Europarecht

Einstweilige Anordnung gegen die Ablehnung eines Übernahmegesuchs

Aktenzeichen  AN 18 E 19.50459

Datum:
2.7.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 25458
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 123
VO (EU) Nr. 603/2014 Art. 8, Art. 9, Art. 17 Abs. 2

 

Leitsatz

1. Art. 17 Abs. 2 VO (EU) Nr. 603/2014 vermittelt Asylbewerbern, die sich in einem anderen Mitgliedstaat befinden, ein subjektives Recht auf Überprüfung der Ablehnung eines Aufnahmegesuchs . (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
2 Besitzt ein Familienangehöriger im Bundesgebiet ein (temporäres) Bleiberecht (hier: nationales Abschiebeverbot), so begründet dies zwar keine Zuständigkeit Deutschlands nach Art. 9 VO (EU) Nr. 603/2014 , jedoch ist die Regelung des Art. 17 Abs. 2 VO (EU) Nr. 603/2014 gerade geschaffen worden, um einem an sich unzuständigen Mitgliedstaat die Zuständigkeit für die Prüfung eines Asylantrages aus humanitären Gründen zu ermöglichen. (Rn. 41) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, sich gegenüber dem griechischen Migrationsministerium, Nationales Dublin-Referat, – unter Aufhebung der mit Schreiben vom 28. Dezember 2018 ergangenen Ablehnung des Übemahmeersuchens des griechischen Migrationsministeriums, Nationales Dublin-Referat, vom 14. Dezember 2018 – für die Prüfung der Asylanträge der Antragsteller zu 1) bis 4) für zuständig zu erklären.
2. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Die Antragssteller zu 1) bis 4), afghanische Staatsangehörige, die sich derzeit in Griechenland befinden, begehren im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes im Ergebnis die Durchführung ihrer Asylverfahren in Deutschland.
Drei der Kinder der Antragsteller zu 1) und 2) leben in Deutschland. Dies ist der Antragsteller zu 5) sowie ein mittlerweile volljähriger Bruder, Herr … geb. am 1.12.2000, und die am 9. September 1993 geborene ältere Schwester, Frau …. Diese wurde zum Vormund des Antragstellers zu 5) bestellt (Bestallung vom 12. August 2016). Mit Schreiben vom 22. August 2016 stellte die Schwester … für ihren Bruder … einen Asylantrag. Hinsichtlich des Antragstellers zu 5) wurde mit Bescheid vom 25. Oktober 2017 ein Abschiebungsverbot unanfechtbar festgestellt. Auch die beiden in Deutschland lebenden Geschwister erhielten ein Abschiebungsverbot.
Die Antragsteller zu 1) bis 4) stellten am 2. November 2018 in Griechenland Asylanträge und teilten in diesem Rahmen auch ihren Wunsch nach Familienzusammenführung mit dem Antragsteller zu 5) schriftlich mit, welcher wiederum am 26. Oktober 2018 schriftliche Zustimmungserklärungen abgab. Bezüglich der Einzelheiten zu den abgegebenen schriftlichen Zustimmungserklärungen wird auf die beiliegenden Behördenakten Bezug genommen.
Am 14. Dezember 2018 ersuchten die griechischen Behörden die Antragsgegnerin unter Bezugnahme auf Art. 9 Dublin III-VO um Aufnahme der Antragsteller zu 1) bis 4). Unter „sonstige zweckdienliche Angaben“ führten die griechischen Behörden zudem im Wesentlichen aus, dass das Aufnahmegesuch jedenfalls unter Berücksichtigung der Gesichtspunkte Kindeswohl und Familienzusammenführung zu prüfen sei, falls Art. 9 Dublin III-VO als nicht einschlägig angesehen werde.
Die Antragsgegnerin lehnte mit Schreiben vom 28. Dezember 2018 das Aufnahmegesuch der griechischen Behörden ab. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Asylantrag der Tochter und der zwei Söhne, welche in Deutschland leben, abgelehnt worden sei. Daher sei eine Familienzusammenführung gemäß Art. 8 Dublin III-VO nicht möglich. Internationaler Schutz sei in Deutschland gerade nicht gewährt worden. Über dies sei der 11 Jahre alte Bruder nicht allein in Deutschland. Er sei hier mit seinen erwachsenen Geschwistern. Seine Schwester Razia Khavarl, geboren am 9. September 1993, sei sein Vormund. Ebenso werde mitgeteilt, dass die übersandten Dokumente nicht ausreichend seien, um die Verwandtschaftsverhältnisse zu belegen. Nach Vorlage weiterer Dokumente könne der Vorgang durch die deutsche Dublin-Unit erneut geprüft werden.
Mit Schreiben ihres Bevollmächtigten vom 5. März 2019, beim Verwaltungsgericht Wiesbaden am 5. März 2019 per Fax eingegangenen, stellten die Antragsteller zu 1) bis 5) einen Antrag nach § 123 VwGO.
Zur Begründung des Anordnungsanspruchs wurde im Wesentlichen auf ein subjektives Recht der Antragsteller auf korrekte Anwendung der Zuständigkeitskriterien der Dublin III-VO und damit auf die Durchführung des Asylverfahrens im zuständigen Mitgliedstaat gemäß Art. 8 Abs. 1 Dublin III-VO verwiesen. Die durch die Dublin III-VO festgelegte Zuständigkeitsordnung verleihe ein subjektives Recht gegenüber den Mitgliedstaaten auf Einhaltung der Zuständigkeitsordnung. Übergeordneter Sinn und Zweck der Dublin III-VO sei die Wahrung der Familieneinheit von Familienangehörigen, die sich in unterschiedlichen Vertragsstaaten der Dublin III-VO aufhielten. Die Achtung der Familieneinheit sei übergeordnetes Ziel der Verordnung. Überdies sei der Schutz von Minderjährigen zentral.
