Europarecht

Dublin-Verfahren, Slowakische Republik, Unzulässigkeitsentscheidung rechtmäßig, kein Verstoß gegen Art. 3 EMRK, Art. 4 GRCh in der Slowakischen, Republik, auch nicht unter Berücksichtigung des Flüchtlingszustroms aus der Ukraine, Abschiebungsanordnung rechtswidrig, da wegen fehlender Aufnahmebereitschaft der Slowakischen, Republik nicht i.S.d. § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann, infolgedessen Rechtswidrigkeit auch des Einreise- und Aufenthaltsverbotes

Aktenzeichen  W 1 K 22.50078

Datum:
5.4.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 8194
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1
AufenthG § 60 Abs. 5
AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1
AsylG § 34a
AufenthG § 11
Dublin III-Verordnung Art. 12

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Ziffern 3 und 4 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 1. März 2022 werden aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens haben der Kläger und die Beklagte jeweils zur Hälfte zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die zulässige Klage, über die in Abwesenheit eines Vertreters der Beklagten verhandelt und entschieden werden konnte (§ 102 Abs. 2 VwGO), ist teilweise begründet. Der streitgegenständliche Bescheid der Beklagten vom 1. März 2022 ist hinsichtlich der Abschiebungsanordnung sowie des Einreise- und Aufenthaltsverbotes in den Ziffern 3 und 4 rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Die Ziffern 1 und 2 hingegen sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Soweit die Klage zuletzt auf die Ziffer 1 des Klageerhebungsschriftsatzes vom 7. März 2022 beschränkt wurde und die dortigen Ziffern 2 und 3 nicht mehr weiterverfolgt wurden, handelt es sich bei sachgerechter Auslegung, § 88 VwGO, lediglich um eine Präzisierung des Klageantrags und nicht um eine Teilrücknahme.
Das Gericht verweist zur Begründung zunächst auf die Ausführungen des Bundesamtes im streitgegenständlichen Bescheid vom 1. März 2022 betreffend die dortigen Tenorziffern 1 und 2 des Bescheides und macht sich diese zu eigen, § 77 Abs. 2 AsylG.
Darüber hinaus ist Folgendes auszuführen:
1. Ziffer 1 des angegriffenen Bescheides ist rechtmäßig. Die Beklagte hat insoweit zu Recht entschieden, dass der Asylantrag unzulässig ist. Nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 a) AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Mitgliedstaat für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist. Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-Verordnung sieht vor, dass Anträge auf internationalen Schutz von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft werden, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird. Lässt sich anhand dieser Kriterien der zuständige Mitgliedstaat nicht bestimmen, so ist nach Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 1 Dublin III-VO der erste Mitgliedstaat, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, für dessen Prüfung zuständig.
Nach Überzeugung des Gerichts ist vorliegend die S. Republik der für die Durchführung des Asylverfahrens des Klägers zuständige Mitgliedstaat. Dies ergibt sich vorliegend entweder aus Art. 12 Abs. 1 Dublin III-Verordnung, wie sich aus dem Schreiben der s. Behörden vom 28. Februar 2022 ergibt, wenn der Kläger aktuell noch einen gültigen von der S. Republik ausgestellten Aufenthaltstitel besitzt (in der mündlichen Verhandlung hat der Kläger diesbezüglich erklärt, dass sein Visum immer wieder verlängert worden sei), oder aber jedenfalls alternativ aus Art. 12 Abs. 4 UAbs. 1 Dublin III-Verordnung. Denn der Kläger hat eine Kopie einer durch die S. Republik zu Studienzwecken ausgestellten Aufenthaltsgenehmigung vorgelegt, die am 31. August 2021 und damit vor weniger als zwei Jahren abgelaufen ist. Der Kläger hat nach eigenen Angaben seither das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten auch nicht verlassen, sodass gemäß Art. 12 Abs. 1 Dublin III-Verordnung der Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, der den Aufenthaltstitel seinerzeit ausgestellt hat, mithin die S. Republik. Vor diesem Hintergrund haben die s. Behörden dem nach Art. 21 Abs. 1 UAbs. 1 Dublin III-Verordnung durch das Bundesamt am 13. Januar 2022 fristgerecht gestellten Aufnahmegesuch mit Schreiben vom 28. Februar 2022 folgerichtig zugestimmt, Art. 22 Abs. 1 Dublin III-Verordnung. Die S. Republik ist nach alledem nach Art. 18 Abs. 1a) Dublin III-Verordnung zur Aufnahme des Klägers verpflichtet.
Ebenso wenig ergibt sich eine Zuständigkeit der Antragsgegnerin aus Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-Verordnung, da die dort geregelte 6-monatige Überstellungsfrist seit der Annahme des Aufnahmegesuchs durch die S. Republik ersichtlich noch nicht abgelaufen ist.
