Europarecht

Besteuerung der Einkünfte aus einer nichtselbständigen Arbeit

Aktenzeichen  10 K 1057/18

Datum:
25.4.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
EFG – 2019, 1167
Gerichtsart:
FG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Finanzgerichtsbarkeit
Normen:
AO § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2
GG Art. 80 Abs. 1
BGB § 1353

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision wird zugelassen.

Gründe

II.
Die Klage ist unbegründet.
Die Ablehnung einer Billigkeitsmaßnahme durch das FA ist nicht rechtswidrig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf eine abweichende Festsetzung der Einkommensteuer.
1. Nach § 163 Satz 1 AO kann eine Steuer u.a. niedriger festgesetzt werden, wenn ihre Erhebung nach Lage des einzelnen Falles unbillig ist. Die Unbilligkeit der Erhebung einer Steuer, an die § 163 AO die Möglichkeit einer abweichenden Steuerfestsetzung knüpft, kann sich aus sachlichen oder aus persönlichen Gründen ergeben, wobei die Beteiligten des Streitfalles zu Recht nur um die erste Variante streiten. Sachlich unbillig ist die Festsetzung einer Steuer, wenn sie zwar äußerlich dem Gesetz entspricht, aber den Wertungen des Gesetzgebers im konkreten Einzelfall derart zuwiderläuft, dass die Steuererhebung als unbillig erscheint, d.h., dass nach dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers angenommen werden kann, dass der Gesetzgeber die zu entscheidende Frage im Sinne der beabsichtigten Billigkeitsmaßnahme geregelt hätte, wenn er sie geregelt hätte (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Urteile vom 26. Mai 1994 IV R 51/93, BStBl II 1994, 833; vom 19. März 2009 V R 48/07, BStBl II 2010, 92).
Die abweichende Steuerfestsetzung ist eine Maßnahme der finanzbehördlichen Billigkeit im Steuerschuldverhältnis, über die in einem vom Steuerfestsetzungsverfahren gesonderten Verfahren durch eigenständigen Verwaltungsakt zu entscheiden ist. Dieser Verwaltungsakt unterliegt, wenn die begehrte Billigkeitsmaßnahme abgelehnt wurde, nur einer eingeschränkten gerichtlichen Überprüfung (§ 102 der Finanzgerichtsordnung – FGO -); diese beschränkt sich darauf, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens nicht beachtet wurden oder Ermessen fehlerhaft ausgeübt wurde.
Ist eine Finanzbehörde ermächtigt, nach ihrem Ermessen zu handeln, hat sie ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten (§ 5 AO). Vorgesetzte Dienststellen können dazu ermessenslenkende Verwaltungsvorschriften erlassen, die unter dem Gesichtspunkt der Selbstbindung der Verwaltung und damit der Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes – GG -) von Bedeutung sein können; das gilt aber nur, wenn sich die in ihnen getroffenen Regelungen innerhalb der Grenzen halten, die das GG und die Gesetze der Ausübung des Ermessens setzen. Deshalb muss bei einer Billigkeitsrichtlinie die getroffene Regelung Recht und Billigkeit entsprechen (z.B. BFH-Urteil vom 19. März 2009 V R 48/07, BStBl II 2010, 92).
Für die Auslegung einer ermessenslenkenden Verwaltungsvorschrift ist nicht maßgeblich, wie das Gericht eine solche Verwaltungsanweisung versteht, sondern wie die Verwaltung sie verstanden hat und verstanden wissen wollte. Das Gericht darf daher solche Verwaltungsanweisungen nicht selbst auslegen, sondern nur darauf überprüfen, ob die Auslegung durch die Behörde möglich ist (z.B. BFH-Urteil vom 13. Januar 2005 V R 35/03, BStBl II 2005, 460).
Nur ausnahmsweise kann ein Gericht eine Verpflichtung zum Erlass aussprechen, nämlich dann, wenn der Ermessensspielraum der Finanzbehörde derart eingeschränkt ist, dass nur eine einzige Entscheidung als ermessensgerecht in Betracht kommt (sog. „Ermessensreduzierung auf Null“; ständige Rechtsprechung des BFH, vgl. z.B. BFH-Urteil vom 26. Oktober 1994 X R 104/92, BStBl II 1995, 297).
