2014/24/EU nicht dahin ausgelegt werden, dass auch miteinander verbundene Bieter, die eine wirtschaftliche Einheit bilden und die abgestimmte Angebote abgeben, nach dieser Vorschrift ausgeschlossen werden können. Ein Verstoß gegen das Gebot des Geheimwettbewerbs kann einen Ausschluss nach dieser Norm vielmehr nur dann rechtfertigen, wenn er eine kartellrechtliche Norm verletzt; dies kommt nicht in Betracht, wenn die handelnden Unternehmen unter das sogenannte Konzernprivileg des Kartellrechts fallen (vgl. Friton a. a. O. Rn. 44 und. 46d).
In der vorliegenden Fallkonstellation kommt nach Ansicht des Senats auch ein Ausschluss aufgrund einer schweren beruflichen Verfehlung (Art. 57 Abs. 4 Buchst. c] der RL 2014/24/EU), der in der Literatur als Auffangtatbestand erwähnt wird (Friton in BeckOK VergabeR, GWB § 124 Rn. 46d; Kaufmann in Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, 3. Aufl. 2019, § 124 GWB Rn. 60), nicht in Betracht.
Der Senat verkennt nicht, dass eine wirtschaftliche Einheit bildende Bieter, die jeweils ein Angebot abgeben, sich dadurch gegenüber den anderen Bietern ungerechtfertigte Vorteile verschaffen können. Denn gegenüber einem Bieter, der mehrere Hauptangebote abgibt, haben Bieter, die eine wirtschaftliche Einheit bilden und die jeweils ein Angebot abgeben, hinsichtlich der – bieterbezogenen – Ausschlussgründe und Eignungskriterien bessere Zuschlagschancen. So steht beispielsweise im vorliegenden Fall im Hinblick auf die Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein Ausschluss des Antragstellers zu 1) nach § 124 Abs. 4 Nr. 2 oder Nr. 8 GWB im Raum, während das mit dem Antragsteller zu 1) abgestimmte Angebot der Antragstellerin zu 2) – vorbehaltlich eines Ausschlusses nach einer anderen Norm – in der Wertung bliebe. Dieser Gesichtspunkt ist nach Ansicht des Senats allerdings bei der Vorlagefrage 2 zu berücksichtigen.
b) Die Vorlagefragen 2 und 3 erklären sich aus Zweifeln des Senats, ob die Aufzählung der fakultativen Ausschlussgründe in Art. 57 Abs. 4 der RL 2014/24/EU einem Rückgriff auf den Grundsatz der Gleichbehandlung entgegensteht, um zu rechtfertigen, dass Angebote zweier Bieter, die eine wirtschaftliche Einheit bilden, wegen eines Verstoßes gegen das Gebot des Geheimwettbewerbs nicht berücksichtigt werden können. Die Vorlagefrage 2 (s. u. aa]) zielt darauf ab zu klären, ob die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (Urt. v. 16. Dezember 2008, C-213/07 – Michaniki, ECLI:ECLI:EU:C:2008:731 Rn. 44 f.) auf Art. 57 Abs. 4 der RL 2014/24/EU übertragbar ist. Die Vorlagefrage 3 (s. u. bb]) betrifft die Anwendbarkeit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu – weder eigenständigen noch unabhängigen – Angeboten miteinander verbundener Bieter (EuGH, Urt. v. 17. Mai 2018, C-531/16 – Specializuotas transportas, ECLI:ECLI:EU:C:2018:324 Rn. 29) auf Angebote von Bietern, die eine wirtschaftliche Einheit darstellen.
aa) Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zur RL 2004/18/EG ist Art. 2 dieser Richtlinie dahin auszulegen, dass er dem Zuschlag an Bieter entgegensteht, deren Verbindungen zueinander den Inhalt ihrer im Rahmen desselben Verfahrens eingereichten Angebote beeinflusst haben. Die Angebote müssen eigenständig und unabhängig abgegeben werden, wenn sie von miteinander verbundenen Bietern stammen (EuGH, Urt. v. 17. Mai 2018, C531/16 – Specializuotas transportas, ECLI:ECLI:EU:C:2018:324 Rn. 38 f.). Der Senat versteht dies dahin, dass dem öffentlichen Auftraggeber – anders als nach Art. 57 Abs. 4 der RL 2014/24/EU („kann“) – nach dieser Rechtsprechung kein Ermessen zusteht.
