Europarecht

Dublin III-Verfahren: Keine systemischen Mängel des Asylverfahrens in Italien

Aktenzeichen  M 25 S 15.51020

Datum:
11.1.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 27a, § 34a Abs. 1 S. 1
Dublin III-VO Dublin III-VO Art. 3 Abs. 2 S. 2, Art. 18 Abs. 1b, Art. 25 Abs. 2
EMRK EMRK Art. 3
GRCh GRCh Art. 4

 

Leitsatz

1 In Übereinstimmung mit der obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. u.a. VGH BW BeckRS 2014, 51025; VGH München BeckRS 2014, 52068) ist zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt nicht davon auszugehen, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Italien systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber iSv Art. 4 GRCh oder Rechtsverletzungen nach Art. 3 EMRK implizieren. (redaktioneller Leitsatz)
2 Antragsteller können sich nicht auf die Regelungen der Dublin III-VO berufen, da diese an die Mitgliedstaaten gerichtet sind und keine Rechte für Asylbewerber begründen (EuGH BeckRS 2013, 82185; BeckRS 2013, 82312). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die drohende Überstellung nach Italien im Rahmen des sog. „Dublin-Verfahrens“.
Der Antragsteller, Staatsangehöriger von Sierra Leone, reiste nach eigenen Angaben am 17. Mai 2015 ins Bundesgebiet ein und stellt hier am 3. August 2015 Asylantrag.
Ein EURODAC-Abgleich ergab einen Treffer der Kategorie 1 für Italien.
Ein am 29. September 2015 gestelltes Übernahmeersuchen an Italien wurde nicht beantwortet.
Mit Bescheid vom … Dezember 2015 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) den Asylantrag als unzulässig ab (Ziffer 1.), ordnete die Abschiebung nach Italien an (Ziffer 2.) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 3.).
Mit Schriftsatz vom 28. Dezember 2015 erhob der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers Klage und beantragte gleichzeitig gemäß § 80 Abs. 5 VwGO,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Zur Begründung wurde angeführt, der Antragsteller sei bei Asylantragstellung minderjährig gewesen, so dass die Antragsgegnerin für die Behandlung des Asylantrags nach Art. 8 Abs. 4 Dublin-III-VO zuständig sei. Er leide an Depressionen. Er spreche viel davon, dass ein inlandsbezogenes Abschiebungsverbot vorliege. Es lägen systemische Mängel des Asylverfahrens in Italien vor.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag ist nicht begründet.
Die gemäß § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung fällt zulasten des Antragstellers aus. Es bestehen keine durchgreifenden Bedenken an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids.
Das Bundesamt hat den Asylantrag des Antragstellers zu Recht nach § 27 a AsylG als unzulässig abgelehnt.
Nach § 27 a AsylG ist ein Asylantrag als unzulässig abzulehnen, wenn ein anderer Staat aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Gemäß § 34 a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt in einem solchen Fall die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann.
Für die Prüfung des am 3. August 2015 (erneut) in Deutschland gestellten Asylantrag ist gemäß Art. 18 Abs. 1 b VO (EU) Nr. 604/2013, des Europäischen Parlaments und Rates vom 26. Juni 2013 -Dublin-III-VO- Italien zuständig, da er dort bereits einen Asylantrag gestellt hat. Da Italien auf das Übernahmeersuchen vom 29. September 2015 nicht fristgerecht geantwortet hat, ist davon auszugehen, dass dem Wideraufnahmegesuch stattgegeben wird, Art. 25 Abs. 2 Dublin-III-VO.
Eine Zuständigkeit der Antragsgegnerin ergibt sich nicht aus Art. 8 Abs. 4 Dublin-III-VO. Zum einen ist die Minderjährigkeit des Antragstellers bei Asylantragstellung nicht belegt. Der Antragsteller ist unter einem Alias-Namen mit einem Pass der Republik Nigeria eingereist, auf dem ein Geburtsdatum … 1986 eingetragen ist. Sowohl das Stadtjugendamt … (Schreiben vom 29.6.2015) als auch die Regierung von Oberbayern gehen von der Volljährigkeit des Antragstellers aus. Des Weiteren liegen im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung der § 77 Abs. 1 AsylG auch bei Zugrundelegung der Angaben des Antragstellers die Voraussetzungen des Art. 8 Abs. 4 Dublin-III-VO nicht vor. Schließlich kann sich der Antragsteller nicht auf die Regelungen der Dublin-III-VO berufen, da diese an die Mitgliedstaaten gerichtet sind und keine Rechte für Asylbewerber begründen (EuGH, U. v. 14.11.2013 – C-4/11; U. v. 10.12.2013 – C-394/12).
Die Antragsgegnerin ist nicht verpflichtet trotz der Zuständigkeit Italiens den Asylantrag des Antragstellers selbst inhaltlich zu prüfen.
Von Verfassungswegen kommt eine Prüfungspflicht der Antragsgegnerin nur in Betracht, soweit ein von vornherein außerhalb der Reichweite des Konzepts der normativen Vergewisserung liegender Sachverhalt gegeben ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, U. v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93) ist dies – bezogen auf die Verhältnisse im Abschiebezielstaat – etwa dann der Fall, wenn sich die, für die Qualifizierung des Drittstaates als sicher, maßgeblichen Verhältnisse schlagartig geändert haben und die gebotene Reaktion der Bundesregierung darauf noch aussteht oder wenn der Aufnahmestaat selbst gegen den Schutzsuchenden zu Maßnahmen politischer Verfolgung oder unmenschlicher Behandlung zu greifen droht und dadurch zum Verfolgerstaat wird. An die Darlegung eines solchen Sonderfalles sind allerdings hohe Anforderungen zu stellen.
Nach Art. 3 Abs. 2 Satz 2 Dublin-III-VO und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (U. v. 21. Dezember 2011 C-411/10 und C-493/10) ist Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EU-Grundrechtscharta) dahin auszulegen, dass es den Mitgliedsstaaten einschließlich der nationalen Gerichte obliegt, einen Asylbewerber nicht an den „zuständigen Mitgliedsstaat im Sinne der Dublin-VO zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass die systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedsstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Asylbewerber tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne dieser Bestimmung ausgesetzt zu werden.
In Übereinstimmung mit der obergerichtlichen Rechtsprechung (OVG NRW, U. v. 24.04.2015 – 14 A 2356/12A; VGH BW, U. v. 16.04.2014 – A 11 S 1721/13; OVG Münster, U. v. 7.3.2014 – 1 A 21/12.A; OVG Koblenz, U. v. 21.2.2014 – 10 A 10656/13; OVG Lüneburg, B. v. 18.3.2014 – 13 LA 75/13; BayVGH U. v. 28.2.2014 – 13 a B 13.30295; OVG Magdeburg, B. v. 14.11.2013 – 4 L 44/13; OVG Berlin-Brandenburg, B. v. 17.10.2013 – OVG 3 S 40.13) geht das Gericht zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt nicht davon aus, dass ein außerhalb des Konzepts normativer Vergewisserung liegender Ausnahmefall vorliegt, noch dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Italien systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber i. S. v. Art. 4 Grundrechtscharta implizieren.
Dublin-Rückkehrer erhalten in der Regel einen ungehinderten Zugang zum Asylverfahren und in der ersten Zeit nach der Überstellung ein geordnetes Aufnahmeverfahren mit den zugehörigen Leistungen zur Sicherung der Grundbedürfnisse. Sie werden im Allgemeinen in den früheren Stand ihres Asylverfahrens eingesetzt (vgl. BayVGH a. a. O.). Eine kostenlose medizinische Versorgung ist gewährleistet. Auch die mittelgradige depressive Epoche ist behandelbar.
Diese Einschätzung wird auch durch die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG B. v. 17.9.2014 – 2 BvR 939/14) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR v. 4.11.2014 – 2921/12 – Tarakhel gegen Schweiz) bestätigt. Der volljährige, alleinstehende Antragsteller gehört nicht zu den in diesen Entscheidungen angeführten besonders schützenswerten Personen.
Die Aufnahmebedingungen in Italien begründen für den alleinstehenden jungen Mann grundsätzlich keine Gefahr einer Verletzung von Art. 3 EMRK (EGMR, U. v. 13.01.2015 – 51428/10 – A.M.E. gegen Niederlande). Auch die Probleme bei der Unterbringung der im Laufe des Jahres 2015 sprunghaft gestiegenen Zahl von Asylbewerbern rechtfertigen nicht eine generelle Aussetzung von Rückführungen nach Italien (EGMR U. v. 30.6.2015 – 39350/13 – A.S gegen Schweiz).
Der Umstand, dass sich die Situation des Antragstellers in Italien deutlich schlechter als im Bundesgebiet darstellt, begründet keinen systemischen Mangel des Asylverfahrens (vgl. EGMR, B. v. 2.4.2013 Mohamad Hussein u. a. gegen Niederlande und Italien).
Inlandsbezogene Abschiebungsverbote, wie eine Reiseunfähigkeit des Antragstellers, ergeben sich aus dem Attest vom … Oktober 2015 nicht.
Keinen Bedenken begegnet das auf § 11 Abs. 2,3 AufenthG gestützte 6-monatige Einreise- und Aufenthaltsverbot.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylVfG.


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