2. Im Streitfall ist das FA zwar zu Unrecht davon ausgegangen, dass § 18 Abs. 2 KonsVerCHEV keine Billigkeitsregelung ist. Jedoch war – soweit das FA in seiner Entscheidung hilfsweise von der Anwendung des § 18 Abs. 2 KonsVerCHEV als Billigkeitsregelung ausgegangen ist – die vom FA vorgenommene Auslegung der ermessenslenkenden Verwaltungsvorschrift möglich.
a) Das FA ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass § 18 Abs. 2 KonsVerCHEV keine Billigkeitsregelung ist.
aa) Nach Art. 4 Abs. 4 DBA-Schweiz (dem nach Art. 15a Abs. 1 Satz 4 DBA-Schweiz Vorrang vor der Grenzgängerregelung eingeräumt wird) kann unter bestimmten Voraussetzungen eine von Deutschland in die Schweiz verzogene Person u.a. im Jahr des Wegzugs mit ihren aus Deutschland stammenden Einkünften in Deutschland besteuert werden. Diese Bestimmungen gelten nicht, wenn die natürliche Person in der Schweiz ansässig geworden ist, um hier eine echte unselbständige Arbeit für einen Arbeitgeber auszuüben, an dem sie über das Arbeitsverhältnis hinaus weder unmittelbar noch mittelbar durch Beteiligung oder in anderer Weise wirtschaftlich wesentlich interessiert ist.
Inhalt der Regelung ist eine Verzögerung der Gewährung der Abkommensvorteile für den sog. Wegzügler, um einer „Steuerflucht“ entgegenzuwirken (BFH-Urteil vom 2. September 2009 I R 111/08, BStBl II 2010, 387).
Nach § 18 Abs. 2 KonsVerCHEV ist die Regelung des Artikels 4 Abs. 4 DBA-Schweiz nicht anzuwenden, wenn der Wegzug in die Schweiz wegen Heirat mit einer Person schweizerischer Staatsangehörigkeit erfolgt (inhaltlich identisch zur bisherigen Regelung im BMF-Schreiben vom 19. September 1994, BStBl I 1994, 683 Rn. 41).
bb) Der Gesetzgeber hat zwar vermittels des Jahressteuergesetzes 2010 (JStG 2010) mit § 2 Abs. 2 AO (erstmals) eine Ermächtigungsgrundlage geschaffen, wonach – so Satz 1 der Vorschrift – das BMF ermächtigt wird, zur Sicherung der Gleichmäßigkeit der Besteuerung und zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung oder doppelten Nichtbesteuerung mit Zustimmung des Bundesrates Rechtsverordnungen zur Umsetzung von Konsultationsvereinbarungen zu erlassen. Konsultationsvereinbarungen in diesem Sinne sind nach Satz 2 der Vorschrift einvernehmliche Vereinbarungen der zuständigen Behörden der Vertragsstaaten eines Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung mit dem Ziel, Einzelheiten der Durchführung eines solchen Abkommens zu regeln, insbesondere Schwierigkeiten oder Zweifel, die bei der Auslegung oder Anwendung des jeweiligen Abkommens bestehen, zu beseitigen. Mit diesem tatbestandlich umschriebenen Inhalt zielt die Neuregelung darauf ab, zwischenstaatlichen behördlichen Konsultationsvereinbarungen i.S.d. Art. 25 Abs. 3 des Musterabkommens der Organisation for Economic Cooperation and Development (OECD-MA) den Rang einer Rechtsverordnung zu verleihen (BFH-Urteil vom 10. Juni 2015 I R 79/13, BStBl II 2016, 326).
In Art. 18 Abs. 2 KonsVerCHEV ist das für die im Streitfall in Rede stehende Regelung des Wegzugs in die Schweiz wegen Heirat mit einer Person schweizerischer Staatsangehörigkeit geschehen.
cc) Jedoch genügt die neugeschaffene Ermächtigungsgrundlage nicht den dafür gebotenen Bestimmtheitsanforderungen des Art. 80 Abs. 1 GG und ist im Ergebnis nicht geeignet, die seitens der Finanzverwaltung beanspruchte (vgl. BMF-Schreiben vom 12. November 2014, BStBl I 2014, 1467 Tz. 5.5.4.2 Rn. 183 ff.) Verbindlichkeit der zwischenstaatlich gefundenen Abkommensauslegung herbeizuführen.
