Europarecht

Bewerber, Chancengleichheit, Landtag, Normenkontrolle, Wahlkreis, Vorabentscheidung, Popularklage, Wahl, Partei, Antragsteller, Landtagswahl, Anordnung, Normenkontrollverfahren, Sitzverteilung, Aussetzung des Verfahrens, Sinn und Zweck, Zeitpunkt der Entscheidung

Aktenzeichen  Vf. 57-III-19

Datum:
5.7.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 16184
Gerichtsart:
VerfGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verfassungsgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

1. Art. 44 Abs. 2 LWG, der die Modalitäten für das Entstehen von Überhang- und Ausgleichsmandaten regelt, verstößt auch mit Blick auf den etwaigen Effekt eines negativen Stimmgewichts nicht gegen die Grundsätze der Wahlrechtsgleichheit und Unmittelbarkeit der Wahl (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 BV).
2. Art. 42 Abs. 2 LWG in der für die Landtagswahl 2018 geltenden Fassung, wonach für die Sitzverteilung im Landtag das Berechnungsverfahren nach Hare/Niemeyer zur Anwendung kam, war mit der Bayerischen Verfassung vereinbar; der Gesetzgeber war nicht von Verfassungs wegen verpflichtet, stattdessen das Sitzzuteilungsverfahren nach Sainte-Laguë/Schepers vorzusehen.

Tenor

Der Antrag wird abgewiesen.

Gründe

I.
Gegenstand des Verfahrens ist ein Antrag auf Entscheidung über die Gültigkeit der Landtagswahl 2018.
1. Am 14. Oktober 2018 fand die Wahl zum Bayerischen Landtag für die 18. Legislaturperiode statt, bei der der Antragsteller stimmberechtigt war. Die Bekanntmachung des Landeswahlleiters des Freistaates Bayern vom 31. Oktober 2018 zum Ergebnis der Wahl wurde am 23. November 2018 veröffentlicht (StAnz Nr. 47). Danach fielen auf die im Landtag vertretenen Parteien folgende Anteile der abgegebenen Stimmen: CSU 5.046.081 (= 37,2%, 85 Sitze), GRÜNE 2.392.356 (= 17,6%, 38 Sitze), FREIE WÄHLER 1.572.792 (= 11,6%, 27 Sitze), AfD 1.388.622 (= 10,2%, 22 Sitze), SPD 1.309.078 (= 9,7%, 22 Sitze), FDP 690.499 (= 5,1%, 11 Sitze). In den 205 (regulär 180) verteilten Sitzen sind 10 Überhangmandate für die CSU und 15 Ausgleichsmandate, verteilt auf die übrigen Parteien (GRÜNE 4, FREIE WÄHLER 5, AfD 1, SPD 4 und FDP 1), enthalten. Deren Verteilung auf die einzelnen Wahlkreise stellt sich wie folgt dar: 3 Überhang- und 5 Ausgleichsmandate in Oberbayern (insgesamt 69 anstatt regulär 61 Sitze), 1 Überhang- und 2 Ausgleichsmandate in Niederbayern (insgesamt 21 anstatt regulär 18 Sitze), je 1 Überhang- und 1 Ausgleichsmandat in der Oberpfalz und in Oberfranken (insgesamt je 18 anstatt regulär je 16 Sitze), 2 Überhang- und 3 Ausgleichsmandate in Mittelfranken (insgesamt 29 anstatt regulär 24 Sitze), keine Überhang- und Ausgleichsmandate in Unterfranken (insgesamt regulär 19 Sitze) sowie 2 Überhang- und 3 Ausgleichsmandate in Schwaben (insgesamt 31 anstatt regulär 26 Sitze).
2. Mit Schreiben vom 16. Dezember 2018 an den Bayerischen Landtag beanstandete der Antragsteller die Landtagswahl. Er beantragte, die Ungültigkeit der Wahl insgesamt festzustellen, nachdem der Landtag über ein korrigiertes Wahlsystem entschieden habe, um eine von den Mängeln befreite Wiederholungswahl durchführen zu können. Neben anderen Beanstandungen machte er geltend, dass es insbesondere bei den Wahlvorschlägen der GRÜNEN in fast allen Wahlkreisen und der Mehrzahl der Stimmkreise zu nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts unzulässigen Effekten des negativen Stimmgewichts gekommen sei. Nach dieser Rechtsprechung widerspreche ein Sitzzuteilungsverfahren dem Sinn und Zweck einer demokratischen Wahl, wenn es ermögliche, dass ein Zuwachs an Stimmen zu Mandatsverlusten führe oder dass für den Wahlvorschlag einer Partei insgesamt mehr Mandate erzielt würden, wenn auf ihn selbst weniger oder auf einen konkurrierenden Vorschlag mehr Stimmen entfielen. Solche widersinnigen Wirkungszusammenhänge zwischen der Stimmabgabe und dem Erfolg beeinträchtigten nicht nur die Wahlrechtsgleichheit und Chancengleichheit der Parteien, sondern verstießen auch gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl.
Der Antragsteller legte verschiedene Modellrechnungen in ausgewählten Stimmkreisen und Wahlkreisen vor, wonach insbesondere weniger Stimmen für die Wahlvorschläge der GRÜNEN im Ergebnis dazu geführt hätten, dass diese Partei drei zusätzliche Abgeordnete erhalten hätte, und umgekehrt Stimmengewinne für die GRÜNEN einen Verlust an Mandaten bedeutet hätten. Nicht nur bezogen auf die absoluten Sitzzahlen, sondern auch auf die Sitzanteile im Landtag insgesamt hätten zusätzlich gewonnene Stimmen eine erhebliche negative Wirkung gehabt. Vergleichbare Effekte wären auch bei anderen Parteien aufgetreten.
Dabei seien zwei Effekte zu unterscheiden. Bereits das Sitzverteilungsverfahren nach Hare/Niemeyer führe zu wahlkreisweiten Anomalien, ohne dass dies im Zusammenhang mit Überhangmandaten stehen müsse. So hätten z. B. im Wahlkreis Schwaben zusätzliche Gesamtstimmen für die GRÜNEN zur Verschiebung eines Sitzes von den FREIEN WÄHLERN zur FDP geführt. Ein weiterer Effekt werde durch den Ausgleich der Überhangmandate verursacht. Eine Partei, die der am stärksten überhängenden Partei Direktmandate abnehmen könne, werde in absoluten Zahlen systematisch schlechter gestellt, weil in der Folge weniger Ausgleichsmandate verteilt würden und der im Stimmkreis gewonnene Sitz auf den Gesamtanspruch im Wahlkreis angerechnet werde; der Zuwachs an Erststimmen bedeute allenfalls einen persönlichen Vorteil für den Gewählten (falls er nicht ohnehin aufgrund seiner Gesamtstimmen im Wahlkreis gewählt sei), nicht aber einen Vorteil für die Partei insgesamt. In Sitzanteilen gemessen könne die durch wegfallende Ausgleichsmandate verringerte Gesamtsitzzahl zunächst einen Vorteil wie auch einen Nachteil bedeuten. Da aber eine Partei, die in einem Wahlkreis die Chance habe, der am stärksten überhängenden Partei Direktmandate abzunehmen, dort regelmäßig stärker als im bayernweiten Durchschnitt sei, werde sie durch das dann verringerte Gewicht des betreffenden Wahlkreises im Verhältnis zu den anderen Wahlkreisen im landesweiten Ergebnis gegenüber den anderen Parteien systematisch geschädigt.
Dass zur Förderung der Erfolgswertgleichheit Überhangmandate ausgeglichen würden, entbinde nicht von der Forderung des Bundesverfassungsgerichts, dass ein Wahlsystem frei von widersinnigen Wirkungszusammenhängen zwischen Stimmabgabe und Stimmerfolg sein müsse. Solche Zusammenhänge würden durch den Ausgleich eher gefördert als verhindert.
Das negative Stimmgewicht sei auch nicht unvermeidbar. Zwar setze die Bayerische Verfassung für das Landtagswahlrecht engere Grenzen als das Grundgesetz für das Bundestagswahlrecht, sodass wegen des vorgeschriebenen Verhältniswahlrechts insbesondere ein sog. Grabensystem nicht infrage komme. Jedenfalls könnte aber statt des Ausgleichs auf die Zuteilung von Überhangmandaten verzichtet werden oder es könnten an die nicht überhängenden Parteien lediglich die gemäß regulärer Gesamtsitzzahl verbleibenden Sitze im Wahlkreis zugeteilt werden. Beide Methoden seien in der Vergangenheit angewendet und vom Verfassungsgerichtshof gebilligt worden. Sie ließen sich wohl auch kombinieren. Soweit weiterhin auf einen Verhältnisausgleich zwischen den Wahlkreisen verzichtet würde, wären auch das unausgeglichene Bestehenlassen von Überhangmandaten oder andere Lösungsmöglichkeiten bis hin zu einer Verfassungsänderung denkbar, um etwa Mehrpersonenstimmkreise zu ermöglichen.
3. Am 11. April 2019 beschloss der Ausschuss für Verfassung, Recht, Parlamentsfragen und Integration, die Wahlbeanstandung zurückzuweisen (LT-Drs. 18/1663). Auf dieser Grundlage stellte die Vollversammlung des Bayerischen Landtags am 8. Mai 2019 die Gültigkeit der Landtagswahl 2018 fest (LT-Drs. 18/1885).
II.
Mit am 11. Juni 2019 eingegangenem Schreiben beantragt der Antragsteller die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs gegen den Beschluss des Landtags vom 8. Mai 2019. Er will die Ungültigkeit der Landtagswahl 2018 festgestellt haben.
Zur Begründung wiederholt und vertieft er seine Ausführungen und Modellrechnungen zum behaupteten negativen Stimmgewicht aus dem Wahlprüfungsverfahren beim Landtag. Zusammengefasst macht er im Wesentlichen Folgendes geltend:
Nach seiner Auffassung verstoßen Art. 42 Abs. 2 LWG in der für die Landtagswahl 2018 geltenden Fassung der Bekanntmachung vom 5. Juli 2002 (GVBl S. 277, 620, BayRS 111-1-I), zuletzt geändert durch § 1 des Gesetzes vom 24. Juli 2019 (GVBl S. 342) (im Folgenden: Art. 42 Abs. 2 LWG a. F.; Sitzzuteilung nach dem Verfahren Hare/Niemeyer), und Art. 44 Abs. 2 LWG (Anordnung der Zuteilung von Überhang- und Ausgleichsmandaten) gegen die Wahlrechtsgrundsätze der Bayerischen Verfassung und des Grundgesetzes und sind für nichtig zu erklären. Aufgrund der Ausgestaltung des Wahlsystems in Bayern sei es möglich, dass einer Partei bei Stimmenverlusten mehr Sitze und umgekehrt bei Stimmengewinnen weniger Sitze im Landtag zufielen. Ursächlich hierfür sei in erster Linie die Möglichkeit von Ausgleichsmandaten in Verbindung mit der sonstigen Ausgestaltung des Landeswahlrechts, daneben auch die Anwendung des (für die Landtagswahl 2018 geltenden) Sitzverteilungsverfahrens nach Hare/Niemeyer sowie eine Kombination beider Faktoren. Ein Wahlsystem, das solche negativen Stimmgewichte ermögliche, widerspreche nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG vom 3.7.2008 BVerfGE 121, 266; vom 25.7.2012 BVerfGE 131, 316) dem Sinn und Zweck einer demokratischen Wahl und sei mit den Grundsätzen der Unmittelbarkeit der Wahl sowie der Wahlrechtsgleichheit und Chancengleichheit der Parteien nicht vereinbar. Die grundlegende Argumentation des Bundesverfassungsgerichts in den zitierten Entscheidungen sei direkt auf die Wahlprüfung zu den Landtagswahlen in Bayern übertragbar.
Zur Veranschaulichung des behaupteten Effekts eines negativen Stimmgewichts aufgrund der Möglichkeit von Ausgleichsmandaten gemäß Art. 44 Abs. 2 LWG legt der Antragsteller Modellrechnungen für sechs ausgewählte Stimmkreise in München vor. In diesen verändert er ausschließlich das Erststimmenergebnis der GRÜNEN (mit entsprechender Auswirkung auf das Gesamtstimmenergebnis); deren Zweitstimmenergebnis und die Erst- und Zweitstimmenergebnisse aller anderen Wahlvorschläge bleiben hingegen unverändert. In drei Stimmkreisen (103, 105 und 108) reduziert und in weiteren drei (101, 102 und 106) erhöht er die Anzahl der Erststimmen der GRÜNEN jeweils so lange, bis diese genau eine Erststimme weniger bzw. mehr erhalten als die CSU. Weniger Erststimmen für die GRÜNEN (Stimmkreise 103, 105 und 108) führen dabei dazu, dass diese ihre gewonnenen Direktmandate im jeweiligen Stimmkreis verlieren und dadurch im Wahlkreis Oberbayern mehr Überhangmandate zugunsten der CSU entstehen. Durch den dann notwendigen zusätzlichen Ausgleich dieser Überhangmandate erhalten die GRÜNEN trotz weniger Erststimmen über die Ausgleichsmandate insgesamt mehr Sitze in diesem Wahlkreis. Umgekehrt verringern nach seinen Berechnungen Zugewinne der GRÜNEN bei den Erststimmen (Stimmkreise 101, 102 und 106) die Zahl der Überhangmandate der CSU im Wahlkreis, sodass dann weniger Ausgleichsmandate an- und den GRÜNEN insgesamt weniger Sitze zufallen. Die wesentliche Ursache für die dargestellten Effekte verortet der Antragsteller im Ausgleich von Überhangmandaten, nicht im konkreten Sitzverteilungsverfahren. Dies zeige eine weitere Vergleichsberechnung mit Sitzverteilung nach Sainte-Laguë/ Schepers, bei der sich identische Sitzverteilungen wie bei dem Verfahren nach Hare/Niemeyer ergäben. Auch für andere Stimm- und Wahlkreise lasse sich zeigen, dass Stimmenverluste der GRÜNEN zu mehr bzw. Stimmengewinne zu weniger Sitzen geführt hätten.
Der Effekt des negativen Stimmgewichts betreffe insoweit nicht nur absolute Sitzzahlen, sondern wegen der Einordnung der Wahlkreise als selbstständige Wahlkörper auch verhältnismäßige Sitzanteile. Erst durch die selbstständigen Wahlkörper werde es möglich, dass mehr Erststimmen das Gewicht des Wahlkreises, in dem sie abgegeben wurden, zulasten der gewählten Partei verringerten. Sofern die Partei, für die die zusätzlichen Stimmen abgegeben wurden, im betroffenen Wahlkreis einen über dem Landesdurchschnitt liegenden Stimmenanteil habe, könne dies – auch abseits von Rundungsungenauigkeiten – bei der Gesamtzusammensetzung des Landtags zu einem erwartungswidrigen Zusammenhang bei den Erfolgswerten führen.
Das nach Art. 42 Abs. 2 LWG a. F. für die Sitzverteilung vorgeschriebene Verfahren nach Hare/Niemeyer habe zudem zur Folge, dass Stimmenverluste einer Partei nicht notwendig zu einem Verlust eines Sitzes bei dieser Partei, sondern zu einer Verschiebung der Sitzzahl zwischen zwei anderen Wahlvorschlägen führen könnten. So lasse sich zeigen, dass die GRÜNEN im Wahlkreis Niederbayern bei einem bestimmten Gesamtstimmenverlust keinen Sitz verloren hätten, sich jedoch die Gesamtsitzzahl um einen Sitz zulasten der SPD verringert hätte. Ebenso hätte ein bestimmter Zugewinn an Stimmen bei den GRÜNEN in Schwaben nicht zu einem Mandatszuwachs dieser Partei geführt, sondern es hätte sich ein Sitz von den FREIEN WÄHLERN zur FDP verschoben. Insoweit beanstande er nicht das Verfahren an sich, sondern dessen Verwendung in Kombination mit einer variablen Gesamtsitzzahl.
Negatives Stimmgewicht sei auch nicht unvermeidbar. Neben den bereits im Wahlprüfungsverfahren vor dem Landtag genannten Lösungswegen bestehe zur Konfliktbereinigung zwischen den gegenläufigen Wahlrechtsgrundsätzen insbesondere die Möglichkeit, den Stimmkreisen ihre Vertretung ohne Abweichung von der Verhältniswahl zu sichern, indem etwa der zweitplatzierte Stimmkreisbewerber den Vorrang erhalte. Bezüglich des Sitzverteilungsverfahrens bestehe kein Grund, am System Hare/Niemeyer festzuhalten, zumal bei den ganz ähnlich funktionierenden Bezirkswahlen bereits das System nach Sainte-Laguë/Schepers verwendet werde.
III.
1. Der Bayerische Landtag hält die Wahlbeanstandung für unbegründet. Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zum negativen Stimmgewicht bei der früheren Ausgestaltung des Bundeswahlrechts könnten nicht direkt auf das Landeswahlrecht übertragen werden. Den vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Sachverhalten habe ein völlig anderes Wahlsystem mit anderen Interdependenzen zugrunde gelegen, das nicht mit dem bayerischen Wahlsystem verglichen werden könne. Hier gebe es weder Listenverbindungen noch eine Ober- und Unterverteilung oder eine Reststimmenverwertung, die zu dem vom Bundesverfassungsgericht beschriebenen und für verfassungswidrig erachteten negativen Stimmgewicht führen könnten. Im Unterschied zum Grundgesetz sei das Landeswahlrecht in Bayern in seiner Ausgestaltung stark determiniert. Die Verfassung sehe sowohl eine Regionalisierung der Wahl in sieben selbstständigen Wahlkreisen als auch die Möglichkeit von Überhang- und Ausgleichsmandaten ausdrücklich vor. Der Antragsteller lasse insbesondere unberücksichtigt, dass der Anfall bzw. Wegfall von Überhang- und Ausgleichsmandaten sich auch auf die Gesamtsitzzahl im Wahlkreis auswirke. Im Übrigen sei es unerlässlich, in die rechtliche Bewertung die Zusammenhänge bei der Abgabe von Erst- und Zweitstimmen hinsichtlich des tatsächlichen Wahlverhaltens einfließen zu lassen. Die Vorschläge des Antragstellers zur Vermeidung von Überhangmandaten seien ihrerseits erheblichen verfassungsrechtlichen Zweifeln und grundsätzlichen Bedenken ausgesetzt.
2. Die Bayerische Staatsregierung sieht den Antrag ebenfalls als unbegründet an. Die gegen das Sitzzuteilungsverfahren erhobenen verfassungsrechtlichen Bedenken griffen nicht durch. Die Möglichkeit von Überhang- und Ausgleichsmandaten nach dem geltenden Landeswahlrecht führe nicht zu mit der Verfassung nicht vereinbaren negativen Stimmgewichten. Das gelte auch unter Berücksichtigung der in der Bayerischen Verfassung vorgeschriebenen Wahl in Wahlkreisen. Die Anwendung des Verfahrens nach Hare/Niemeyer (nach § 42 Abs. 2 LWG a. F.) sei verfassungsrechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden.
Das Bundesverfassungsgericht habe in den beiden vom Antragsteller zitierten Urteilen zum jeweils zum Zeitpunkt der Entscheidung geltenden Bundeswahlrecht festgestellt, dass negative Stimmgewichte mit den Grundsätzen der Gleichheit und Unmittelbarkeit der Wahl nicht vereinbar seien. Die Entscheidungen hätten besondere Sitzzuteilungsverfahren betroffen, die durch eine zweistufige Sitzverteilung (Ober- und Unterverteilung) und die ausgleichslose Hinnahme von Überhangmandaten gekennzeichnet gewesen seien. Diese Sitzzuteilungsverfahren hätten bewirken können, dass weniger Zweitstimmen in einem Land zu einem zusätzlichen Mandat in einem anderen Land führten und umgekehrt. Solche Fälle des möglichen Auftretens von negativem Stimmgewicht seien nach dem geltenden Landeswahlrecht in Bayern ausgeschlossen. Die vom Antragsteller beschriebenen Effekte führten zu keinen verfassungsrechtlich zu beanstandenden inversen Erfolgswerten.
Es treffe zwar zu, dass – wie vom Antragsteller am Beispiel Oberbayern beschrieben – Erststimmenverluste einer Partei in einem Wahlkreis dazu führen könnten, dass diese Partei wegen des Ausgleichs weiterer Überhangmandate einer anderen Partei durch Erhöhung der Gesamtsitzzahl im Wahlkreis in absoluten Zahlen insgesamt mehr Wahlkreissitze erhalte. Auch könnten umgekehrt Erststimmengewinne verbunden mit dem Erringen von Direktmandaten zu Sitzverlusten führen, wenn wegen weniger Überhangmandaten keine Ausgleichsmandate anfielen und die Gesamtsitzzahl im Wahlkreis nicht erhöht werde. Dem liege jedoch kein zu beanstandender inverser Erfolgswert der Stimmen zugrunde. Denn auch unter Zugrundelegung der Modellrechnungen des Antragstellers bleibe jedenfalls die verhältnismäßige Sitzverteilung im Wahlkreis und damit der (relative) Sitzanteil gewahrt. Dieser sei im System der Verhältniswahl der entscheidende Faktor.
