Europarecht

Berufung, Kaufpreis, Revision, Fahrzeug, Sittenwidrigkeit, Staatsanwaltschaft, Kommission, Rechtsmittel, Gebrauchtwagen, Verfahren, Haftung, Arglist, Rechtsverfolgung, Fortbildung des Rechts, Aussicht auf Erfolg, Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung

Aktenzeichen  21 U 1887/21

Datum:
13.9.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 54385
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

31 O 2113/20 2021-03-26 LGINGOLSTADT LG Ingolstadt

Tenor

1. Die Berufung der Klagepartei gegen das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 26.03.2021, Aktenzeichen 31 O 2113/20, wird zurückgewiesen.
2. Die Klagepartei hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Ingolstadt ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klagepartei kann die Vollstreckung durch die Beklagte durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 24.762,62 € festgesetzt.

Gründe

Die Klagepartei begehrt die Rückabwicklung eines Kaufvertrags über einen …, 180 kW, den sie am 04.07.2017 als Gebrauchtwagen mit einem Kilometerstand von 180.000 km zu einem Kaufpreis von 31.000,00 € erworben hat.
Die Beklagte ist die Herstellerin des Fahrzeugs und des Motors. Das Fahrzeug ist mit einem 3.0 Liter 6-Zylinder Dieselmotor der Schadstoffklasse Euro 5 ausgestattet. Die Abgasreinigung erfolgt im streitgegenständlichen Fahrzeug über die Abgasrückführung. Dabei wird ein Teil der Abgase wieder der Verbrennung im Motor zugeführt, was zu einer Verringerung der Stickoxidemissionen führt. Die Abgasrückführung wird innerhalb eines bestimmten Temperaturfensters reduziert („Thermofenster“). Das Fahrzeug verfügt nicht über einen SCR-Katalysator und verbraucht daher auch kein AdBlue. Der Monoturbo-Motor war bislang nicht von einer verpflichtenden Rückrufaktion des Kraftfahrtbundesamts (im Folgenden KBA) betroffen. Es wird aber ein freiwilliges Software-Update angeboten.
Mit Urteil vom 26.03.2021 hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Das freiwillige Software-Update sei für sich genommen kein hinreichender Anhaltspunkt. Der Vortrag hinsichtlich der behaupteten Abschalteinrichtungen sei nicht hinreichend substantiiert. Zum Thermofenster fehle es an Vortrag zur Sittenwidrigkeit. Hinsichtlich der Urteilsgründe im Einzelnen wird auf das Urteil verwiesen. Auch hinsichtlich der festgestellten Tatsachen wird auf das Urteil Bezug genommen, § 540 ZPO, sowie auf den Hinweisbeschluss des Senats vom 26.07.2021.
Die Klagepartei hat Berufung gegen das Urteil eingelegt. Das Landgericht verkenne die sekundäre Darlegungslast der Beklagten. Die Klagepartei habe die Abschalteinrichtungen hinreichend genau beschrieben. Die Beklagte habe dem KBA das unzulässige Thermofenster in seiner konkreten Bedatung nicht offengelegt. Auch die Lenkwinkelerkennung sei dem KBA nicht offen gelegt worden. Messergebnisse des BMVI und der DUH zeigten deutliche Überschreitungen der Grenzwerte und belegten unzulässige Abschalteinrichtungen.
Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Berufungsbegründung vom 28.05.2021, Bl. 268 ff d.A.) verwiesen.
Der Kläger beantragt unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Ingolstadt, Az. 31 O 2113/20, verkündet am 26.03.2021 und zugestellt am 29.03.2021 zu erkennen:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerpartei EUR 31.000,00 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.08.2020 abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von EUR 6.237,38 Zugum-Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs … mit der Fahrgestellnummer … zu zahlen.
2. Es wird festgestellt dass sich die Beklagte seit dem 01.08.2020 mit der Rücknahme des im Klageantrag zu 1. bezeichneten Gegenstands in Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von EUR 1.899,24 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.08.2020 zu zahlen.
Hilfsweise:
4. Das Urteil des Landgerichts Ingolstadt, Az 31 O 2113/20, verkündet am 26.03.2021 und zugestellt am 29.03.2021, wird aufgehoben und zur erneuten Verhandlung an das Landgericht zurückverwiesen.
Hilfsweise:
5. Die Revision wird zugelassen.
Die Beklagte beantragt die Berufung zurückzuweisen.
Sie hat auf die Berufung noch nicht erwidert.
Mit Beschluss vom 26.07.2021 (Bl. 316 ff d.A.) hat der Senat darauf hingewiesen, dass die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat.
Die Klagepartei hält mit Schriftsatz vom 19.08.2021 an ihrem Begehren fest und trägt vor, der Senat verkenne offensichtlich die entgegenstehenden Entscheidungen anderer Gerichte. Der Bundesgerichtshof habe mit Urteil vom 13.07.2021, Az. VI ZR 128/20 entschieden, dass die Behauptung einer Prüfstandssoftware, wie sie die Klagepartei vorgetragen habe, als greifbarer Anhaltspunkt für ein sittenwidriges Verhalten grundsätzlich in Betracht kommt. Die Angaben des Klägers gingen weit über die Einführung lediglich vermuteter Tatsachen hinaus. Der klägerische Verweis auf den offiziellen Rückrufbescheid zu den Modellen (…), … und … mit EU 5 Abgasnorm (Rückrufcode 23X6) erfolge vor dem Hintergrund, dass in diesen Fahrzeugen der identische Serienmotor verbaut sei wie im streitgegenständlichen Fahrzeug, nämlich 896Gen2. Es bestehe mithin mehr als nur ein vager Verdacht, dass das streitgegenständliche Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung in Form der Lenkwinkelerkennung enthalte. Sie verweist nochmals auf das Sachverständigengutachten vor dem Landgericht Bielefeld. Zudem habe das KBA wegen des Emissionsverhaltens des streitgegenständlichen Motors ein Anhörungsverfahren eingeleitet.
Für die Beurteilung, ob es sich bei der dargestellten Abschalteinrichtung um eine unzulässige handle, komme es auf eine etwaige Entscheidung des KBA nicht an, dessen Entscheidung keine Bindungswirkung für das vorliegende Verfahren entfalteten. Zudem habe das KBA ein falsches Rechtsverständnis und missachte die Leitlinien der europäischen Kommission vom 26.01.2017. Es bedürfe einer Analyse der A2L-Beschreibungsdatei, um eine zyklusnahe Bedatung einer Abschalteinrichtung zu erkennen.
Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 26.03.2021, Aktenzeichen 31 O 2113/20, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
Zur Begründung wird auf den vorausgegangenen Hinweis des Senats vom 26.07.2021 Bezug genommen. Frau Richterin am Oberlandesgericht …, die an dem Hinweisbeschluss nicht beteiligt war, tritt diesem vollumfänglich bei.
1. Aus dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 13.07.2021 ergibt sich nicht, dass der Vortrag der Klagepartei im vorliegenden Verfahren in Bezug auf unzulässige Abschalteinrichtungen – mit Ausnahme des unstreitig vorhandenen Thermofensters – hinreichend substantiiert wäre. Der Senat hat die Anforderungen auch unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung, zuletzt BGH, Urteil vom 13.07.2021, Az. VI ZR 128/20, aber auch Beschluss des BGH vom 28.01.2020, Az. VIII ZR 57/19, nicht überspannt. In beiden Entscheidungen gab es – anders als hier – greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung. Im Verfahren VIII ZR 57/19 gab es schon einen Rückruf des dortigen Motors OM 651 und Ermittlungen der Staatsanwaltschaft. Im Verfahren VI ZR 128/20 werden insoweit Presseberichte, ein formelles Anhörungsverfahren des KBA gerade wegen der behaupteten Abschalteinrichtung sowie später erfolgte amtliche Rückrufe des KBA wegen des dort streitgegenständlichen Motors vom Typ OM 651 genannt. Zudem wird ausgeführt, dass die Beklagte dort selbst mitgeteilt habe, dass das KBA einen weiteren Rückrufbescheid für eine sechsstellige Zahl an Mercedes Benz-Fahrzeugen mit OM 651-Dieselmotor und Euro-5-Norm erlassen habe.
Derartige Indizien für das Vorliegen einer oder mehrerer unzulässiger Abschalteinrichtungen in dem hier streitgegenständlichen Fahrzeug liegen indessen hier nicht vor. Anhaltspunkte dafür, dass die vom KBA zurückgerufenen Fahrzeuge einen identischen Motor mit identischer Softwarekonfiguration wie das streitgegenständliche Fahrzeug haben, zeigt die Klagepartei nicht auf und sind auch sonst nicht ersichtlich.
Im Einzelnen:
a) Wie bereits im Hinweisbeschluss dargelegt, ergeben sich keine Anknüpfungspunkte aus dem Rückruf 23X6, dem ganz unterschiedliche Sachverhalte zugrunde liegen und von dem das streitgegenständliche Fahrzeug nicht erfasst ist. Soweit die Klagepartei nunmehr der Beklagten dahingehend zustimmt, dass in dem streitgegenständlichen Fahrzeug ein Motor EA 986 Gen2 verbaut sei, führt dies ebenfalls nicht zu einem Anhaltspunkt. Die Klagepartei bezieht sich auf einen Rückruf von Fahrzeugen (…), … und …, die mit dem Motor EA 896 Gen2 ausgestattet sind und einem Rückruf wegen einer Lenkwinkelerkennung unterliegen. Im Hinblick auf den Vortrag zur Lenkwinkelerkennung wird auf den Hinweisbeschluss unter II.3. verwiesen. Zudem betrifft der Rückruf unter der Nr. 7130 ausweislich seiner korrigierten Fassung in der Rückrufdatenbank des Kraftfahrtbundesamtes eine Konformitätsabweichung und nicht eine unzulässige Abschalteinrichtung. Damit ist das streitgegenständliche Fahrzeug (Modell Q7) nicht nur nicht von dem Rückruf betroffen, sondern der dem Rückruf zugrunde liegende Sachverhalt bildet auch im Übrigen keinen Anhaltspunkt für eine sittenwidrige Schädigung durch eine unzulässige Abschalteinrichtung.
b) Zu dem Vortrag eines Sachverständigengutachtens vor dem LG Bielefeld bleibt es dabei, dass es sich hier um ein anderes Modell handelt und das unstreitig vorhandene Thermofenster die Messergebnisse beeinflusst, so dass diese nicht als hinreichendes Indiz für eine unzulässige Abschalteinrichtung ausreichen.
c) Auch die Durchführung eines Anhörungsverfahrens begründet, wie im Hinweisbeschluss dargelegt, keinen greifbaren Anhaltspunkt.
2. Die Ausführungen der Klagepartei zum Prüfungsumfang und Prüfungsmethode des KBA und dessen Rechtsverständnis führen hier nicht weiter. Der Senat mag an die Entscheidung der Behörde, ob eine unzulässige Abschalteinrichtung vorliegt nicht gebunden sein, das befreit die Klagepartei aber nicht von der Pflicht zu einem substantiierten Vortrag, dass die Beklagte eine unzulässige Abschalteinrichtung im streitgegenständlichen Fahrzeug implementiert hat, die das Merkmal der Arglist in sich trägt oder bezüglich der aufgrund anderer Umstände auf ein täuschungsgleiches Verhalten der Mitarbeiter der Beklagten geschlossen werden kann. Daran fehlt es hier. Insofern kommt es auch auf die Ausführungen des Dipl.-Ing. (FH) … nicht an, dass die Analyse nur anhand der A2L Beschreibungsdatei die „einzig prozessökonomisch“ zielführende Methode zur Überprüfung von Abschalteinrichtungen sei.
Auf die Leitlinien der Europäischen Kommission vom 26.01.2017 (C[2017] 352 final), Anlage BB 10, kommt es hier ebenfalls nicht entscheidungserheblich an, weil die Höhe der von einem Fahrzeug ausgestoßenen Emissionen für sich genommen noch kein Indiz für das Vorliegen einer evident unzulässigen, von vornherein durch Arglist geprägten Abschalteinrichtung darstellt, die eine Haftung nach § 826 BGB begründen könnte. Die zum Zeitpunkt des Typgenehmigungsverfahrens (Erstzulassung des Fahrzeugs war bereits 2013) geltende Prüfung Typ I erfolgte im NEFZ und nicht im Straßenverkehr. Ausweislich der Leitlinien der Kommission vom 26.01.2017 sollen daher Informationen über die Emissionen von Fahrzeugen im tatsächlichen Betrieb für Fahrzeuge, die vor den RDE-Verordnungen typengenehmigt wurden, nicht zur Grundlage dienen, um das Vorhandensein einer Abschalteinrichtung zu bestätigen.
3. Auch in der Gesamtschau ergeben sich keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine sittenwidrige Schädigung des Klägers durch die Beklagte. Eine Beweisaufnahme ist nicht veranlasst.
4. Einer Entscheidung durch Beschluss steht auch nicht § 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 2/3 ZPO entgegen. Die maßgeblichen Rechtsfragen zur Haftung in der Folge des Dieselabgasskandals sind höchstrichterlich geklärt (u.a. BGH, Entscheidungen vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19, 30.07.2020, Az.: VI ZR 5/20, vom 08.12.2020, Az.: VI ZR 244/20, vom 23.03.2021, Az.: VI ZR 1180/20, vom 19.01.2021, Az.: VI ZR 433/19, vom 09.03.2021, Az.: VI ZR 889/20, vom 13.07.2021, Az. VI ZR 128/20). Es ist Aufgabe der Instanzgerichte, diese Rechtsgrundsätze auf den jeweils vorliegenden Sachverhalt anzuwenden. Divergierende Ergebnisse aufgrund der Würdigung des jeweils vorgetragenen Sachverhalts in tatsächlicher Hinsicht begründen indes keine Divergenz i.S. des § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, 522 Abs. 2 ZPO. Von einer Divergenz in diesem Sinne ist vielmehr nur dann auszugehen, wenn den Entscheidungen sich widersprechende abstrakte Rechtssätze zugrunde liegen (BGH, Beschluss vom 09.07.2007, Az.: II ZR 9506, Rdnr. 2). Dies ist auch im Hinblick auf die von der Klagepartei zuletzt herangezogene Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 13.07.2021 nicht der Fall.
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48 GKG bestimmt.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben