Europarecht

Erfolglose Beschwerde gegen sofortvollziehbare Aufenthaltsbeschränkung (Nigeria) – räumliche Beschränkung auf das Gebiet der zuständigen Ausländerbehörde

Aktenzeichen  19 CS 21.1637

Datum:
2.8.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 22530
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4, Abs. 3, § 114 S. 1, § 146 Abs. 4 S. 6
AufenthG § 3, § 48, § 61 Abs. 1c S. 2
BayVwVfG Art. 40

 

Leitsatz

1. Das Mitwirken i.Sv § 61 Abs. 1c S. 2 Alt. 3 AufenthG erfordert, alle nicht von vornherein aussichtslosen Rechts- und Tatsachenhandlungen vorzunehmen, die zur Beschaffung eines fehlenden Identitätspapieres erforderlich sind und nur vom Ausländer vorgenommen werden können. (Rn. 7) (red. LS Andreas Decker)
2. Erst wenn ein Ausländer die üblichen Mitwirkungshandlungen erfüllt hat, trägt die Ausländerbehörde die Darlegungs- und Beweislast dafür, welche konkreten weiteren und nicht von vornherein aussichtslosen Mitwirkungshandlungen der Betroffene zur Beseitigung des Ausreisehindernisses noch unternehmen kann.(Rn. 6) (red. LS Andreas Decker)
3. Aufenthaltsbeschränkende Anordnungen nach § 61 Abs. 1c AufenthG dienen einer besseren Überwachung der Erfüllung der Ausreisepflicht und setzen nicht die konkrete Gefahr des Untertauchens voraus. (Rn. 13) (red. LS Andreas Decker)

Verfahrensgang

B 6 S 21.391 2021-05-18 Bes VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,– EUR festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Beschwerde, mit der die Antragstellerin, eine am 12. Mai 1994 geborene, am 1. November 2016 zusammen mit ihrem Lebensgefährten auf dem Landweg in die Bundesrepublik eingereiste, im Asylverfahren erfolglose (Bescheid des Bundesamtes für … vom 7.8.2017; verwaltungsgerichtliches Urteil vom 5.2.2019) und seit dem 14. August 2020 eine Duldung für Personen mit ungeklärter Identität besitzende (trotz vielfacher Belehrungen über ihre Mitwirkungspflichten hat sie bislang keine Identitätspapiere beschafft; eine zwangsweise Vorführung der Antragstellerin zu einem Botschaftstermin am 24.7.2020 führte nicht zur Identitätsklärung) nigerianische Staatsangehörige, ihren in erster Instanz erfolglosen Antrag weiterverfolgt, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 3. März 2021 wiederherzustellen, ist nicht begründet. Mit diesem Bescheid hat der Antragsgegner den Aufenthalt der Antragstellerin unter Anordnung der sofortigen Vollziehung (Nr. 2 des Bescheids) räumlich auf das Gebiet der Stadt B. beschränkt (Nr. 1 des Bescheids).
Das Verwaltungsgericht hat den Antrag der Antragstellerin mit der Begründung abgelehnt, die Begründung des angeordneten Sofortvollzugs werde den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO (noch) gerecht. Der Antragsgegner habe in den Bescheidsgründen zum Ausdruck gebracht, dass die Anordnung der sofortigen Vollziehung die Ausnahme zum gesetzlichen Regelfall des § 80 Abs. 1 VwGO sei, und dass hierfür ein besonderes öffentliches Vollzugsinteresse, das über das bloße Interesse am Vollzug eines rechtmäßigen Verwaltungsakts hinausgehe, erforderlich sei. Die Interessenabwägung falle zulasten der Antragstellerin aus, da die in der Hauptsache erhobene Anfechtungsklage mit hoher Wahrscheinlichkeit erfolglos bleiben werde. Die Anordnung der räumlichen Beschränkung stütze sich auf § 61 Abs. 1c Satz 2 Alt. 3 AufenthG. Aus der Gesamtschau ihres Verhaltens seit dem Abschluss des Asylverfahrens sei ohne weiteres ersichtlich, dass die Antragstellerin jegliche Bemühungen unterlassen habe, um zu einem Pass zu kommen. Sie sei ausreichend über die Einzelheiten des von ihr zu Verlangenden belehrt worden. Die Tatsache ihrer Schwangerschaft ändere daran nichts, da es nicht um eine Aufenthaltsbeendigung, sondern lediglich um zumutbare Mitwirkungshandlungen an einer Passbeschaffung gehe.
Die von der Antragstellerin dargelegten Gründe, auf die der Verwaltungsgerichtshof seine Prüfung nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu beschränken hat, rechtfertigen nicht die Abänderung oder Aufhebung des angefochtenen Beschlusses.
Die Antragstellerin trägt zur Begründung ihrer Beschwerde vor, es sei bereits nicht davon auszugehen, dass der Antragsgegner seiner besonderen Begründungspflicht nach § 80 Abs. 3 VwGO nachgekommen sei. Auch so sei es für die Antragstellerin nicht möglich ihren Aufenthaltsort frei im Bundesgebiet zu wählen. Aus der Duldung der Antragstellerin ergebe sich, dass bereits die Wohnsitznahme auf das Stadtgebiet B. beschränkt sei. Auch ansonsten könnten Duldungsinhaber, die vollziehbar ausreisepflichtig seien, nicht ohne weiteres ihren Aufenthaltsort wechseln, sondern dürften dies ab einem Verlassen von drei Tagen nur mit Genehmigung. Weiterhin sei nichts bekannt und auch nichts aus der Akte ersichtlich, dass die Antragstellerin in irgendeiner Art und Weise den Aufenthaltsort B. bisher unerlaubterweise für längere Zeit verlassen hätte. Auch sei ein Untertauchen der Antragstellerin nicht zu erwarten, da sie schwanger sei bzw. einen Säugling zu versorgen habe. Auch die Tatsache, dass eine räumliche Beschränkung erteilt werde und dahingehend ein Sofortvollzug angeordnet sei, stehe in keinem kausalen Zusammenhang mit einem Untertauchen. Der Antragsgegner nehme seine verwaltungsrechtlichen Pflichten nicht sehr ernst. Die Aktenführung sei nicht ordnungsgemäß. Es würden Akten verschickt, die nicht durchnummeriert seien und aus denen nicht ersichtlich sei, ob es sich um die gesamte Akte handle oder ob Aktenteile entfernt worden seien. Aus der vom Verwaltungsgericht übermittelten Behördenakte (mit lediglich 82 Seiten) ergebe sich, dass der Antragstellerin nicht vorgeworfen werden könne, ihren gesetzlichen Verpflichtungen nicht nachgekommen zu sein. Der Bescheid vom 21. Oktober 2019 sei ihrem Prozessbevollmächtigten erst am Freitag, den 8. November 2019 zugestellt worden, sodass der Bescheid für den Vorsprachetermin am 12. November 2019 die Antragstellerin gar nicht habe erreichen können. Der weitere Bescheid vom 20. Juli 2020 sei in rechtswidriger Art und Weise der Antragstellerin am 24. Juli 2020 direkt ausgehändigt und nicht dem Prozessbevollmächtigten zugestellt worden. Sie sei von der Polizei nach München gebracht worden. Entsprechende Rechtsmittel und ein Dienstaufsichtsbeschwerdeverfahren seien durch den Prozessbevollmächtigten in dieser Angelegenheit eingereicht, jedoch bis heute nicht bearbeitet worden. Der Bescheid vom 20. Juli 2020 sei dem Prozessbevollmächtigten bis heute nicht zugestellt worden. Es sei ein Unding am 20. Juli 2020 einen Bescheid zu erlassen, der eine Pflicht am 24. Juli 2020 nach sich ziehe. Die im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung müsse zulasten des Antragsgegners ausfallen. Die im streitgegenständlichen Bescheid angegebene Rechtsgrundlage des § 61 Abs. 1c Satz 2 Alt. 3 AufenthG liege nicht vor. Es könne keine Rede davon sein, dass die Antragstellerin zumutbare Anforderungen an die Mitwirkung bei der Beseitigung von Ausreisehindernissen nicht erfüllt hätte. Dies belege bereits die Tatsache, dass die Antragstellerin durch den Antragsgegner im Jahre 2020 zu einem Außentermin der nigerianischen Auslandsvertretung in München vorgeführt worden sei. Es wäre erforderlich gewesen, dass der Antragsgegner gegenüber der Antragstellerin konkrete Anforderungen stelle. Dies sei nicht geschehen. So hätte der Antragsgegner die Antragstellerin auffordern können, unter Aushändigung ihrer Geburtsurkunde bei der zuständigen Auslandsvertretung vorzusprechen. Es sei nicht ersichtlich, aus welchen Gründen dies nicht geschehen sei. Der Antragsgegner habe weder in seinem Anhörungsschreiben noch im streitgegenständlichen Bescheid der Antragstellerin in irgendeiner Weise konkrete zumutbare Anforderungen aufgegeben. Die Antragstellerin sei nicht verpflichtet, irgendwelche Tätigkeiten auszuüben, die von vornherein erfolglos seien. Auch im angegriffenen Beschluss sei nichts dahingehend ersichtlich, welche konkreten Maßnahmen die Antragstellerin unternehmen sollte. Der Hinweis auf die Erfüllung der Wehrpflicht bzw. der Abgabe einer “Freiwilligkeitserklärung” sei in diesem Verfahren unbehelflich und nicht zielführend, da Nigeria keine Freiwilligkeitserklärung fordere und die Antragstellerin auch nicht verpflichtet sei, die Wehrpflicht zu erfüllen. Bei den zumutbaren Mitwirkungshandlungen zur Passbeschaffung sei auch die Schwangerschaft der Antragstellerin zu berücksichtigen, da schwangere Frauen besonders schutzbedürftig seien. Dies belege bereits die Tatsache, dass der Gesetzgeber bestimmte Mutterschutzfristen festgelegt habe. Hinsichtlich der an sie gestellten Anforderungen sei zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin lediglich sechs Jahre die Schule besucht habe. Es könne nicht erwartet werden, dass Personen mit niedrigem Bildungsniveau irgendwelche gesetzlichen Fristen oder Verpflichtungen leicht erkennten. Dies müsse Ihnen in einfacher und verständlicher Sprache dargelegt werden. Dies sei bisher nicht erfolgt. Der Antragsgegner habe dahingehend eine Initiativpflicht zu erfüllen.
Diese Rügen greifen nicht durch. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend angenommen, dass der Antragsgegner zurecht die räumliche Beschränkung auf das Stadtgebiet B. auf § 61 Abs. 1c Satz 2 AufenthG gestützt hat (1.) und die Anordnung der sofortigen Vollziehung keinen rechtlichen Bedenken begegnet (2.).
1. Der Antragsgegner hat zu Recht die Aufenthaltsbeschränkung auf das Stadtgebiet B. auf § 61 Abs. 1c Satz 2 Alt. 3 AufenthG gestützt. Danach soll eine räumliche Beschränkung auf den Bezirk der Ausländerbehörde angeordnet werden, wenn der Ausländer zumutbare Anforderungen an die Mitwirkung bei der Beseitigung von Ausreisehindernissen nicht erfüllt. Zu Recht hat die Behörde darauf hingewiesen, dass die vollziehbar ausreisepflichtige Antragstellerin gegen ihre gesetzliche Mitwirkungspflicht aus § 48 AufenthG verstößt, ihre Passpflicht aus § 3 AufenthG nicht erfüllt und Mitwirkungsbereitschaft an der Klärung ihrer Identität nicht gezeigt hat, mithin insbesondere zumutbare Anforderungen zur Erlangung von Identitätspapieren nicht erfüllt hat.
Die Antragstellerin verkennt die ihr (und nicht dem Antragsgegner) obliegende Initiativpflicht. Mitwirken erfordert, alle nicht von vornherein aussichtslosen Rechts- und Tatsachenhandlungen vorzunehmen, die zur Beschaffung eines fehlenden Identitätspapieres erforderlich sind und nur vom Ausländer vorgenommen werden können (BVerwG, U.v. 26.10.2010 – 1 C 18/09 – juris Rn. 20; OVG NRW NVwZ-RR 2004, 689/690S zu § 15 Abs. 2 Nr. 6 AsylG aF). Der Ausländer kann sich nicht allein auf die Erfüllung derjenigen Pflichten stützen, die ihm konkret von der Ausländerbehörde vorgegeben werden. Er ist vielmehr daneben gehalten, eigenständig die Initiative zu ergreifen (BayVGH, B.v. 27.7.2010 – 10 ZB 10.276 – Rn. 12 zu § 11 BeschVerfV; VGH BW, B.v. 9.4.2019 – 11 S 2868/18 – juris Rn. 8). Über den Umfang nicht ohne weiteres auf der Hand liegender Mitwirkungspflichten ist der Ausländer im Regelfall in einer ihm verständlichen Form zu belehren. Zudem sind ihm die bestehenden Möglichkeiten und die erforderlichen Schritte aufzuzeigen und ist er über die Folgen pflichtwidriger Untätigkeit zu unterrichten (BayObLG, B.v. 7.11.2000 – 3Z BR 335/00 – juris Rn. 13). Erst wenn ein Ausländer die aufgezeigten (üblichen) Mitwirkungshandlungen erfüllt hat, trägt die Ausländerbehörde die Darlegungs- und Beweislast dafür, welche konkreten weiteren und nicht von vornherein aussichtslosen Mitwirkungshandlungen der Betroffene zur Beseitigung des Ausreisehindernisses noch unternehmen kann (OVG NRW, B.v. 18.9.2006 – 18 A 2388/06 – juris Rn. 4).
Das Beschwerdevorbringen benennt keine (freiwillige) Mitwirkungshandlung der Antragstellerin während ihres Aufenthalts im Bundesgebiet. Soweit sie im Beschwerdevorbringen anführt, die Antragstellerin erfülle zumutbare Anforderungen an die Mitwirkung bei der Beseitigung von Ausreisehindernissen, was durch die Vorführung zu einem Außentermin der nigerianischen Auslandsvertretung in München im Jahre 2020 belegt werde, kann dieser Auffassung offensichtlich nicht gefolgt werden. Weder erfolgte die Vorsprache bei den nigerianischen Behörden auf Veranlassung der Antragstellerin noch hat die Vorführung – wegen der Ausführungen der Antragstellerin – zu einem Ergebnis geführt (laut dem Vorspracheprotokoll habe die Antragstellerin eine schwerwiegende Krankheit angeführt , mit der Folge, dass eine Ausstellung von Passersatzpapieren aufgrund des “gesundheitlichen Zustands” der Antragstellerin nicht in Aussicht gestellt worden sei). Zudem ist die Antragstellerin der bereits mit Bescheid vom 21. Oktober 2019 ausgesprochenen Verpflichtung, sich zur Vorsprache bei einem Außentermin der nigerianischen Botschaft zur Identitätsklärung und Passersatzpapierbeschaffung am 12. November 2019 einzufinden, nicht nachgekommen, obwohl sie ausreichend lange vor der Vorsprache Kenntnis von der Verpflichtung hatte. Die Antragstellerin hat den Bescheid, der an sie gesandt worden ist, weil die von ihrem Bevollmächtigten vorgelegte Vollmacht diese Angelegenheit nicht umfasste, ausweislich der behördlichen Akte am 4. November 2019 bei der Hausverwaltung der staatlichen Gemeinschaftsunterkunft in B. persönlich abgeholt (der Bescheid wurde dem Bevollmächtigten am 8. November 2019 – vermutlich nach Vorlage einer entsprechenden Vollmacht – zur Kenntnisnahme per Fax zugestellt; die Annahme des Bescheids vom 20. Juli 2020, der gem. Art. 41 Abs. 1 Satz 2 BayVwVfG nicht zwingend dem Bevollmächtigten der Antragstellerin bekanntzugeben war, hat die Antragstellerin verweigert).
Obwohl mehrmals (auch auf Englisch) darauf hingewiesen, hat die durchgehend anwaltlich vertretene Antragstellerin (sodass es auf ein behauptetes niedriges Bildungsniveau nicht ankommt) weder Kontakt zu den nigerianischen Behörden gesucht noch ein Pass- oder Passersatzpapier beantragt. Der Bevollmächtigte der Antragstellerin, der wohl stets konkrete Aufforderungen für erforderlich hält (folglich auch hinsichtlich offensichtlich auf der Hand liegender Mitwirkungshandlungen), benennt im Beschwerdevorbringen selbst eine solche (Vorsprache bei der zuständigen Auslandsvertretung unter Aushändigung der Geburtsurkunde). Folglich ist offensichtlich davon auszugehen, dass die Antragstellerin wusste, was von ihr verlangt wird.
Anhaltspunkte dafür, dass die Schwangerschaft der Antragstellerin (der voraussichtliche Entbindungstermin war der 21. Juni 2021) entsprechenden Mitwirkungshandlungen entgegengestanden hat, sind im Hinblick auf den langen Zeitraum seit Eintritt der Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht – auch unter Berücksichtigung der Mutterschutzfristen – nicht ersichtlich. Inwiefern die Aktenführung des Antragsgegners und der Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids vom 20. Juli 2020 mit den unterlassenen Mitwirkungshandlungen der Antragstellerin in Zusammenhang stehen soll, ist ebenfalls nicht ersichtlich. Vielmehr führt die Antragstellerin die zwangsweise Vorführung der Antragstellerin aufgrund der in dem Bescheid vom 20. Juli 2020 verfügten Verpflichtung als – ihre einzige – “Mitwirkungshandlung” im Beschwerdevorbringen an.
Zu Recht geht das Verwaltungsgericht davon aus, dass sich gerichtlich überprüfbare Ermessensfehler bei der Anordnung der räumlichen Beschränkung nicht erkennen lassen (§ 114 Satz 1 VwGO, § 40 BayVwVfG). Nach dem Wortlaut der Vorschrift soll eine räumliche Beschränkung des Aufenthalts auf den Bezirk der Ausländerbehörde angeordnet werden. Dies bedeutet, dass lediglich bei Vorliegen atypischer Umstände die Anordnung unterbleiben muss. Ein atypischer Fall, der dann vorliegt, wenn die Besonderheiten des Einzelfalls bzw. höherrangiges Recht ein Abweichen nahelegen könnten, liegt nicht vor. Anhaltspunkte dafür, warum die Ausgestaltung der Norm als Soll-Vorschrift für eine Anwendung des § 61 Abs. 1c Satz 2 AufenthG nur bei gleichzeitigem Vorliegen der Voraussetzungen des § 61 Abs. 1c Satz 1 AufenthG sprechen sollten, liegen schon dem Wortlaut nach nicht vor. Es entspricht zudem dem Zweck des § 61 Abs. 1c Satz 2 AufenthG, Personen, die ihre Mitwirkungspflichten nicht erfüllen, räumlich näher an die zuständige Ausländerbehörde zu binden und ihren Aufenthalt noch weiter einzuschränken. Der Anwendungsbereich für § 61 Abs. 1c Satz 2 AufenthG ist für die Ausländerbehörde unabhängig davon eröffnet, ob die Voraussetzungen des § 61 Abs. 1c Satz 1 AufenthG vorliegen oder nicht.
2. Soweit die Antragstellerin eine formelle Rechtswidrigkeit der Anordnung des Sofortvollzugs der räumlichen Beschränkung behauptet, trifft dies nicht zu.
Zu Recht führt das Verwaltungsgericht aus, dass die Anordnung der sofortigen Vollziehung insoweit in Nr. 2 des streitgegenständlichen Bescheides formell-rechtlich nicht zu beanstanden ist. Gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO ist im Falle des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO, in dem die sofortige Vollziehung u.a. im öffentlichen Interesse von einer Behörde angeordnet wird, das besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung schriftlich zu begründen. Dem Sinn und Zweck des Begründungszwangs genügend hat der Antragsgegner insbesondere auf die fehlende Mitwirkungsbereitschaft der Antragstellerin und den Zweck der Anordnung, zeitnah und in räumlicher Nähe für aufenthaltsbeendende Maßnahmen der Ausländerbehörde zur Verfügung zu stehen, hingewiesen. Auch besteht (davon ausgehend) ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung der räumlichen Beschränkung. Insoweit ist zudem in den Blick zu nehmen, dass es sich bei § 61 Abs. 1c Satz 2 AufenthG um eine Soll-Vorschrift handelt. Auch ist bei aufenthaltsbeschränkenden Anordnungen nach § 61 Abs. 1c AufenthG, die letztlich dazu dienen, den vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer enger an den Bezirk der Ausländerbehörde zu binden, eine bessere Erreichbarkeit für etwaige Mitwirkungshandlungen zu gewährleisten und ein mögliches Untertauchen zu erschweren (vgl. BT-Drs. 18/11546, S. 22), das besondere Vollzugsinteresse identisch mit dem Erlassinteresse. Im Hinblick auf den langen Zeitraum der bestehenden vollziehbaren Ausreisepflicht der Antragstellerin und auf ihre fehlenden Mitwirkungsbemühungen überwiegt insoweit das öffentliche Interesse an einer sofortigen Vollziehung der Aufenthaltsbeschränkung zum Zweck der gesetzlich intendierten zeitnahen Aufenthaltsbeendigung das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin. Aufenthaltsbeschränkende Anordnungen nach § 61 Abs. 1c AufenthG dienen einer besseren Überwachung der Erfüllung der Ausreisepflicht (vgl. BT-Drs. 15/420, S. 92) und setzen nicht die konkrete Gefahr des Untertauchens voraus. Besondere persönliche Gründe, die gegen eine Aufenthaltsbeschränkung auf das Stadtgebiet B. sprechen oder einen atypischen Fall begründen könnten, wurden von der Antragstellerseite nicht vorgebracht (vgl. insoweit auch BayVGH, B.v. 20.3.2019 – 19 CS 18.2075).
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1, 52 Abs. 2 GKG, wobei im vorläufigen Rechtsschutzverfahren der sogenannte Auffangstreitwert halbiert wird.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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