Die Beklagte ist auch nicht gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 und 3 Dublin III-VO für die Prüfung des Asylantrages des Klägers zuständig. Denn es sind keine hinreichenden Gründe für die Annahme der Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRC (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 und C-493/10 – juris Rn. 106) bzw. dem übereinstimmenden Art. 3 EMRK (vgl. Nds OVG, U.v. 9.4.2018 – 10 LB 92/17 – juris Rn. 26) bei einer Rückkehr des Klägers in die S. Republik aufgrund systemischer Mängel im Asylverfahren oder in den dortigen Aufnahmebedingungen feststellbar. Bei der Prüfung, ob ein Mitgliedsstaat hinsichtlich der Behandlung von rücküberstellten Schutzsuchenden gegen Art. 3 EMRK bzw. gegen Art. 4 GRC verstößt, ist ein strenger Maßstab anzulegen (NdsOVG, U.v. 9.4.2018 – 10 LB 92/17 – juris Rn. 27). Denn nach dem Konzept, welches Art. 16a Abs. 2 GG und §§ 26a, 29 Abs. 1, 34a AsylG zu Grunde liegt, ist davon auszugehen, dass unter anderem in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention) und der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und der Grundfreiheiten (EMRK) sichergestellt ist und daher dort einem Schutzsuchenden keine politische Verfolgung droht sowie keine für Schutzsuchende unzumutbare Bedingungen herrschen („Prinzip des gegenseitigen Vertrauens“, vgl. auch EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-173/17 – juris Rn. 82, und U.v. 21.12.2011 – C-411/10 und C-493/10 -, NVwZ 2012, 417; BVerwG, U.v. 9.1.2019 – 1 C 36.18 – juris Rn. 19; Nds. OVG, U.v. 9.4.2018 – 10 LB 92/17 – juris Rn. 27). Diese Vermutung ist zwar nicht unwiderleglich. Eine Widerlegung ist aber wegen der gewichtigen Zwecke des gemeinsamen Europäischen Asylsystems an hohe Hürden geknüpft: Nicht jede drohende Grundrechtsverletzung oder geringste Verstöße gegen die Aufnahmerichtlinie 2013/33/EU (ABl. 2013, L 180/96), die Qualifikationsrichtlinie 2011/95/EU (ABl. 2011, L 337/9) oder die Verfahrensrichtlinie 2013/32/EU (ABl. 2013, L 180/60) genügen, um die Überstellung eines Schutzsuchenden an den normalerweise zuständigen Mitgliedstaat zu vereiteln (BVerwG, B.v. 6.6.2014 – 10 B 35.14 – juris Rn. 5; NdsOVG, U.v. 9.4.2018 – 10 LB 92/17 – juris Rn. 27). Kann einem Mitgliedstaat hingegen nicht unbekannt sein, dass die systemischen Schwachstellen des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Schutzsuchende in dem zuständigen Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass ein Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK ausgesetzt zu werden, hat eine Überstellung zu unterbleiben (vgl. EuGH, U.v. 19.3.2019, C-163/17, juris Rn. 85; vgl. auch BVerwG, B.v. 6.6.2014 – 10 B 35.14 – juris Rn. 5; Nds. OVG, U.v. 9.4.2018 – 10 LB 92/17 – juris Rn. 27). Systemische Schwachstellen erreichen allerdings erst dann die besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (EuGH, U.v. 19.3.2019, C-163/17, juris Rn. 92). Das Gericht muss auf der Grundlage objektiver, zuverlässiger, genauer und gebührend aktualisierter Angaben und im Hinblick auf den durch das Unionsrecht gewährleisteten Schutzstandard der Grundrechte (in einem Klageverfahren) feststellen, dass dieses Risiko für diese Antragsteller gegeben ist, weil sie sich im Fall der Überstellung unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befänden (EuGH, U.v. 19.3.2019, C-163/17, juris Rn 98). Der Nachweis obliegt den Schutzsuchenden (vgl. EuGH, U.v. 19.3.2019, C 163/17, juris Rn. 95).
Es bestehen nach Überzeugung des Gerichts unter Berücksichtigung aktueller Erkenntnisquellen keine durchgreifenden Anhaltspunkte dafür, dass in der S. Republik die Anforderungen gemäß der europäischen Asylrichtlinien sowie nach der EMRK, der GR-Charta und der GFK betreffend das dortige Asylverfahren und die entsprechenden Aufnahmebedingungen nicht eingehalten werden (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Ö., Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: S. vom 31.10.2019; US Department of State, S. 2020 Human Rights Report, 30.3.2021). Das s. Asylsystem weist nach Überzeugung des Gerichts keine systemischen Mängel auf, so dass mit der einhelligen Rechtsprechung nicht davon auszugehen ist, dass der Kläger in der S. Republik Gefahr läuft, dort einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein (vgl. etwa: VG Würzburg, B.v. 11.12.2020 – W 8 S 20.50301 – juris; B.v. 26.02.2019 – W 10 S 19.50012 – juris; VG Düsseldorf, B.v. 07.10.2020 – 29 L 1716/20.A – juris; VG Trier, U.v. 04.09.2019 – 7 K 2673; 19.TR – juris; VG Augsburg, B.v. 28 9. 2018 – Au 6 S 18.50756 – juris; VG Saarland, B.v. 03.09.2018 – 5 L 1057/18 – juris).
Denn in der S. Republik gibt es ein rechtsstaatliches Asylsystem mit gerichtlicher Beschwerdemöglichkeit. Auch für Dublin-Rückkehrer besteht Zugang zum Asylverfahren in Abhängigkeit vom Stand des Verfahrens. Entweder wird das Verfahren fortgesetzt oder es wird ein Folgeverfahren durchgeführt. Alle Asylantragsteller erhalten dieselbe Versorgung. Die S. Republik sieht für Dublin-Rückkehrer und für Asylbewerber Unterbringung, Verpflegung, grundlegende Hygieneartikel und sonstige notwendige Gegenstände des täglichen Bedarfs vor. Darüber hinaus wird die dringende medizinische Versorgung übernommen, wenn der Betreffende keine öffentliche Versicherung hat. Während des Aufenthalts im Aufnahmezentrum oder im Integrationszentrum erhalten Asylbewerber ein Taschengeld. Die Unterbringungszentren bieten eine umfassende Versorgung, die unter anderem Unterkunft, Verpflegung und dringende medizinische Versorgung beinhaltet. Außerdem werden s. Sprachkurse, Sozial- und Rechtsberatungsdienste, aber auch psychologische Beratung und Freizeitaktivitäten angeboten. Auf eigene Kosten können die Asylbewerber auch außerhalb des Unterbringungszentrums untergebracht werden. Nach neun Monaten besteht Zugang zum Arbeitsmarkt. Des Weiteren ist davon auszugehen, dass die medizinischen Behandlungsmöglichkeiten in der S. Republik wie generell in der EU in ausreichendem Maße verfügbar sind (vgl. im Einzelnen m.w.N.: BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Ö., Länderinformationsblatt der Staatendokumentation S. vom 31.10.2019 sowie die Hinweise in der oben zitierten Rechtsprechung).
Vorstehendes gilt auch im Falle einer eventuellen Anerkennung eines internationalen Schutzstatus in der S. Republik. International Schutzberechtigte besitzen ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht in der S. Republik; subsidiär Schutzberechtigte müssen ihren Schutzstatus nach einem Jahr erneuern lassen und danach alle zwei Jahre. Des Weiteren besteht ein Recht auf Integrationsmaßnahmen. Schutzberechtigte haben Zugang zum Gesundheitswesen, einigen Sozialleistungen, Bildung und Arbeitsmarkt wie s. Bürger. Sie brauchen keine Arbeitserlaubnis. Die Integration wird durch verschiedene Projekte von NGO´s durchgeführt. Bei den Integrationsprojekten wird ein besonderer Wert auf Unterbringung, s. Sprachkurse, Arbeitssuche, Jobtrainings- und psychosoziale sowie rechtliche Beratung gelegt. Die Bereitstellung geeigneter Wohnungen und die Gewährleistung der sozialen Sicherheit gelten als die wichtigsten und gleichzeitig kompliziertesten Bereiche der Integration von Schutzberechtigten. Schutzberechtigte können vorübergehend in einem Integrationszentrum untergebracht werden. Sie erhalten als Teil der materiellen Leistungen staatliche Wohnungsbeihilfe, wenn sie auch in der Anfangsphase noch keinen Zugang zu Sozialwohnungen haben, weil die Schutzberechtigten dafür die gleichen Bedingungen wie s. Bürger erfüllen müssen. Wenn Schutzberechtigte die Anforderungen für Sozialhilfe nicht erfüllen und sie über kein anderes Einkommen verfügen, sind sie von staatlichen Leistungen abhängig, die aber ein Armutsrisiko bergen. Positiv zu bewerten ist jedoch der Zugang zu den Sozialdiensten und zu den staatlichen Familienleistungen, zu denen anerkannte Flüchtlinge den gleichen Zugang wie s. Staatsbürger haben. Ansonsten können sie auf finanzielle Unterstützung und Kapazitäten der NGO´s zurückgreifen (vgl. zu alledem BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Ö., Länderinformationsblatt der Staatendokumentation S. vom 31.10.2019, S. 11 ff.).
Dem Entgegenstehendes hat der Kläger weder beim Bundesamt noch in der mündlichen Verhandlung substantiiert vorgetragen. Vielmehr hat er beim Bundesamt erklärt, dass er in der S. Republik bislang keinen Asylantrag gestellt und nicht versucht habe, staatliche Leistungen oder zivilgesellschaftliche Hilfen in Anspruch zu nehmen, sodass er nach Überzeugung des Gerichts bei seiner Rückkehr in die S. nach dortiger Asylantragstellung auf die zuvor genannten Leistungen, die den notwendigen Lebensunterhalt vollumfänglich sicherstellen, zurückgreifen könnte.