Ein Ausschluss – gestützt auf die allgemeinen Grundsätze des § 97 Abs. 1 und 2 GWB – kann in Fällen wie dem streitgegenständlichen allerdings nur dann in Erwägung gezogen werden, wenn der Aufzählung der in Art. 57 Abs. 4 der RL 2014/24/EU geregelten fakultativen Ausschlussgründe nicht ein abschließender Charakter zukommt, der dem Ausschluss entgegenstünde.
Zwar hat der Gerichtshof der Europäischen Union entschieden, dass die erschöpfende Aufzählung der auf die fehlende berufliche Eignung gestützten Ausschlussgründe des Art. 24 Abs. 1 der RL 93/97/EWG zur Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge die Befugnis der Mitgliedstaaten nicht ausschließt, materiellrechtliche Vorschriften aufrechtzuerhalten oder zu erlassen, durch die u. a. gewährleistet werden soll, dass auf dem Gebiet der öffentlichen Aufträge der Grundsatz der Gleichbehandlung und der daraus implizit folgende Grundsatz der Transparenz beachtet werden, die die öffentlichen Auftraggeber bei jedem Verfahren zur Vergabe eines solchen Auftrags zu beachten haben (EuGH, Urt. v. 16. Dezember 2008, C-213/07 – Michaniki, ECLI:ECLI:EU:C:2008:731 Rn. 44 f.). Er hat ferner entschieden, dass der Grundsatz der Gleichbehandlung in Art. 2 der RL 2004/18/EG verletzt wäre, wenn man es zuließe, dass miteinander verbundene Bieter abgesprochene oder abgestimmte, d. h. weder eigenständige noch unabhängige, und ihnen deshalb gegenüber den anderen Bietern möglicherweise ungerechtfertigte Vorteile verschaffende Angebote einreichen könnten (EuGH, Urt. v. 17. Mai 2018, C-531/16 – Specializuotas transportas, ECLI:ECLI:EU:C:2018:324 Rn. 29), obwohl auch Art. 45 Abs. 2 dieser Richtlinie einen Katalog fakultativer Ausschlussgründe enthielt. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat sich schließlich in einem die RL 2014/24/EU betreffenden Vorabentscheidungsersuchen auf diese Rechtsprechung berufen (EuGH, Urt. v. 11. Juli 2019, C-697/17 – Telecom Italia SpA, ECLI:ECLI:EU:C:2019:599 Rn. 51 f.).
Die die Vorlagefrage begründenden Zweifel des Senats ergeben sich aus der Systematik der Regelungen. Den Art. 57 Abs. 4 Buchst. e) und f) der RL 2014/24/EU entsprechende Ausschlussgründe, die nicht an eine Pflichtverletzung des Unternehmens anknüpfen (vgl. Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, 3. Aufl. 2017, § 124 GWB Rn. 75 und 79), sondern an einen Interessenkonflikt und eine Wettbewerbsverzerrung aufgrund vorheriger Einbeziehung des Unternehmens, sahen nämlich weder Art. 24 Abs. 1 der RL 93/97/EWG noch Art. 45 Abs. 2 der RL 2004/18/EG vor. Es wird deshalb argumentiert, der EU-Gesetzgeber habe mit der RL 2014/24/EU auch einen Ausschluss aus Gründen der Gleichbehandlung und Transparenz abschließend geregelt (vgl. Friton in BeckOK VergabeR, § 124 GWB Rn. 46d.1 und 61.1). Zwar hat der Gerichtshof der Europäischen Union aus den Grundsätzen der Gleichbehandlung und Transparenz abgeleitet, dass öffentliche Auftraggeber zu prüfen haben, ob etwaige Interessenkonflikte bestehen, und geeignete Maßnahmen zu ergreifen haben, um Interessenkonflikte zu verhindern, aufzudecken und zu beheben (EuGH, Urt. v. 12. März 2015, C-538/13 – eVigilo, ECLI:ECLI:EU:C:2015:166 Rn. 43). In Art. 57 Abs. 4 Buchst. f) und Art. 41 der RL 2014/24/EU hat der Unionsgesetzgeber die – sich ebenfalls auf den Grundsatz der Gleichbehandlung stützende – Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu Personen, die bereits in die Vorbereitung des Vergabeverfahrens einbezogen waren (Urt. v. 3. März 2005, C-21/03 und C-34/03 – Fabricom ECLI:ECLI:EU:C:2005:127 Rn. 26 ff.) aufgegriffen (vgl. Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, § 124 GWB Rn. 80). Angesichts der vom Gerichtshof der Europäischen Union hervorgehobenen Bedeutung des Grundsatzes der Gleichbehandlung und den sich daraus für den öffentlichen Auftraggeber ergebenden Pflichten, neigt der Senat jedoch zu der Auffassung, dass unabhängig von der Erweiterung des Katalogs der fakultativen Ausschlussgründe in Art. 57 Abs. 4 der RL 2014/24/EU der Grundsatz der Gleichbehandlung weiterhin der Berücksichtigung von Angeboten miteinander verbundener Unternehmen entgegensteht, die weder eigenständig und noch unabhängig sind. Auch wenn zu berücksichtigen sein dürfte, dass die öffentlichen Auftraggeber nach dem Erwägungsgrund 101 der RL 2014/24/EU bei der Anwendung dieser – nur – fakultativen Ausschlussgründe insbesondere dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung tragen sollten, tendiert der Senat dazu, die Vorlagefrage 2 zu verneinen.
Dass die nationale Rechtsprechung in den §§ 123, 124 GWB nach der Gesetzessystematik eine abschließende Regelung sieht (vgl. BGH, Urt. v. 3. Juni 2020, XIII ZR 22/19 – Vergabesperre, ECLI:DE:BGH:2020:030620UXIIIZR22.19.0 Rn. 36 [kein genereller Ausschluss eines Bieters]; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 14. Oktober 2020, VII-Verg 36/19, ECLI:DE:OLGD:2020:1014.VERG36.19.00 Rn. 84 f. [Unzulässigkeit eines auf den Wettbewerbsgrundsatz gestützten Ausschlusses eines Unternehmens]; vgl. auch Kaufmann in Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, § 124 GWB Rn. 8; Stolz in Ziekow/Völlink, 4. Aufl. 2020, GWB § 124 Rn. 1; Summa in Heiermann/Zeiss/Summa, jurisPK-Vergaberecht, 5. Aufl. Stand: 9. April 2021, § 124 GWB, Rn. 4_1), steht nach Auffassung des Senats im Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (vgl. Urt. v. 16. Dezember 2008, C-213/07 – Michaniki, ECLI:ECLI:EU:C:2008:731 Rn. 43), und schließt einen Rückgriff auf den Grundsatz der Gleichbehandlung (§ 97 Abs. 2 GWB) zur Rechtfertigung der Nichtberücksichtigung der Angebote, die von zwei Bietern abgegeben wurden, deren Angebote miteinander abgesprochen oder abgestimmt sind, nicht aus.
bb) Die unter aa) zitierte Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union, nach der Angebote eigenständig und unabhängig abgegeben werden müssen, bezieht sich ausdrücklich auf miteinander verbundene Bieter, die keine wirtschaftliche Einheit bilden (Urt. v. 17. Mai 2018, C-531/16 – Specializuotas transportas, ECLI:ECLI:EU:C:2018:324 Rn. 29 und 33).
Nach Auffassung des Senats steht der Grundsatz der Gleichbehandlung einer Zuschlagerteilung an Bieter, die eine wirtschaftliche Einheit bilden und weder eigenständige noch unabhängige Angebote einreichen können, erst recht entgegen. Es wäre nicht folgerichtig, verbundenen Unternehmen, die keine wirtschaftliche Einheit darstellen, den Zuschlag nur unter der Voraussetzung erteilen zu können, wenn deren Angebote tatsächlich eigenständig und unabhängig sind (EuGH, Urt. v. 17. Mai 2018, C-531/16 – Specializuotas transportas, ECLI:ECLI:EU:C:2018:324 Rn. 40), Unternehmen, die eine wirtschaftliche Einheit bilden und diese Voraussetzung deshalb nicht erfüllen können, dagegen ohne weiteres.
Der Senat schlägt somit vor, die Vorlagefrage 3 zu bejahen.
3. Die zur Vorabentscheidung gestellten Fragen sind aus Sicht des Senats entscheidungserheblich.


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