Europarecht

Bürgerbegehren, (formelle) Unzulässigkeit wegen fehlender stofflicher Einheit der Unterschriftslisten, aus mehreren einseitig bedruckten Seiten bestehende Unterschriftslisten ohne Benennung der Mindestelemente des Art. 18a Abs. 4 GO

Aktenzeichen  M 7 K 20.6694

Datum:
16.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 50148
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GO Art. 18a Abs. 4

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Kläger, die als Gesamtvertreter der Unterzeichner des Bürgerbegehrens gegen dessen Ablehnung im eigenen Namen unmittelbar Klage erheben können (Art.18a Abs. 8 Satz 2 GO), haben keinen Anspruch auf Zulassung des Bürgerbegehrens „Beendigung/Rückgängigmachung der Bauleitplanung für die Ausweisung eines ‚Sondergebietes für die Errichtung eines Bau- und Gartenfachmarkts‘ (V-Baumarkt) betreffend den südlichen Bereich des Zeißlerweges in Peiting (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
1. Das Bürgerbegehren bzw. der Antrag auf einen Bürgerentscheid ist bereits aus formellen Gründen unzulässig, weil die dazu beim Beklagten eingereichten Unterschriftslisten nicht den gesetzlichen Vorgaben des Art. 18a Abs. 4 Satz 1, Abs. 6 GO entsprechen.
Nach Art. 18a Abs. 4 Satz 1 GO muss das Bürgerbegehren eine mit Ja oder Nein zu entscheidende Fragestellung und eine Begründung enthalten sowie bis zu drei Personen benennen, die berechtigt sind, die Unterzeichnenden zu vertreten.
Alle vier Angaben, sprich der Antrag auf Durchführung eines Bürgerentscheids (Bürgerbegehren), die mit Ja oder Nein zu entscheidende Fragestellung, die Begründung und die Benennung der Vertreterinnen oder Vertreter, müssen sich auf jeder einzelnen Unterschriftsliste selbst befinden. Die genannten vier Merkmale bilden in ihrer Summe den Gegenstand des Bürgerbegehrens im Sinn des Gesetzes, den die Gemeindebürger nach Art. 18a Abs. 5 Satz 1 GO unterzeichnen können. Auf alle vier Elemente muss sich der Wille der Unterzeichnenden nachweislich beziehen (BayVGH, B.v. 4.2.1997 – 4 CE 96.3435 – BayVBl 1997, 375 unter Verweis auf BayVGH, B.v. 8.7.1996 – 4 CE 96.2182 – juris Rn. 11). Aus der Begründung ergibt sich die Zielrichtung des Bürgerbegehrens. Die Vertreter sind für die praktische Abwicklung des Bürgerbegehrens und des Bürgerentscheids von großer Bedeutung. Sie vertreten die Interessen der Unterzeichner des Bürgerbegehrens gegenüber der Gemeinde. Dabei geben sie z.B. die von ihnen vertretenen Auffassungen zum Gegenstand des Bürgerentscheids der Gemeinde bekannt, damit diese sie in ihren Veröffentlichungen und Veranstaltungen darstellen kann. Die Vertreterinnen und Vertreter des Bürgerbegehrens machen die Rechte des Bürgerbegehrens auch gerichtlich geltend (vgl. dazu Art. 18 a Abs. 8 Satz 2 GO). Die Vertreter dürfen im Hinblick auf die Bedeutung ihres Amts keine „selbsternannten“ Vertreter sein, sondern bedürfen der Ermächtigung durch die Unterzeichner. Die Legitimation der Vertreter muss von den Unterzeichnern ausgehen (BayVGH, B.v. 8.7.1996 – 4 CE 96.2182 – juris Rn. 11).
Sinn und Zweck des Formerfordernisses, dass sich alle vier o.g. Angaben auf jeder einzelnen Unterschriftsliste befinden müssen, ist es vor dem Hintergrund der mit der Unterschriftsleistung zugleich einhergehenden Bevollmächtigung der Vertreter, Streitigkeiten und Beweiserhebungen darüber, was bei der Unterschriftensammlung gesprochen wurde und wie die Unterschriften eingeholt wurden, weitestgehend zu vermeiden. Denn grundsätzlich kann und muss davon ausgegangen werden, dass ein Unterzeichner liest, was er auf der Unterschriftenliste unterschreibt (BayVGH, B.v. 4.2.1997 – 4 CE 96.3435 – BayVBl 1997, 375). Dabei genügt es, wenn Antrag, Fragestellung, Begründung und Vertreter auf der Vorderseite der Unterschriftenliste aufgeführt sind und sich die Unterschriften auf der Vorderseite und auf der Rückseite befinden. Denn es kann erwartet werden, dass der, der auf einem Blatt seine Unterschrift leistet, sich die Vorder- und die Rückseite anschaut (BayVGH, B.v. 4.2.1997, a.a.O.). Nicht ausreichend ist demgegenüber die bloße Verwendung von Einlageblättern oder die Hintereinanderklammerung loser Listen, sofern dort nicht auf jedem Blatt neben den Unterschriften auch der Antrag, die Fragestellung, die Begründung und die drei Vertreter bezeichnet sind. Für die Unterschriftenlisten können Papierbögen beliebiger Größe verwendet werden, solange für die Unterzeichner noch eindeutig erkennbar bleibt, was sie unterschreiben. Jedoch muss ausgeschlossen sein, dass Unterschriften geleistet und erst nachträglich mit einem Text verbunden werden, weil dies die Gefahr von Irrtümern bei den Unterzeichnern oder von Manipulationen durch die Organisatoren des Bürgerbegehrens hervorrufen könnte (VG Würzburg, B.v. 18.9.2000 – W 2 E 00.982 – juris Rn. 28 unter Verweis auf Hess. VGH, B. v. 25.8.1997 – 6 TZ 2989/97 – juris Rn. 4 f. und Thum, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid in Bayern, Stand September 2020, Nr. 13.04, 1 bb); vgl. in diesem Sinne auch BayVGH, B.v. 6.11.2000 – 4 ZE 00.3018 – juris Rn. 12).
Bei der Schaffung des Art. 18a GO wurde bewusst auf die Einführung sogenannter Amtslisten und auf die Eintragung nur in Amtsräumen verzichtet. Daher ist die hierdurch entstehende Missbrauchsgefahr (vgl. insoweit BayVerfGH v. 29.8.1997, BayVBl. 1997, 622/623) so gering wie möglich zu halten. Dies ist jedoch nur dann möglich, wenn die stoffliche Einheit der Unterschriftenliste derart gewahrt wird, dass es sich um ein einziges (ggf. auch doppelseitig bedrucktes) Blatt Papier handelt. Andernfalls müsste gegebenenfalls Beweis darüber erhoben werden, ob alle Unterschriftenlisten vor Beginn der Unterschriftensammlung ordnungsgemäß verklammert waren, ob diese Klammern nicht vor, während oder nach der Sammlung gelöst worden sein könnten, um die stoffliche Einheit vorübergehend aufzuheben und den unterschreibenden Gemeindebürger im Unklaren darüber zu lassen, was er unterzeichnet. Insofern ist das Merkmal eines Bürgerbegehrens, dass alle vier Elemente (Antrag, Frage, Begründung, Vertreterbenennung) auf jeder Liste vorhanden sein müssen, dahingehend zu präzisieren, dass sie ohne weiteres nachweislich während des gesamten Zeitraums vom Beginn der Unterschriftensammlung bis zur Einreichung des Bürgerbegehrens auf jeder Liste vorhanden waren. Dies ist jedoch mit der die Missbrauchsgefahr eingrenzenden notwendigen Sicherheit nur dann gegeben, wenn die stoffliche Einheit der Unterschriftenlisten im Sinne des Vorhandenseins eines einzigen (ggf. doppelseitig gedruckten) Blattes Papier gegeben ist (VG Würzburg, B.v. 18.9.2000 – W 2 E 00.982 – juris Rn. 32) bzw. – was im Ergebnis auf dasselbe hinausläuft – jedes (ggf. doppelseitig bedruckte) Blatt bei mehrblättrigen Listen die vier Elemente enthält.
Auf dieser Grundlage hat die Beklagte § 2 Abs. 3 BBS erlassen. Hiernach können Unterschriftenlisten doppelseitig gestaltet sein, wenn die Rückseite als Fortsetzung des Textes der Vorderseite klar erkennbar ist und sofern auf der Rückseite ebenfalls entweder der Antrag, die Fragestellung, die Begründung und die Vertretungsberechtigten aufgeführt sind oder sichtbar auf diese auf der Vorderseite aufgeführten Angaben verwiesen wird.
Diesen Vorgaben des Art. 18a Abs. 4 Satz 1 BayGO wie auch des § 2 Abs. 3 BBS – der keine über die „höherrangige“ Regelung des Art. 18a Abs. 4 Satz 1 BayGO hinausgehende Anforderungen formuliert, sondern diese präzisiert – werden die eingereichten Unterschriftslisten nicht gerecht. Durch die Verwendung von bloß einseitig bedruckten, lose zusammengeklammerten Blättern wird die eben erläuterte, notwendige stoffliche Einheit gerade nicht gewahrt. Evident wird dies gerade bei der von den Klägern verwendeten Seite 3 von 5 des Begehrens (s.o.). Hier könnten, wie die Bevollmächtigten des Beklagten zutreffend ausführen, erhebliche Manipulationen vorgenommen werden, etwa indem den Bürgern zunächst eine anderslautende Fragestellung/und oder Begründung auf den Seiten 1 und 2 vorgelegt und nach erfolgter Unterschrift, aber vor Einreichung des Begehrens die Seiten 1 und 2 ausgetauscht und wieder mit Seite 3 „verklammert“ werden. Ob vorliegend tatsächlich solche Manipulationen vorgenommen wurden – wofür im Übrigen nichts ersichtlich ist – spielt dabei keine Rolle. Allein eine entsprechende abstrakte Gefahr bzw. die fehlende Gewähr, dass keine Manipulationen möglich sind, führen den oben Erwägungen folgend zur fehlenden formellen Zulässigkeit des Bürgerbegehens.
2. Die Klage war daher mit der Kostenfolge der §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 2 VwGO abzuweisen.
3. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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