Soweit der Kläger beim Bundesamt pauschal erklärt hat, dass er in der S. keine Zukunft habe und er nach seinem Studium nach A. abgeschoben wurde, wo die Lebenssituation gerade sehr schlecht sei und er Angst um sein Leben habe, so ergeben sich auch daraus keine systemischen Mängel im s. Asylsystem, zumal es sich insoweit zum derzeitigen Zeitpunkt um eine reine Spekulation des Klägers handelt, der in der S. bislang noch gar keinen Asylantrag gestellt hat. Unabhängig davon würde die Ablehnung seines Asylantrages in der S. Republik verbunden mit einer ihm möglicherweise drohenden Abschiebung in sein Heimatland nicht zu einer Zuständigkeit der Beklagten verbunden mit einer (nochmaligen) Prüfung seines Schutzbegehrens in Deutschland führen. Dem Kläger stünde es in diesem Falle vielmehr frei, in der S. Republik um Rechtschutz nachzusuchen bzw. dort einen Folgeantrag zu stellen. Dass bestandskräftig abgelehnte Asylbewerber mit ihrer Abschiebung in ihr Herkunftsland zu rechnen haben, stellt keinen relevanten Mangel des Asylverfahrens dar und ist ihr auch im Übrigen nicht menschenrechtswidrig. Vielmehr ist nach der Erkenntnismittellage davon auszugehen, dass in der S. Republik ein rechtsstaatliches Erst- und gegebenenfalls auch Folgeverfahren durchgeführt wird. Der Asylbewerber hat nach der Systematik sowie dem Sinn und Zweck der Dublin-Regelungen insbesondere kein Wahlrecht, sich den Mitgliedsstaat auszusuchen, in dem er sich bessere Chancen oder angenehmere Aufenthaltsbedingungen erhofft oder nach Ablehnung eines Asylantrags in einem Mitgliedsstaat in einen anderen Mitgliedsstaat weiterzureisen, um eine weitere Prüfung seines Asylantrags mit einem für ihn günstigen Ergebnis zu erreichen. Relevant sind allein die Regelungen zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaates nach der Dublin III-Verordnung (ebenso VG Aachen, B.v. 28.1.2019 – 6 L 1826/18.A – juris; VG Würzburg, B.v. 11.12.2020 – W 8 S 20.50301 – juris).
Eine andere Beurteilung ist auch nicht vor dem Hintergrund der zwischenzeitlichen Entwicklung im Zuge der COVID-19-Pandemie angezeigt.
Dies wäre nur dann der Fall, wenn der Antragsteller in der S. Republik aufgrund der voraussichtlichen Lebensverhältnisse in eine Lage extremer Not geraten würde. Das Gericht hat auf der Basis des Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens und auch angesichts der in der S. Republik getroffenen Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie sowie auf der Grundlage aktueller Erkenntnisse (https://www.a.-amt.de/de/au./l.r/s.-node/sl./206360#content_0; https://www.g…de/de/t./s.i/wi../s.-w.-be.t-2022-24…20) keine Anhaltspunkte, die die Annahme eines solchen Extremfalles in der Person des Klägers oder allgemein das Vorliegen systemischer Mängel in der S. Republik begründen könnten. Im System des gegenseitigen Vertrauens ist für die S. Republik vielmehr weiter von einem die Grundrechte sowie die Rechte, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und in der EMRK finden, wahrenden Asylsystem auszugehen.
Abweichendes gilt schließlich auch nicht vor dem Hintergrund des Flüchtlingszustroms (auch) in die S. Republik infolge des Krieges in der U.. Zwar sind seit Kriegsbeginn zwischenzeitlich 301.405 Flüchtlinge aus der U. in der S. Republik angekommen (http://d.2.u.r.org/en/s.ns/u.e; Stand: 03.04.2022). Jedoch ist zum einen davon auszugehen, dass bei weitem nicht die vorgenannte Zahl an Flüchtenden in der S. verblieben ist, und es spricht nach Überzeugung des Gerichts zudem vieles dafür, dass auch ein weiterer Teil des derzeit dort aufhältigen Personenkreises von Flüchtlingen aus der U. – wenn eine kurzfristige Rückkehr ins Heimatland weiterhin nicht möglich sein sollte – von dort aus ebenfalls alsbald in andere – (tatsächlich oder vermutet) wirtschaftlich leistungsfähigere – europäische Staaten weiterreisen wird. Denn der S. kommt insoweit eine Brückenfunktion bei der Aufnahme der geflüchteten Menschen zu und ein großer Teil hiervon dürfte in weiter westlich gelegene Mitgliedstaaten der EU weiterreisen (https://www.g.i.de/de/t.e/s.kei/spe./s.sche-wi.aft-h..ig-von-.hen-e.rn-812…4). Zum anderen werden die Nachbarländer der U. und so auch die S. Republik bei der Aufnahme und Versorgung der Flüchtlinge aus der U. durch den UNHCR unterstützt (https://www.u.r.org/d.h/de/7.249-u.hcr-mo.-h.e-fur-ve.ene-in-der-.und-in-de.ch.and..html; https://data2.cr.org/en/d.ents/.ls/91719) und insbesondere wurde aus europäischen Finanzmitteln in erheblicher Weise Unterstützung zur Bewältigung des Bedarfs der Kriegsflüchtlinge aus der U. zugesagt (vgl. Art. 24 der RL 2001/55/EG vom 20.7.2001 (Massenzustrom-Richtlinie; https://ge.ny.re.ion.ec.eur..eu/n./eu-.llt-s.lfe-fur-die-u.e-b.t-und-bi.-na.la.rn-unt.-2022-02-25_de; https://www.h..de/b.sel-wi.eu-nac.n-der-u.ne-st.er-un.etzen-296351/; https://ec.e..eu/co.n/pr.co.r/detail/de/IP_22_1469; https://ec.eu..eu/co.n/p.er/detail/de/ip_22_1610; https://ec.e.a.eu/c.ssion/p.er/d.il/de/ip_22_1867; https://ec.eu..eu/co.n/p.r/de.il/de/ip_22_1961; https://ec.e.eu/co./pr.ner/d.il/de/ip_22_1946; https://ec.e.a.eu/co.n/pre./de./de/ip_22_2152). Überdies sieht die genannte Richtlinie gemäß Art. 25, 26 Kooperationsmaßnahmen vor, um einzelne Mitgliedstaaten vor Überlastung zu schützen. Die EU-Kommission hat etwa eine Solidaritätsplattform eingerichtet, mit deren Hilfe die Mitgliedsländer der Gemeinschaft ihre Hilfe bei der Flüchtlingsaufnahme koordinieren können sowie einen 10-Punkte-Plan beschlossen, wonach eine bessere Verteilung der Schutzsuchenden erreicht werden soll (https://ec.e..eu/c.n/p.r/detail/de/ip_22_1946; https://ec.eu..eu/commission/pr.er/detail/de/ip_22_2152; https://www.sp..de/au./k.g-und-f.t-eu.l-mit-.-p.te-.n-au.me-von-f.n-k.n-a-dca67382-d708-4e2e-97c4-ec97412c96db), auch wenn diese Maßnahmen aktuell noch auf der Freiwilligkeit der Mitgliedsstaaten basieren. Gegen eine Überlastung des s. Staates spricht zudem, dass sich gerade die EU-Staaten in geographischer Nähe zur U. gelassen gegeben haben und sie zunächst keine Unterstützung der EU benötigten (https://www.sp.l.de/p.ik/d.nd/u.e-.-eu-dr.-n.-s.t-ueber-f.-a-719bdf22-619a-431a-a152-25d1b8ba8935). Auf dem s. Arbeitsmarkt werden überdies Chancen gesehen; es gibt dort derzeit 82.000 offene Stellen. Besonders im Baugewerbe und im Transportwesen, aber auch in der Industrie und im Gesundheitssektor bestehen insoweit Lücken (https://www.g..de/de/t./s.i/sp./s.e-wir.t-h.ig-von-r.en-e.ern-812534). Letzteres legt nahe, dass der junge und erwerbsfähige Kläger weiterhin realistisch davon ausgehen kann, auch unter den derzeitigen Bedingungen in der S. auf dem Arbeitsmarkt Fuß fassen zu können. Das ist bei dem hiesigen Kläger in besonderer Weise zu erwarten, nachdem er sich jüngst bereits rund 14 Monate in der S. Republik aufgehalten hat und dort Sprachkurse besucht hat, sodass er nach eigenen Angaben eine mittlere Stufe des Sprachniveaus in S. erreicht hat und sich somit dort jedenfalls in ausreichender Weise verständigen kann. Überdies ist zu berücksichtigen, dass der Kläger über eine herausgehobene Schulbildung verfügt, indem im Heimatland die Schule mit dem Abitur abgeschlossen und im Anschluss zwei Jahre Tiermedizin studiert hat sowie dort bereits Geld durch Englischunterricht verdient hat. Ohne dass es noch entscheidungserheblich hierauf ankäme, verfügt der Kläger aus der Zeit seines dortigen Voraufenthalts auch über Kontakte in der S. Republik, konkret zu Teilnehmern der seinerzeitigen Sprachkurse sowie zu dem dortigen Sprachlehrer. Schließlich lässt sich eine anhaltende enorme Hilfsbereitschaft und Solidarität der s. Zivilgesellschaft für die ankommenden Flüchtlinge erkennen (https://t..de/F.-aus-der-U./!5837866/; https://www.z..de/na./p./fl.ge-s.-u.e-k.-100.html), sodass ein nicht zu unterschätzender Teil der sich aus dem aktuellen Flüchtlingszustrom ergebenden Belastungen einer zivilgesellschaftlichen Bewältigung zugeführt wird. Und auch wenn Hilfestellung und Unterstützung für Personen aus dem Nachbarland U. aufgrund kultureller Nähe für viele S. wohl näherliegt als eine solche für Schutzsuchende aus anderen Staaten, so ist doch nichts dafür erkennbar, dass der Kläger als afghanischer Staatsangehöriger von der in der S. aktuell bestehenden bemerkenswerten Anteilnahme und Hilfsbereitschaft sehr breiter Kreise der Bevölkerung für flüchtende Menschen ausgeschlossen wäre. Nach alledem sind derzeit keine greifbaren stichhaltigen Anhaltspunkte oder Berichte dafür ersichtlich, dass sich die Situation für Personen wie den Kläger, der sich als Asylantragsteller in der S. aufhält, derartig verändert hätte, dass diesem nunmehr im entscheidungserheblichen Zeitpunkt abweichend von obigen Ausführungen – mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit – die Gefahr droht, durch die Lebensbedingungen in der S. Republik einer Verletzung des Art. 3 EMRK, Art. 4 GrCh ausgesetzt zu sein.