Weiter könne die nach der Verordnung vorgesehene Familieneinheit nur dadurch gewahrt werden, dass das Ermessen bezüglich der Annahme eines neuen Übernahmeantrags gemäß Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO auf Null reduziert sei. Die Ermessenreduzierung auf Null ergebe sich aus Sinn und Zweck der Dublin III-VO sowie aus den verbürgten subjektiven Rechten, die auf die Familieneinheit oder den Minderjährigenschutz zurückgehen, vgl. Erwägungsgründe 13, 14 sowie Art. 6 Abs. 1 der Verordnung. Art. 17 Abs. 2 sei Immer dann anzuwenden, wenn eine buchstabengetreue Anwendung der Kriterien einer Trennung von Familienmitgliedern zur Folge hätte. Der Antragsteller zu 5) sei 11 Jahre alt und lebe dauerhaft getrennt von seinen Eltern, weil die Antragsgegnerin das Übernahmeersuchen der griechischen Asylbehörde abgelehnt habe. Vorliegend nähere sich die Situation der des Art. 8 Dublin III-VO an. Die vorliegende Situation stelle eine Situation des Art. 8 Dublin III-VO nur in umgedrehter Konstellation dar. Gemäß Art. 8 Dublin III-VO sei bei einem minderjährigen Antragsteller der Mitgliedstaat zuständiger Mitgliedstaat, in dem sich ein Familienangehöriger oder eines der Geschwister des unbegleiteten Minderjährigen rechtmäßig aufhalte, sofern es dem Wohl des Minderjährigen diene. Vorliegend seien die Antragsteller die Eltern, die in Griechenland einen Asylantrag gestellt hätten. Der Antragsteller zu 5) halte sich als minderjähriger Sohn rechtmäßig in der Bundesrepublik auf. Wäre der Antragsteller zu 5) in Griechenland und hätte er dort, wie seine Eltern, einen Asylantrag gestellt, und würden sich die Eltern, wie es bei dem Antragsteller der Fall sei, mit einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG rechtmäßig in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, so hätte der Antragsteller zu 5) über Art. 8 Dublin-III-VO einen Anspruch auf die Durchführung seines Asylverfahrens in der Bundesrepublik. Der Grund dieses Anspruchs sei die Wahrung der Familieneinheit. Vorliegend sei der Grund derselbe wie in der oben geschilderten Situation. Anders sei nur, dass sich der minderjährige Antragsteller zu 5) rechtmäßig in der Bundesrepublik aufhalte, während die Eltern in Griechenland ein Asylverfahren durchführen würden. Nach dem Sinn und Zweck der Dublin III-VO sei es jedoch rechtlich zwingend geboten, dass das Asylverfahren der Antragsteller zu 1) bis 4) in der Bundesrepublik durchgeführt werde, damit die Eltern bei dem minderjährigen Antragsteller zu 5) leben könnten. Insbesondere sei anzumerken, dass die Familieneinheit nicht auch in Griechenland gewährt werden könne. Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin sei der Antragsteller zu 5) auch unbegleitet. Die Bestallung der älteren Schwester zum Vormund habe nicht zur Folge, dass der Antragsteller zu 5) nicht mehr unbegleitet sei. Würde man der Argumentation der Antragsgegnerin folgen, so wären alle minderjährigen Flüchtlinge, bei denen eine volljährige Person zum Vormund bestellt würde, nicht mehr unbegleitet.
Der Anordnungsgrund wird im Wesentlichen dadurch begründet, dass durch die Ablehnung der Antragsgegnerin jederzeit eine Entscheidung über den Asylantrag der Antragsteller zu 1) bis 4) in der Sache durch die griechische Asylbehörde drohe. Sobald die Entscheidung in der Sache erginge, wären die Antragsteller zu 1) bis 4) nicht mehr Asylsuchende und damit nicht mehr im Anwendungsbereich der Dublin III-VO. Ein Abwarten des Hauptsacheverfahrens würde damit die Rechtsdurchsetzung unmöglich machen und sei nicht zumutbar.
Die Antragsteller beantragen:
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO verpflichtet, sich unter Aufhebung der ergangenen Ablehnung des Übernahmegesuchs vom 28. Dezember 2018 für den Asylantrag der Antragsteller zu 1) bis 4) für zuständig zu erklären.
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO verpflichtet, durch den Liaisonbeamten des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge in der Hellenischen Republik oder auf anderem Wege darauf hinzuwirken, dass das griechische Dublin-Referat ein erneutes Aufnahmegesuch stellt, und diesem stattzugeben.
Die Antragsgegnerin beantragt mit bei dem Verwaltungsgericht Wiesbaden am 3. April 2019 eingegangen Schreiben vom 28. März 2019,
den Antrag nach § 123 VwGO abzulehnen
und das Verfahren an das zuständige VG Ansbach zu verweisen.
Zur beantragten Ablehnung des Antrags gemäß § 123 VwGO führte die Antragsgegnerin im Wesentlichen aus, dass der Antragsteller zu 5) gemeinsam mit seiner Schwester Razia, die auch der Vormund des Antragstellers sei, und seinem Bruder Ali im Dezember 2015 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sei. Alle drei Geschwister hätten ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG zugesprochen bekommen. Die Antragsteller zu 1) bis 4) seien im September 2018 in Griechenland eingereist und hätten dort am 2. November 2018 ihre Asylanträge gestellt. Das Übernahmeersuchen der griechischen Behörden vom 14. Dezember 2018 sei am 28. Dezember 2018 abgelehnt worden. Da die griechischen Behörden nicht von der Möglichkeit Gebrauch gemacht hätten, gegen diese Entscheidung zu remonstrieren, sei die Zuständigkeit für die Bearbeitung der Asylanträge letztlich auf Griechenland übergegangen. Die Antragsgegnerin sehe daher keine Veranlassung, die von den Antragstellern begehrte Erklärung abzugeben. Eine Ermessungsreduzierung auf Null sei nicht gegeben. Die Dublin III-VO sei ein Zuständigkeitsbestimmungsverfahren, welches zur Beschleunigung der Prüfung von Asylanträgen zwingende Fristen enthalte. Diese Fristen seien zur eindeutigen Zuständigkeitsbestimmung einzuhalten. Würden die Fristen zur Stellung eines Übernahmeersuchens von einem Mitgliedstaat nicht eingehalten, so würde dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig. Auf die Einhaltung dieser Fristen könne sich ein Antragsteller auch berufen. Art. 17 Dublin III-VO unterscheide zwischen dem Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO und der humanitären Klausel gemäß Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO. Die Anwendung von Art. 17 Dublin III-VO könne aus unterschiedlichen Gründen erfolgen. Dabei handele es sich stets um eine Ermessensentscheidung. Ein Selbsteintritt gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO könne nur für Antragsteller erfolgen, welche sich in dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland aufhielten. Die von den Antragstellern wohl begehrte Verpflichtung Deutschlands, die griechischen Behörden aufzufordern, ein erneutes Ersuchen an Deutschland zu stellen, welches Deutschland dann anzunehmen habe, käme einem Selbsteintritt nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO gleich. Ein Selbsteintritt dürfe jedoch nur für einen „bei ihm“, also bei dem Mitgliedstaat gestellten Asylantrag erfolgen. Sollte kein Raum für die Anwendung der Ermessensentscheidung des Art. 17 Dublin III-VO gegeben sein, bestünden andere Möglichkeiten, um eine Familienzusammenführung zu realisieren.
Mit Schreiben vom 17. April 2019 ergänzte der Antragstellerbevollmächtigte, dass die Antragsteller am 5. Juli 2019 eine Anhörung in Griechenland hätten. Dann würde über den Asylantrag der Antragsteller entschieden. Sobald eine Entscheidung in der Sache erginge, wären die Antragsteller zu 1) bis 4) nicht mehr Asylsuchende und damit nicht mehr im Anwendungsbereich der Dublin III-VO. Ein Abwarten im Hauptsacheverfahren würde damit die Rechtsdurchsetzung unmöglich machen und sei nicht zumutbar.
Nach Anhörung der Beteiligten zur örtlichen Zuständigkeit verwies das Verwaltungsgericht Wiesbaden mit Beschluss vom 18. April 2019 den Rechtsstreit an das örtlich zuständige Verwaltungsgericht Ansbach.
Auf Nachfrage des Gerichts teilte der Antragstellerbevollmächtigte mit Schreiben vom 10. Juni 2019 eine ladungsfähige Anschrift der Antragsteller zu 1) bis 4) mit.
Mit Schriftsatz vom 17. Juni 2019 teilte die Antragstellerseite erneut mit, dass am 5. Juli 2019 eine Anhörung in Griechenland stattfände. Im Übrigen genieße der Antragsteller zu 5) keine Freizügigkeit, da er nur im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogenen Behördenakten verwiesen.
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO, zu dessen Entscheidung die Einzelrichterin berufen ist (§ 76 Abs. 4 AsylG), ist sowohl zulässig als auch begründet.
Der Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO, der zwei Antragsbegehren umfasst, ist nach verständiger Würdigung des Gemeinten, § 122 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 88 VwGO, dahingehend auszulegen, dass das zweite Verpflichtungsbegehren nur hilfsweise gestellt ist für den Fall, dass der Antrag nach § 123 VwGO mit dem ersten formulierten Begehren (Hauptantrag), nämlich die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO zu verpflichten, sich unter Aufhebung der ergangenen Ablehnung des Übernahmegesuchs vom 28. Dezember 2018 für den Asylantrag der Antragsteller zu 1) bis 4) für zuständig zu erklären, keinen Erfolg hat.
1) Der Hauptantrag ist zulässig, insbesondere sind die Antragsteller zu 1) bis 5) antragsbefugt analog § 42 Abs. 2 VwGO. Es ist möglich, dass die dem Kindeswohl und dem Schutz der Familie dienende Regelung des Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO) hier einschlägig ist und sowohl dem in Deutschland befindlichen Antragsteller zu 5) als auch den in Griechenland ansässigen Antragstellern zu 1) bis 4) ein subjektives Recht auf Überstellung der Antragsteller zu 1) bis 4) in den danach zuständigen Mitgliedstaat, nämlich Deutschland, vermittelt.
2) Der Hauptantrag ist auch begründet. Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht auch schon vor Klageerhebung eine einstwellige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts der Antragsteller vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (sog. Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden (§ 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO; sog. Regelungsanordnung). Der streitige Anspruch (Anordnungsanspruch) und die Dringlichkeit einer vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) sind jeweils glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Maßgebend hierfür sind die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.
Dem Wesen und Zweck der einstweiligen Anordnung entsprechend kann das Gericht grundsätzlich nur vorläufige Regelungen treffen und den Antragstellern nicht schon in vollem Umfang, das gewähren, was sie nur in einem Hauptsacheprozess erreichen könnten. Im Hinblick auf das Gebot eines wirksamen Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) gilt dieses Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache dann nicht, wenn die sonst zu erwartenden Nachteile des Antragstellers unzumutbar sowie in einem Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären und ein hoher Wahrscheinlichkeitsgrad für einen Erfolg in der Hauptsache spricht (vgl. BVerwG, B. v. 26.11.2013 – 6 VR 3/13 – juris).
Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Den Antragstellern ist es sowohl gelungen, einen entsprechenden Anordnungsanspruch aus Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO als auch die besondere Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) glaubhaft zu machen. Insbesondere ist hier ausnahmsweise auch die Vorwegnahme der Hauptsache geboten.
a) Der Anordnungsanspruch ist glaubhaft gemacht. Er ergibt sich jedenfalls aus Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO. Die Antragsteller haben einen Anspruch darauf, dass sich die Antragsgegnerin gegenüber dem griechischen Migrationsministerium, Nationales Dublin-Referat, – unter Aufhebung der mit Schreiben vom 28. Dezember 2018 ergangenen Ablehnung des Übernahmeersuchens des griechischen Migrationsministeriums, Nationales Dublin-Referat, vom 14. Dezember 2018 – für die Prüfung der Asylanträge der Antragsteller zu 1) bis 4) für zuständig erklärt. Das der Antragsgegnerin zustehende Ermessen ist vorliegend auf Null reduziert.
Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO vermittelt den Antragstellern diesbezüglich auch ein subjektives Recht, so dass eine hiermit nicht in Einklang stehende Entscheidung der Antragsgegnerin auch gerichtlich überprüft werden kann (so auch: VG Berlin, B. v. 17. Juni 2019 – 23 K L 293.19.A – juris – mit weiteren Nachweisen). Zwar gibt die auf dem Erwägungsgrund 19 der Dublin III-VO beruhende Regelung des Art. 27 Abs. 1 Dublin III-VO wörtlich nur ein Recht auf ein wirksames Rechtsmittel gegen eine Überstellungsentscheidung. Die Ablehnung des Aufnahmegesuchs Griechenlands durch die deutschen Behörden ist aber gerade keine solche Überstellungsentscheidung, gegen die vorgegangen werden könnte. Auch hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) bezüglich Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO entschieden, dass Art. 27 Abs. 1 Dublin III-VO dahingehend auszulegen ist, dass er nicht dazu verpflichtet, einen Rechtsbehelf gegen die Entscheidung, von der in Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO vorgesehenen Befugnis keinen Gebrauch zu machen, vorzusehen, wobei hier die Möglichkeit unberührt bleibt, diese Entscheidung im Rahmen eines Rechtsbehelfs gegen die Überstellungsentscheidung anzufechten (vgl. EuGH, U. v. 23.1.2019 – C-661/17 – juris Rn. 70 ff.). Diese Rechtsprechung ist nach Auffassung des Gerichts jedoch nicht auf die von Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO erfassten Konstellationen übertragbar, in denen der ersuchte Mitgliedstaat ein von einem anderen Mitgliedstaat gestelltes Aufnahmeersuchen ablehnt. In den vom EuGH beleuchteten Fall eines nicht erklärten Selbsteintrittes nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO erfolgt bei Nichtausübung des Selbsteintrittsrechts des Mitgliedstaates, in dem sich der Ausländer bereits befindet, gerade eine Überstellungsentscheidung bezüglich dieses Ausländers, gegen die der Ausländer auch gerichtlich vorgehen kann. Ein Rechtsbehelf gegen die Nichtausübung des Selbsteintrittsrechts ist daher in diesen Fällen nicht nötig. In den von Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO erfassten Konstellationen befindet sich der Ausländer dagegen nicht in dem Mitgliedstaat, welcher das Übernahmeersuchen nach Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO abgelehnt hat, so dass es auch keine Überstellungsentscheidung geben wird, womit letztlich der Ausländer rechtschutzlos gestellt werden würde, könnte er die Ablehnung des Aufnahmegesuchs nach Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO nicht gerichtlich überprüfen lassen. Überdies hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof entschieden, dass die Vorschriften der Dublin III-VO, wenn sie nicht nur die Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten regeln, sondern – wie hier – (auch) dem Grundrechtsschutz dienen, den Asylsuchenden ein subjektives Recht auf Prüfung ihres Asylantrages durch den zuständigen Mitgliedstaat geben (vgl. BayVGH, U. v. 3.12.2015 – 13 a B 15.50124 – juris Rn. 23 – bezüglich der Regelung des Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO).
Nach Art. 17 Abs. 2 Unterabs. 1 Satz 1 Dublin III-VO kann derjenige Mitgliedstaat, in dem ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt worden ist und der das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates durchführt, oder der zuständige Mitgliedstaat, bevor eine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist, jederzeit einen anderen Mitgliedstaat ersuchen, den Antragsteller aufzunehmen, aus humanitären Gründen, die sich insbesondere aus dem familiären oder kulturellen Kontext ergeben, um Personen jeder verwandtschaftlichen Beziehung zusammenzuführen, auch wenn der andere Mitgliedstaat nach den Kriterien in den Art. 8 bis 11 und 16 nicht zuständig ist. Die betreffenden Personen müssen dem schriftlich zustimmen, Art. 17 Abs. 2 Unterabs. 1 Satz 2 Dublin III-VO. Der so ersuchte Mitgliedstaat hat alle erforderlichen Überprüfungen vorzunehmen, dass die angeführten humanitären Gründe vorliegen und antwortet dem ersuchenden Mitgliedstaat innerhalb von zwei Monaten nach Eingang des Gesuchs. Eine Ablehnung des Gesuchs ist zu begründen, Art. 17 Abs. 2 Unterabs. 3 Dublin III-VO. Nach Art. 17 Abs. 2 Unterabs. 4 Dublin III-VO wird dem ersuchten Mitgliedstaat die Zuständigkeit für die Antragsprüfung übertragen, wenn dieser dem Gesuch stattgibt. Es handelt sich also gerade nicht um einen Selbsteintritt, der in Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO normiert ist. Vielmehr bedarf eines Übernahmeersuchens, welches dann angenommen werden kann. Es ist mithin eine Kooperation zweier Mitgliedstaaten nötig (so auch VG Berlin, B. v. 17. Juni 2019 – 23 K L 293.19.A – juris).
Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Ein entsprechendes Ersuchen der griechischen Behörden an die Bundesrepublik Deutschland, die Antragsteller zu 1) bis 4) aus humanitären Gründen, die sich insbesondere aus dem familiären oder kulturellen Kontext ergeben, zur Familienzusammenzuführung (Personen jeder verwandtschaftlichen Beziehungen) aufzunehmen, ist gestellt worden. Zwar wurde das Aufnahmegesuch gemäß Art. 21 Abs. 1 Dublin III-VO auf Art. 9 Dublin III-VO gestützt. Daneben wurde unter „Sonstige zweckdienliche Angaben“ jedoch auch darum gebeten, die Antragsteller aus humanitären Gründen aufzunehmen, so dass das Ersuchen auch ein solches im Sinne des Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO darstellt.
Griechenland war zur Stellung des Übernahmeersuchens auch ermächtigt, denn dort haben die Antragsteller zu 1) bis 4) am 2. November 2018 Asylanträge gestellt, Art. 17 Abs. 2 Unterabs. 1 Satz 1 Alt. 1 Dublin III-VO. Offen bleiben kann, ob das Erfordernis dahingehend, dass noch keine Erstentscheidung in der Sache ergangen sein darf, nur bezüglich eines Übernahmeersuchens eines an sich zuständigen Staates gilt, Art. 17 Abs. 2 Unterabs. 1 Satz 1 Alt. 2 Dublin III-VO (so vertreten von Heusch in: Heusch/Haderlein/Schönenbroicher, Das neue Asylrecht, 1. Auflage 2016, Rn. 271), denn jedenfalls Ist nach den glaubhaften Ausführungen der Antragsteller zu 1) bis 4) noch keine Erstentscheidung über deren Asylanträge in Griechenland ergangen, wobei Erstentscheidung die das Erstverfahren bestands- oder rechtskräftig abschließende Entscheidung meint (vgl. NK-AuslR/Bruns, 2. Aufl. 2016, AsylVfG, § 27 a, Rn. 63).
Dieses Ersuchen kann „jederzeit“ gestellt werden, wurde hier aber ohnehin innerhalb der Frist des Art. 21 Abs. 1 Dublin III-VO an Deutschland übermittelt.
Ebenso liegen die nach Art. 17 Abs. 2 Unterabs. 1 Satz 2 Dublin III-VO erforderlichen schriftlichen Zustimmungserklärungen vor. Zwar hat der Antragsteller zu 5) hinsichtlich der Antragstellerin zu 3) keine solche Erklärung abgegeben. Ebenso haben die Antragsteller zu 1) und 2) jedenfalls wörtlich nur um ihre eigene Zusammenführung mit dem Antragsteller zu 5) ersucht. Die schriftlichen Zustimmungserklärungen sind unproblematisch dahingehend auszulegen, dass alle Antragsteller erfasst sein sollen, denn es entspricht erkennbar nicht dem Willen der Antragsteller, dass nur die Asylanträge der Eltern und einer der Schwestern in Deutschland geprüft werden, während für die andere Schwester bzw. für beide Schwestern Griechenland zuständig wäre. Auch die der Regelung des Art. 20 Abs. 3 Satz 1 Dublin III-VO zugrunde liegenden Erwägungen lassen nur diesen Schluss zu. Die Zuständigkeit eines Mitgliedstaates für die Prüfung der Asylanträge der minderjährigen Schwestern folgt zwingend der Zuständigkeit des für die Prüfung der Asylanträge der Eltern zuständigen Mitgliedstaates.
Offen bleiben kann schließlich auch, ob Deutschland für die Bearbeitung der Asylanträge der Antragsteller zu 1) bis 4) zuständig ist, denn aus humanitären Gründen kann gemäß Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO auch ein Übernahmeersuchen an einen an sich unzuständigen Mitgliedstaat gestellt werden. Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO ist letztlich Ausfluss des Erwägungsgrundes 17 der Dublin III-VO, wonach die Mitgliedstaaten insbesondere aus humanitären Gründen oder in Härtefällen von den Zuständigkeitskriterien abweichen können sollten, um Familienangehörige, Verwandte oder Personen jeder anderen verwandtschaftlichen Beziehung zusammenzuführen, und einen bei ihm oder einem anderen Mitgliedstaat gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn sie für eine solche Prüfung nach den in dieser Verordnung festgelegten verbindlichen Zuständigkeitskriterien nicht zuständig sind.
Die in Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO geforderten humanitären Gründe, sie sich insbesondere aus dem familiären Kontext ergeben, um Personen jeder verwandtschaftlichen Beziehung zusammenzuführen, sind vorliegend gegeben. Zunächst ist festzustellen, dass die geforderten verwandtschaftlichen Beziehungen vorliegen. Die Antragsteller zu 1) bis 4) sind die Eltern bzw. minderjährigen Geschwister des Antragstellers zu 5). Unschädlich ist insoweit, dass es sich bei den Geschwistern weder um Familienangehörige gemäß Art. 2 g) Dublin III-VO noch um Verwandte gemäß Art. 2 h) Dublin III-VO handelt, denn schon der Wortlaut des Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO stellt klar, dass gerade keine Beschränkung auf die dort aufgezählten Personen erfolgen soll. Nach anfänglichen Zweifeln der Antragsgegnerin an den Verwandtschaftsverhältnissen wurden diese später nicht mehr in Zweifel gezogen und sind aus Sicht des Gerichts auch hinreichend glaubhaft gemacht. Weiter sind auch die genannten humanitären Gründe, die sich insbesondere aus dem familiären Kontext ergeben, gegeben. Bei den genannten humanitären Gründen handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der auszulegen ist. Hierbei ist im Kontext der Dublin III-VO eine Auslegung geboten, die bei der Anwendung der Vorschriften zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates zu Ergebnissen gelangt, die den Grundgedanken der Einheit der Familie und dem Kindeswohl verpflichtet ist, was sich insbesondere aus den Erwägungsgründen 13 bis 17 der Dublin III-VO entnehmen lässt (so auch VG Frankfurt/M., B. v. 27.5.2010 – 10 L 34/19.F.A.). Dieser familiäre Kontext führt jedenfalls angesichts der engen familiären Verbundenheit (minderjähriges Kind – Eltern bzw. minderjährige Geschwister), dem Alter des Antragstellers zu 5) und der bereits mehr als dreijährigen Trennung des minderjährigen Antragstellers zu 5) von seinen Eltern und Schwestern – bezogen auf den jeweiligen Einzelfall – hier zur Bejahung der humanitären Gründe.
Die Antragsgegnerin hätte somit das ihr zustehende Ermessen pflichtgemäß ausüben müssen. Vorliegend hat die Antragsgegnerin das ihr eingeräumte Ermessen jedoch nicht ausgeübt (Ermessensausfall). Wie sich den Argumenten der Antragsgegnerin im Ablehnungsschreiben vom 28. Dezember 2018 und auch den Erwägungen der Antragsgegnerin in der Antragserwiderung entnehmen lässt, hat die Antragsgegnerin das ihr eingeräumte Ermessen nicht gesehen und auch nicht ausgeübt. Sie ist vielmehr davon ausgegangen, dass kein Raum für eine Ermessensentscheidung nach Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO sei.
Das Gericht konnte dennoch über den Antrag abschließend entscheiden (was im Rahmen des Eilrechtschutzes bei Ermessensentscheidungen jedenfalls strittig ist), denn vorliegend ist eine Ermessensreduktion auf Null gegeben, da angesichts der überragenden Schutzgüter, die für die Antragsteller sprechen, eine andere Entscheidung als die Zustimmung zur Übernahme der Antragsteller zu 1) bis 4) rechtswidrig wäre.
Nach Auffassung des Gerichts kann jedenfalls das bloße Vorliegen einer familiären Verbundenheit eine Ermessensreduktion auf Null nicht rechtfertigen. Vielmehr muss ein aus dem Einzelfall herrührendes gesteigertes Interesse an einer Familienzusammenführung vorliegen. Mit Blick auf die Regelung des Art. 16 Dublin III-VO ist anzunehmen, dass neben der familiären Konstellation weitere Aspekte hinzukommen müssen, um im Rahmen des Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO zu einer Ermessensreduktion auf Null zu kommen. Während Art. 16 Dublin III-VO neben familiären Verbindungen weitere Voraussetzungen wie etwa eine Schwangerschaft oder schwere Krankheit normiert und dann schon von seinem Wortlaut her zu einem intendierten Ermessen kommt („so entscheiden die Mitgliedstaaten in der Regel, den Antragsteller und dieses Kind (…) zusammenzuführen“), gibt Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO mit dem Begriff „aus humanitären Gründen“ Raum zur Auslegung und gibt andererseits gerade nicht vor, wie „in der Regel“ zu entscheiden ist. Wenn aber bei Art. 16 Dublin III-VO die Trennung eines minderjährigen Kindes von seinen Eltern allein kein ausreichender Grund zur Zusammenführung ist, somit das intendierte Ermessen des Art. 16 Dublin III-VO gerade nicht greift, ist kein Grund ersichtlich, warum bei Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO das bloße Vorliegen familiärer Bande zu einer Ermessensreduktion auf Null führen soll.
Gleichwohl liegen hier ausnahmsweise, über das bloße Interesse an einer Familienzusammenführung hinausgehende Umstände vor, welche ausnahmsweise zu einer Verdichtung des der Antragsgegnerin zustehenden Ermessens zu einer Pflicht, sich für die Übernahme der Asylverfahren der Antragsteller zu 1) bis 4) für zuständig zu erklären, führt.
Anders als in den vom Verwaltungsgericht Münster und vom Verwaltungsgericht Berlin entschiedenen Fällen (vgl. VG Münster, B. v. 20.12.2018 – 2 L 989/18.A – juris; VG Berlin, B. v. 15.3.2019 – 23 L 706.18.A – juris), wo eine nach Art. 8 bzw. Art. 9 Dublin III-VO an sich gegebene Zuständigkeit Deutschlands am Fristablauf des Art. 21 Abs. 1 Dublin III-VO bzw. Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 vom 2. September 2003 (Dublin-Durchführungsverordnung) scheitert, liegt hier eine andere Konstellation zugrunde. Hier hätte sich – vom gegebenen Ablauf der Remonstratlonsfrist des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 Dublin-Durchführungsverordnung, ohne dass Griechenland gegen die Ablehnung des Übernahmeersuchens remonstriert hätte – abgesehen, eine Zuständigkeit Deutschlands aufgrund der Regelungen der Art. 8 ff. Dublin III-VO, Art. 16 Dublin III-VO ebenso wenig ergeben. Art. 8 Dublin III-VO scheitert bereits daran, dass hiernach der Mitgliedstaat für die Prüfung der Asylanträge zuständig ist, in dem sich ein Familienangehöriger oder eines der Geschwister des unbegleiteten Minderjährigen rechtmäßig aufhalten, was mithin nicht Deutschland ist. Hinsichtlich Art. 9 Dublin III-VO führt die Antragsgegnerin richtig aus, dass der Antragsteller zu 5) gerade kein Begünstigter internationalen Schutzes ist. Ihm wurde lediglich ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG zugesprochen. Abschiebungsverbote nach Art. 60 Abs. 5, 7 AufenthG fallen jedoch nicht unter den Anwendungsbereich der Norm, Art. 2 f) Dublin III-VO i.V.m. Art. 2 a) der Richtlinie 2011/95/EU vom 13. Dezember 2011 (Qualifikationsrichtlinie). Auch Art. 10 Dublin III-VO ist nicht einschlägig, denn die Antragsteller zu 1) bis 4) haben gerade keinen Familienangehörigen, über deren Antrag auf internationalen Schutz noch keine Erstentscheidung in der Sache ergangen Ist. Vielmehr liegen bestandskräftige Bescheide des Bundesamtes vor, in denen hinsichtlich der in Deutschland lebenden Kinder jeweils ein Abschiebeverbot festgestellt wurde. Für Art. 11 Dublin III-VO fehlt es schon am zeitlichen Zusammenhang der Antragstellung. Weiter liegt dem Art. 11 Dublin III-VO die Konstellation zugrunde, dass sich die Kernfamilie bereits in demselben Mitgliedstaat aufhält und deren Trennung verhindert werden soll. Hier geht es aber um eine Familienzusammenführung. Auch Art. 16 Dublin III-VO ist nicht einschlägig, denn hier fehlt es bereits an der besonderen Hilfsbedürftigkeit.
Dennoch liegen hier besondere, über das bloße Interesse der Antragsteller an einer Familienzusammenführung hinausgehende Umstände vor, welche es in ihrer Zusammenschau ausnahmsweise gerechtfertigt erscheinen lassen, das der Antragsgegnerin zustehende Ermessen auf Null zu reduzieren.
So ist der noch sehr junge, nämlich 11-jährige Antragsteller zu 5) bereits seit mehr als drei Jahren von seinen Eltern und Geschwistern getrennt. Der Antragsteller Ist im Dezember 2015 im Alter von 8 Jahren zusammen mit seinen beiden älteren Geschwistern alleine nach Europa gereist. Insbesondere war ursprünglich die Flucht der ganzen Familie nach Europa geplant und scheiterte letztlich an Schwierigkeiten an der iranischen Grenze. Von einem „Vorschicken“ des minderjährigen Kindes zur Begründung einer nach der Dublin III-VO nicht vorgesehenen Zuständigkeit Deutschlands für den Rest der Familie kann daher nicht ausgegangen werden. Richtig ist, dass die volljährige Schwester Razia zum Vormund für den Antragsteller zu 5) bestellt wurde, was die Antragsgegnerin auch als Argument gegen eine Übernahme anführt. Es kann jedoch nicht zum Nachteil des Antragstellers zu 5) gereichen, dass seine erwachsene Schwester verantwortlich handelte und sich zum Vormund des Antragstellers zu 5) bestellen ließ. Auch kann eine, wenn auch erwachsene Schwester, die ihr eigenes Leben führt, die Eltern nicht ersetzen, zumal der Antragsteller zu 5) erst 11 Jahre alt ist und es ihm nicht zugemutet werden kann, für noch längere Zeit ohne seine Eltern und Geschwister zu verbleiben. Vor allem der Aspekt des Kindeswohls des Antragstellers zu 5) spricht hier ausnahmsweise für die Ermessensreduktion auf Null. Der Argumentation des Antragstellerbevollmächtigten, dass hier quasi ein Fall des Art. 8 Dublin III-VO vorläge, nur umgekehrt, kann insoweit gefolgt werden, als dass die Dublin III-VO das Wohl des Kindes und die Achtung des Familienlebens als vorrangige Erwägung bei der Anwendung der Norm vorsieht. Dies ist insbesondere aus den Erwägungsgründen 15 und 16 Satz 2 ersichtlich und liegt auch der Regelung des – wie bereits ausgeführt – hier nicht einschlägigen Art. 8 Dublin III-VO zugrunde. Letztlich hat der Antragsteller zu 5) ein (temporäres) Bleiberecht, denn es wurde bestandskräftig festgestellt, dass ein nationales Abschiebeverbot vorliegt. Zwar führt dieser Umstand vorliegend nicht – wie bereits ausgeführt – zu einer Zuständigkeit Deutschlands nach Art. 9 Dublin III-VO, jedoch Ist die Regelung des Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO gerade geschaffen worden, um einem an sich unzuständigen Mitgliedstaat die Zuständigkeit für die Prüfung eines Asylantrages aus humanitären Gründen zu ermöglichen. Das Kindeswohl des erst 11-jährigen Antragstellers zu 5), dessen Familieneinheit insbesondere mit Vater und Mutter hergestellt werden soll, soll bei der Anwendung der Dublin III-VO vorrangige Erwägung sein (so der Erwägungsgrund 13 der Dublin III-VO). Eine Differenzierung dahingehend, ob der Antragsteller zu 5) Begünstigter internationalen Schutzes oder wie hier, nur eines nationalen Schutzes ist, erscheint aus Gründen des Kindewohls nicht gerechtfertigt.
Die zu Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO ergangene Rechtsprechung des EuGH (vgl. EuGH, U. v. 23.1.2019 – C-661/17 – juris Rn. 70 ff.), wonach Art. 6 Abs. 1 Dublin III-VO dahingehend auszulegen ist, dass er einen Mitgliedstaat, der nach den in dieser Verordnung genannten Kriterien für die Prüfung eines Antrags auf Internationalen Schutz unzuständig ist, nicht dazu verpflichtet, das Wohl des Kindes zu berücksichtigen und diesen Antrag in Anwendung von Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO selbst zu prüfen, steht dem Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht entgegen. Zwar ist auch Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO eine Ermessensnorm. Jedoch handelt es sich bei den Art. 17 Abs. 1 und Abs. 2 Dublin III-VO um eigenständige Vorschriften mit unterschiedlichem Regelungsbereichen. Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO führt in seinem Tatbestand, anders als Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO, gerade keine humanitären insbesondere familiären Gründe an, während in den Fällen des Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO der ersuchte Mitgliedstaat gerade prüfen muss, dass die angeführten humanitären Gründe vorliegen, Art. 17 Abs. 2 Unterabs. 3 Satz 1 Dublin III-VO. Zudem sieht Art. 17 Abs. 2 Unterabs. 3 Dublin III-VO vor, dass die Ablehnung des Übernahmegesuchs begründet werden muss, während sich der Mitgliedstaat bei Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO zu einer Nichtausübung des Selbsteintrittsrechts gerade nicht äußern muss.
Anzumerken ist, dass nach Auffassung des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main (vgl. VG Frankfurt/M., B. v. 27.5.2010 – 10 L 34/19.F.A.) bei Vorliegen der humanitären Gründe ein intendiertes Ermessen der Antragsgegnerin anzunehmen ist, wovon nur in seltenen Ausnahmefällen abgewichen werden könne. Auch nach dieser Auffassung wäre in der hier vorliegenden Konstellation jedoch ein Anspruch aus Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO gegeben.
b) Die Antragsteller haben zudem einen Anordnungsgrund im Sinne einer besonderen Dringlichkeit einschließlich eines drohenden Rechtsverlustes glaubhaft gemacht. Dieser ergibt sich daraus, dass nach dem gescheiterten Versuch des griechischen Dublin-Referats auf Übernahme der Antragsteller zu 1) bis 4) durch die Antragsgegnerin nunmehr eine Sachentscheidung über das Asylbegehren des Antragstellers zu 1) bis 4) durch die griechischen Asylbehörden zu befürchten ist, womit diese nicht mehr dem Anwendungsbereich der Dublin-III-VO unterfielen (vgl. auch: VG Münster, B. v. 20.12.2018 – 2 L 989/18.A – juris Rn. 69; VG Berlin, B. v. 15.3.2019 – 23 L 706.18 A – juris Rn. 36; VG Wiesbaden, B. v. 25.4.2019 – 4 L 478/19.WI.A). Die Antragsteller zu 1) bis 4) haben nach den Ausführungen ihres Bevollmächtigten am 5. Juli 2019 einen Anhörungstermin. Erfolgt im Anschluss eine Verbescheidung über die Asylbegehren, unterfielen die Antragsteller zu 1) bis 4) nicht mehr der Dublin III-VO. Um den Übergang der Zuständigkeit auf Griechenland abzuwenden, bedarf es daher der einstweiligen Anordnung.
c) Die mit dieser Anordnung verbundene Vorwegnahme der Hauptsache ist hier vor dem Hintergrund des Art. 19 Abs. 4 GG ausnahmsweise zulässig, da ansonsten ein nicht umkehrbarer Übergang der Zuständigkeit auf Griechenland zu befürchten ist und die Familieneinheit der Antragsteller – jedenfalls basierend auf der Dublin III-VO – nicht mehr herbeigeführt werden könnte. Dies ist unzumutbar und auch nicht mehr rückgängig zu machen. Zudem besteht, wie bereits ausgeführt, eine hohe Wahrscheinlichkeit für ein Obsiegen in der Hauptsache.
3) Somit hat der Hauptantrag nach § 123 VwGO Erfolg. Einer Entscheidung über den Hilfsantrag bedurfte es daher nicht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83 b AsylG.
Die Entscheidung ist nach § 80 AsylG unanfechtbar.

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