Europarecht

Bestimmung des zuständigen Gerichts

Aktenzeichen  1 AR 990/18

Datum:
18.6.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
MDR – 2018, 1015
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 36
GVG § 72a S. 1 Nr. 2

 

Leitsatz

Die Zuständigkeitsbestimmung setzt voraus, dass sich die an dem negativen Kompetenzkonflikt beteiligten Zivilkammern rechtskräftig im Sinne der Vorschrift für unzuständig zu erklären haben. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Bestimmung des zuständigen Spruchkörpers wird abgelehnt.
Die Sache ist bei der 3. Zivilkammer des Landgerichts Regensburg anhängig.

Gründe

I.
1. Die Klägerin macht aus abgetretenem Recht eine Forderung der A. gegenüber der Beklagten geltend. Nach dem Vortrag der Klägerin erbrachte die A. Planungsleistungen für folgende Projekte:
a) Sanierung des historischen Baustadels in der W.
b) Neubauten „A. W.“ in R.
Die A. soll von der Beklagten beauftragt gewesen sein, die Leistungsphasen 1 – 4 nach der HOAI durchzuführen. Die Vergütung der von der A. erbrachten Leistungen sollte darin bestehen, dass diese 25% des bei der Beklagten im Zusammenhang mit den obengenannten Bauvorhaben anfallenden Gewinns erhalten sollte. Diesen Gewinnanteil berechnet die Klägerin mit 413.116,66 € (Anlage K2).
Die Beklagte verteidigt sich gegen die Klage mit folgenden Argumenten:
a) Die Forderung sei verjährt (Bl. 14 – 19 d. A.).
b) Die Klägerin habe den ihr zustehenden anteiligen Gewinnanspruch bereits durch Verrechnung vollständig erhalten (Bl. 19 – 24 d. A.).
c) Die Aufstellung aus den Erlösen sei unzutreffend (Bl. 25 d. A.).
d) Der Beklagten stünden Schadensersatzansprüche gegen die Klägerin zu, da diese eigene Wohneinheiten in den Bauprojekten erworben habe und dort Dachgeschosseinheiten ohne Erlaubnis umgeplant habe (Bl. 25 – 27 d. A.).
e) Die mit den Leistungsphasen 1 – 4 beauftragte A… sei auch mit der Planung der Tiefgarageneinfahrt betraut gewesen. Dort lägen Planungsmängel vor, welche zu Minderungsansprüchen der jeweiligen Erwerber in Höhe von insgesamt mindestens 200.000,00 € führen würden, weshalb der Beklagten ein Zurückbehaltungsrecht zustehe (Bl. 27 – 30 d. A.).
In der Replik kündigen die Klägerin und die A. eine zwischen den Parteien aus ihrer Sicht bestehende Gesellschaft bürgerlichen Rechtes mit sofortiger Wirkung und treten dem Vorbringen der Beklagten im Übrigen entgegen. Darüber hinaus wird (Bl. 48 d. A…) die Klage dahingehend erweitert, dass Einsichtnahme in bestimmte Geschäftsunterlagen der Beklagten sowie die Erstellung der Schlussrechnung für die Gesellschaft bürgerlichen Rechts verlangt werden.
2. Die Klage ist am 2. Januar 2018 (Bl. 1 d. A…) bei dem Landgericht Regensburg eingegangen.
Mit Verfügung vom 22.03.2018 (Bl. 32 d. A…) hat die 3. Zivilkammer das Verfahren dem Vorsitzenden der 1. Zivilkammer mit der Bitte um Prüfung der Übernahme vorgelegt. Nach Ansicht des Einzelrichters handelt es sich um eine Streitigkeit aus einem Architektenvertrag, für welche eine Spezialzuständigkeit der 1. Zivilkammer bestünde. Mit Verfügung vom 22.03.2018 (Bl. 33 d. A.) hat der Vorsitzende der 1. Zivilkammer die Übernahme abgelehnt, da aus seiner Sicht keine Streitigkeit „aus einem Architektenvertrag“ vorliege.
Mit Beschluss vom 15.05.2018 (Bl. 50 d. A…) erklärte sich die 3. Zivilkammer für unzuständig. Zur Begründung wird auf Bl. 51 f d. A… Bezug genommen. Dieser Beschluss wurde mit Verfügung vom 15.05.2018 (zu Bl. 52 d. A…) der 1. Zivilkammer zugeleitet. Eine Bekanntgabe an die Parteien erfolgte nicht.
Mit Beschluss vom 16.05.2018 (Bl. 53 d. A…) lehnte die 1. Zivilkammer die Übernahme des Verfahrens ab, da eine Zuständigkeit gemäß § 72a S. 1 Nr. 2 GVG nicht vorliege. Es handle sich nicht um eine Streitigkeit aus einem Architektenvertrag. Die geltend gemachten Mängel seien lediglich hilfsweise eingewandt worden. Zur weiteren Begründung wird auf Bl. 53 d. A. Bezug genommen. Diesen Beschluss übersandte der Vorsitzende der 1. Zivilkammer am 16.05.2018 dem zuständigen Einzelrichter bei der 3. Zivilkammer des Landgerichts Regensburg zur eventuellen Vorlage an das Oberlandesgericht Nürnberg (Bl. 55 d. A…). Auch dieser Beschluss wurde den Parteien nicht bekannt gegeben.