(1) Nach Art. 80 Abs. 1 Satz 1 GG können durch Gesetz die Bundesregierung, ein Bundesminister oder die Landesregierungen ermächtigt werden, Rechtsverordnungen zu erlassen. Nach Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG müssen dabei Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung im Gesetz bestimmt werden.
(2) Diesem Erfordernis ist im Streitfall nicht Genüge getan. Der Senat schließt sich hierbei den Ausführungen des BFH in den Urteilen vom 10. Juni 2015 (I R 79/13, BStBl II 2016, 326 betreffend § 24 Abs. 1 KonsVerCHEV) und vom 30. Mai 2018 (I R 62/16, BFH/NV 2019, 62 betreffend § 9 Abs. 1 KonsVerCHEV) an.
Danach ist es auch vermittels einer weit gefassten oder verstandenen Ermächtigungsregelung ausgeschlossen, den Text des Abkommens und damit die besagte Besteuerungszuordnung für die betreffenden Einkünfte zu verändern (BFH-Urteil vom 10. Juni 2015 I R 79/13, BStBl II 2016, 326 m.w.N.). So aber liegt der Streitfall. Denn Art. 4 Abs. 4 DBA-Schweiz lässt für die Frage der Wegzugsbesteuerung im Fall der Heirat keine Spielräume; insoweit geht § 18 Abs. 2 KonsVerCHEV über den klaren Wortlaut des Abkommens hinaus (BFH-Urteil vom 19. November 2003 I R 64/02, BFH/NV 2004, 765; BFH-Beschluss vom 27. Juli 2011 I R 44/10, BFH/NV 2011, 2005 m.w.N.; entgegen BMF-Schreiben vom 31. März 2016, BStBl I 2016, 471, wonach die Grundsätze des BFH-Urteils vom 10. Juni 2015 I R 79/13, BStBl II 2016, 326 außer auf § 24 Abs. 1 Satz 2 KonsVerCHEF lediglich auch auf entsprechende Regelungen betreffend Abfindungszahlungen in anderen DBA anzuwenden sind).
Im Übrigen enthält § 2 Abs. 2 AO im Hinblick auf Ausnahmen von Art. 4 Abs. 4 DBA-Schweiz keine näheren Vorgaben zu Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Verordnungsermächtigung und genügt damit nicht den Bestimmtheitsanforderungen, die nach Art. 80 Abs. 1 GG an eine Verordnungsermächtigung zu stellen sind (BFH-Urteile vom 10. Juni 2015 I R 79/13, BStBl II 2016, 326 betreffend § 24 Abs. 1 KonsVerCHEV; vom 30. Mai 2018 I R 62/16, BFH/NV 2019, 62 betreffend § 9 Abs. 1 KonsVerCHEV).
Die Deutsch-Schweizerische Konsultationsvereinbarung vom 17. März 2010 genügt damit trotz ihrer unilateralen „Anhebung“ in eine Rechtsverordnung nicht den Anforderungen des Gesetzesvorbehalts nach Art. 20 Abs. 3 GG.
(3) Die Argumentation, wonach die Anforderungen an die Ermächtigungsgrundlage bei begünstigenden Regelungen – wie bei § 18 Abs. 2 KonsVerCHEV – weniger streng seien als bei belastenden Regelungen (BVerfG-Beschluss vom 30. Januar 1968 2 BvL 15/65, BStBl II 1968, 296) führt zu keiner anderen Beurteilung. Denn auch bei begünstigenden Regelungen kann nicht darauf verzichtet werden, dass Inhalt, Zweck und Ausmaß der Ermächtigung hinreichend bestimmt sind (BVerfG-Beschluss vom 30. Januar 1968 2 BvL 15/65, BStBl II 1968, 296 Rn. 36).
b) Jedoch war – soweit das FA in seiner Entscheidung hilfsweise von der Anwendung des § 18 Abs. 2 KonsVerCHEV als Billigkeitsregelung ausging – die vom FA vorgenommene Auslegung der ermessenslenkenden Verwaltungsvorschrift möglich.
aa) Nach § 18 Abs. 2 KonsVerCHEV ist die Regelung des Art. 4 Abs. 4 DBA-Schweiz nicht anzuwenden, wenn der Wegzug in die Schweiz wegen Heirat mit einer Person schweizerischer Staatsangehörigkeit erfolgt (inhaltlich identisch zur bisherigen Regelung im BMF-Schreiben vom 19. September 1994, BStBl I 1994, 683 Rn. 41).
