Europarecht

Einordnung in die Gefahrtarifstelle 25 (Herstellung von Bekleidung) und 26 (Herstellung von Schuhen)

Aktenzeichen  S 2 U 125/12

Datum:
27.3.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 146791
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VII § 157 Abs. 2 S. 1

 

Leitsatz

Veranlagung Gefahrtarif. Nachdem die Klage vor dem SG innerhalb der Rechtsmittelfrist zurückgenommen wurde (§ 102 Abs. 1 SGG), ist dieses Urteil wirkungslos.
Durch gefahrtarifliche Bestimmung hervorgerufene Härten im Einzelfall sind als Folgen der zulässigen generalisierenden versicherungsrechtlichen Regelungen hinzunehmen.  (Rn. 42) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

Die gegen die Bescheide vom 26.04.2010, 22.02.2011, 29.03.2011, 27.04.2011, 26.05.2011 und 6.10.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.05.2012 erhobene Klage ist zulässig, aber nicht begründet.
Streitgegenstand des Verfahrens sind die Beitragsbescheide 2009 vom 26.04.2010, Beitragsänderungsbescheide 2006, 2007 und 2008 vom 22.02.2011, Beitragsänderungsbescheid 2009 vom 29.03.2011 und Beitragsbescheid 2010 vom 27.04.2011und der Ablehnungsbescheid vom 26.05.2011 sowie der Veranlagungsbescheid vom 6.10.2011 für die Zeit ab 1.1.2012. Die streitgegenständlichen Bescheide in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.5.2012 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Der Gefahrtarif wird nach Gefahrtarifstellen gegliedert, in denen Gefahrgemeinschaften nach Gefährdungsrisiken unter Berücksichtigung eines versicherungsmäßigen Risikoausgleichs gebildet werden (§ 157 Abs. 2 Satz 1 SGB VII). Diese Gefahrklassen werden aus dem Verhältnis der gezahlten Leistungen zu den Arbeitsentgelten berechnet. Durch gefahrtarifliche Bestimmung hervorgerufene Härten im Einzelfall sind als Folgen der zulässigen generalisierenden versicherungsrechtlichen Regelungen hinzunehmen. Unter den Gefahrtarifstellen sind nach unterschiedlichen Zuordnungsmerkmalen Risikogemeinschaften zu bilden. Nach der Natur der Sache kommen die Tarifarten des Gewerbezweigtarifs oder des Tätigkeitstarifs in Betracht. Die unter diesen Gesichtspunkten gebildete Anzahl und Art der Gefahrtarifstellen stehen im Ermessen der Vertreterversammlung. Alle Tarifarten sind grundsätzlich zulässig. Es besteht keine Verpflichtung, für abgrenzbare Unternehmensteile eines zugehörigen Unternehmens nach den dort jeweils verrichteten Tätigkeiten (zum Beispiel Büro/Verwaltung) verschiedene Gefahrtarifstellen einzurichten. Diese Ausnahme ist zwar möglich, nicht aber verbindlich (vergleiche BSG, Urteil vom 24.6.2003, Az.: B 2 U 21/02 R).
Da der Gewerbezweigtarif seine Rechtfertigung aus der Gleichartigkeit der Unfallrisiken und Präventionserfordernisse bei technologisch verwandten Betrieben bezieht, kommt es für die Bildung der Gewerbezweige und die Zuordnung zu ihnen entscheidend auf die in der jeweiligen Unternehmensart anzutreffenden Arbeitsbedingungen an. Angesichts der Entwicklung der modernen Arbeitswelt zu einer Dienstleistungsgesellschaft verlieren zwar klassische technologische Abgrenzungskriterien immer mehr an Bedeutung, dennoch bleiben für den Zuschnitt der Gewerbezweige in erster Linie Art und Gegenstand des Unternehmens maßgebend, da sie den zuverlässigsten Aufschluss über die Unfallgefahren in den Unternehmen geben (vergleiche BSG, Urteil vom 28.11.2006, Az.: B 2 U 1/05 R und LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 31.08.2012, Az.: L 8 U 1970/10).
Steht die nach technologischen Kriterien richtige Zuordnung fest, kann die Zugehörigkeit zu dem Gewerbezweig nicht mit dem Hinweis auf eine unterschiedliche Belastungssituationen Frage gestellt werden. Die Bildung von Gefahrklassen nach dem Gewerbezweigprinzip hat zur zwangsläufigen Folge, dass es innerhalb der Gewerbezweige nicht nur gewerbetypische, sondern auch vom Durchschnitt der Gruppe mehr oder weniger deutlich abweichende Unternehmen und Unternehmensarten gibt. Dass alle dem Gewerbezweig zugehörigen Betriebe und Einrichtungen trotz unterschiedlicher Gefährdungslagen zur selben Gefahrklassen veranlagt und deshalb einzelne von ihnen stärker mit Beiträgen belastet werden als es ihrem tatsächlichen Gefährdungsrisiko entsprechen würde, ist als Folge der bei der Tarifbildung notwendigen Typisierung hinzunehmen (vergleiche BSG, Urteil vom 28.11.2006, aaO.).
Entgegen der Einwendungen der Klägerin ist aber eine Zuordnung Ihres Unternehmens zu einer anderen Tarifstelle rechtlich nicht geboten. Die Kammer ist zu der Überzeugung gelangt, dass der das Unternehmen der Klägerin kennzeichnende Unternehmensgegenstand die Herstellung von Textilien und Schuhen im Sportartikelbereich ist, und nicht lediglich der Handel mit solchen.
Zwar verkennt die Kammer nicht, dass es zu einer Verschiebung der Unternehmensausrichtung der Klägerin gekommen ist. Dennoch ist zur Überzeugung der Kammer die Klägerin weiterhin ein Herstellungsunternehmen. Es entspricht den unternehmerischen Entwicklungen der letzten Jahre und Jahrzehnte, insbesondere auch im Bereich der Bekleidungsindustrie, dass die Produktion der Ware im Ausland erfolgt, um die Lohnkosten deutlich niedriger zu halten. Dennoch bleibt ein Unternehmen, wenn es lediglich die Produktion und gegebenenfalls auch Teile der Qualitätskontrolle ins Ausland verlagert, weiterhin nicht ein Handelsunternehmen, sondern ein Herstellungsunternehmen.
Dass die Klägerin sich selbst als Lifestyleunternehmen sieht, welches nicht herstellt, sondern entwickelt und vertreibt, kann hier nicht die entscheidende Bewertungsgrundlage sein. Vielmehr sieht die Kammer unter Abwägung aller Argumente und des vorgetragenen Sachverhaltes die Klägerin als Herstellungsunternehmen, weil nicht das Eigenbild der Klägerin über ihren Unternehmensgegenstand bzw. das von ihr anvisierte Bild, das in der Öffentlichkeit erzeugt werden soll, sondern eine objektive Bewertung unter Abwägung aller Positionen maßgeblich für die Beurteilung sein muss.
Im Fall der Klägerin ist es für die Kammer unabdingbar, dass hier die Marke verkauft wird, welche von der Klägerin entworfen, im Ausland hergestellt, beworben und dann vertrieben wird. Im Gegensatz zu dem Vorbringen der Klägerin in der mündlichen Verhandlung geht die Kammer davon aus, dass die Klägerin gerade nicht mit einem x-beliebigen Unternehmen, z.B. einer Warenhauskette, zu vergleichen ist, welches beispielsweise Waren verschiedener Hersteller und Qualitätsstandards verkauft, die es nicht selbst herstellt, sondern nur einkauft. Bei einem solchen Unternehmen steht nicht die (eigene) Marke im Vordergrund, es werden Marken verschiedener Hersteller vertrieben.
Die Klägerin allerdings transportiert mit ihren Produkten eine eigene Marke, eine Zugehörigkeit, einen bekannten Namen und damit eine spezielle Käufernachfrage, die sie von anderen Unternehmen unterscheidet. Die Produkte der Klägerin werden nicht gekauft, um lediglich irgendeine Art von Sportartikel zu erwerben und den Konsum von Sport- und Bekleidungsartikeln oder gar Lifestyleartikeln zu bedienen, sondern gezielt, um Artikel der international bekannten Marke der Klägerin zu erwerben. Die Produkte der Klägerin stehen und fallen mit deren Namen und dem Wunsch der Käufer, gerade ein Produkt der Klägerin und kein anderes zu erwerben. Durch diese Attraktivität des Namens und der Marke setzt sich die Klägerin von bekannten oder unbekannten Marken oder Produkten in ihrem Produktbereich ab.
Es ist nicht der Handel mit irgendwelchen Waren, sondern der Entwurf, das Design, die hohe Qualität und die Marke der Klägerin maßgeblich für den Erfolg und die Käufernachfrage, und somit maßgeblicher Unternehmensgegenstand.
Die Kammer konnte sich der Argumentation der Klägerin nicht anschließen, dass sie mit der Herstellung der Textilien und Schuhe ihrer Marke nichts mehr zu tun habe. Vielmehr geht die Kammer davon aus, dass die maßgeblichen Schritte der Herstellung weiterhin in der Hand der Klägerin liegen. Dass hochwertige Textilien und Schuhe selbst nicht mehr in Deutschland hergestellt werden, entspricht einer unternehmerischen und gesellschaftlichen Entwicklung, die alle gleichgelagerten Unternehmen mit solchen Produktpaletten treffen und sich auch gleichgelagert dahingehend entwickelt haben, dass die Produktion ins Ausland verlagert wurde.
Auch für den mündigen Käufer qualitativ hochwertiger Marken wie die der Klägerin ist heutzutage klar im Bewusstsein, dass die Produkte nicht in Deutschland, sondern überwiegend im asiatischen Bereich hergestellt werden. Trotz der umfassenden und informativen Ausführungen der Klägerseite in der mündlichen Verhandlung über die Produktionsabläufe, den Mitarbeitereinsatz und die Vernetzung verschiedener weiterer Konzernunternehmen ist für die Kammer nicht anzuzweifeln, dass die Klägerin ein Herstellungsunternehmen geblieben ist.
Die Klägerin ist nach Auffassung der Kammer Herstellerin von Bekleidung und Schuhen ihrer Marke. Die Klägerin designt und entwickelt ihre Produkte selbst. Nach den Ausführungen der Klägerin in der mündlichen Verhandlung werden dann verschiedene Prototypen, auch im Ausland, hergestellt und sodann der Klägerin zur Verfügung gestellt, die dann je nach Farbe oder Material eine Auswahl trifft, welche der grundsätzlich von ihr bereits entwickelten Stücke in Produktion gehen sollen. Das grundsätzliche Design, der Schnitt, die zu verwendenden Textilien und die grundsätzliche Farbgebung sowie das grundsätzliche Material und die Position des Markenlogos und auch die Verpackung, in welcher die Produkte später vertrieben werden sollen, werden von der Klägerin in maßgeblicher Weise vorgegeben.
Aus Sicht der Kammer ist und bleibt die Klägerin wesentlich am Herstellungsprozess beteiligt. Nur so kann sie letztlich den qualitativ hochwertigen Standard ihrer Produkte sicherstellen. Für die Kammer ist es unerheblich, ob und in welchem Rahmen Qualitätsprüfungen im Ausland oder im Inland vorgenommen werden. Neue Produktlinien, neue Produkte, neues Design, all das wird von den Mitarbeitern der Klägerin entworfen und vorgegeben, egal an welchem Ort dieser Welt. Im Rahmen der herrschenden Mobilität ist es dabei für die Kammer nicht ausschlaggebend, ob sich der Designer eines Produktes am Sitz der Klägerin im A-Stadt befindet oder an einem anderen Ort, maßgeblich für die Kammer in ihrer Bewertung ist, dass die Idee für neue oder geänderte Produkte von Mitarbeitern der Klägerin für diese entwickelt wurden oder werden. Aus Sicht der Kammer ist hier auch maßgeblich, dass die hohe Qualität der Produkte der Klägerin nur so zu halten ist, wenn durch Standards und Richtlinien die Qualitätskriterien gegebenenfalls auch an Tochterunternehmen, welche sich um die Herstellung im Ausland kümmern, vorgegeben werden.
Aus Sicht der Kammer ist trotz Veränderung des Herstellungsprozesses bei der Klägerin keine derartige Verschiebung dahingehend zu erkennen, dass die Klägerin nur noch Handel mit Produkten betreibt.
Den wesentlichen und maßgeblichen Unterschied zu reinen Handelsunternehmen sieht die Kammer darin, dass die Klägerin ihre Produkte, ihren Namen, und ihre Marke verkauft und die wesentlichen und grundlegenden Entscheidungsprozesse und Grundlagen der Produkte selbst eigenständig entwickelt und vorgibt. Für die Kammer ist diese Art des Unternehmensgegenstandes und der Tätigkeit der Klägerin zu weit entfernt vom Unternehmensgegenstand eines reinen Handelsunternehmens und viel näher bei dem eines Herstellungsunternehmens. Auch wenn sich die inneren Abläufe im Unternehmen der Klägerin insbesondere bei elementaren Schritten im Herstellungsprozess verändert hat und die Klägerin in ihrer eigenen Unternehmensentwicklung ihr unternehmerisches Hauptaugenmerk auf Design, Marketing und Vertrieb richtet, bleibt dennoch aus Sicht der Kammer die „Hülle“ des Unternehmens weiterhin bestehen in Form eines Herstellungsunternehmens. Die Veränderung der Produktionsprozesse im Falle der Klägerin sieht die Kammer lediglich als einen generellen Entwicklungsschritt von Unternehmen in den letzten Jahrzehnten an, weg von der reinen Produktion im Inland, aber bei bleibender maßgeblicher Beeinflussung und Kreativität der Produktionslinien im Inland, und hin zur Produktion von eigenen Waren in Ländern mit erheblich geringerem Lohnniveau. Dies macht aber ein Herstellungsunternehmen noch lange nicht zu einem Handelsunternehmen.
Zur Überzeugung der Kammer betreibt die Klägerin nicht lediglich Handel, sondern ihr Unternehmensschwerpunkt liegt weiterhin in der Herstellung von Sportbekleidung und Sportschuhen von gehobener Qualität. Eine Veranlagung nach den Gefahrtarifstellen „Herstellung von Textilien“ und „Herstellung von Schuhen“ erscheint somit gerechtfertigt.
Eine fehlerhafte Veranlagung ist deshalb nicht zu erkennen. Ein Anspruch auf Veranlagung nach einer anderen Tarifstelle des Gefahrtarifs scheidet damit aus.
Auch die beantragte Beitragsänderung der Beitragsbescheide ab 2004 hat somit nicht zu erfolgen.
Nach alledem war die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a Absatz 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 VwGO.

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