Mit Beschluss vom 18.05.2018 (Bl. 56 d. A…) legte die 3. Zivilkammer dem Oberlandesgericht Nürnberg die Akten zur gerichtlichen Bestimmung der Zuständigkeit gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO entsprechend, § 37 ZPO vor. Zur Begründung wurde zunächst ausgeführt (Bl. 57 d. A…), dass eine Zuständigkeit gemäß § 72a S. 1 Nr. 2 GVG der 1. Zivilkammer bestehe. Die A… habe Planungsleistungen im Sinne der HOAI erbracht und mache nunmehr ihre Honoraransprüche geltend. Gegen diese Honoraransprüche sei unter anderem eine mangelhafte Planungsleistung der A… eingewandt worden. Zur weiteren Begründung wird auf Bl. 57 d. A… Bezug genommen.
Der Beschluss vom 18.05.2018 wurde mit Verfügung vom 18.05.2018 (zu Bl. 58 d. A.) an die Parteien hinausgegeben.
II.
Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO entsprechend liegen derzeit nicht vor.
1. Nach Ansicht des Senates ist eine Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO für die hier in Rede stehende Fallkonstellation nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Nach dem Wortlaut des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO, wonach sich „verschiedene Gerichte“ und nicht einzelne Spruchkörper rechtskräftig für unzuständig erklärt haben müssen, ist die Norm für die vorliegende Fallkonstellation, wonach zwei Zivilkammern einen negativen Kompetenzstreit führen, zunächst nicht anwendbar.
Allerdings entspricht es allgemeiner Auffassung, dass § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO auch in den Fällen zur Anwendung kommt, in welchen mehrere Spruchkörper des gleichen Gerichts ihre Zuständigkeit bestreiten und die Zuständigkeitsbestimmung aufgrund gesetzlicher Vorschriften zu erfolgen hat. Anders ist der Fall dann zu beurteilen, wenn die Entscheidung des Kompetenzkonfliktes nicht von einer gesetzlichen Zuständigkeitsregelung, sondern von der Auslegung des Geschäftsverteilungsplanes abhängt.
Das Oberlandesgericht Nürnberg hat mit Beschluss vom 11.07.1975 (Az.: 1 AR 6/75) für einen Zuständigkeitsstreit zwischen einer Zivilkammer und einer Kammer für Handelssachen die entsprechende Anwendung des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO mit der Begründung bejaht, dass ein Fall der gesetzlich geregelten Geschäftsverteilung vorliege, welcher nicht durch das Präsidium zu entscheiden sei. Bei der Beurteilung des Zuständigkeitsstreites seien nicht nur die gesetzlichen Voraussetzungen, sondern auch die von der Rechtsprechung dazu jeweils herausgearbeiteten Rechtsgrundsätze, insbesondere auch zur Frage der Bindungswirkung des ersten Verweisungsbeschusses, zu beachten (OLG Nürnberg, NJW 1975, 2345f).
Mit Beschluss vom 03.05.1978 (Az.: IV ARZ 26/78) hat der Bundesgerichtshof eine entsprechende Anwendung des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO für eine Zuständigkeitsstreitigkeit zwischen einem Familien- und einem anderen Zivilsenat eines Oberlandesgerichtes bejaht. Zur Begründung führt der Bundesgerichtshof aus, dass der negative Kompetenzkonflikt nur durch eine Auslegung der gesetzlichen Zuständigkeitsregelung des § 23b Abs. 1 GVG gelöst werden könne. Dem Präsidium des Gerichtes, welches als richterliches Selbstverwaltungsorgan gemäß § 21e GVG bei einer den Geschäftsverteilungsplan betreffenden Meinungsverschiedenheit mehrerer Spruchkörper grundsätzlich eingreifen könne, sei es verwehrt, einen Kompentenzstreit durch Anwendung einer gesetzlichen Zuständigkeitsnorm verbindlich zu entscheiden (vgl. BGH, Beschluss vom 03.05.1978, Az.: IV ARZ 26/78, Rn. 8 zitiert nach juris). Auch für den negativen Kompetenzkonflikt zwischen einem Zivilsenat und einem Kartellsenat eines Oberlandesgerichtes hat der Bundesgerichtshof eine entsprechende Anwendung des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO bejaht (vgl. BGH, Beschluss vom 11.03.2014, Az.: X ARZ 664/13).
Für den am 1. Januar 2018 in Kraft getretenen § 72a GVG n.F. ist für den Fall, dass eine allgemeine Zivilkammer und eine Zivilkammer mit einer dem GVG entsprechenden Spezialzuständigkeit einen negativen Kompetenzkonflikt austragen, eine entsprechende Anwendung des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu bejahen. Das bislang veröffentlichte Schrifttum vertritt die Auffassung einer entsprechenden Anwendung des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO (vergleiche Zöller/Lückemann, 32. Auflage 2018, Rn. 2 zu § 72a GVG, Klose MDR 2017, 793 ff).