Soweit der Antragsteller auf Änderungen in den relativen Sitzanteilen bei landesweiter Betrachtung durch einen regional unterschiedlichen Anfall von Überhang- und Ausgleichsmandaten abstelle, seien diese eine Konsequenz des in Art. 14 Abs. 1 Sätze 1 und 2 BV vorgegebenen „verbesserten Verhältniswahlrechts“ und der in Art. 14 Abs. 1 Satz 6 BV ausdrücklich vorgesehenen Möglichkeit von Überhang- und Ausgleichsmandaten. Derartige Proporzabweichungen habe der Verfassungsgerichtshof bereits in den Entscheidungen vom 28. Oktober 2019 (BayVBl 2020, 86) und vom 21. Februar 2021 (BayVBl 2021, 265) für mit dem Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit vereinbar erklärt.
Das Berechnungsverfahren zur Sitzzuteilung nach Hare/Niemeyer stelle eine anerkannte und verfassungskonforme Methode der Umrechnung von Stimmanteilen in Sitze dar und führe auch unter Berücksichtigung der Rechenbeispiele des Antragstellers nicht zu inversen Erfolgswerten der Stimmen.
Im Übrigen begegneten die Vorschläge des Antragstellers zu Wahlrechtsänderungen, um die von ihm gesehenen Effekte eines negativen Stimmgewichts zu vermeiden, unter Berücksichtigung der aktuellen Judikatur des Bundesverfassungsgerichts ihrerseits grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedenken.
3. Der Landeswahlleiter führt insbesondere aus, dass die Berechnungen des Antragstellers zum Wahlkreis Oberbayern rechnerisch nicht zu beanstanden seien, allerdings keine inversen Erfolgswerte im Sinn der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aufzeigten. Es bestünden nur scheinbar erwartungswidrige Erfolgswerte von Stimmen bei der Landtagswahl 2018, jedoch keine tatsächlichen. Die relativen Sitzanteile im Wahlkreis blieben auf Grundlage der Ergebnisse der Berechnungen des Antragstellers nahezu gleich und der politische Proporz somit stets erhalten. Im Übrigen entsprächen die Modellrechnungen des Antragstellers mit einem „ersatzlosen“ Wegfall bzw. Zuwachs allein der Erststimmen für die GRÜNEN ohne Berücksichtigung von Auswirkungen auf die Vergabe der Zweitstimmen, die nach den bisherigen Erfahrungswerten eng mit der Erststimmenvergabe korreliert seien, nicht dem bei den bisherigen Landtagswahlen erkennbaren Wählerverhalten. Proberechnungen unter Zugrundelegung realistischerer Annahmen zum Wahlverhalten zeigten, dass sich bei entsprechender Veränderung der Zahlen sowohl der Erst- als auch der Zweitstimmen jeweils gleichgerichtete Veränderungen auch bei den Sitzanteilen in relevanter Größe ergäben.
IV.
Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung wird abgesehen, da eine solche nach der Sach- und Rechtslage nicht geboten erscheint (Art. 48 Abs. 3 Satz 4 VfGHG).
V.
Der Antrag auf Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs über die Gültigkeit der Landtagswahl ist zulässig.
Nach Art. 48 Abs. 1 Nr. 3 VfGHG können Stimmberechtigte, deren Wahlbeanstandung vom Landtag verworfen worden ist, die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs beantragen. Der Antrag ist binnen eines Monats seit der Beschlussfassung des Landtags über die Gültigkeit der Landtagswahl schriftlich einzureichen; er ist durch die Anführung von Tatsachen und Beweismitteln zu begründen (Art. 48 Abs. 2 Satz 1 VfGHG).
Der Antrag gemäß Art. 48 VfGHG, in dem der Antragsteller seine Beanstandungen im Einzelnen begründet, ist am 11. Juni 2019 (Dienstag nach Pfingstmontag) eingegangen. Die seit dem Beschluss des Landtags vom 8. Mai 2019 (LT-Drs. 18/1885) laufende Monatsfrist wurde damit eingehalten (Art. 17 Abs. 1 VfGHG i. V. m. § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB).
VI.
Der Antrag auf Feststellung der Ungültigkeit der Landtagswahl 2018 ist unbegründet.
A.
Die Wahlprüfung durch den Verfassungsgerichtshof gemäß Art. 33 Satz 2, Art. 63 BV, Art. 48 VfGHG dient in erster Linie dem Schutz des objektiven Wahlrechts und ist nicht auf die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Wahl beschränkt. Ihr Ziel ist die Feststellung der verfassungs- und gesetzmäßigen Zusammensetzung des Landtags in der laufenden Legislaturperiode. Nach dem im Wahlprüfungsverfahren geltenden Erheblichkeitsgrundsatz kann ein Antrag nur dann zum Erfolg führen, wenn Wahlfehler behauptet und festgestellt werden, die die konkrete Mandatsverteilung beeinflusst haben könnten. Eine solche Möglichkeit darf nicht nur theoretisch bestehen, sondern muss vielmehr nach allgemeiner Lebenserfahrung konkret und nicht ganz fernliegend sein.
Bei der Entscheidung über die Gültigkeit der Landtagswahl prüft der Verfassungsgerichtshof zum einen, ob die Wahlvorschriften richtig angewendet worden sind. Als Wahlfehler in diesem Sinn sind Verstöße gegen das materielle und formelle Wahlrecht zu verstehen. Prüfungsmaßstab sind danach die das Wahlverfahren unmittelbar regelnden Vorschriften, z. B. des Landeswahlgesetzes, daneben aber auch andere Vorschriften, die den ungestörten und ordnungsgemäßen Verlauf der Wahl gewährleisten, wie etwa die in Art. 14 Abs. 1 BV niedergelegten Wahlrechtsgrundsätze. Zum anderen erstreckt sich die Kontrolle darauf, ob die der Wahl zugrunde liegenden einfachrechtlichen Vorschriften mit der Verfassung vereinbar sind, da die verfassungsmäßige Rechtsgrundlage Voraussetzung für eine gültige Wahl ist (VerfGH vom 23.10.2014 VerfGHE 67, 263 Rn. 27 ff. m. w. N.).
B.
Nach diesen Grundsätzen haben die Beanstandungen des Antragstellers keinen Erfolg.
1. Die Wahl zum Bayerischen Landtag wird bzw. wurde (hinsichtlich Art. 21 Abs. 1 und Art. 42 Abs. 2 LWG, die durch das Gesetz zur Änderung des Landeswahlgesetzes vom 23. Mai 2022 GVBl S. 218, in Kraft getreten am 1. Juni 2022, geändert wurden) – soweit hier von Bedeutung – durch die im Folgenden dargestellten grundlegenden Strukturen geprägt (vgl. auch VerfGH BayVBl 2020, 86 Rn. 30 ff.; 2021, 265 Rn. 28 ff.):
a) Sie erfolgt gemäß Art. 14 Abs. 1 Satz 1 BV in allgemeiner, gleicher, unmittelba-rer und geheimer Wahl nach einem verbesserten Verhältniswahlrecht durch alle wahlberechtigten Staatsbürger in Wahlkreisen und Stimmkreisen. Jeder der sieben Regierungsbezirke bildet einen selbstständigen Wahlkreis (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 BV), innerhalb dessen einzelne Stimmkreise, grundsätzlich die Landkreise und kreisfreien Gemeinden, gebildet werden (Art. 14 Abs. 1 Sätze 3 bis 5 BV). Die Aufteilung der – vorbehaltlich der Zuteilung von Überhang- und Ausgleichsmandaten – insgesamt 180 Abgeordnetenmandate (Art. 13 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 Satz 6 BV) auf die Wahlkreise wurde bei der Wahl 2018 proportional zur deutschen Wohnbevölkerung vorgenommen (Art. 21 Abs. 1 Sätze 2 und 3 LWG a. F., zukünftig proportional zur Zahl ihrer wahlberechtigten Einwohner); auf die einzelnen Regierungsbezirke entfallen je nach Größe zwischen 16 und 61 Mandate (Art. 21 Abs. 2 LWG).
In den insgesamt 91 Stimmkreisen – je nach Wahlkreisgröße zwischen acht und 31 in den Regierungsbezirken – wird mit der Erststimme der Wählerinnen und Wähler (im Folgenden: Wähler) je eine Stimmkreisabgeordnete oder ein Stimmkreisabgeordneter (im Folgenden: Abgeordneter) im Weg der relativen Mehrheitswahl direkt in den Landtag gewählt (Art. 21 Abs. 3, Art. 43 LWG). Die übrigen (regulär insgesamt 89) Abgeordneten werden mit der Zweitstimme der Wähler aus den Wahlkreislisten der einzelnen Wahlkreisvorschläge der Parteien und Wählergruppen gewählt (Art. 21 Abs. 4 LWG). Die Zweitstimme wird – anders als etwa bei den Bundestagswahlen – grundsätzlich nicht an eine der Wahlkreislisten als solche, sondern an eine bestimmte Person aus den dort aufgeführten Wahlkreisbewerberinnen und -bewerbern (im Folgenden: Bewerber) vergeben (Art. 38 LWG); es handelt sich um sog. begrenzt offene bzw. bewegliche anstatt starrer Listen. Nur wenn anstelle einer besonderen sich bewerbenden Person lediglich eine bestimmte Partei oder Wählergruppe angekreuzt wird oder auch mehrere Bewerber innerhalb einer Liste angekreuzt werden, wird die Stimme der betreffenden Wahlkreisliste zugerechnet (Art. 40 Abs. 2 LWG).
b) Für die Abstimmung bei der Landtagswahl bestimmt Art. 36 LWG, dass jeder Wähler zwei Stimmen hat, eine zur Wahl eines Stimmkreisabgeordneten (Erststimme) und eine zur Wahl eines Wahlkreisabgeordneten (Zweitstimme). Nach Art. 37 Abs. 1 LWG enthält der Stimmzettel für die Wahl eines Stimmkreisabgeordneten die Namen der Bewerber im Stimmkreis mit Angabe des Namens der Partei oder Wählergruppe. Der Stimmzettel für die Wahl eines Wahlkreisabgeordneten enthält gemäß Art. 37 Abs. 2 LWG in jedem Stimmkreis die Wahlkreislisten sämtlicher Wahlkreisvorschläge; jedoch werden die Stimmkreisbewerber im eigenen Stimmkreis in der Wahlkreisliste nicht aufgeführt, da jeder Bewerber nur entweder als Stimmkreis- oder als Wahlkreisbewerber gewählt werden kann.
c) Für die Verteilung der Sitze im Landtag auf die einzelnen Parteien und Wählergruppen werden gesondert für jeden Wahlkreis die dort für die Stimmkreisbewerber und die Wahlkreisbewerber (und ggf. Wahlkreislisten) abgegebenen Stimmen zusammengezählt; die verhältnismäßige Vergabe der auf den betroffenen Wahlkreis entfallenden Sitze auf die verschiedenen Parteien und Wählergruppen ins-gesamt erfolgte bei der Wahl 2018 auf der Grundlage der jeweiligen Gesamtstimmenzahlen gemäß dem Sitzzuteilungsverfahren nach Hare/Niemeyer (Art. 42 Abs. 1 und 2 LWG a. F., zukünftig gemäß dem Sitzzuteilungsverfahren nach Sainte-Laguë/Schepers). Jede Partei oder Wählergruppe erhält über die Wahlkreisliste eine der Differenz zwischen den ihr im Wahlkreis insgesamt zustehenden Sitzen und den erzielten Direktmandaten entsprechende Anzahl von Sitzen (Listenmandate) zugeteilt (Art. 44 Abs. 1 LWG).
Abgesehen vom Sonderfall der Fünf-Prozent-Hürde gemäß Art. 14 Abs. 4 BV bleiben die in den Stimmkreisen errungenen Direktmandate stets erhalten, was zu Überhang- und Ausgleichsmandaten führen kann (Art. 14 Abs. 1 Satz 6 BV, Art. 44 Abs. 2 LWG). Dabei wird die Zahl der insgesamt auf den Wahlkreis treffenden Sitze so lange erhöht, bis sich bei ihrer Verteilung für den betroffenen Wahlkreisvorschlag die Zahl der in den Stimmkreisen errungenen Sitze ergibt.
Die interne Verteilung über die Direktmandate hinaus gewonnener Listenmandate an die sich bewerbenden Personen einer Partei oder Wählergruppe richtet sich nach der Zahl der (Erst- und Zweit-)Stimmen, die die Kandidatinnen und Kandidaten am Wahltag von den Wählern erhalten haben, nicht nach deren Reihenfolge auf den jeweiligen Wahlkreislisten (Art. 45 Abs. 1 LWG).
Eine überregionale Stimmenverrechnung gibt es nicht.
d) Mit der Verankerung des „verbesserten Verhältniswahlrechts“ für die Landtagswahl in Art. 14 Abs. 1 Satz 1 BV gibt die Bayerische Verfassung, anders als etwa das Grundgesetz, ein bestimmtes Wahlsystem vor. Die Verhältniswahl, für die sich der Verfassungsgeber grundsätzlich entschieden hat, zielt ihrem Wesen nach darauf ab, die politische Zusammensetzung der Wählerschaft im Parlament möglichst genau abzubilden. Die Abgeordnetenmandate werden nach dem zahlenmäßigen Verhältnis der für die verschiedenen Wahlvorschläge abgegebenen gültigen Stimmen aufgeteilt. Die verfassungsrechtliche Grundentscheidung für eine „Verbesserung“ des Verhältniswahlrechts bezieht sich nicht auf eine Perfektionierung des verhältniswahlrechtlichen Leitgedankens, sondern auf Ergänzungen und Modifikationen dieses Gedankens durch von anderen Erwägungen getragene Gestaltungsformen (Möstl in Lindner/Möstl/Wolff, Verfassung des Freistaates Bayern, 2. Aufl. 2017, Art. 14 Rn. 12). Das „verbesserte Verhältniswahlrecht“ ist gekennzeichnet durch die Einteilung des Wahlgebiets in Wahlkreise (Art. 14 Abs. 1 Sätze 1 und 2 BV), die Mehrheitswahl eigener Bewerber in einer Höchstzahl an Stimmkreisen mit der Möglichkeit von Überhang- und Ausgleichsmandaten (Art. 14 Abs. 1 Sätze 1, 3 bis 6 BV) und die Sperrklausel von 5% der insgesamt im Land abgegebenen gültigen Stimmen (Art. 14 Abs. 4 BV) (VerfGH vom 18.2.1992 VerfGHE 45, 12/18; vom 4.10.2012 VerfGHE 65, 189/202; BayVBl 2020, 86 Rn. 41; 2021, 265 Rn. 35).
Durch das in Art. 21 Abs. 3, Art. 43, 44 Abs. 1 LWG näher geregelte mehrheits-wahlrechtliche Element der Landtagswahl wird der Grundcharakter der Verhältniswahl nicht infrage gestellt (VerfGH BayVBl 2020, 86 Rn. 42; Möstl, a. a. O., Art. 14 Rn. 16). Denn zum einen kommen bei der Mandatsverteilung zur Zahl der direkt gewonnenen Sitze nur so viele Listenmandate hinzu, bis die Gesamtzahl der auf den Wahlkreisvorschlag entfallenden Sitze erreicht ist. Zum anderen werden etwa auftretende Überhangmandate gemäß Art. 44 Abs. 2 LWG ausgeglichen (VerfGH BayVBl 2021, 265 Rn. 34).
2. Art. 44 Abs. 2 LWG, der die Modalitäten für das Entstehen von Überhang- und Ausgleichsmandaten regelt, verstößt nicht gegen Art. 14 Abs. 1 Satz 1 BV. Eine Aussetzung des Verfahrens gemäß Art. 3 Abs. 3 Sätze 1 und 2 VfGHG, um eine erneute Befassung des Verfassungsgerichtshofs in der für die Normenkontrolle vorgeschriebenen Zusammensetzung nach Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VfGHG mit dieser Vorschrift herbeizuführen, ist nicht veranlasst.
Der Verfassungsgerichtshof hat in der genannten Zusammensetzung die Verfassungsmäßigkeit des Art. 44 Abs. 2 LWG bereits im Verfahren Vf. 14-VII-19 auf eine Popularklage hin umfassend geprüft und mit Entscheidung vom 1. Februar 2021 (BayVBl 2021, 265) bejaht. Die dortigen Antragsteller hatten erfolglos gerügt, die in Art. 44 Abs. 2 Satz 2 LWG vorgesehene gesonderte Ermittlung von Ausgleichsmandaten für jeden Wahlkreis verstoße gegen den in Art. 14 Abs. 1 Satz 1 BV normierten Grundsatz der Gleichheit der Wahl. Die speziellen, auf angeblich unzulässige Effekte eines negativen Stimmgewichts abstellenden Einwände des Antragstellers im hiesigen Wahlprüfungsverfahren rechtfertigen keine andere Bewertung. Art. 44 Abs. 2 LWG ist auch nach Auffassung der hier zur Entscheidung berufenen Spruchgruppe (Zusammensetzung gemäß Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VfGHG) verfassungsgemäß.
a) Der Antragsteller kann seine Auffassung, dass durch die beanstandete gesetzliche Regelung unzulässige inverse Erfolgswerte im Sinn der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aufträten, nicht erfolgreich mit den in seinen Berechnungen dargestellten, unbestrittenen Veränderungen absoluter Sitzzahlen im Wahlkreis Oberbayern (und entsprechend im Landtag insgesamt) bei veränderten Erststimmenergebnissen begründen. Denn die Wahlen zum Bayerischen Landtag sind so strukturiert, dass Veränderungen in den absoluten Sitzzahlen nicht notwendig mit entsprechenden Veränderungen im relativen Sitzanteil verbunden sind. Das Landeswahlgesetz sieht insbesondere keine ausgleichslosen Überhangmandate vor, sondern – zur Wiederherstellung des Proporzes – zu diesen hinzukommende Ausgleichsmandate im jeweils betroffenen Wahlkreis. Der bayerische Verfassungsgeber hat sich in Art. 14 Abs. 1 BV grundsätzlich für das System der Verhältniswahl sowie dafür entschieden, dass die Regelgröße des Landtags von 180 Abgeordneten nach Art. 13 Abs. 1 BV bei Anfall von Überhang- und Ausgleichsmandaten überschritten werden kann. Der maßgebliche Faktor für die Erfolgswertgleichheit in einem solchen Wahlsystem ist nicht die absolute Sitzzahl, sondern der relative Sitzanteil.
aa) Bei den Landtagswahlen können sich in den Wahlkreisen zunächst Überhangmandate nach Art. 44 Abs. 2 Satz 1 LWG ergeben, weil in den Stimmkreisen errungene Direktmandate einer Partei auch dann erhalten bleiben, wenn sie die Zahl der einer Partei auf Grundlage der Gesamtstimmenzahlen im Wahlkreis gemäß Art. 42 Abs. 2 LWG zustehenden Sitze übersteigen. Die dadurch verursachte Abweichung von der verhältnismäßigen Sitzzuteilung wird aber gemäß Art. 44 Abs. 2 Satz 2 LWG ausgeglichen. Danach wird die Zahl der nach Art. 21 Abs. 2 LWG auf den Wahlkreis treffenden Sitze so lange erhöht, bis sich bei ihrer Verteilung nach Art. 42 Abs. 2 LWG für den betroffenen Wahlkreisvorschlag die Zahl der für ihn in den Stimmkreisen errungenen Sitze ergibt – sodass die möglichst proportionale Abbildung des Gesamtstimmenergebnisses in der Verteilung der Sitze trotz der erhalten gebliebenen Direktmandate wieder gewährleistet ist. Zu den Überhangmandaten kommen also Ausgleichsmandate für die Bewerber eines oder mehrerer anderer Wahlkreisvorschläge hinzu, die Sitzzahl des Wahlkreises und entsprechend die Zahl der Landtagsabgeordneten erhöhen sich.
bb) Die isolierte Betrachtung von absoluten Sitzzahlen ist auf dieser Grundlage für die Erfolgswertgleichheit der Stimmen und die behaupteten erwartungswidrigen Effekte nicht aussagekräftig. Zwar können Erststimmenverluste einer Partei in einem Wahlkreis dazu führen, dass diese Partei insgesamt mehr Wahlkreissitze erhält. Führen die Verluste nämlich dazu, dass eine andere Partei weitere Überhangmandate erringen kann, werden diese Überhangmandate durch Erhöhung der Gesamtsitzzahl im Wahlkreis ausgeglichen. Von diesen Ausgleichsmandaten kann dann auch die Partei profitieren, die Erststimmen verloren hat. Umgekehrt können Erststimmengewinne verbunden mit dem Erringen von Direktmandaten in absoluten Zahlen zu Sitzverlusten führen, wenn wegen weniger Überhangmandaten weniger oder keine Ausgleichsmandate anfallen und die Gesamtsitzzahl des Wahlkreises nicht oder in geringerem Ausmaß erhöht wird. Das führt jedoch nicht zu einem verfassungsrechtlich zu beanstandenden inversen Erfolgswert von Stimmen. Denn durch den Ausgleichsmechanismus des Art. 44 Abs. 2 LWG wird gerade sichergestellt, dass sich aus den veränderten Gesamtsitzzahlen (von Rundungseffekten abgesehen) keine für die proportionale Sitzverteilung im Wahlkreis relevanten Verschiebungen der prozentualen Sitzanteile der Parteien ergeben. Eine Partei mag zwar trotz Stimmengewinnen einen oder auch mehrere Abgeordnete weniger in den Landtag entsenden können (bzw. trotz Stimmenverlusten mehr Abgeordnete). Die positiven oder negativen Erwartungen, die der Wähler mit der Abgabe seiner Stimme zugunsten oder zulasten einer Partei verbunden hat, werden aber dadurch deshalb nicht sinnwidrig „enttäuscht“, weil die anderen Parteien ebenfalls entsprechend weniger (bzw. mehr) Abgeordnetensitze erhalten und der Proporz untereinander gewahrt bleibt. In einem solchen Wahlsystem sind – um zunächst Rundungseffekte auszublenden – die Wählerstimmen durch die Verteilung der Abgeordnetensitze unabhängig davon, ob eine Partei, die beispielsweise 10% der Wählerstimmen für sich gewinnen konnte, 18 von 180 Sitzen oder 20 von 200 Sitzen erhält, im Verhältnis zutreffend repräsentiert.
Mit Blick auf die vom Antragsteller vorgelegten Modellrechnungen zur Landtagswahl 2018 für den Wahlkreis Oberbayern lässt sich dies ebenfalls illustrieren: Bei einem gemäß seiner ersten Proberechnung in den drei ausgewählten Münchner Stimmkreisen (103, 105 und 108) um insgesamt 18.512 Erststimmen verminderten Erststimmenergebnis für die GRÜNEN, bei dem diese Partei drei Direktmandate an die CSU verloren hätte, und einer auf dieser Grundlage neu berechneten Sitzverteilung hätten sich zwar trotz des Stimmenverlusts die absoluten Sitzzahlen der GRÜNEN im Wahlkreis Oberbayern von 17 (nach tatsächlichem Wahlergebnis) auf 19 erhöht. Es wäre jedoch zugleich die Gesamtzahl der Sitze von 69 (nach tatsächlichem Wahlergebnis) auf 77 gestiegen. Umgekehrt hätten die GRÜNEN bei einem gemäß der zweiten Proberechnung erhöhten Erststimmenergebnis (in den Stimmkreisen 101, 102 und 106) um insgesamt 5.165 Erststimmen – verbunden mit dem Gewinn dreier Direktmandate von der CSU – und auf dieser Grundlage neu berechneter Sitzverteilung 15 anstatt 17 Sitze erhalten; in diesem Fall hätte die Gesamtzahl der Sitze dann aber nur 61 (wie in Art. 21 Abs. 2 LWG für Oberbayern regulär vorgesehen) anstatt 69 betragen. Trotz der veränderten absoluten Sitzzahlen wäre jeweils der Proporz in Relation zu den ebenfalls veränderten Gesamtsitzzahlen erhalten geblieben: Nach dem tatsächlichen Ergebnis der Landtagswahl haben die GRÜNEN im Wahlkreis Oberbayern einen Sitzanteil von 24,64% (17 von 69 Mandaten) errungen. Die vom Antragsteller unterstellten Erststimmenverluste hätten zu einem Sitzanteil von 24,68% (19 von 77 Mandaten) geführt, die Stimmengewinne zu einem Anteil von 24,59% (15 von 61 Mandaten). Die Sitzanteile unterscheiden sich lediglich geringfügig in den Nachkommastellen, was auf bloßen Rundungseffekten beruht und verfassungsrechtlich unbedenklich ist (vgl. nachfolgend unter b)).
cc) Entgegen der Auffassung des Antragstellers lässt sich aus den von ihm zitierten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Mandatszuteilung bei Bundestagswahlen nach den Vorschriften des Bundeswahlgesetzes nicht ableiten, dass zur Beurteilung, ob inverse Erfolgswerte vorliegen, unabhängig von den wahlrechtlichen Vorgaben stets oder nur die absoluten Sitzzahlen maßgeblich wären. Das Urteil vom 3. Juli 2008 (BVerfGE 121, 266), in dem das Bundesverfassungsgericht einen verfassungswidrigen Effekt des negativen Stimmgewichts bezogen auf die Zweitstimmenergebnisse im Zusammenhang mit Überhangmandaten und der Möglichkeit von Listenverbindungen festgestellt hat, betraf §§ 6 und 7 des Bundeswahlgesetzes in der Fassung vom 23.7.1993 (BGBl I S. 1288, ber. S. 1594), zuletzt geändert durch Gesetz vom 11.3.2005 (BGBl I S. 674) (im Folgenden: BWahlG a. F.), nach dessen Regelungen Überhangmandate nicht ausgeglichen wurden. Wenn in diesem Wahlsystem eine Partei – aus welchem Grund auch immer – ein Mandat mehr erhielt, während die Zahlen aller anderen Parteien konstant blieben (Betrachtung unter der sog. Ceteris-Paribus-Bedingung), erhöhte sich sowohl die absolute Sitzzahl dieser Partei als auch entsprechend ihr relativer Sitzanteil. In diesem Kontext war also ein negatives Stimmgewicht immer sowohl ein absolutes als auch ein relatives und eine Differenzierung zwischen absoluten Sitzzahlen und verhältnismäßigen Sitzanteilen nicht erforderlich. Um beurteilen zu können, ob die Abgabe bzw. Nichtabgabe einer Wählerstimme der zu unterstützenden Partei im Ergebnis dienlich war oder nicht, genügte bereits die Betrachtung der absoluten Sitzzahlen (vgl. ausführlich Behnke, ZfP 2015, 123/131 ff.). Das ist im hier zur Beurteilung stehenden Wahlsystem für die bayerischen Landtagswahlen gemäß dem Landeswahlgesetz mit einem Ausgleichsmodell, das bei Anfall von Überhangmandaten die proportionale Sitzverteilung durch Ausgleichsmandate sicherstellt, aber gerade nicht so. Ebenso wenig lässt sich aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 25. Juli 2012 (BVerfGE 131, 316), welches § 6 des Bundeswahlgesetzes in der Fassung des Neunzehnten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes vom 25. November 2011 (BGBl I S. 2313) betraf, ableiten, dass stets und unabhängig vom jeweiligen Wahlsystem bereits die absoluten Sitzzahlen für die Beurteilung etwaiger Effekte eines negativen Stimmgewichts ausreichend und ausschlaggebend wären. Auch diese Entscheidung befasste sich mit einem Wahlsystem, für das die ausgleichslose Hinnahme von Überhangmandaten kennzeichnend war (sowie eine zweistufige Sitzverteilung mit Ober- und Unterverteilung, die es im bayerischen Landeswahlrecht nicht gibt). Auch dort war – unter Geltung der Ceteris-Paribus-Bedingung – die Erhöhung der absoluten Sitzzahl einer Partei mit einer Erhöhung auch ihres relativen Sitzanteils verbunden. In einem damit nicht vergleichbaren Ausgleichsmodell wie dem des Landeswahlgesetzes in Bayern kann hingegen die isolierte Betrachtung der absoluten Stimmen- und Sitzzahlen einer spezifischen Partei, ohne diese in irgendeiner Weise zu den Stimmen- und Sitzzahlen anderer Parteien in Relation zu setzen, nicht genügen (vgl. die überzeugende Darstellung anhand eines Rechenbeispiels bei Behnke, ZfP 2015, 123/135 ff.). Diese Interpretation wird im Übrigen wohl durch den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 20. Juli 2021 (NVwZ 2021, 1525) bestätigt. Mit diesem Beschluss wurde ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung in einem abstrakten Normenkontrollverfahren gegen Vorschriften des Fünfundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes vom 14. November 2020 (BGBl I S. 2395), mit denen insbesondere § 6 BWahlG geändert wurde (u. a. Einführung ausgleichsloser Überhangmandate), abgelehnt. In der Entscheidung werden zwar verfassungsrechtliche Zweifel an der ausgleichslosen Zuteilung von Überhangmandaten im Hinblick auf die Grundsätze der Wahlrechtsgleichheit und Chancengleichheit der Parteien zum Ausdruck gebracht, jedoch keine grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedenken an der Zulässigkeit von Ausgleichsmodellen an sich geäußert (vgl. BVerfG, a. a. O., Rn. 93: „… Jedenfalls soweit kein Ausgleich stattfindet, wird die Erfolgswertgleichheit beeinträchtigt …“ und Rn. 94 ff.) – Letzteres wäre aber naheliegend gewesen, wenn für einen etwaigen Effekt des negativen Stimmgewichts stets die isolierte Betrachtung der absoluten Stimmen- und Sitzzahlen einer Partei, ohne diese zu denjenigen anderer Parteien in Relation zu setzen, maßgeblich wäre (vgl. zu Ausgleichsmodellen auch Behnke, ZfP 2015, 123/135 f., 138).
b) Ein verfassungsrechtlich zu beanstandender inverser Erfolgswert der Stimmen lässt sich nicht über die geringfügigen Veränderungen der relativen Sitzanteile im Wahlkreis bei sich ändernden absoluten Sitzzahlen begründen. Die oben (unter a) bb)) am Beispiel der Modellrechnungen des Antragstellers beschriebenen geringfügigen Unterschiede in den Nachkommastellen (24,64% Sitzanteil bei 17 von 69 Mandaten nach dem tatsächlichen Ergebnis gegenüber 24,68% – 19 von 77 Mandaten – bei unterstellten Erststimmenverlusten bzw. gegenüber 24,59% – 15 von 61 Mandaten – bei unterstellten Erststimmengewinnen) sind dadurch bedingt, dass die am Ende im Wahlkreis vergebenen Sitze immer ganzzahlig gerundete Werte des exakt proportional bestehenden Sitzanspruchs darstellen. Bei gleichen Stimmenverhältnissen verbessern sich relativ daher einige Parteien und verschlechtern sich relativ andere Parteien immer dann, wenn sich die Gesamtsitzzahl verändert. Diese zufälligen Auswirkungen bei Anwendung eines mathematischen Proporzverfahrens stellen aber normale Rundungseffekte dar und sind verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl. Behnke, ZfP 2015, 123/137).
c) Ein im Hinblick auf die Grundsätze der Wahlrechtsgleichheit und Unmittelbarkeit der Wahl unzulässiges negatives Stimmgewicht durch die Modalitäten für das Entstehen von Überhang- und Ausgleichsmandaten ergibt sich schließlich nicht mit Blick auf die sich aus den Modellrechnungen des Antragstellers ergebenden Auswirkungen der unterschiedlichen Erststimmenergebnisse auf die Zusammensetzung des Landtags insgesamt.
aa) Bei landesweiter Betrachtung kann sich zwar mittelbar in geringem Umfang ein „Nachteil“ für eine Partei hinsichtlich der Sitzanteile in der Gesamtzusammensetzung des Landtags bei einem Zugewinn an Erststimmen (bzw. ein „Vorteil“ bei einem Verlust von Erststimmen) ergeben, die über die eben beschriebenen unvermeidbaren rechnerischen Abweichungen eines mathematischen Proporzverfahrens hinausgehen. Denn Wahlkreise, in denen Überhang- und Ausgleichsmandate anfallen, sind im Vergleich zu Wahlkreisen, in denen dies nicht oder in geringerem Umfang der Fall ist, mit – bezogen auf die Wahlberechtigten – verhältnismäßig mehr Abgeordneten im Landtag vertreten. Wahlkreise ohne oder mit wenig Überhang- und Ausgleichsmandaten haben nämlich (abweichend von der in Art. 21 LWG grundsätzlich vorgesehenen Aufteilung der regulären 180 Abgeordnetenmandate nach dem Verhältnis der Einwohnerzahl bzw. zukünftig der Zahl der Wahlberechtigten) im landesweiten Gesamtergebnis ein geringeres Gewicht als Wahlkreise, in denen mehr Überhang- und Ausgleichsmandate anfallen. Die Wählerstimmen in den einzelnen Wahlkreisen weisen dadurch im Vergleich unterschiedliche Erfolgswerte auf und die Genauigkeit der verhältnismäßigen Repräsentation wird beeinträchtigt. Wenn nun eine (kleinere) Partei in einem Wahlkreis – wie bei der Landtagswahl 2018 die GRÜNEN in Oberbayern – in ihrem Gesamtstimmenergebnis stärker ist als landesweit und dort zudem stark genug, um der am stärksten überhängenden Partei – bei der Landtagswahl 2018 der CSU – Direktmandate abzunehmen, sodass in diesem Wahlkreis weniger oder keine Überhang- und Ausgleichsmandate entstehen, kann sich dies durch das dann verringerte Gewicht dieses Wahlkreises gegenüber Wahlkreisen mit mehr Überhang- und Ausgleichsmandaten bei landesweiter Betrachtung in geringem Umfang „nachteilig“ für die Partei auswirken.
So haben nach dem tatsächlichen Ergebnis der Landtagswahl 2018 die GRÜNEN bei einem Sitzanteil im Wahlkreis Oberbayern von 24,64% (17 von 69 Mandaten) im Landtag insgesamt einen Sitzanteil von 18,54% (38 von 205 Sitzen) errungen. Die vom Antragsteller unterstellten Erststimmenverluste hätten, wie bereits dargestellt, zu einem Sitzanteil im Wahlkreis von 24,68% (19 von 77 Mandaten) geführt, im Landtag insgesamt zu einem Sitzanteil von 18,78% (40 von 213 Sitzen). Umgekehrt hätten die Erststimmengewinne aus seinen Modellrechnungen zu einem Sitzanteil im Wahlkreis Oberbayern von 24,59% (15 von 61 Mandaten) und damit im Landtag insgesamt zu einem Sitzanteil von 18,27% (36 von 197 Sitzen) geführt. Das im Wahlkreis Oberbayern stärkere Wahlergebnis der GRÜNEN gegenüber ihrem landesweiten Wahlergebnis hätte sich also bei den in den Modellrechnungen unterstellten Erststimmenverlusten (mit Verlust tatsächlich errungener Direktmandate) etwas stärker in der Gesamtzusammensetzung des (dann größeren) Landtags niedergeschlagen als im tatsächlichen Ergebnis. Umgekehrt hätten sich die unterstellten weiteren Direktmandate durch Erststimmengewinne letztlich für die GRÜNEN nicht „gelohnt“, da diese zwar zu einer Landtagsgröße näher an der verfassungsrechtlich vorgesehenen Regelgröße geführt hätten, aber sich durch das dann verringerte Gewicht des Wahlkreises Oberbayern gegenüber den anderen Wahlkreisen das insgesamt starke Ergebnis im Wahlkreis etwas weniger stark auf die Gesamtzusammensetzung des Landtags ausgewirkt hätte als nach dem tatsächlichen Wahlergebnis.
bb) Mit der hierfür einschlägigen Problematik der ungleichen Gewichtung der selbstständigen Wahlkreise für die Gesamtzusammensetzung des Landtags bei unterschiedlichem Anfall von Überhang- und Ausgleichsmandaten in den einzelnen Wahlkreisen hat sich der Verfassungsgerichtshof aber bereits in seiner Entscheidung vom 1. Februar 2021 (BayVBl 2021, 265) auf eine Popularklage gegen Art. 44 Abs. 2 LWG hin ausführlich und grundsätzlich befasst. Er ist dort zu dem Ergebnis gekommen, dass derartige Abweichungen von der Proportionalität angesichts der von der Verfassung selbst in Art. 13 und 14 BV vorgegebenen Anforderungen an die Gestaltung der Landtagswahl, die teilweise in Konkurrenz zueinander stehen und bei denen eine – isoliert betrachtet – optimale Umsetzung jeder einzelnen Vorgabe faktisch unmöglich ist, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden oder zumindest hinnehmbar seien (vgl. auch bereits VerfGH BayVBl 2020, 86 Rn. 63 f.).
In der Entscheidung wird insbesondere hervorgehoben, dass der in Art. 14 Abs. 1 Satz 2 BV vorgesehenen Wahl in Wahlkreisen, die den Regierungsbezirken entsprechen, die Bedeutung einer Einteilung in sieben selbstständige Wahlkörper zukomme und dies zur Folge habe, dass die einzelnen Abschnitte des Wahlvorgangs, nämlich Bewerberaufstellung, Stimmabgabe und Auswertung der abgegebenen Stimmen sowie Zuteilung der Abgeordnetensitze grundsätzlich getrennt in den Wahlkreisen vorzunehmen seien. Diese getrennte Wahl in sieben selbstständigen Wahlkreisen sei zwangsläufig mit Einbußen an Proportionalität verbunden, die jedoch Folge des von der Bayerischen Verfassung vorgegebenen Wahlsystems ohne überregionale Stimmenverrechnung seien. Trotz der Entscheidung des Verfassungsgebers für eine regionalisierte Wahl in Wahlkreisen bilde grundsätzlich das landesweite Wahlergebnis die maßgebliche Bezugsgröße für die Proportionalität von Abgeordnetenmandaten und Stimmen. Konkurrierende verfassungsrechtliche Voraussetzungen könnten jedoch auch Abweichungen vom verhältniswahlrechtlichen Grundsatz verzerrungsfreien Parteienproporzes und voller Erfolgswertgleichheit rechtfertigen. Der verhältniswahlrechtliche Wahlgleichheitssatz werde hierbei nicht völlig verdrängt, sondern behalte bei der näheren Ausgestaltung des verfassungsrechtlich vorgezeichneten „verbesserten“ Verhältniswahlrechts seine regulative und begrenzende Funktion. Sofern dem Wahlgesetzgeber verschiedene Gestaltungsmöglichkeiten zur Verfügung stünden, habe er derjenigen den Vorzug zu geben, die bei Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Wahl dem Grundsatz der Wahlgleichheit möglichst weitgehend Rechnung trage; darüber hinaus könnten einer die Erfolgswertgleichheit beeinträchtigenden „Verbesserung“ des Verhältniswahlrechts auch absolute Grenzen gesetzt sein.
Es sei aber nicht erkennbar, dass diese Grenzen durch Art. 44 Abs. 2 LWG überschritten würden. Mit der Zulassung von Überhangmandaten trage der Gesetzgeber dem mehrheitswahlrechtlichen Element des von der Bayerischen Verfassung in Art. 14 Abs. 1 Satz 1 BV vorgegebenen Wahlsystems Rechnung. Dass er dabei die grundsätzliche Konzeption als Verhältniswahlrecht nicht aus den Augen verloren habe, zeige sich in der Zuweisung von Ausgleichsmandaten. Überhang- und Ausgleichsmandate seien in Art. 14 Abs. 1 Satz 6 BV ausdrücklich zugelassen, wenn sie sich in Anwendung der Wahlrechtsgrundsätze des Art. 14 Abs. 1 Sätze 1 bis 5 BV ergäben. Es seien auch keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass Art. 14 Abs. 1 Satz 6 BV, der durch das „Verfassungsreformgesetz – Reform von Landtag und Staatsregierung“ vom 20. Februar 1998 neu in die Bayerische Verfassung aufgenommen wurde und der Überhang- und Ausgleichsmandate ohne detaillierte Vorgaben lediglich ermöglicht, im Widerspruch zu Art. 28 Abs. 1 Sätze 1 und 2 GG stehen könnte. Insoweit sei insbesondere auf die vorliegende Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Anfallen von Überhangmandaten im System der mit der Personenwahl verbundenen Verhältniswahl und zur Zulässigkeit und Erforderlichkeit von Ausgleichsmandaten zu verweisen. Die im Popularklageverfahren gerügten regionalen Disparitäten seien insbesondere Folge der in Art. 14 Abs. 1 Sätze 1 und 2 BV vorgegebenen Wahl in Wahlkreisen. Sie führten unter dem Gesichtspunkt der Wahlgleichheit, die eines von mehreren Elementen in einer Reihe verfassungsrechtlicher Maßgaben für die Landtagswahl darstelle, nicht dazu, dass Art. 44 Abs. 2 LWG verfassungsrechtlich zu beanstanden wäre. Soweit die (dortigen) Antragsteller ein „anderes Verfahren“ der Zuteilung von Überhang- und Ausgleichsmandaten hinsichtlich der Wahlgleichheit als vorzugswürdig ansähen, sei nicht ersichtlich, welche Modalitäten sich insoweit aufdrängen könnten, die sich zugleich in das Gesamtsystem der von der Bayerischen Verfassung normierten Anforderungen an die Landtagswahl einfügen und nicht ihrerseits neue Fragen im Hinblick auf die geltenden (weiteren) Wahlprinzipien aufwerfen würden (VerfGH, a. a. O., Rn. 36 ff., 48 ff., 52 ff.).
cc) Auch wenn sich der Verfassungsgerichtshof in dieser Entscheidung nicht ausdrücklich mit der Frage eines etwa insoweit auftretenden negativen Stimmgewichts befasst hat, hat er (in der nach Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VfGHG für die Normenkontrolle vorgeschriebenen Zusammensetzung) eine grundsätzlich abschließende Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des Art. 44 Abs. 2 LWG vorgenommen (vgl. zum Prüfungsumfang bei zulässiger Popularklage z. B. VerfGH vom 22.7.1999 VerfGHE 52, 47/56; vom 17.11.2005 VerfGHE 58, 253/260; vom 21.4.2021 – Vf. 85-VII-20 – juris Rn. 32) und wäre eine erneute Popularklage gegen die Vorschrift nur unter engen Voraussetzungen zulässig (vgl. VerfGH vom 29.6.2018 VerfGHE 71, 138 Rn. 60; vom 31.10.2018 VerfGHE 71, 287 Rn. 28; jeweils m. w. N.). Ob und gegebenenfalls inwieweit dies auch Auswirkungen auf das Verfahren nach Art. 3 Abs. 3 VfGHG hätte, kann dahinstehen. Denn eine Aussetzung des Wahlprüfungsverfahrens zur Herbeiführung einer Vorabentscheidung der Normenkontrollspruchgruppe ist schon deshalb nicht veranlasst, da auch unter dem speziellen Aspekt des negativen Stimmgewichts keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken gegen Art. 44 Abs. 2 LWG bestehen.
Die in den Modellrechnungen des Antragstellers aufgezeigten mittelbaren Auswirkungen veränderter Erststimmenergebnisse mit der Folge eines veränderten Anfalls von Überhang- und Ausgleichsmandaten in den einzelnen Wahlkreisen auf die Gesamtzusammensetzung des Landtags (bei Heranziehung der sog. Ceteris-Paribus-Bedingung) stellen nicht mehr als eine notwendige Nebenfolge der vom Verfassungsgerichtshof bereits als verfassungsgemäß gebilligten Einbußen an Proportionalität dar, die zwangsläufig mit der in der Verfassung selbst vorgesehenen getrennten Wahl in sieben selbstständigen Wahlkreisen einhergehen und den in Art. 13 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 BV unmittelbar angelegten Zielkonflikten geschuldet sind. Diese regionalen Disparitäten begründen nur scheinbar ein verfassungsrechtlich unzulässiges negatives Stimmgewicht im Sinn der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in dessen Urteilen vom 3. Juli 2008 (BVerfGE 121, 266) und 25. Juli 2012 (BVerfGE 131, 316). Denn der Zugewinn oder Verlust von Erststimmen wirkt sich im Ergebnis nicht dahin aus, dass der Wählerwille in sein Gegenteil verkehrt würde und erwartungswidrige Ergebnisse mit willkürlicher Wirkung einträten; die beschriebenen mittelbaren Auswirkungen erschöpfen sich vielmehr letztlich in einer unterschiedlichen Gewichtung der Wählerstimmen in den einzelnen Wahlkreisen für die Zuteilung der Abgeordnetenmandate, je nachdem, ob und wieviele Überhang- und Ausgleichsmandate dort jeweils anfallen. Einen Eingriff in die Gleichheit der Wahl durch den Effekt des negativen Stimmgewichts nimmt das Bundesverfassungsgericht jedoch gerade dann noch nicht an, wenn Wählerstimmen bei der Zuteilung der Mandate unterschiedlich gewichtet werden (vgl. BVerfGE 121, 266/304).
Im Übrigen setzt auch das Bundesverfassungsgericht den Effekt des negativen Stimmgewichts nicht absolut. Es sieht darin zwar gegebenenfalls einen Eingriff in die Gleichheit der Wahl von hoher Intensität, achtet aber gleichwohl den Spielraum des Gesetzgebers, dessen Sache es grundsätzlich sei, das Gebot der Wahlrechtsgleichheit mit sonstigen verfassungsrechtlich legitimen Zielen zum Ausgleich zu bringen. Im Urteil vom 3. Juli 2008 hat das Bundesverfassungsgericht die der Regelung der §§ 6 und 7 BWahlG a. F. zugrunde liegenden föderalen Belange allerdings nicht als gewichtig genug angesehen, um den damit verbundenen erheblichen Eingriff in die Wahlrechtsgleichheit durch den Effekt des negativen Stimmgewichts zu rechtfertigen (vgl. BVerfGE 121, 266/303 ff.). Da die Bayerische Verfassung, anders als das Grundgesetz, für die Landtagswahl insofern konkrete Vorgaben enthält, als das „verbesserte Verhältniswahlrecht“, die Wahl in den sieben selbstständigen Wahlkreisen sowie die Zulässigkeit von Überhang- und Ausgleichsmandaten verbunden mit der möglichen Überschreitung der regulären Abgeordnetenzahl in Art. 14 Abs. 1 BV ausdrücklich verankert sind, können die damaligen Erwägungen und das Ergebnis des Bundesverfassungsgerichts zum Bundeswahlrecht nicht unmittelbar auf die hiesige Verfassungslage und das Landeswahlrecht übertragen werden. Selbst unterstellt, die vom Antragsteller in seinen Modellrechnungen aufgezeigten prozentualen Abweichungen auf landesweiter Ebene von lediglich geringem Umfang wären als Effekt des negativen Stimmgewichts zu werten, hielte der Verfassungsgerichtshof den darin liegenden Eingriff in die Wahlgleichheit von hoher Intensität im Hinblick auf die spezifisch bayerische verfassungsrechtliche Ausgangslage für noch hinnehmbar. Auf Grundlage der bereits in den Entscheidungen vom 28. Oktober 2019 (BayVBl 2020, 86 Rn. 36 ff.) und 1. Februar 2021 (BayVBl 2021, 265 Rn. 37 f.) getroffenen Erwägungen wird auch daran festgehalten, dass die verfassungsrechtlichen Vorgaben an die Landtagswahl in Art. 13 und 14 BV in Einklang mit der Homogenitätsklausel des Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG stehen (vgl. auch Möstl, BayVBl 2022, 433).
Eine Prüfung unter dem Aspekt eines etwaigen Verstoßes gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl (vgl. dazu BVerfGE 121, 266/307; 131, 316/347), der in der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs vom 1. Februar 2021 neben der Wahlrechtsgleichheit nicht gesondert angesprochen wird, führt zu keiner anderen Bewertung. Das Wahlverfahren zu den Landtagswahlen in Bayern ist hinsichtlich des etwaigen Anfalls von Überhang- und Ausgleichsmandaten und der damit verbundenen Auswirkungen auf die Gesamtstimmenzahl des jeweiligen Wahlkreises und die Gesamtzusammensetzung des Landtags durch das Landeswahlgesetz so strukturiert (vgl. oben unter 1.), dass der Wähler in ausreichender Weise bereits vor dem Wahlakt erkennen kann, wie sich die eigene Stimmabgabe auf den Erfolg oder Misserfolg der Wahlbewerber auswirken kann. Insbesondere sind keine Ober- und Unterverteilung oder überregionale Reststimmenverwertung, welche unter Umständen die Sitzzuteilung hinsichtlich der Überhang- und Ausgleichsmandate intransparent machen könnten, vorgesehen.
dd) Soweit der Antragsteller das von ihm angenommene negative Stimmgewicht als nicht unvermeidbar ansieht und aus seiner Sicht vorzugswürdige andere Lösungswege zur Konfliktbereinigung zwischen den gegenläufigen Wahlrechtsgrundsätzen anspricht, hat er im Übrigen nicht aufgezeigt, dass der Wahlgleichheit mit anderen Gestaltungsmöglichkeiten, die nicht ihrerseits neue oder vergleichbare Fragen im Hinblick auf die geltenden (weiteren) Wahlprinzipien aufwerfen würden, offensichtlich besser Rechnung getragen werden könnte (vgl. auch Möstl, BayVBl 2022, 433/436 ff.).
Die Regelungsvorschläge des Antragstellers (Verzicht auf die Zuteilung von Überhangmandaten; Zuteilung lediglich der gemäß regulärer Gesamtsitzzahl verbleibenden Sitze im Wahlkreis an die nicht überhängenden Parteien; unausgeglichenes Bestehenlassen von Überhangmandaten; Reduzierung der Anzahl der Stimmkreise; Einrichtung eines Quorums in den Stimmkreisen; Vorrang des zweitplatzierten Stimmkreisbewerbers; Verhältnisausgleich zwischen den Wahlkreisen) begegnen vielmehr auf der Grundlage des geltenden Verfassungsrechts grundsätzlichen Bedenken in verschiedener Hinsicht – wie beispielsweise aufgrund Systembrüchen im Subsystem der Mehrheitswahl oder durch anderweitig verursachte Effekte des negativen Stimmgewichts. Insoweit ist insbesondere der Verweis des Antragstellers auf ältere Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs, in denen bestimmte Modalitäten zur Vermeidung von Überhangmandaten für verfassungskonform erachtet wurden (VerfGH vom 2.12.1949 VerfGHE 2, 181/210 ff.; vom 30.5.1952 VerfGHE 5, 125/144 f.; vom 18.11.1954 VerfGHE 7, 99/106), unbehelflich. Dies ergibt sich schon daraus, dass diese Entscheidungen noch vor der Änderung der Bayerischen Verfassung im Jahr 1998 durch das „Verfassungsreformgesetz – Reform von Landtag und Staatsregierung“ ergingen, mit dem durch die Einfügung des Art. 14 Abs. 1 Satz 6 BV ausdrücklich die durch Überhang- und Ausgleichsmandate bedingte Überschreitung der durch dasselbe verfassungsändernde Gesetz auf 180 reduzierten und seither in Art. 13 Abs. 1 BV verfassungsrechtlich fixierten Zahl von Abgeordneten gestattet wurde. Auch konnte diese frühere Rechtsprechung naturgemäß weder die zwischenzeitlichen Veränderungen in Parteienlandschaft und Wählerverhalten noch die heutige differenzierte und streng an der Wahlrechtsgleichheit ausgerichtete Judikatur des Bundesverfassungsgerichts (vgl. zuletzt BVerfG NVwZ 2021, 1525) berücksichtigen. Im Übrigen hat der Verfassungsgerichtshof bereits in seiner Entscheidung vom 1. Februar 2021 (BayVBl 2021, 265 Rn. 54) darauf hingewiesen, dass es nicht seine Aufgabe ist, Überlegungen zur Perfektionierung des Landeswahlrechts wie ein Normgeber anzustellen (vgl. zu solchen Überlegungen beispielsweise Bischof/Pukelsheim, BayVBl 2019, 757). Denn hierzu sind allein der parlamentarische Gesetzgeber, dessen auch im Bereich des Wahlrechts grundsätzlich bestehendes Gestaltungsermessen zu respektieren ist, und gegebenenfalls der Verfassungsgeber berufen. Soweit der Antragsteller über die genannten Regelungsvorschläge hinaus in den Raum stellt, dass „unter dem Vorbehalt der nötigen Zustimmung des Volkes“ auch an eine Verfassungsänderung gedacht werden könnte, „die etwa Mehrpersonenstimmkreise ermöglichen würde“, ist dies im vorliegenden Verfahren, in dem Wahlfehler und die Vereinbarkeit der wahlrechtlichen Vorschriften mit der – geltenden – Verfassung als Voraussetzung für eine gültige Wahl zu prüfen sind (vgl. oben unter A.), irrelevant.
d) Ob eine Aussetzung des Verfahrens zum Zweck der Herbeiführung einer Vorabentscheidung der Normenkontrollspruchgruppe darüber hinaus deswegen nicht in Betracht kommt, weil der Antrag des Antragstellers selbst bei unterstellter Verfassungswidrigkeit des Art. 44 Abs. 2 LWG wegen eines unzulässigen Effekts des negativen Stimmgewichts im Hinblick auf den im Wahlprüfungsverfahren geltenden Erheblichkeitsgrundsatz keinen Erfolg haben könnte, kann offenbleiben. Nach diesem Grundsatz müsste ein etwaiger Wahlfehler die konkrete Mandatsverteilung im Landtag nicht nur theoretisch beeinflusst haben können, eine solche Möglichkeit müsste vielmehr nach allgemeiner Lebenserfahrung konkret und nicht ganz fernliegend sein. Das Vorliegen dieser Voraussetzung erscheint ausgehend von der Stellungnahme des Landeswahlleiters mit ergänzenden Modellrechnungen unter Zugrundelegung „realistischerer“ Annahmen zum Wählerverhalten, die den tatsächlichen weitgehenden Gleichlauf von Erst- und Zweitstimmenvergabe bei der Landtagswahl 2018 berücksichtigen und keinen „ersatzlosen“ Wegfall von Erststimmen postulieren, sondern gegebenenfalls ein Abwandern solcher Stimmen zu anderen Parteien mit einbeziehen, zumindest zweifelhaft.
3. Art. 42 Abs. 2 des Landeswahlgesetzes in der für die Landtagswahl 2018 geltenden Fassung der Bekanntmachung vom 5. Juli 2002 (GVBl S. 277, 620, BayRS 111-1-I), das zuletzt durch § 1 des Gesetzes vom 24. Juli 2019 (GVBl S. 342) geändert worden war, wonach für die Sitzverteilung im Landtag das Berechnungsverfahren nach Hare/Niemeyer zur Anwendung kam, war ebenfalls mit der Bayerischen Verfassung vereinbar. Auch insoweit besteht kein Anlass zu einer Aussetzung des Verfahrens.
a) Der bayerische Gesetzgeber hat mit dem Gesetz zur Änderung des Landeswahlgesetzes vom 23. Mai 2022 (GVBl S. 218), in Kraft getreten am 1. Juni 2022, Art. 42 Abs. 2 LWG dahingehend geändert, dass künftig das bisherige Sitzzuteilungsverfahren durch das Berechnungsverfahren nach Sainte-Laguë/Schepers ersetzt wird. Zur Begründung hat er insbesondere auf aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse, die Vermeidung von Paradoxien, die bereits verbreitete Anwendung dieser Berechnungsmethode (in den jeweils zum gleichen Ergebnis kommenden Varianten Divisorverfahren mit Standardrundung oder Höchstzahlverfahren) etwa bei der Bundestags- und Europawahl, bei Landtagswahlen in anderen Bundesländern sowie im Gemeinde-, Landkreis- und Bezirkswahlrecht in Bayern verwiesen; er hat sich dabei im Interesse des Gleichklangs mit dem Bundeswahlrecht konkret für das Divisorverfahren mit Standardrundung entschieden (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs, LT-Drs.18/21545 S. 10; vgl. auch Plenarprotokoll 18/114 vom 11. Mai 2022 S. 63, 72).
b) Das Proportionalverfahren nach Hare/Niemeyer, das von 1987 bis 2005 auch bei den Bundestags- und Europawahlen angewendet wurde sowie auf kommunaler Ebene in Bayern seit den Bezirkswahlen 2013 und den allgemeinen Gemeinde- und Landkreiswahlen 2014 (Änderungsgesetz vom 21. Dezember 2010 GVBl S. 846) bis Ende März 2018 (Änderungsgesetz vom 22. März 2018 GVBl S. 145) vorgeschrieben war, ist ein grundsätzlich gut durchschaubares und plausibles Berechnungsverfahren. Seine Einführung für die Landtagswahlen in Bayern im Jahr 1993 geht auf eine Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs vom 24. April 1992 (VerfGHE 45, 54) zurück, in der die jeweils getrennte Anwendung des vormaligen d’Hondt’schen Höchstzahlverfahrens in den sieben Wahlkreisen als Verstoß gegen den Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit angesehen, hingegen das Proporzverfahren nach Hare/Niemeyer trotz der auch damit mathematisch nicht erreichbaren absoluten Erfolgswertgleichheit der Wählerstimmen nicht nur allgemein, sondern auch bei getrennter Anwendung in den Wahlkreisen als verfassungskonform bewertet wurde. Das Bundesverfassungsgericht hatte bereits zuvor im Beschluss vom 24. November 1988 (BVerfGE 79, 169/170 f.) auf die Bundestagswahl 1987 bezogene Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit dieses Sitzzuteilungsverfahrens zurückgewiesen.
Das Berechnungsverfahren nach Hare/Niemeyer trägt grundsätzlich dem Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit Rechnung und entspricht den verfassungsrechtlichen Anforderungen an ein für die Verhältniswahl unabdingbares Sitzzuteilungssystem, obwohl mathematisch eine absolute Gleichheit des Erfolgswerts der Stimmen auch damit nicht erreicht wird, in Randbereichen die Möglichkeit besteht, dass paradoxe Ergebnisse auftreten, und dagegen insbesondere geltend gemacht wird, dass es mit dem Effekt des negativen Stimmgewichts verbunden sein könne. Dass sich der Bundesgesetzgeber seit der Bundestags- und der Europawahl 2009 für die Ersetzung dieses Proporzverfahrens durch das Sitzzuteilungsverfahren nach Sainte-Laguë/Schepers entschieden hat, letzteres Verfahren auch für Landtagswahlen anderer Bundesländer Anwendung findet, Bayern darauf seit 1. April 2018 auf kommunaler Ebene umgestellt und für die Zukunft nun auch das Landeswahlgesetz entsprechend geändert hat, führt nicht dazu, dass die frühere, für die Landtagswahl 2018 geltende Regelung als verfassungswidrig zu erachten wäre.
c) Sind mehrere verfassungsrechtlich gleichermaßen unbedenkliche, insbesondere mit dem Grundsatz der Wahlgleichheit vereinbare Berechnungsmethoden vorhanden, ist es der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers überlassen, für welches der Systeme er sich entscheidet und in welche Richtung er unvermeidbare systemimmanente Abweichungen vom Prinzip der Erfolgswertgleichheit in Kauf nehmen will. Der Bundesgesetzgeber ist im Änderungsgesetz vom 17. März 2008 bei Einführung des Divisorverfahrens mit Standardrundung nach Sainte-Laguë/ Schepers davon ausgegangen, dass mit keinem Berechnungsverfahren eine mathematisch absolut exakte Übertragung des Stimmenverhältnisses der Parteien auf das Sitzverhältnis im Bundestag erreicht werden könne und deshalb letztlich immer gewisse Abstriche bei der Erfolgswertgleichheit der Wählerstimmen hingenommen werden müssten; er war aber der Auffassung, dass dieses Verfahren tendenziell zu einer besseren Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichheit der Wahl führe als die bisher angewandte Quotenmethode mit Ausgleich nach größten Resten Hare/Niemeyer und es die dort in seltenen Fällen auftretenden Paradoxien vermeide (vgl. BT-Drs 16/7461 S. 9 ff., 13). Auch sonst wird zwar in der verfassungsrechtlichen (und politischen) Debatte das Zuteilungsverfahren nach Sainte-Laguë/Schepers wohl zunehmend als gegenüber dem Proporzverfahren nach Hare/Niemeyer vorzugswürdig angesehen. Es hat sich jedoch bislang keine allgemeine Rechtsüberzeugung dahingehend gebildet, dass dem verfassungsrechtlichen Gebot der Wahlrechtsgleichheit im System der Verhältniswahl allein mit dem Zuteilungsverfahren nach Sainte-Laguë/Schepers genügt werden könnte. Angesichts dessen war der Gesetzgeber nicht von Verfassungs wegen verpflichtet, in den wahlgesetzlichen Regelungen für die Landtagswahl 2018 anstatt des Berechnungsverfahrens nach Hare/Niemeyer das nach Sainte-Laguë/Schepers vorzusehen, zumal auch letzteres „mathematische Schwächen“ hat. Es bleiben auch bei ihm „Reste“ (nach dem Komma) unberücksichtigt, sodass damit keine absolute Gleichheit des Erfolgswerts der Stimmen erreicht wird. Zudem weist es gegenüber dem Verfahren nach Hare/Niemeyer den Nachteil auf, „dass in sehr seltenen Ausnahmefällen die resultierende Sitzzahl nicht weniger als ein ganzes Mandat vom Idealanspruch entfernt ist“ (BT-Drs 16/7461 S. 12) (vgl. zum Ganzen Boehl in Schreiber, BWahlG, 11. Aufl. 2021, § 6 Rn. 45 bis 47 mit zahlreichen Nachweisen; vgl. auch Bischof/Pukelsheim, BayVBl 2019, 757).
d) Der Antragsteller hat im Übrigen mit den in seinen Modellrechnungen dargestellten Effekten bezüglich der Landtagswahl 2018, wonach fiktive Gesamtstimmenverluste der GRÜNEN zwar nicht notwendig zum Verlust eines Sitzes bei dieser Partei, sondern zu einem bei der SPD (im Wahlkreis Niederbayern) oder Gesamtstimmengewinne zu einer Verschiebung eines Sitzes von den FREIEN WÄHLERN zur FDP (im Wahlkreis Schwaben) geführt hätten, nicht aufgezeigt, dass das Berechnungsverfahren nach Hare/Niemeyer insoweit mit Effekten verbunden wäre, die über die bekannten, in der Literatur und in Gesetzesmaterialien beschriebenen Paradoxien in Einzelfällen hinausgingen, die – auch infolge einer veränderten Gesamtstimmenzahl (z. B. sog. Alabama-Paradox, vgl. BT-Drs. 16/7461 S. 11) – bei Anwendung eines mathematischen Proporzverfahrens auftreten können und die für sich genommen nicht zur Verfassungswidrigkeit eines solchen Verfahrens führen. Zudem berücksichtigt der Antragsteller in seinen Berechnungen zum Wahlkreis Niederbayern wiederum zu Unrecht nicht, dass absolute Zahlen insoweit systembedingt nicht aussagekräftig sind. In diesem Wahlkreis wäre nämlich durch den Wegfall eines Ausgleichsmandats auch die Gesamtsitzzahl um einen Sitz verringert worden, sodass der Proporz in Relation zu den veränderten Gesamtsitzzahlen gewahrt geblieben wäre.
VII.
Das Verfahren ist kostenfrei (Art. 27 Abs. 1 Satz 1 VfGHG).


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