Des Weiteren fehlt es auch an sonstigen außergewöhnlichen Umständen, welche ausnahmsweise eine Pflicht der Beklagten zum Selbsteintritt nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-Verordnung begründen könnten, insbesondere ist keine besondere Vulnerabilität des Klägers dargetan.
2. Die Feststellung der Beklagten, dass im Falle des Klägers keine zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich der S. Republik bestehen, ist zum jetzigen maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG) ebenfalls nicht zu beanstanden. Insbesondere hat der Antragsteller individuell nichts vorgetragen, was das Bestehen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich der S. Republik nahelegen könnte. Auch insoweit nimmt das Gericht auf die Ausführungen in der Begründung des Bescheids Bezug (§ 77 Abs. 2 AsylG ) und macht sich diese zu Eigen. Ebenso wird auf die vorstehenden Ausführungen unter 1. vollumfänglich verwiesen.
b) Schließlich liegt auch kein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor.
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur dann vor, wenn der Antragsteller unter einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung leidet, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG. Die Erkrankung muss nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG i.V.m. § 60a Abs. 2c Satz 2 AufenthG durch Vorlage einer qualifizierten ärztlichen Bescheinigung glaubhaft gemacht werden.
Gesundheitliche Beschwerden oder Erkrankungen hat der Kläger auf Befragen beim Bundesamt verneint und auch im gerichtlichen Verfahren nicht geltend gemacht.
Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ergibt sich auch nicht aus den gesundheitlichen Gefahren im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie, denn die Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG wird durch § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG gesperrt. Die Gefahr einer Infektion betrifft die gesamte Bevölkerung allgemein. Es liegt auch keine Extremgefahr vor, die es verfassungsrechtlich gebieten würde, die Sperrwirkung von § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG ausnahmsweise entfallen zu lassen (vgl. BVerwG, U.v. 13.6.2013 – 10 C 13/12 – juris).
Es ist nicht ersichtlich, dass der Kläger bei seiner Rückkehr in die S. Republik mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre, wobei sich diese ausschließlich auf den Tod aufgrund einer Infektion mit Covid-19 oder einen besonders schweren Verlauf beziehen kann. Dies ist beim Antragsteller nicht anzunehmen, denn der 24-jährige Antragsteller ohne erkennbare relevante Vorerkrankungen gehört nach dem oben genannten Maßstab bereits nicht zu der Personengruppe mit einem höheren Risiko für einen schweren, möglicherweise lebensbedrohlichen Verlauf der Covid-19-Erkrankung (vgl. https://www.r.i.de/D.E/C./ I./N/Ne.s_.s/S.ef.html; jsessinid= DC.8. internet092#doc13776792bodyText15). Der Kläger hätte überdies im Falle einer etwaigen Erkrankung an Covid-19 Anspruch auf die notwendige medizinische Versorgung in der S. Republik (vgl. oben). Schließlich ist zu berücksichtigen, dass jeder das eigene Infektionsrisiko durch eine Impfung bzw. durch Einhaltung der geltenden Hygiene- und Abstandsregeln maßgeblich verringern kann. Zudem besteht für den Antragsteller auch in Deutschland das allgemeine (Lebens-)Risiko einer Ansteckung.
3. Die in Ziffer 3 des angegriffenen Bescheides verfügte Abschiebungsanordnung in die S. Republik ist im entscheidungserheblichen Zeitpunkt, § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG, rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt dann, wenn der Ausländer in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) abgeschoben werden soll, die Abschiebung in diesem Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann.
Voraussetzung hierfür ist, dass eine Überstellung in den Zielstaat nicht nur rechtlich zulässig, sondern zeitnah auch tatsächlich möglich ist (vgl. Pietzsch, in: Kluth/Heusch (Hrsg.), BeckOK Ausländerrecht, 32. Edition, Stand 1.1.2022, § 34a AsylG, Rn. 9; Müller, in: Hofmann (Hrsg.), Ausländerrecht, 2. Auflage 2016, § 34a AsylG, Rn. 11; Hailbronner, in: Hailbronner (Hrsg.), Ausländerrecht, 5. Update 2021, § 34a AsylG, Rn. 38; GK-AsylG, Funke-Kaiser, § 34a AsylG Rn. 13 unter Hinweis auf die Normstruktur des § 34a Abs. 1 AsylG und insbesondere den dort (subsidiären) Abs. 1 Satz 4; a.A. wohl Oberverwaltungsgericht Schleswig-Holstein, B.v. 21.11.2016 – 2 LA 111/16 -, juris Rn. 6, allerdings unter nachfolgendem Hinweis darauf, dass eine Mitteilung von U., dass Dublin-Überstellungen nicht mehr akzeptiert würden, nicht vorliege, was sich im vorliegenden Fall bezüglich der S. gerade – entscheidungserheblich – abweichend darstellt).
Diese Feststellung kann zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr getroffen werden (vgl. zum Ganzen: VG Aachen, B.v. 18.3.2022 – 6 L 156/22.A – juris betreffend eine Dublin-Überstellung nach P.; in Abgrenzung zu VG Würzburg, B.v. 14.3.2022 – W 1 S 22.50072 – juris). Dabei kann dahinstehen, ob mit Blick auf vorübergehende und ggf. noch nicht sicher absehbare Überstellungshindernisse insofern die prognostisch große Wahrscheinlichkeit einer Überstellungsmöglichkeit innerhalb der Überstellungfristen des Art. 29 Dublin III-Verordnung (d.h. regelmäßig binnen sechs Monaten; vorliegend bis zum Ablauf des 28.8.2022) als ausreichend zu erachten ist (vgl. in diesem Sinne bspw. VG Ansbach, B.v. 18.03.2020 – AN 17 S 20.50116 -, juris (für pandemiebedingte Einreisebeschränkungen); Hailbronner, AsylG, § 34a Rn. 38).
Denn jedenfalls die grundsätzliche (Wieder) Aufnahmebereitschaft des Zielstaats muss im entscheidungserheblichen Zeitpunkt nach höchst- und obergerichtlicher Rechtsprechung positiv geklärt sein. Dies ergibt sich sowohl aus dem klaren Wortlaut der Norm („feststeht“) als auch aus dem Sinn und Zweck des Dublin-Systems und der mit ihm verwirklichten verfahrensrechtlichen Dimension der materiellen Rechte, die die RL 2011/95/EU (sog. Anerkennungsrichtlinie) Schutzsuchenden einräumt (vgl. BVerwG, U.v. 27.4.2016 – 1 C 24.15 -, juris, Rn. 20 (zu § 27a AsylG a.F.); OVG NRW, B.v. 28.4.2015 – 14 B 502/15.A -, juris, Rn. 7 ff. (zu § 34a AsylG); im Anschluss hieran BayVGH, U.v. 7.4.2016 – 20 B 14.30214 -, juris, Rn. 17 und OVG Rheinland-Pfalz, U.v. 18.2.2016 – 1 A 11081/14 -, BeckRS 2016, 43342, Rn. 37; zu einer ähnlichen Situation (pandemiebedingte Aussetzung aller Dublin-Überstellungen durch einen Mitgliedstaat) VG Aachen, U.v. 6.3.2020 – 9 K 3086/18.A -, juris, Rn. 91; Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Auflage 2020, § 29 AsylG, Rn. 53; Hailbronner, in: Hailbronner (Hrsg.), Ausländerrecht, 5. Update 2021, § 34a AsylG, Rn. 38; Pietzsch, in: Kluth/Heusch (Hrsg.), BeckOK Ausländerrecht, 32. Edition, Stand 1.1.2022, § 34a AsylG, Rn. 12; Hofmann, Ausländerrecht, § 34a AsylVfG, Rn. 11-17). Verfehlt scheint es demgegenüber, wenn das Bundesamt in seiner Stellungnahme vom 14. März 2022 zur inmitten stehenden Rechtsfrage abschließend darauf hinweist, dass eine Entspannung der Migrationslage in der S. Republik innerhalb von weniger als sechs Monaten nicht vollkommen ausgeschlossen erscheint. Es drängt sich insoweit auf, dass ein Ereignis, das „nicht vollkommen ausgeschlossen“ erscheint, evident ein Aliud gegenüber dem vom Gesetzgeber in § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG begrifflich klar geregelten „Feststehen“ der Durchführbarkeit der Abschiebung darstellt.
An einer positiv geklärten (Wieder) Aufnahmebereitschaft fehlt es vorliegend eindeutig. Zwar hat die S. Republik mit Schreiben vom 28. Februar 2022 der Aufnahme des Klägers gemäß Art. 12 Abs. 1 Dublin III-Verordnung zunächst zugestimmt. Jedoch hat die S. Republik sodann – entsprechend der Mitteilung des Bundesamtes vom 14. März 2022, auf gerichtliche Nachfrage nochmals bestätigt mit Schreiben vom 28. März 2022 – am 1. März 2022 erklärt, dass Überstellungen im Rahmen der Dublin III-Verordnung ab 2. März 2022 zunächst nicht mehr entgegengenommen würden, um den aus dem Einmarsch r. Truppen in die U. am 24. Februar 2022 resultierenden erheblichen Flüchtlingsbewegungen gerecht zu werden.
In der Folge dessen kann im entscheidungserheblichen Zeitpunkt (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) nicht mehr von einer positiv geklärten Aufnahmebereitschaft der S. Republik ausgegangen werden. Im Gegenteil steht vielmehr derzeit positiv fest, dass die S. aufgrund des Krieges in der U. bis auf weiteres generell nicht mehr zur (Wieder) Aufnahme Schutzsuchender im Rahmen des Dublin-Systems bereit ist.