In einer Entscheidung vom 22.03.2018 hat der 2. Zivilsenat des Kammergerichts Berlin (2 AR 11/18) ebenfalls eine entsprechende Anwendung des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO für die hier relevante Fallkonstellation bejaht. Das Kammergericht orientiert sich zunächst an der bisherigen Rechtsprechung zu Kompetenzkonflikten von Kammern des gleichen Gerichts, wenn diese auf einer gesetzlichen Regelung beruhen (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 22.03.2018, Az.: 2 AR 11/18, Rn. 4 zitiert nach juris). Grundsätzlich liegen die Voraussetzungen für eine Gerichtsstandsbestimmung somit vor, da sich mehrere Kammern desselben Gerichts über die Frage der Zuständigkeit streiten und für die Entscheidung die gesetzliche Regelung des § 72a S. 1 Nr. 2 GVG maßgeblich ist.
2. Eine Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO ist jedoch derzeit nicht möglich, da sich die an dem negativen Kompetenzkonflikt beteiligten Zivilkammern bislang nicht rechtskräftig im Sinne der Vorschrift für unzuständig erklärt haben. Wie bereits dargelegt, ist nicht nur § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO in der hier vorliegenden Konstellation entsprechend anwendbar, sondern auch die von der Rechtsprechung dazu entwickelten Grundsätze. Erforderlich ist dabei unter anderem, dass die betreffende Entscheidung den Verfahrensbeteiligten jeweils bekannt gegeben worden ist (vgl. auch KG Berlin, Beschluss vom 22.03.2018, Rn. 6 zitiert nach juris m. w. N.).
Unabhängig von den im Hinblick auf die neue Rechtslage noch zu klärenden Fragen, ob etwa eine formlose Abgabe oder eine Verweisung im Beschlussweg erforderlich ist, ist als Mindestanforderung jedenfalls zu verlangen, dass den Parteien die jeweiligen Entscheidungen der Spruchkörper bekannt gemacht worden sind. Der ablehnende Beschluss der 1. Zivilkammer des Landgerichts Regensburg vom 16.05.2018 (Bl. 53 d. A…) wurde jedoch lediglich intern mit Verfügung vom 16.05.2018 (Bl. 55 d. A…) an die 3. Zivilkammer übersandt. Gleiches gilt für den Beschluss vom 15.05.2018, mit welchem sich die 3. Zivilkammer für unzuständig erklärte. Eine Bekanntgabe an die Parteien erfolgte nicht. Lediglich der Beschluss vom 18.05.2018 (Bl. 56 d. A…) ist den Parteien bekannt gemacht worden (vgl. Bl. 58 d. A…).
Vor den Entscheidungen ist den Parteien auch kein rechtliches Gehör gewährt worden.
3. In der Sache ist nach der vorläufigen Einschätzung des Senates davon auszugehen, dass eine Streitigkeit „aus einem Architektenvertrag“ im Sinne des § 72a S. 1 Nr. 2 GVG vorliegt. Unabhängig davon, woraus sich letzten Endes der Anspruch der Klägerin ergibt und ob dafür auch gesellschaftsrechtliche Regelungen relevant sind, beruht der geltend gemachte Anspruch darauf, dass die Klägerin unstreitig Architektenleistungen im Sinne der HOAI, nämlich die Leistungsphasen 1 – 4, erbracht hat. Die Erbringung dieser Leistungen ist Voraussetzung dafür, dass die A… überhaupt einen, wie auch immer gestalteten, Vergütungsanspruch geltend machen kann. Der Geschäftskreis der Spezialkammer für Bausachen entspricht der bislang in § 348 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 c) ZPO enthaltenen Regelung für die Frage der Zuständigkeit des Einzelrichters oder der Kammer. Insofern ist § 348 ZPO und die bislang dazu ergangene Rechtsprechung bei der Auslegung des § 72a GVG (vgl. BeckOK, Stand 01.01.2018, Rn. 14 zu § 72 a) GVG) mit heranzuziehen.
Danach sollen durch § 72a S. 1 Nr. 2 GVG die Ansprüche erfasst werden, die aus einem Rechtsverhältnis herrühren, in welchem eine Partei eine Verpflichtung zur Planung, Durchführung oder Überwachung von Bauarbeiten übernommen hat. Dabei spielt die vertragliche Gestaltung zunächst keine Rolle (vgl. BeckOK ebd.). Die Klägerin macht aus abgetretenem Recht Ansprüche geltend, welche auf der Erbringung von Architektenleistungen beruhen. Darüber hinaus wendet die Beklagte jedenfalls hilfsweise eine mangelhafte Planung ein. Auch dieser Einwand, welcher letzten Endes auf die Planungsleistungen, welche von der A… erbracht wurden, abzielt, zeigt, dass der Hintergrund der Streitigkeit die erbrachten Architektenleistungen sind.


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