Europarecht

COVID-19-Pandemie kein Hindernis für Abschiebungsanordnung in die Niederlande

Aktenzeichen  W 8 S 20.50309

Datum:
14.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 39900
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1a, § 34a
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7, § 60a Abs. 1, Abs. 2c
Dublin III-VO Art. 3 Abs. 2, Art. 18 Abs. 1d
GrCh Art. 4

 

Leitsatz

1. Nach derzeitigem Erkenntnisstand ist nicht davon auszugehen, dass das niederländische Asylsystem an systemischen Mängeln leidet, aufgrund derer die dorthin rücküberstellten Asylbewerber einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 GrCh ausgesetzt wären (Rn. 13 – 19). (redaktioneller Leitsatz)
2.  Auch die COVID-19-(sog. Corona-)Pandemie führt in den Niederlanden nach dem für das Gericht maßgeblichen gegenwärtigen Entscheidungszeitpunkt nicht zur Feststellung eines zielstaatbezogenen Abschiebungsverbots (Rn. 30 – 34). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Der Antragsteller, algerischer Staatsangehöriger, reiste am 5. September 2020 in die Bundesrepublik Deutschland ein, äußerte ein Asylgesuch, von dem die Antragsgegnerin am 8. September 2020 Kenntnis erlangte und stellte am 12. Oktober 2020 einen förmlichen Asylantrag.
Nach Erkenntnissen der Antragsgegnerin lagen Anhaltspunkte für die Zuständigkeit eines anderen Staates (Niederlande) gemäß der Verordnung Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III-VO) vor. Auf ein Übernahmeersuchen vom 30. Oktober 2020 erklärten die niederländischen Behörden mit Schreiben vom 10. November 2020 ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags des Antragstellers gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchst. d Dublin III-VO.
Mit Bescheid vom 2. Dezember 2020 lehnte die Antragsgegnerin den Asylantrag des Antragstellers als unzulässig ab (Nr. 1) und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2). Die Abschiebung in die Niederlande wurde angeordnet (Nr. 3). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde angeordnet und auf elf Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 4).
Am 9. Dezember 2020 erhob der Antragsteller im Verfahren W 8 K 20.50308 Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid und beantragte im vorliegenden Verfahren:
Die aufschiebende Wirkung der Klage wird angeordnet.
Zur Begründung verwies der Kläger auf das Verfahren und die Begründung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und brachte des Weiteren im Wesentlichen vor: Er habe eine Operation am Fuß gehabt. Er möchte gerne seine Behandlung in Deutschland fertigmachen und nicht während der Behandlung abgeschoben werden. Befunde könnten bei der Radiologie angefordert werden. Er habe seine Befunde dem Arzt in der Ankereinrichtung gegeben.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte (einschließlich der Akte des Verfahrens W 8 K 20.50308) sowie die beigezogenen Behördenakte verwiesen.
II.
Bei verständiger Würdigung des Begehrens des anwaltlich nicht vertretenen Antragstellers (§ 88 VwGO i.V.m. § 122 VwGO) ist der Antrag dahingehend auszulegen, dass er die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung in die Niederlande in Nr. 3 des streitgegenständlichen Bundesamtsbescheids begehrt.
Der zulässige Antrag ist unbegründet.
Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 2. Dezember 2020 ist bei der im vorliegenden Verfahren gebotenen summarischen Prüfung im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG) in Nr. 3 rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten. Das öffentliche Vollzugsinteresse überwiegt das private Interesse des Antragstellers, vorläufig bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache noch im Bundesgebiet bleiben zu dürfen.
Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die zutreffenden Gründe des streitgegenständlichen Bescheids verwiesen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Die Niederlande sind gemäß den Vorschriften der Dublin III-VO für die Durchführung des Asylverfahrens des Antragstellers zuständig (§§ 34a, 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG i.V.m. der Verordnung Nr. 604/2013/EU – Dublin III-VO). Die Zuständigkeit der Niederlande ergibt sich vorliegend aus Art. 18 Abs. 1 Buchstabe d i.V.m. Art. 3 Abs. 2 Dublin III-VO. Die niederländischen Behörden haben ihre Zuständigkeit mit Schreiben vom 10. November 2020 ausdrücklich erklärt.
Außergewöhnliche Umstände, die möglicherweise für ein Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO bzw. für eine entsprechende Pflicht der Antragsgegnerin nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO sprechen könnten, sind vorliegend nicht glaubhaft gemacht. Insbesondere ist nach derzeitigem Erkenntnisstand auch unter Berücksichtigung der hierzu einschlägigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 u.a. – NVwZ 2012, 417) nicht davon auszugehen, dass das niederländische Asylsystem an systemischen Mängeln leidet, aufgrund derer die dorthin rücküberstellten Asylbewerber einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Grundrechtecharta (GRCh) ausgesetzt wären.
Das gemeinsame Europäische Asylsystem beruht auf dem „Prinzip gegenseitigen Vertrauens“ bzw. dem „Konzept der normativen Vergewisserung“, dass alle daran beteiligten Mitgliedstaaten die Grundrechte sowie die Rechte beachten, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), dem Protokoll von 1967 und in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) finden (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 – NVwZ 2012, 417 Rn. 79). Dies begründet die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat im Einklang mit den Erfordernissen der EU-Grundrechte-Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK steht (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 – NVwZ 2012, 417 Rn. 80). Um das Prinzip gegenseitigen Vertrauens entkräften zu können, muss ernsthaft zu befürchten sein, dass dem Asylbewerber aufgrund genereller defizitärer Mängel im Asylsystem des eigentlich zuständigen Mitgliedstaats mit beachtlicher, d.h. mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 der EU-Grundrechtecharta droht (vgl. BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6/14 – juris Rn. 6; EuGH, U.v. 21.12. 2011 – C-411/10 – NVwZ 2012, 417 Rn. 80; VGH BW, U.v. 16.4.2014 – A 11 S 1721/13 – juris Rn. 41). Erforderlich ist insoweit die real bestehende Gefahr, dass in dem Mitgliedstaat, in den überstellt werden soll, die grundlegende Ausstattung mit den notwendigen, zur Befriedigung menschlicher Grundbedürfnisse elementaren Mitteln so defizitär ist, dass der materielle Mindeststandard nicht erreicht wird und der betreffende Mitgliedstaat dieser Situation nicht mit geeigneten Maßnahmen, sondern mit Gleichgültigkeit begegnet (vgl. OVG Lüneburg, U.v. 29.1.2018 – 10 LB 82/17 – juris Rn. 34 m.w.N.). Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) kann allerdings die bloße schlechtere wirtschaftliche oder soziale Stellung der Person in dem zu überstellenden Mitgliedstaat nicht für die Annahme einer unmenschlichen Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK ausreichen (vgl. EGMR, B.v. 2.4.2013 – 27725/10 – ZAR 2013, 336, 70 f.). Der EGMR führt in seiner Entscheidung aus, dass Art. 3 EMRK keine allgemeine Verpflichtung der Vertragsparteien enthalte, jede Person innerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs mit Obdach zu versorgen oder finanzielle Leistungen zu gewähren, um ihnen dadurch einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen. Einer Überstellung im Rahmen des Dublin-Verfahrens stehen deshalb nur außergewöhnliche zwingende humanitäre Gründe entgegen.
Die Anforderungen an die Feststellung systemischer Mängel und eine daraus resultierende Widerlegung der Sicherheitsvermutung sind hoch. Konkretisierend hat der EuGH in seinem Urteil vom 19. März 2019 (C-163/17 – juris Rn. 91) ausgeführt, dass systemische Schwachstellen nur dann als Verstoß gegen Art. 4 EU-GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK zu werten seien, wenn eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreicht werde, die von sämtlichen Umständen des Falles abhänge. Diese Schwelle sei aber selbst in durch große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse der betreffenden Person gekennzeichneten Situationen nicht erreicht, sofern sie nicht mit extremer materieller Not verbunden seien, aufgrund deren sich diese Person in einer solch schwerwiegenden Lage befinde, dass sie einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichgestellt werden könne. Die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats müsse zur Folge haben, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befinde, die es ihr nicht erlaube, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (vgl. EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris Rn. 92 f.).
Ausgehend von vorstehenden Grundsätzen bestehen aufgrund der aktuellen Erkenntnislage des Gerichts keine Anhaltspunkte für das Vorliegen derartiger systemischer Mängel im niederländischen Asylsystem, zumal der Antragsteller nichts Gegenteiliges substantiiert vorgebracht hat.
In den Niederlanden existiert ein rechtsstaatliches Asylverfahren mit gerichtlicher Beschwerdemöglichkeit. Dublin-Rückkehrer haben Zugang zum Asylverfahren. Die speziellen Bedürfnisse des Schutzsuchenden werden berücksichtigt. Gemäß Gesetz haben alle mittellosen Asylbewerber ein Recht auf Unterbringung und auf materielle Versorgung ab Antragstellung. Sie erhalten in der Regel eine monatliche Unterstützung/Gutscheine. Sie dürfen 24 Wochen im Jahr auch arbeiten. Asylbewerber sind versichert und haben einen Anspruch auf medizinische Versorgung. Die allgemeine medizinische Behandlung ist, soweit möglich, dieselbe wie für niederländische Bürger, erweitert um besonderes Augenmerk auf sprachliche und kulturelle Unterschiede, die Lebenssituation für Asylbewerber, das Asylverfahren und deren besondere Bedürfnisse. Asylbewerber haben Zugang zur medizinischen Basisversorgung, darunter Zugang zur Allgemeinmedizin, Krankenhäusern, Psychologen, Zahnmedizin und auf Tagesbasis Zugang zu psychiatrischen Kliniken. Es gibt eine Reihe spezialisierter Institutionen zur Behandlung von Asylbewerbern mit psychischen Problemen. Es ist davon auszugehen, dass die medizinischen Behandlungsmöglichkeiten in den Niederlanden, wie generell in der EU, im ausreichenden Maße verfügbar sind (vgl. zu alledem BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Niederlande, vom 16.2.2018, m.w.N.). Im Ergebnis bestehen keine rechtlichen Bedenken gegen eine Überstellung in die Niederlande (so etwa auch VG Würzburg, B.v. 23.9.2020 – W 8 S 20.50230; B.v. 5.3.2020 – W 8 S 19.50089 – AuAS 2020, 103; B.v. 21.6.2018 – W 4 S 18.50299; B.v. 13.3.2018 – W 4 S 18.50093; VG Lüneburg, B.v. 22.2.2019 – 8 B 37/19 – juris; VG München, G.v. 24.10.2018 – M 1 K 17.51216 – juris).
Eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 EU-GRCharta droht dem Antragsteller auch nicht nach der unterstellten Zuerkennung internationalen Schutzes (vgl. BVerfG, B.v. 7.10.2019 – 2 BvR 721/19 – juris; EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris Rn. 89). Zu beachten ist dabei, dass zur Abschätzung der Gefahrenprognose eine Zuerkennung internationalen Schutzes ohne weiteres zu unterstellen ist, insbesondere also keine inzidente Prüfung des Anspruchs auf Asyl vorzunehmen ist (vgl. VGH BW, U.v. 29.7.2019 – A 4 S 749/19 – juris Rn. 40).
Dafür, dass die Lebensbedingungen anerkannt Schutzberechtigter in den Niederlanden generell derartig defizitär wären, gibt es keine Anhaltspunkte (so auch VG Düsseldorf, B.v. 16.12.2019 – 29 L 2681/19.A – juris m.w.N. und BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Niederlande, vom 16.2.2018, S. 10). Anerkannte Flüchtlinge und Begünstigte bezüglich eines internationalen Schutzes haben vollen Zugang zum niederländischen Wohlfahrtssystem (medizinische, soziale und finanzielle Zuwendungen). Personen mit einem Schutzstatus sind hinsichtlich des Anspruchs auf Gesundheitsversorgung niederländischen Bürgern gleichgestellt und haben vollen Zugang zu Beschäftigung (BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Niederlande, vom 16.2.2018, S. 10).
Eine andere Beurteilung der Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Bescheides in Bezug auf die Unzulässigkeitsentscheidung in Nr. 1 ist insbesondere auch nicht vor dem Hintergrund der zwischenzeitlichen Entwicklung im Zuge der COVID-19-Pandemie (Corona-Krise) angezeigt.
Das Gericht geht nicht davon aus, dass einer Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG die Verhältnisse in den Niederlanden mit Blick auf das „Coronavirus“ entgegenstehen. Dies wäre nur dann der Fall, wenn der Kläger in den Niederlanden aufgrund der voraussichtlichen Lebensverhältnisse in eine Lage extremer Not geraten würde. Dies gilt aber wegen des oben näher erläuterten Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens nur in Extremfällen (vgl. Günther in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, 27. Edition Stand: 1.7.2020, § 29 AsylG Rn. 22-24). Das Gericht hat – auf der Basis des Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens und auch angesichts der in den Niederlanden getroffenen Maßnahmen – keine substantiierten Erkenntnisse, die die Annahme eines solchen Extremfalles in der Person des Antragstellers oder allgemein das Vorliegen systemischer Mängel in den Niederlanden begründen könnten. Im System des gegenseitigen Vertrauens ist für die Niederlande vielmehr weiter von einem die Grundrechte sowie die Rechte, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und in der EMRK finden, wahrenden Asylsystem auszugehen.
Nach alledem ist nicht ersichtlich, dass die Antragsgegnerin ermessensfehlerhaft keinen Gebrauch von ihrem Selbsteintrittsrecht nach Art. 17 Dublin III-VO gemacht hat.
Bei dem Antragsteller liegen zum jetzigen maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG) auch weder Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 bzw. 7 Satz 1 AufenthG bezogen auf die Niederlande noch inlandsbezogene Vollzugshindernisse vor.
Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG sind nicht ersichtlich. Auch insoweit nimmt das Gericht auf die Ausführungen in der Begründung des Bescheids Bezug (§ 77 Abs. 2 AsylG) und macht sich diese zu Eigen.
Die vom Antragsteller geltend gemachten Beschwerden – Operation am Knie nach Sportverletzung – können auch in den Niederlanden behandelt und weiterbehandelt werden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist (vgl. § 60 Abs. 7 Satz 4 AufenthG).
Aufgrund der oben skizierten Erkenntnislage ist davon auszugehen, dass Asylsuchende in den Niederlanden die notwendige medizinische Versorgung und auch die wesentlichen Medikamente erhalten.
Weiter ist zu der vom Antragsteller geltend gemachten Erkrankung anzumerken, dass diese grundsätzlich nicht die Annahme einer Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG rechtfertigt. Der Gesetzgeber hat ausdrücklich klargestellt, dass eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen vorliegt, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist (vgl. § 60 Abs. 7 Sätze 3 und 4 AufenthG). Konkret ist die durch eine Krankheit verursachte Gefahr, wenn die gravierende Verschlechterung des Gesundheitszustandes alsbald nach Abschiebung in den Zielstaat eintreten würde, weil eine adäquate Behandlung dort nicht möglich ist (BVerwG, U.v. 17.10.2006 – 1 C 18/05 – BVerwGE 127, 33). Für die Annahme einer solchen Gefahr fehlen jegliche Anhaltspunkte.
Neben diesen materiellen Kriterien für die Gesundheitsgefahren hat der Gesetzgeber zudem in § 60a Abs. 2c i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ausdrücklich auch prozendurale Vorgaben für ärztliche Atteste zur hinreichenden Substanziierung des betreffenden Vorbringens aufgestellt. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Daran fehlt es hier.
Der Antragsteller muss sich im Bedarfsfalle auf das niederländische Gesundheitssystem verweisen lassen.
Insbesondere führt auch die COVID-19-(sog. Corona-)Pandemie in den Niederlanden nach dem für das Gericht maßgeblichen gegenwärtigen Entscheidungszeitpunkt nicht zur Feststellung eines zielstaatbezogenen Abschiebungsverbots. Nach der Regelung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG sind Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann die oberste Landesbehörde aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längsten drei Monate ausgesetzt wird.
Nur wenn eine politische Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 2 AufenthG fehlt, kann der Kläger in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausnahmsweise Abschiebungsschutz beanspruchen, wenn er bei Überstellung aufgrund der herrschenden Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Denn nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren.
Diese Voraussetzungen liegen beim Antragsteller nicht vor. Denn nur, wenn im Einzelfall die drohenden Gefahren nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sind, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden, etwa wenn das Fehlen eines Abschiebungsstopps dazu führen würde, dass ein Ausländer im Zielstaat der Abschiebung sehenden Auges dem Tod oder schwersten Verletzungen überantwortet würde, wird die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG durchbrochen und es ist ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen (vgl. Koch in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, 27. Edition Stand: 1.7.2020, § 60 Rn. 45 m.w.N.).
Eine derartige Extremgefahr kann für den Antragsteller im Falle seiner Rückkehr in die Niederlande auch aufgrund der dort getroffenen Maßnahmen (vgl. etwa https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/niederlande-node/niederlandesicherheit/211084) indes nicht angenommen werden. Es ist nicht ersichtlich, dass der Antragsteller als junger Mann in den Niederlanden gleichsam sehenden Auges dem Tod oder schwersten Gesundheitsschäden ausgeliefert wäre. Der Antragsteller hat eine relevante Vorerkrankung nicht substantiiert geltend gemacht bzw. nachgewiesen. Im Übrigen genügt nicht eine allgemeine Behauptung mit Hinweis auf die Covid 19-Pandemie, dass eine Gefahr bestünde. Denn für die Beurteilung ist auf die tatsächlichen Umstände des konkreten Einzelfalles abzustellen, um zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür aufzuzeigen, dass der Betreffende in seinem Einzelfall mit einer Ansteckung, einschließlich eines schweren Verlaufs, rechnen muss. Zu berücksichtigen sind unter anderem die örtlichen Gegebenheiten im Zielland und auch die Frage, welche Schutzmaßnahme der Staat zur Eindämmung der Pandemie getroffen hat (vgl. OVG NRW, B.v. 23.6.2020 – 6 A 844/20 A – juris). Dahingehend hat der Antragsteller nichts vorgebracht. Darüberhinaus bestehen – wie auch in anderen Staaten, wie etwa in Deutschland – individuelle persönliche Schutzmöglichkeiten, wie das Tragen einer Gesichtsmaske, die Einhaltung der Hygieneregeln (z.B. Hände waschen) oder die Wahrung von Abstand zu anderen Personen, um das Risiko einer Ansteckung durch eigenes Verhalten zu minimieren. Ferner besteht für den Antragsteller auch in Deutschland das allgemeine (Lebens-)Risiko einer Ansteckung.
Des Weiteren ist die Versorgungslage für die Bevölkerung in den Niederlanden – einschließlich international Schutzsuchender bzw. Schutzberechtigter – auch unter Berücksichtigung gewisser Einschränkungen nicht derart desolat, dass auch nur annähernd von einer allgemeinen Gefahrenlage im Sinne des § 60a Abs. 1 AufenthG gesprochen werden könnte.
Das Gericht geht weiter nicht davon aus, dass eine Dublin-Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat sonst längerfristig aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht möglich wäre.
Insbesondere stehen der Abschiebungsanordnung aufgrund der aktuellen COVID-19-Pandemie und damit zusammenhängenden eventuellen Reisebeschränkungen keine tatsächlichen Vollzugshindernisse entgegen.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung war daher nach alledem abzulehnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.


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