Darüber hinaus wäre jedoch selbst dann nicht mehr von einer „feststehenden“ Überstellungsmöglichkeit im Sinne des § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG auszugehen, wenn auch mit Blick auf die (Wieder) Aufnahmebereitschaft des Zielstaats ausreichen würde, dass eine solche innerhalb der Fristen des Art. 29 Dublin III-Verordnung prognostisch mit großer Wahrscheinlichkeit (erneut) vorliegen wird. Denn Hintergrund des s. Rundschreibens vom 1. März 2022 war die Invasion r. Truppen am 24. Februar 2022 in die U. und die hierdurch ausgelöste erhebliche Fluchtbewegung, zumal die Zahl Geflüchteter aus der U. in der S. zum Zeitpunkt des Rundschreibens noch erheblich niedriger lag als im aktuellen Entscheidungszeitpunkt. Auch ein Ende dieser Fluchtbewegung sowie des Krieges in der U. sind aktuell nicht absehbar. Schließlich wäre eine spürbare Entspannung der Migrationslage in der S. bei lebensnaher Betrachtung angesichts zu erwartender fortbestehender politischer wie militärischer Unsicherheiten, massiv zerstörter Infrastruktur und sonstiger Lebensgrundlagen in der U. sowie weiterer objektiver und subjektiver Rückkehrhürden ohnehin nicht unmittelbar nach Kriegsende zu erwarten.
Dafür, dass sich die S. trotz der kriegsbedingten Migrationslage in absehbarer Zeit erneut zur (Wieder) Aufnahme Schutzsuchender im Rahmen des Dublin-Systems bereit erklären wird, ist zuletzt ebenfalls nichts ersichtlich. Insbesondere wurde im Rundschreiben vom 1. März 2022 offensichtlich weder ein Datum für die Aufhebung der Beschränkungen genannt noch wurden sonstige Bedingungen für eine baldige Wiederaufnahme von Dublin-Überstellungen skizziert. Auf die Frage, ob sich diese einseitige Beendigung von Dublin-Überstellungen als unionsrechtskonform erweist, kommt es im Rahmen des § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG nicht an, da es – worauf es entscheidungserheblich ankommt – an einer (Wieder) Aufnahmebereitschaft der S. Republik für Dublin-Rückkehrer fehlt.
Vor diesem Hintergrund vermag das Gericht die prognostische Annahme des Bundesamts, dass weiterhin mit großer Wahrscheinlichkeit feststehe, dass die S. ihre Verpflichtung zur Aufnahme der Antragsteller innerhalb der Überstellungsfrist erfüllen werde, selbst unter Zugeständnis eines behördlichen Prognosespielraums (vgl. hierzu: Hailbronner, AsylG, § 34a Rn. 38) und der Beachtung des Grundsatzes gegenseitigen Vertrauens nicht zu teilen.
Unabhängig davon spricht gegen ein Feststehen der Durchführbarkeit der Abschiebung, dass die zuständigen Ausländerbehörden aller Bundesländer bis auf weiteres einen Rückführungsstopp aufgrund der hohen Belastung für die stark betroffenen Fluchtzielländer P., R., T. und die S. erlassen haben (https://www.we.t.de/p.ik/d.d/a.933839/U.e-Kr.-Ab.n-in-viele-L.etzt.html).
4. Auch das in Ziffer 4 getroffene Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG ist infolge der Rechtswidrigkeit der Abschiebungsanordnung rechtswidrig und verletzt den Kläger ebenfalls in seinen Rechten. Denn § 11 Abs. 1 AufenthG setzt einen Ausländer voraus, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist. Angesichts dessen, dass das Gericht die Abschiebungsanordnung in Ziffer 3 als rechtswidrig aufgehoben hat, besteht bereits keine Grundlage für die vorgenannte gesetzliche Voraussetzung, sodass in der Folge auch Ziffer 4 aufzuheben war.
5. Abschließend ist festzustellen, dass die Rechtswidrigkeit der Ziffern 3 und 4 des Bescheides hier nicht die Rechtswidrigkeit der Ziffern 1 und 2 zur Folge hat. Denn am Vorliegen der grundsätzlichen Zuständigkeit der S., der Voraussetzungen der Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG sowie dem Nichtvorliegen der Voraussetzungen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 AufenthG hat sich durch die Aufhebung der Abschiebungsanordnung in die S. Republik nichts geändert, worauf auch die Vorschrift des § 34a Abs. 1 Satz 4 AsylG hindeutet. Zudem steht vorliegend nicht zu befürchten, dass sich der Kläger „zu einem refugee in orbit entwickelt“, da der Lauf der Überstellungsfrist durch die vorliegende Entscheidung nicht beeinflusst wird und nach einem etwaigen Ablauf der derselben die Zuständigkeit auf die Beklagte übergeht, Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-Verordnung. Ein effektiver Zugang zum Verfahren zur Gewährung internationalen Schutzes und eine zügige Bearbeitung des Antrags auf internationalen Schutz, vgl. Erwägungsgrund 5 der Dublin III-Verordnung, ist nach Auffassung des Gerichts durch die Aufrechterhaltung der Ziffern 1 und 2 des Bescheides nicht gefährdet.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO und trägt dem teilweisen Obsiegen und Unterliegen der Beteiligten angemessen Rechnung. Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 83b Abs. 1 AsylG.


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