Dies geht auf eine Verständigungsvereinbarung des BMF mit der Eidgenössischen Steuerverwaltung (EStV) „betr. Wegzüger-Grenzgänger“ zurück. Diese Regelung kam rückwirkend zum Inkrafttreten des Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (ab dem Jahr 1972) zur Anwendung. Motive für diese Vereinbarung aus deutscher Sicht sind nicht veröffentlicht. Grundgedanke der Regelung ist aus schweizerischer Sicht, „der Familienzusammenführung einen höheren Stellenwert einzuräumen als der vom Gesetz als Regelfall vermuteten Steuerflucht“. Die deutschen Finanzbehörden der Länder haben zu dieser Verständigungsvereinbarung zwischen BMF und EStV Verwaltungsanweisungen erlassen (u.a. die Oberfinanzdirektion Karlsruhe in Fach A Teil 4 Nr. 1 des Grenzgängerhandbuchs), nach der ein zeitlicher Zusammenhang zwischen Wegzug und Heirat erforderlich ist; dieser sei „als noch gegeben anzusehen, wenn die Heirat in einem Zeitraum von sechs Monaten vor und sechs Monaten nach dem Wegzug erfolgt“ (vgl. zum Ganzen BFH-Urteil vom 27. Juli 2011 I R 44/10, BFH/NV 2011, 2005 m.w.N.).
bb) Die Auslegung des FA, § 18 Abs. 2 KonsVerCHEV lasse es mit der Formulierung „wegen Heirat“ nicht zu, das Heiratsprivileg anzuwenden, wenn die späteren Ehegatten bereits vor Heirat und Umzug einen gemeinsamen Haushalt begründet hätten, so dass eine Familienzusammenführung nicht mehr vorliege, ist möglich.
(1) Der Wortlaut „Wegzug in die Schweiz wegen Heirat mit einer Person schweizerischer Staatsangehörigkeit“ lässt die vom FA vertretene Auslegung zu. Denn die Formulierung „wegen Heirat“ bringt – neben einem zeitlichen Moment – in erster Linie einen Veranlassungszusammenhang zum Ausdruck. Dieser ist zwar ohne weiteres gegeben, wenn in zeitlicher Nähe zur Heirat ein Ehegatte zum anderen zieht. Das FA kann den Veranlassungszusammenhang jedoch willkürfrei verneinen, wenn beide Ehegatten ihren bisherigen gemeinsamen Wohnsitz in zeitlicher Nähe zur Heirat gemeinsam in die Schweiz verlegen.
(2) Die Regelung im Grenzgängerhandbuch, wonach von der Anwendung der Abwandererregelung abgesehen wird, wenn der Wegzug in zeitlichem Zusammenhang mit der Heirat erfolgt ist und wonach ein zeitlicher Zusammenhang dabei als noch gegeben anzusehen ist, wenn die Heirat in einem Zeitraum von sechs Monaten vor und sechs Monaten nach dem Wegzug erfolgt, steht der vom FA vorgenommenen Auslegung nicht entgegen. Denn die von den Finanzbehörden im Grenzgängerhandbuch aufgenommene Zeitzone von sechs Monaten – letztlich wohl aus Zweckmäßigkeitserwägungen – liest in die Formulierung „wegen Heirat“ (auch) ein Zeitmoment hinein, um der Tatsache Rechnung zu tragen, dass letztlich nur jeder Ehegatte für sich selbst zweifelsfrei beantworten könne, wann der definitive Entschluss zur Eheschließung gefallen ist. Eine zeitliche Grenze schafft zudem Planungssicherheit für Heiratswillige, vermittelt Steuerpflichtigen über den Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung Vertrauensschutz und setzt sie insoweit nicht den möglichen Unwägbarkeiten einer späteren Tatsachen- und Beweiswürdigung durch Dritte aus (vgl. zum Ganzen Urteil des Finanzgerichts Baden-Württemberg vom 6. Mai 2010 3 K 3043/09, EFG 2010, 1980).
