Europarecht

begehrte Corona-Überbrückungshilfe, Antragstellung für sich selbst, ohne prüfenden Dritten, maßgebliche Verwaltungspraxis, keine Auslegung der Richtlinie durch Gericht, keine Ermessensfehler, keine Willkür, keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

Aktenzeichen  W 8 K 20.2031

Datum:
26.7.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 23774
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayVwVfG Art. 32
BayHO Art. 23
BayHO Art. 44
GG Art. 3
GG Art. 12
Richtlinie für die Gewährung von Überbrückungshilfe des Bundes für kleine und mittelständische Unternehmen – Phase 1 – Überbrückungshilfe I

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe

Die Klage ist als Verpflichtungsklage in Form der Versagungsgegenklage (§ 42 Abs. 1 Hs. 2 Alt. 1 VwGO) statthaft und auch im Übrigen zulässig, aber unbegründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 11. November 2020 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Er hat keinen Anspruch auf die Neubescheidung seines Antrags auf die begehrte Corona-Überbrückungshilfe unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts (§ 113 Abs. 5 Sätze 1 und 2 VwGO).
Die Klage ist unbegründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Neubescheidung seines Antrags auf Gewährung einer Corona-Überbrückungshilfe gemäß der Richtlinie unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts.
Bei Billigkeitsleistungen der vorliegenden Art handelt es sich um freiwillige staatliche Maßnahmen. Eine explizite Rechtsnorm, die konkret einen Anspruch des Klägers auf Bewilligung der beantragten Überbrückungshilfe begründet, existiert nicht. Vielmehr erfolgt die Billigkeitsleistung auf der Grundlage der einschlägigen Richtlinie im billigen Ermessen der Behörde und im Rahmen der dafür im Haushaltsplan besonders zur Verfügung gestellten Ausgabemittel (Art. 53 BayHO). Ein Rechtsanspruch besteht danach nur ausnahmsweise, insbesondere aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) durch eine Selbstbindung der Verwaltung aufgrund einer ständigen Verwaltungspraxis auf Basis der einschlägigen Richtlinie. Die Richtlinie begründet als ermessenslenkende Verwaltungsvorschrift nicht wie Gesetze und Rechtsverordnungen unmittelbar Rechte und Pflichten, sondern entfaltet erst durch ihre Anwendung Außenwirkung. Das Gericht ist somit grundsätzlich an den Zweck der Billigkeitsleistung gebunden, wie ihn der Geber der Leistung versteht. Für die gerichtliche Prüfung der Gewährung einer Billigkeitsleistung gelten deshalb dieselben Grundsätze wie für Zuwendungen, die ebenfalls auf der Grundlage der einschlägigen Förderrichtlinien im billigen Ermessen der Behörde und im Rahmen der verfügbaren Haushaltsmittel (Art. 23, 44 BayHO) erfolgen. Entscheidend für die gerichtliche Prüfung ist, wie die Behörde des zuständigen Rechtsträgers die Verwaltungsvorschrift im maßgeblichen Zeitpunkt in ständiger Praxis gehandhabt hat und in welchem Umfang sie infolgedessen durch den Gleichheitssatz gebunden ist (vgl. BayVGH, U.v. 11.10.2019 – 22 B 19.840 – BayVBl 2020, 365 – juris Rn. 26; U.v. 28.10.1999 – 19 B 96.3964 – juris Rn. 59; VG München, U.v. 19.11.2009 – M 15 K 07.5555 – juris Rn. 30). Ein Anspruch auf die Billigkeitsleistung besteht im Einzelfall über den Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung und den Gleichheitssatz dann, wenn die in der Richtlinie dargelegten Voraussetzungen vorliegen und vergleichbare Anträge in ständiger Verwaltungspraxis der Beklagten auch positiv verbeschieden werden (vgl. BayVGH, U.v. 11.10.2019 – 22 B 19.840 – juris Rn. 26; vgl. auch ausführlich VG Würzburg, U.v. 25.5.2020 – W 8 K 19.1546 – juris sowie B.v. 18.6.2020 – W 8 E 20.736 – juris).
Dabei dürfen solche Richtlinien nicht – wie Gesetze oder Verordnungen – gerichtlich ausgelegt werden, sondern sie dienen nur dazu, eine dem Gleichheitsgrundsatz entsprechende Ermessensausübung der Behörde zu gewährleisten (BayVGH, B.v. 18.5.2020 – 6 ZB 20.438 – juris). Da Richtlinien keine Rechtsnormen sind, unterliegen sie auch grundsätzlich keiner richterlichen Interpretation. Eine Überprüfung hat sich darauf zu beschränken, ob aufgrund der einschlägigen Richtlinien überhaupt eine Verteilung öffentlicher Mittel vorgenommen werden kann (Vorbehalt des Gesetzes) und bejahendenfalls, ob bei Anwendung der Richtlinien in Einzelfällen, in denen die begehrte Leistung versagt worden ist, der Gleichheitssatz (Art. 3 GG) verletzt oder der Rahmen, der durch die gesetzliche Zweckbestimmung gezogen ist, nicht beachtet worden ist (vgl. BVerwG, U.v. 26.4.1979 – 3 C 111/79 – juris).
Bei der rechtlichen Beurteilung staatlicher Billigkeitsmaßnahmen, die wie hier nicht auf Rechtsnormen, sondern lediglich auf verwaltungsinternen ermessenslenkenden Vergaberichtlinien beruhen, kommt es damit nicht auf eine objektive Auslegung der Richtlinien an, sondern grundsätzlich nur darauf, wie die ministeriellen Vorgaben von der zuständigen Stelle tatsächlich verstanden und praktiziert worden sind (vgl. BayVGH, U.v. 10.12.2015 – 4 BV 15.1830 – juris Rn. 42 m.w.N.). Die Beklagte bestimmt im Rahmen des ihr eingeräumten Ermessens darüber, welche Ausgaben sie der Billigkeitsleistung zuordnet. Insoweit hat sie auch die Interpretationshoheit über die maßgeblichen Verwaltungsvorschriften (vgl. BayVGH, B.v. 17.11.2010 – 4 ZB 10.1689 – juris Rn. 19 m.w.N.), so dass es allein darauf ankommt, wie die administrative Binnenvorschrift im maßgeblichen Zeitpunkt in ständiger Praxis gehandhabt wurde.
Der maßgebliche Zeitpunkt für die Bewertung der Voraussetzungen der Gewährung der Überbrückungshilfe ist des Weiteren nicht der Zeitpunkt der Antragstellung durch den Kläger und auch nicht der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts. Dem materiellen Recht folgend, dass hier vor allem durch die Richtlinie und deren Anwendung durch die Beklagte in ständiger Praxis vorgegeben wird, ist vielmehr auf den Zeitpunkt des Bescheidserlasses abzustellen (vgl. BayVGH, B.v. 18.5.2020 – 6 ZB 20.438 – juris m.w.N.), so dass neuer Tatsachenvortrag oder die Vorlage neuer Unterlagen im Klageverfahren irrelevant wären (vgl. VG Weimar, U.v. 17.9.2020 – 8 K 609/20 – juris Rn. 26; VG München, B. v. 25.6.2020 – M 31 K 20.2261 – juris Rn. 19; siehe auch VG Würzburg, U.v. 8.2.2021 – W 8K 20.1180 – juris Rn 27 u. 50 zu Stichtagsregelung bei Baukindergeld).
Die Richtlinie setzt Maßstäbe für die Verteilung der staatlichen Hilfen und regelt insoweit die Ermessenshandhabung. Die Ermessensbindung reicht jedoch nur so weit wie die festgestellte tatsächliche ständige Verwaltungspraxis. Die gerichtliche Überprüfung erfolgt nur im Rahmen des § 114 VwGO. Wie oben bereits ausgeführt hat das Gericht nicht die Befugnis zu einer eigenständigen oder gar erweiternden Auslegung der Richtlinien (vgl. SaarlOVG, B.v. 28.5.2018 – 2 A 480/17 – juris; OVG SH, U.v. 17.5.2018 – 3 LB 5/15 – juris; OVG NW, B.v. 29.5.2017 – 4 A 516/15 – juris; HessVGH, U.v. 28.6.2012 – 10 A 1481/11 – juris).
Art. 3 Abs. 1 GG gebietet eine gleichmäßige Verwaltungspraxis. Dazu gehört das Verbot einer nicht durch sachliche Unterschiede gerechtfertigten Differenzierung zwischen verschiedenen Sachverhalten bei der Förderung (BayVGH, U.v. 11.10.2019 – 22 B 19.840 – juris Rn. 32). Geboten ist so eine bayernweit gleichmäßige und willkürfreie Mittelverteilung. Nicht erlaubt ist eine uneinheitliche und damit objektiv willkürliche Förderpraxis (vgl. BayVGH, U.v. 25.7.2013 – 4 B 13.727 – DVBl 2013, 1402). Dabei steht dem Richtliniengeber frei, sich für eine bestimmte Verwaltungspraxis zu entscheiden und diese zu handhaben. Die Willkürgrenze wird selbst dann nicht überschritten, wenn es auch für eine alternative Förderpraxis gute Gründe gäbe. Eine Verletzung des Willkürverbots liegt mithin nur dann vor, wenn die maßgeblichen Kriterien unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar wären und sich daher der Schluss aufdrängen würde, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruhten (vgl. VG Köln, G.v. 17.8.2015 – 16 K 6804/14 – juris m.w.N.; siehe auch VG Würzburg, U.v. 25.5.2020 – W 8 K 19.1546 – juris).
Aufgrund des freiwilligen Charakters der Hilfen und dem weiten Ermessen des Gebers bei der Aufstellung von Richtlinien zur Gewährung von Hilfen, ist eine entsprechende Nachprüfung nur im Hinblick auf eine möglicherweise willkürliche Ungleichbehandlung potentieller Hilfeempfänger eröffnet, nicht aber in Form einer Verhältnismäßigkeitsprüfung (vgl. BVerwG, U.v. 14.3.2018 – 10 C 1/17 – juris Rn. 15 ff. m.w.N. zur Rechtsprechung des BVerfG; VG München, U.v. 28.8.2019 – M 31 K 19.203 – juris Rn. 15).
Ausgangspunkt ist die ständige Verwaltungspraxis in vergleichbaren Fällen, sofern sie nicht im Einzelfall aus anderen Gründen zu rechtswidrigen Ergebnissen führt. Spielraum für die Berücksichtigung der Besonderheiten atypischer Fälle muss bleiben (Ramsauer in Kopp/Ramsauer, VwVfG, 21. Aufl. 2020, § 40 Rn. 42 ff.; Schenke/Ruthig in Kopp/Schenke, VwGO 27. Aufl. 2021, § 114 Rn. 41 ff.).
So dürfen im Einzelfall keine sachlichen Gründe für das Abweichen von der Behördenpraxis bestehen. Ermessenslenkende Verwaltungsvorschriften dürfen nur für den Regelfall gelten und müssen Spielraum für die Berücksichtigung der Besonderheiten atypischer Fälle lassen. Ein derartiger atypischer Fall ist dann gegeben, wenn der konkrete Sachverhalt außergewöhnliche Umstände aufweist, deren Besonderheiten von der ermessenslenkenden Vorschrift nicht hinreichend erfasst und von solchem Gewicht sind, dass sie eine von der im Regelfall vorgesehenen Rechtsfolge abweichende Behandlung gebieten (OVG NW, B.v. 29.5.2017 – 4 A 516/15 – juris).
Mangels gesetzlicher Anspruchsgrundlage steht dem Kläger demnach nur ein Anspruch auf fehlerfreie Ermessensentscheidung zu. Bei der dem Gericht gemäß § 114 VwGO beschränkt möglichen Überprüfung der Ermessensentscheidung ist der ablehnende Bescheid vom 11. November 2020 im Ergebnis nicht zu beanstanden. Die Beklagte hat insbesondere den Rahmen, der durch die haushaltsrechtliche Zweckbestimmung gezogen wurde, eingehalten, und insbesondere das Willkürverbot und das Gebot des Vertrauensschutzes nicht verletzt.
Ausgehend von den dargelegten Grundsätzen und rechtlichen Vorgaben ist festzustellen, dass es der Förderpraxis der Beklagten entspricht, für einen wirksamen Antrag auf eine Antragstellung durch einen prüfenden Dritten abzustellen, wobei die Antragstellung des prüfenden Dritten für sich selbst jedoch ausgeschlossen ist. Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte in anderen vergleichbaren Fällen anders verfahren wäre, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
Zwar ist der Kläger als rechtsanwaltliches Unternehmen grundsätzlich antragsberechtigt nach Nr. 2.1 der Richtlinie. Jedoch fehlt es an der weiteren Voraussetzung nach Nr. 6.1 der Richtlinie, wonach die Antragstellung ausschließlich elektronisch von einem vom Antragsteller beauftragten Steuerberater, Rechtsanwalt, Wirtschaftsprüfer oder vereidigten Buchprüfer (prüfenden Dritten) erfolgt. Nähere Hinweise hierzu finden sich in den FAQ zur „Corona-Überbrückungshilfe I für kleine und mittelständische Unternehmen“ – im Folgenden „FAQ“ (abrufbar unter https://www.ueberbrueckungshilfe-unternehmen.de/UBH/Redaktion/DE/FAQ/FAQs/faq-liste-01.html), die nach dem Vortrag des Beklagtenbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung auch als interne Verwaltungsvorschrift dienen. Nach Nr. 3.1 dieser FAQ ist der Antrag zwingend durch einen prüfenden Dritten im Namen des Antragsstellers einzureichen. Eine Antragsstellung ohne prüfenden Dritten ist nicht möglich. Nach Nr. 3.3 der FAQ ist die Antragstellung eines prüfenden Dritten für sich selbst ausgeschlossen.
Der Kläger hat seinen Antrag vom 5. Oktober 2020 jedoch für sich selbst und nicht durch einen prüfenden Dritten stellen bzw. bestätigen lassen.
Die Beklagte hat in der Klageerwiderung nachvollziehbar ausgeführt, dass das auf Schnelligkeit angelegte Masseverfahren darauf angelegt sei, dass eine inhaltliche Überprüfung der im Antrag gemachten Angaben durch die Bewilligungsstelle im Regelfall nicht erfolge. Vielmehr werde diese inhaltliche Prüfung an den hinzugezogenen prüfenden Dritten übertragen, der zum einen beruflich besonders für eine solche Überprüfung qualifiziert sei und zum anderen für die korrekte Antragstellung hafte. Diese Prüffunktion wäre nicht gewährleistet, würde auch eine Antragstellung in eigener Sache akzeptiert.
Aus Nr. 6.2 Satz 4 der Richtlinie ergibt sich damit übereinstimmend, dass der mit der Durchführung der Antragstellung beauftragte prüfende Dritte die Angaben des Antragstellers zu Identität und Antragsberechtigung des Antragstellers und insbesondere die Plausibilität der Angaben nach Satz 2 (Umsatzrückgang, Prognose der Höhe der betrieblichen Fixkosten und der voraussichtlichen Umsatzentwicklung für den jeweiligen Leistungsmonat) bestätigen muss. Wie oben bereits ausgeführt, darf eine gerichtliche Auslegung der einschlägigen Richtlinie nicht erfolgen. Das Vorbringen des Klägers in der mündlichen Verhandlung, „prüfender Dritter“ sei als Oberbegriff zu verstehen und damit nach der Richtlinie eine Antragstellung für sich selbst möglich, stellt jedoch eine solche unzulässige Auslegung dar und kann hier folglich dahinstehen. Nach Nr. 7.1 Satz 2 der Richtlinie darf die Bewilligungsstelle auf die vom prüfenden Dritten im Antrag gemachten Angaben vertrauen, soweit es keine Anhaltspunkte für Unvollständigkeit oder Fehlerhaftigkeit der Angaben gibt. Der Beklagtenbevollmächtigte hat in der mündlichen Verhandlung ergänzend dargelegt, dass dieses Verfahren in Bezug auf die Antragstellung ein hohes Maß an Objektivität und die Freiheit von Konflikten erfordere, während es bei der Antragstellung „für sich selbst“ ein gewisses Konfliktpotential gebe.
Die dargestellte Verwaltungspraxis begegnet insoweit keinen rechtlichen Bedenken. Sie ist insbesondere ermessensfehler- und willkürfrei.
Die Beklagte hat vorliegend zum Ausdruck gebracht, dass es der ständigen Verwaltungspraxis entspricht, dass prüfende Dritte für sich selbst keinen Antrag stellen können. Auch vor dem Hintergrund von § 1 BRAO, wonach der Rechtsanwalt ein unabhängiges Organ der Rechtspflege ist, und § 3 Abs. 1 BRAO, wonach der Rechtsanwalt der berufene unabhängige Berater und Vertreter in allen Rechtsangelegenheiten ist, ist eine derartige Verwaltungspraxis jedenfalls nicht willkürlich, da hierfür sachgerechte und vertretbare Gründe von der Beklagten vorgebracht wurden.
Zwar ist im deutschen Recht z.B. im Verfahren vor der Verwaltungsgerichtsbarkeit die anwaltliche Selbstvertretung grundsätzlich zulässig (vgl. § 68 Abs. 4 Satz 8 VwGO). Dies bedeutet jedoch nicht automatisch, dass dies auch im Rahmen der Antragstellung für eine Billigkeitsleistung gelten muss. So ist etwa auch im Strafrecht die Selbstbestellung zum Verteidiger in eigener Sache im Rahmen eines Strafverfahrens ausgeschlossen (BeckOK StPO, 39. Ed. 1.1.2021, Wessing § 138 Rn. 7 und Krawczyk § 140 Rn. 3) und im europäischen Unionsrecht ist eine Selbstvertretung von Anwälten vor den Unionsgerichten grundsätzlich nicht möglich (Wägenbaur, EuGH VerfO, 2. Aufl. 2017; Art. 19 Rn. 8; Groeben, von der /Schwarze/Wolfgang Rosch, EuGH-Satzung, 7. Aufl. 2015, Art. 19 Rn. 13; vgl. EuG, B.v. 8.12.1999 – T-79/99 – juris Rn. 27 ff.).
Für den Schluss auf eine willkürliche Fassung oder Handhabung der Richtlinie bestehen damit unter Berücksichtigung dieser Ausführungen keine triftigen Anhaltspunkte. Der Ausschluss der Selbstvertretung des prüfenden Dritten dient der Beschleunigung des Bewilligungsverfahrens. Der Kläger wird so nicht anders behandelt als andere Antragsteller, die ebenfalls grundsätzlich prüfende Dritte sein können. Infolgedessen liegt auch keine Ungleichbehandlung, sondern eine Gleichbehandlung wie in vergleichbaren Fällen vor. Abgesehen davon gäbe es keine Gleichheit im Unrecht.
Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht im Hinblick auf die Berufsausübungsfreiheit des Rechtsanwalts nach Art. 12 GG. Ein Eingriff wäre nämlich jedenfalls dann gerechtfertigt, wenn vernünftige Gründe des Allgemeinwohls gegeben sind. Dies ist hier – wie bereits dargelegt – der Fall.
In der vorliegenden Konstellation ist kein atypischer Ausnahmefall gegeben, der eine abweichende Entscheidung des Beklagten hätte gebieten müssen (vgl. OVG NRW, B.v. 29.5.2017 – 4 A 516/15 – juris), weil der konkrete Sachverhalt keine außergewöhnlichen Umstände aufweist, die von der Richtlinie und der darauf basierenden Verwaltungspraxis nicht erfasst werden und von solchem Gewicht sind, dass sie eine von der im Regelfall vorgesehenen Rechtsfolge abweichende Behandlung gebieten. Denn das von der Beklagten praktizierte durchgängige Abstellen auf die Antragstellung durch einen vom Antragsteller verschiedenen prüfenden Dritten ist keine atypische Besonderheit, die eine abweichende Behandlung gebietet, sondern gängige Praxis in einer typischen Fallkonstellation. So liegt kein atypischer Ausnahmefall vor, sondern eine Fallgestaltung, die offenkundig häufiger vorkommt und nach der Ausgestaltung des praktizierten Bewilligungsverfahrens nicht zu einer Gewährung der Billigkeitsleistung führen soll.
Ferner hat der Kläger keinen Anspruch auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Bezug auf die am 30. November 2020 abgelaufene Frist für Änderungsanträge nach Art. 32 Abs. 1 BayVwVfG.
Es ist schon fraglich, ob auf durch Verwaltungsvorschriften festgelegte Fristen trotz des eindeutigen Wortlautes des Art. 32 Abs. 1 BayVwVfG („gesetzliche Frist“) in analoger Anwendung die Grundsätze der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand überhaupt zur Anwendung kommen können (ausdrücklich offen gelassen BayVGH, B.v. 17.12.2009 – 3 CE 09.2494 – juris; VG Ansbach, U.v.1.12.2020 – AN 3 K 19.02073 – juris Rn. 45 f.). Dies wäre allenfalls denkbar, wenn es – anders als hier – eine entsprechende Verwaltungspraxis mit Selbstbindung der Bewilligungsstelle gäbe (vgl. Ramsauer in Kopp/Ramsauer, VwVfG, 21. Auflage 2020, § 32 Rn. 7 ff. u. 16).
Unabhängig davon lagen die Voraussetzungen für die Gewährung von einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß Art. 32 BayVwVfG nicht vor. Danach ist der Antrag innerhalb von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses unter Glaubhaftmachung der Hinderungsgründe zu stellen, wobei die versäumte Handlung innerhalb der Antragsfrist nachzuholen ist, Art. 32 Abs. 2 BayVwVfG. Der Kläger trägt in der Klageschrift vor, der Punkt der FAQ zum Ausschluss der Selbstvertretung sei nicht bekannt gewesen, so dass vorsorglich Wiedereinsetzung beantragt werde. Der Kläger wurde jedoch bereits über die Onlineplattform am 6. November 2020 auf die fehlende Antragstellung durch einen prüfenden Dritten hingewiesen und spätestens mit Zugang des streitgegenständlichen Bescheids. Die Frist für Änderungsanträge bis zum 30. November 2020 war dem Kläger selbst bei Berücksichtigung der Tatsache, dass der Kläger die E-Mail der Beklagten vom 30. November 2020 erst am 21. Juli 2021 im SPAM Ordner ausfindig gemacht hat, spätestens mit Zusendung der Klageerwiderung vom 13. Januar 2021 bekannt. Eine Nachholung in Form der Antragstellung durch einen prüfenden Dritten ist jedoch weder bislang noch innerhalb von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses erfolgt.
Nach alledem war die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.


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