Damit ist aber die Auslegung der Finanzverwaltung nicht ausgeschlossen, dass diese zeitliche Vereinfachungsregel ein Erfordernis des Wegzugs eines (künftigen) Ehegatten zum bereits in der Schweiz lebenden (künftigen) Ehegatten unberührt lässt und lediglich bei Vorliegen dieser Konstellation eingreift.
(3) Dieser Auslegung steht weiter nicht hinderlich entgegen, dass Grundgedanke der Regelung aus schweizerischer Sicht ist, „der Familienzusammenführung einen höheren Stellenwert einzuräumen als der vom Gesetz als Regelfall vermuteten Steuerflucht“, während Motive für diese Vereinbarung aus deutscher Sicht nicht veröffentlicht sind. Denn das Schweigen Deutschlands zu den Motiven bedeutet nicht, dass die schweizerischen Grundgedanken der Familienzusammenführung bei der Auslegung der Regelung irrelevant sind. Auch die diesbezügliche höchstrichterliche Rechtsprechung erkennt in der Ausgestaltung der Billigkeitsregelung die „Begünstigung einer Familienzusammenführung aber nur bei einer Heirat und nur im zeitlichen Zusammenhang mit dem Wegzug“ (BFH-Urteil vom 27. Juli 2011 I R 44/10, BFH/NV 2011, 2005). Dann aber ist das Verständnis der Verwaltung, eine Familie könne nicht „zusammengeführt“ werden, wenn bereits vorher ein gemeinsamer Wohnsitz – außerhalb der Schweiz – bestanden habe, nicht willkürlich.
(4) Dass die künftigen Ehegatten während der Zeit des gemeinsamen vorherigen Wohnsitzes lediglich von Mai bis August 2012 verheiratet, jedoch die Jahre 2007 bis Mai 2012 nicht verheiratet waren, mithin noch keine „Familie“ waren, die „zusammengeführt“ werden konnte, macht die Auslegung durch die Finanzverwaltung nicht unmöglich.
Zwar verbietet Art. 6 Abs. 1 GG, wonach Ehe und Familie unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung stehen, Ehe und Familie gegenüber anderen Lebens- und Erziehungsgemeinschaften schlechter zu stellen; insbesondere untersagt ist eine Benachteiligung von Ehegatten gegenüber Ledigen (z.B. BVerfG-Beschluss vom 11. Oktober 2005 1 BvR 2627/03, BFH/NV 2006, Beilage 1, 77). Art. 6 Abs. 1 GG verlangt aber keine Besserstellung der Ehegatten gegenüber Unverheirateten, solange nicht spezifische Belastungen auszugleichen sind (z.B. BFH-Urteile vom 15. November 2006 XI R 46/05, BFH/NV 2007, 678; vom 25. Juni 2008 X R 36/05, BFH/NV 2008, 2093). Demgemäß kann Art. 6 Abs. 1 GG auch keine Auslegung dergestalt vorprägen, dass bei Verheirateten eine Zusammenführung der Familie auch vorliegt, wenn sie zusammen innerhalb von sechs Monaten nach der Heirat von einem gemeinsamen Wohnsitz in Deutschland zu einem gemeinsamen Wohnsitz in die Schweiz verziehen. Die vom FA gefundene Auslegung behindert auch nicht die Pflicht zur ehelichen Lebensgemeinschaft (§ 1353 Bürgerliches Gesetzbuch – BGB -) mit dem Zusammenleben an einem von den Ehegatten gemeinsam gewählten Wohnsitz (Urteil des Bundesgerichtshofs – BGH – vom 11. Februar 1987 IVb ZR 15/86, MDR 1987, 651).
c) Im Übrigen liegt auch keine sonstige Unbilligkeit in Gestalt einer vom Gesetz nicht vorgesehenen Doppelbesteuerung vor. Denn das FA hat die von der Klägerin in der Schweiz gezahlte Steuer – wie in der (von der Klägerin abgelehnten) Verständigungslösung vereinbart – bereits angerechnet (Art. 4 Abs. 4 Satz 3 DBA-Schweiz).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Revision war nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben