Aktenzeichen AN 14 E 17.50998
Leitsatz
1 Begehrt ein Asylbewerber nach vollzogener Abschiebung im Rahmen des Dublin-Verfahrens seine Rücküberstellung im Wege der einstweiligen Anordnung, liegt in der Entscheidung über seinen Antrag eine endgültige Vorwegnahme der Hauptsache. Derartigen Anträgen ist im Verfahren nach § 123 VwGO daher nur dann stattzugeben, wenn die dem Antragsteller drohenden Nachteile unzumutbar und der von ihm geltend gemachte Anspruch hinreichend wahrscheindlich und glaubhaft gemacht ist. (Rn. 12) (red. LS Clemens Kurzidem)
2 Nach der gegenwärtigen Erkenntnislage bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass ein Asylbewerber in Polen aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein (vgl. BayVGH BeckRS 2016, 41725). Die “Gefahr”, das Polen einen Asylantrag ablehnt und den Asylbewerber in sein Herkunftsland überstellt, ist dem Asylverfahren allgemein immanent. (Rn. 18) (red. LS Clemens Kurzidem)
3 Die Fristenregelungen der Dublin III-VO begründen für sich genommen keine subjektiven Rechte des Asylbewerbers. Dieser besitzt aber nach materiellem Asylrecht einen Anspruch darauf, dass der nach der Dublin III-VO zuständige Staat das Asylverfahren durchführt; etwas anderes gilt nur dann, wenn feststeht, dass ein anderer Mitgliedstaat den Asylbewerber aufnehmen und das Asylverfahren durchführen wird (vgl. OVG NRW BeckRS 2015, 52415). (Rn. 25) (red. LS Clemens Kurzidem)
4 Ein Asylbewerber ist bereits dann “flüchtig”, wenn er sich seiner sonst möglichen Überstellung durch sein Nichtdasein bewusst entzieht. Dabei ist es nicht erforderlich, dass er seine Wohnung dauerhaft verlässt, den Ort wechselt bzw. untertaucht und sich dadurch dem Zugriff der Behörden entzieht. (Rn. 28) (red. LS Clemens Kurzidem)
5 Die Möglichkeit einer Verlängerung der Überstellungsfrist wird im Rahmen des Dublin-Verfahrens durch den europarechtlichen fundierten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit begrenzt. Ist der betroffene Ausländer nur für eine unerheblich kurze Zeit oder unverschuldet unangemeldet unauffindbar (zB wegen Einkauf oder Arztbesuch), ist nicht von “Flüchtigkeit” auszugehen. (Rn. 35) (red. LS Clemens Kurzidem)
Tenor
1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
Gründe
I.
Der Antragsteller ist äthiopischer Staatsangehöriger. Er reiste am 17. Juli 2016 über Polen nach Deutschland ein und stelle am 8. August 2016 seinen Asylantrag. Am 18. Oktober 2016 richtete die Antragsgegnerin ein Übernahmeersuchen an Polen, das mit Schreiben vom 26. Oktober 2016 positiv beantwortet wurde im Sinne der Zuständigkeit Polens nach Art. 12 Abs. 4 Dublin III-VO.
Mit Bescheid vom 16. Januar 2017 lehnte die Antragsgegnerin den Asylantrag des Antragstellers ab und ordnete die Abschiebung nach Polen an. Hiergegen klagte der Antragsteller am 7. Februar 2017. Über die Klage ist noch nicht entschieden, der Antragsteller hat seinen Antrag mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 5. Juli 2017 umgestellt, nachdem er nach Polen rücküberführt worden ist, wie folgt: „Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, den am 28.06.2017 (2016, Schreibfehler) erfolgten Vollzug der Abschiebungsanordnung vom 16.01.2017 … rückgängig zu machen.“ Mit eben diesem Schriftsatz beantragt der Kläger und Antragsteller, dies ebenso im Wege der einstweiligen Anordnung zu entscheiden.
Ein Überstellungsversuch nach Polen durch die Antragsgegnerin und deren zuständige Behörde fand am 20. März 2017 statt. Der Antragsgegner war aber nicht auffindbar, da er ohne Abmeldung bei einem Freund in … (bei …) vom 18. bis 23. März 2017 weilte.
Vom 24. März 2017 bis 22. Mai 2017 befand sich der Antragsteller im Kirchenasyl, dies teilte die Kirchengemeinde der Antragsgegnerin am 27. März 2017 (Montag) mit.
Am 28. Juni 2017 wurde der Antragsteller nach Polen abgeschoben. Demnächst steht seine Abschiebung von Polen aus in sein Herkunftsland bevor.
Der Antragsteller beantragt,
im Wege der einstweiligen Anordnung die Antragsgegnerin zu verpflichten, den am 28. Juni 2017 erfolgten Vollzug der Abschiebungsanordnung vom 16. Januar 2017 rückgängig zu machen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Eilantrag abzulehnen. Die Überstellung nach Polen sei rechtmäßig; die Überstellungsfrist sei verlängert worden.
Im Übrigen wird auf den Akteninhalt und die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat keinen Erfolg.
1. Der Antrag nach § 123 VwGO ist statthaft, da nach erfolgter Abschiebung eine Regelungsanordnung angestrebt wird.
Eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes darf aber nur ergehen, wenn der Antragsteller das Bestehen eines zu sichernden Rechtes, den sog. Anordnungsanspruch, und die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung, den sog. Anordnungsgrund, glaubhaft macht (§ 123 Abs. 1 und 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO). Maßgebend sind die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG.
Der Antragsteller begehrt hier keine vorläufige Maßnahme, sondern eine endgültige Vorwegnahme der Entscheidung über sein Klagebegehren auf Rücküberstellung aus Polen. Solchen, die Hauptsache vorwegnehmenden Anträgen ist im Verfahren nach § 123 VwGO nur ausnahmsweise stattzugeben, wenn die drohenden Nachteile unzumutbar und die geltend gemachten Ansprüche hinreichend wahrscheinlich und vom Antragsteller glaubhaft gemacht sind.
Zwar hat der Antragsteller nach § 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO glaubhaft gemacht, dass ihm unzumutbare Nachteile drohen, falls nicht rechtzeitig entschieden wird, bevor Polen ihn in sein Herkunftsland abschiebt, was unmittelbar bevorsteht. Der Antragsteller hat durch seinen Prozessbevollmächtigten also das Vorliegen eines Anordnungsgrundes glaubhaft gemacht, im Sinne erheblicher Nachteile, die den Erlass einer die Hauptsache vorwegnehmenden Entscheidung begründen könnten.
2. Es fehlt aber an einem Anordnungsanspruch, also dem materiell-rechtlichen Anspruch, auf den sich das Antragsbegehren stützt.
2.1. Zunächst geht es um den angegriffenen Bescheid der Antragsgegnerin vom 16. Januar 2017: mit diesem lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) den Asylantrag als unzulässig ab (Nummer 1 des Bescheides), stellte fest, dass keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG vorliegen (Nummer 2 des Bescheides), ordnete die Abschiebung nach Polen an (Nummer 3 des Bescheides) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung (Nummer 4).
Dieser Bescheid ist rechtmäßig ergangen. Der Asylantrag des Antragstellers war gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG unzulässig, da Polen auf Grund des in Polen ausgestellten Visums gem. Art. 12 Abs. 4 Dublin III-VO für die Behandlung des Asylantrages zuständig ist.
Es liegen keine Umstände vor, die die Zuständigkeit Polens in Durchbrechung des Systems der Bestimmungen der Dublin III-VO entfallen ließen. Besondere Umstände, die die Zuständigkeit der Antragsgegnerin nach Art. 3 Abs. 2 Dublin III-VO begründen würden, sind seitens des Antragstellers weder konkret vorgetragen noch ersichtlich. Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93, juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C 4 11/10 und C 493/10, juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Grundrechtscharta) entspricht. Allerdings ist diese Vermutung nicht unwiderleglich. Vielmehr obliegt den nationalen Gerichten die Prüfung, ob es im jeweiligen Mitgliedstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer ernsthaften und durch Tatsachen bestätigten Gefahr für den Antragsteller führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 Grundrechtscharta bzw. Art. 3 Europäische Menschenrechtskonvention ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 a.a.O.). Der Asylbewerber kann der Überstellung in den zuständigen Mitgliedsstaat mithin nur mit dem Einwand sogenannter systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber entgegentreten (so grundsätzlich EUGH, U.v. 10.12.2013, RS: 10-394/12, juris). So bestimmt Art. 3 Abs. 2 Dublin III-VO, dass im Falle systemischer Schwachstellen in einem Mitgliedsstaat für den Fall, dass keine anderen zuständigen Staaten gefunden werden können, der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedsstaat der zuständige Mitgliedsstaat wird. An die Feststellung systemischer Mängel sind hohe Anforderungen zu stellen. Einzelne Grundrechtsverletzungen oder Verstöße gegen Art. 3 EMRK der zuständigen Mitgliedstaaten genügen hierfür nicht. Von systemischen Mängeln ist vielmehr erst dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG, B. v. 19.3.2014 – 10 B 6.14, juris; B.v. 6.6.2014 – 10 B 25/14, juris).
Ausgehend davon bestehen im gegenwärtigen Zeitpunkt keine Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller in Polen aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber tatsächlich Gefahr läuft, dort einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein. Die „Gefahr“, dass Polen seinen Asylantrag ablehnt und den Antragsteller in sein Herkunftsland überstellt, ist dem Asylverfahren allgemein immanent. Die Verneinung systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in Polen entspricht im Übrigen auch der überwiegenden Rechtsprechung (vgl. BayVGH, U.v. 19.1.2016 – 11 B 15.50130; U.v. 22.6.2015 – 11 B 15.50049 sowie B.v. 28.4.2015 – 11 ZB 15.50065; Sächsisches OVG, B.v. 12.10.2015 – 5 B 259/15.A; VG Göttingen, U.v. 27.1.2016 – 2 A 931/13; VG Aachen, U.v. 19.8.2015 – 6 K 2553/14.A; VG München, B.v. 29.6.2015 – M 24 K 15.50074; VG Frankfurt|Oder, B.v. 09.6.2015 – 6 L 324/15.A; VG Magdeburg, B.v. 14.4.2015, 9 B 147/15; VG Gelsenkirchen, U.v. 10.3.2015 – 6a K 3687/14.A; VG Düsseldorf, B.v. 2.03.2015 – 17 L 2510/14.A; VG Weimar, U.v. 29.10.2014 – 7 K 20180/11 We -, alle juris) sowie der ständigen Rechtsprechung der Kammer (VG Ansbach, U.v. 27.1.2016 – AN 14 K 15.50448 und AN 14 K 15.50450; B.v. 19.6.2015 – 14 S. 15.50134, U.v. 17.2.2015 – 14 K 14.50221 sowie AN 14 K 14.50222). Ergänzend hierzu wird auf die ausführliche und zutreffende Begründung des streitgegenständlichen Bescheids des Bundesamtes vom 16. Januar 2017 Bezug genommen.
Anhaltspunkte dafür, dass dem Antragsteller unabhängig davon aufgrund weiterer besonderer Umstände im Einzelfall eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung, d.h. ein Verstoß gegen Art. 4 GR-Charta, bei der Überstellung nach Polen droht, sind nicht ersichtlich.
Auch außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Antragsgegnerin veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO auszuüben, sind nicht gegeben.
Auch Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG liegen nicht vor. Der Antragsteller sagte am 27. Oktober 2016 lediglich, dass er in keinen anderen Dublin-Mitgliedstaat überstellt werden wolle, weil er in Deutschland gut behandelt werde und es ein gutes Land für Asylbewerber sei, zudem wollte er immer nach Deutschland. Ein der Abschiebung nach Polen entgegenstehendes inlandsbezogenes Abschiebungshindernis, das im Rahmen einer Abschiebungsanordnung gemäß § 34a Abs. 1 AsylG ausnahmsweise von der Antragsgegnerin auch noch nach Erlass der Abschiebungsanordnung zu berücksichtigen wäre (vgl. BVerfG, B.v. 17.9.2014 – 2 BvR 732/14 – AuAS 2014, S. 244 ff., juris Rn. 11 f; OVG NRW, B.v. 30.8.2011 – 18 B 1060/11, juris, Rn. 4), ist im vorliegenden Fall nicht ersichtlich. Schließlich begegnete auch die rechtliche und tatsächliche Durchführbarkeit der Abschiebung des Antragstellers nach Polen keinen Bedenken, da die polnischen Behörden seiner Rückführung ausdrücklich zugestimmt haben.
2.2. Die Abschiebung am 28. Juni 2017 durfte deshalb erfolgen, weil sie innerhalb der verlängerten Überstellungsfrist von 18 Monaten erfolgte. Der Antragsteller hätte nur dann Recht, wenn für ihn die Überstellungsfrist gemäß Art. 29 Dublin III-VO die Regeldauer von sechs Monaten hätte (dann hätte sie am 26. April 2017 geendet), was aber nicht der Fall ist. Denn die Antragsgegnerin hat von der Möglichkeit gemäß Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 Dublin III-VO Gebrauch gemacht. Danach kann die Überstellungsfrist auf höchstens 18 Monate verlängert werden, wenn die betreffende Person flüchtig ist.
Der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers hat ausführlich dargelegt, wie vorbildlich der Antragsteller an seiner Integration mitgewirkt hat und auch die Gründe seiner Abwesenheit am 20. März 2017 und danach erläutert. Aber der Umstand, dass der Antragsteller im relevanten Zeitpunkt (bei Behörden) unangemeldet abwesend gewesen ist, steht fest. Zum Zeitpunkt einer versuchten Überstellung am 20. März 2017 war der Antragsteller für die Behörden nicht auffindbar. Im fraglichen Zeitrahmen galt die Zuweisung an die genannte Unterkunft durch Bescheid der Regierung von Mittelfranken vom 28. September 2016, Bl. 47 der Akte des Bundesamtes, an die Unterkunft … Dort war aber der Antragsteller vom 18. bis 23. März 2017 nicht anwesend.
Im Lichte von Sinn und Zweck der Vorschrift des Art. 29 Abs. 2 Satz 2, Alt. 2 Dublin III-VO konnte die Verlängerung der Überstellungfrist durch die Antragsgegnerin erfolgen, weil dadurch vermieden wird (und werden soll), dass sich der Zuständigkeitsübergang durch pflichtwidriges Tun oder Unterlassen vollzieht.
Die Fristenregelungen der Dublin III-VO begründen zwar für sich genommen keine subjektiven Rechte des Asylbewerbers. Der Antragsteller hat aber aus dem materiellen Asylrecht nach inzwischen gefestigter Meinung einen Anspruch darauf, dass der nach der Dublin III-VO zuständige Staat das Asylverfahren durchführt (vgl. noch zur Dublin II-VO Berlit, jurisPR-BVerwG 12/2014, Anm. 3, wonach der Asylbewerber kein umfassendes subjektiv-öffentliches Recht auf eine Überprüfung hat, ob der zur Aufnahme bereite Mitgliedstaat tatsächlich nach objektivem Recht der nach dem Zuständigkeitsregime der Dublin II-VO auch zuständige Mitgliedstaat ist oder ob nicht zwischenzeitlich ein anderer Mitgliedstaat zuständig geworden ist). Etwas anderes gilt nur dann, wenn feststeht, dass der andere Mitgliedstaat (hier: Deutschland) den Asylbewerber aufnehmen und das Asylverfahren durchführen wird (vgl. OVG NW, U. v. 16.9.2015 – 13 A 2159/14.A, juris, Rn. 67, 82 ff., zur Dublin II-VO). Dies ist hier jedoch nicht der Fall.
Die Antragsgegnerin hat vielmehr von der Möglichkeit der Verlängerung der Überstellungsfrist Gebrauch gemacht. Dabei ist dies – und das genügt mangels entgegenstehenden Unionsrechts – dadurch dokumentiert, dass die Antragsgegnerin den polnischen Behörden am 21. März 2017 die Fristverlängerung angezeigt hat, und zwar innerhalb des Laufs der zunächst geltenden 6-monatigen Überstellungsfrist. Die Antragsgegnerin hat Polen dabei über die Flüchtigkeit des Antragstellers und die daraus folgende Unmöglichkeit der Überstellung informiert. Das Erfordernis der Information des Zielstaates vor Ablauf der Überstellungsfrist folgt aus Art. 9 Abs. 2 Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 der Kommission vom 2. September 2003 in der Fassung von Art. 1 Nr. 5 Durchführungsverordnung (EU) Nr. 118/2014 der Kommission vom 30. Januar 2014. Dem hat die Antragsgegnerin mit ihrem Schreiben an die polnischen Behörden genügt. Darin liegt auch eine – jedenfalls konkludente getroffene – nach dem Wortlaut von Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-VO („Die Frist […] kann verlängert werden […]“) erforderliche Entscheidung der Antragsgegnerin über die Fristverlängerung (vgl. zur Notwendigkeit einer Entscheidung der Antragsgegnerin über die Fristverlängerung VG Dresden, U.v. 12.06.2015 – 7 K 2951/14.A, juris). Nach der VO (EU) Nr. 118/2014 vom 30. Januar 2014 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 erhielt Artikel 9 Absatz 2 folgende Fassung: „(2) Ein Mitgliedstaat, der aus einem der in Artikel 29 Absatz 2 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 genannten Gründe die Überstellung nicht innerhalb der üblichen Frist von sechs Monaten ab dem Zeitpunkt der Annahme des Gesuchs um Aufnahme oder Wiederaufnahme der betroffenen Person oder der endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf oder eine Überprüfung, wenn diese aufschiebende Wirkung hat, vornehmen kann, unterrichtet den zuständigen Mitgliedstaat darüber vor Ablauf dieser Frist. Ansonsten fallen die Zuständigkeit für die Behandlung des Antrags auf internationalen Schutz bzw. die sonstigen Verpflichtungen aus der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 gemäß Artikel 29 Absatz 2 der genannten Verordnung dem ersuchenden Mitgliedstaat zu.“
Der Antragsteller kann sich mithin nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die Frist des Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO von 6 Monaten abgelaufen ist.
Denn ein Asylbewerber ist bereits dann „flüchtig“, wenn er sich seiner sonst möglichen Überstellung durch sein Nichtdasein bewusst entzieht. „Erforderlich ist nicht, dass er seine Wohnung (dauerhaft) verlässt, den Ort wechselt bzw. untertaucht und sich dadurch den Zugriff der Behörden entzieht. Die Formulierung ‚flüchtig ist‘ knüpft nämlich an die ‚Überstellung‘ an. In einem solchen Fall hat nicht der Mitgliedstaat, sondern der Asylbewerber den Ablauf der Frist zu vertreten“ (vgl. VG Regensburg, U.v. 20.02.2015 – RN 3 K 14.50264, juris, sowie VG Magdeburg, B.v. 11.12.2014 Az. 1 B 1196/14 m.w.N., juris).
Dies gilt insbesondere im Betrachte des § 10 Abs. 1 AsylG, über den der Antragsteller belehrt wurde, wonach der Asylbewerber („Ausländer“) während der Dauer des Asylverfahrens vorzusorgen hat, dass ihn Mitteilungen des Bundesamtes, der zuständigen Ausländerbehörde und der angerufenen Gerichte stets erreichen können. Ein Asylbewerber gilt als „flüchtig“ im Sinne von Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-VO bei jeder Form eines unbekannten Aufenthalts, mit der er sich vorsätzlich und unentschuldigt seiner Abschiebung entzieht (BayVGH, B.v. 29.04.2016 – 11 ZB 16.50024, juris). Dieses subjektive Moment im Sinne eines dolus eventualis ergibt sich aus dem Wort „flüchtig“, das eben mehr voraussetzt als nur „abwesend“ oder “nicht erreichbar“, aber die Inkaufnahme einer vergeblichen Abschiebung genügen lässt.
Im vorliegenden Fall sollte der Antragsteller am 20. März 2017 nach Polen abgeschoben werden. Dieser Überstellung entzog er sich faktisch, zumindest mit bedingtem Vorsatz, durch seine zeitweise ungeklärte Abwesenheit, denn es erfolgte weder Abmeldung noch Nachricht über den Ort, an dem er sich aufhält. Dabei kommt es nicht darauf an, ob dem Antragsteller die bevorstehende Abschiebung bekannt war oder nicht. Denn er musste jedenfalls mit einer Überstellung nach Polen rechnen.
Eine Stellungnahme des wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages bringt es auf den Punkt: „Eine Verlängerung, weil der Asylbewerber flüchtig ist, ist dann möglich, wenn ein Überstellungsverfahren bereits gescheitert oder aussichtlos ist, weil die Person ohne Verschulden der Behörden nicht auffindbar ist oder rechtmäßigen Anordnungen, ihren Aufenthaltsort mitzuteilen oder sonstigen Pflichten zur Mitwirkung an einer Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat nicht nachkommt“ (wiss. Dienst des BT, AZ: WD 3 – 3000 – 115/15, vgl. auch Hailbronner, Kommentar zum Ausländerrecht, Anm. 49 zu § 29 AsylG).
Ebenso urteilte das VG Schwerin (B.v. 24.08.2016, 3 B 2176/16 As SN, juris): „…hat die Antragsgegnerin am 07.06.2016 vor Ablauf der Überstellungsfrist am 10.06.2016 einen Überstellungsversuch unternommen, dem sich der Antragsteller in zurechenbarer Weise entzogen hat mit der Folge, dass er als flüchtig im Sinne des Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO anzusehen war…Unter ‚flüchtig‘ sind alle Sachverhalte zu subsumieren, in denen der Antragsteller aus von diesem zu vertretenden Gründen für die Behörden des die Überstellung durchführen wollenden Staates nicht auffindbar ist oder sonst wie das Verfahren absichtlich behindert (Filzwieser/Sprung, Dublin III-Verordnung, Stand: 01.02.2014, Art. 29 K12 m.w.N.). Erforderlich ist nicht, dass er seine Wohnung dauerhaft verlässt, den Ort wechselt bzw. untertaucht und sich dadurch den Zugriff der Behörden entzieht. Die Formulierung ‚flüchtig ist‘ knüpft nämlich an die ‚Überstellung‘ an. In einem solchen Fall hat nicht der Mitgliedstaat, sondern der Asylbewerber den Ablauf der Frist zu vertreten (vgl. VG Regensburg, Urt, v. 20.02.2015 – RN 3 K 14.50264 – Rn. 54 ff., juris m.w.N.).“
Ähnlich judiziert das Verwaltungsgericht Greifswald (U.v. 16.12.2016 – 3 A 231/16 As HGW, juris sowie Gerichtsbescheid v. 31.05.2016 – 3 A 256/16 As HGW, juris): „Flüchtig … ist eine Person dann, wenn sie über einen erheblichen Zeitraum hinweg aus von ihr zu vertretenden Gründen nicht auffindbar ist.“
Im vorliegenden Fall hatte der Antragsteller seine Unauffindbarkeit (und diese nicht nur über eine kurze Zeitspanne, etwa zum Einkaufen oder Abendbummel, sondern drei Tage) auch zu vertreten: Er hatte selbst nachträglich vorgetragen, dass er sich bei Freunden aufgehalten habe und hingegen nichts dazu geäußert, woraus sich ergibt, dass auch dem BAMF oder der zuständigen Ausländerbehörde bzw. der Unterkunftsleitung sein Aufenthaltsort bekannt gewesen ist. Die hier ausgeführten Grundsätze müssen übrigens auch unabhängig davon gelten, ob ein Überstellungsversuch – wie hier – konkret stattgefunden hat oder nicht. Nach Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-VO kommt es bei der 2. Alternative nicht darauf an, ob ein Abschiebungsversuch unternommen wurde: „Diese Frist kann höchstens auf ein Jahr verlängert werden, wenn die Überstellung aufgrund der Inhaftierung der betreffenden Person nicht erfolgen konnte, oder höchstens auf achtzehn Monate, wenn die betreffende Person flüchtig ist.“ Es ist dem betreffenden abschiebewilligen Mitgliedstaat, so die ratio dieser unionsrechtlichen Vorschrift, nicht zuzumuten, mit ständigen Unwägbarkeiten zu rechnen, sondern ihm soll die 6-monatige Überstellungsfrist ununterbrochen zur Verfügung stehen, um die Überstellung in Abstimmung mit dem zuständigen Mitgliedstaat vernünftig und für den Asylbewerber sozialverträglich zu organisieren. Dieser Wertung entspricht auch die gängige Rechtsprechung, dass durch einen Eilantrag und Eilbeschluss des Verwaltungsgerichts die 6-Monatsfrist zur Überstellung unterbrochen wird. Die Überstellungsfrist beginnt mithin ab dem Zeitpunkt der Bekanntgabe eines ablehnenden Eilbeschlusses vollständig neu zu laufen (BVerwG, B.v. 27.4.2016 – 1 C 22.15 – und U.v. 26.5.2016 – 1 C15.15 – juris; OVG NRW – B.v. 7.7.2016 – 13 A 2302/15.A -, juris).
Freilich begrenzt der auch europarechtlich fundierte Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (vgl. statt vieler EuGH, U.v. 11.07.1989, C-265/87, Slg. 1989, 2237, zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als allgemeinen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts) die Möglichkeit der Verlängerung der Überstellungsfrist: ist der Ausländer nur für eine unerheblich kurze Zeit oder unverschuldet unangemeldet unauffindbar (Einkauf, sonstige private Erledigung, Arztbesuch), ist nicht von Flüchtigkeit auszugehen. Bei der hier streitgegenständlichen Zeitspanne des Fernbleibens über mehrere Tage verhält es sich jedoch anders.
Die Verlängerung der Überstellungsfrist war also rechtlich korrekt, da der Antragsteller a.) für eine nicht unerheblich kurze Zeit unentschuldigt und ohne Abmeldung unauffindbar war und b.) dies dem Bundesamt bekannt wurde.
Aus diesem Grund kommt es hier nicht mehr darauf an, ob das Kirchenasyl des Antragstellers „Flüchtigsein“ bedeutet. Zumindest hat das Bundesamt das Kirchenasyl nicht zum Anlass für eine Verlängerung der Überstellungsfrist genommen.
Eine andere Frage – die sich ebenso hier nicht (mehr) stellt – ist, ob der vom 24. März 2017 bis 22. Mai 2017 im Kirchenasyl befindliche Antragsteller ein Rechtsschutzbedürfnis für einen Rechtsbehelf gegen Abschiebungsanordnungen des Bundesamtes in dieser Zeitspanne hatte, was das Gericht verneint, da sich der Antragsteller während des Kirchenasyls der staatlichen Gewalt, die die staatliche Rechtsordnung gewährleistet, entzog. Der Antragsteller vertraute darauf, dass sich die bayerischen Ausländerbehörden in diesen Fällen scheuen, auch gegen vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer vorzugehen. Der Antragsteller verhielt sich also widersprüchlich und damit rechtsmissbräuchlich, wenn er sich einerseits an ein Gericht wendet, um vorläufigen Rechtsschutz gegen eine Verteilungsentscheidung unter den europäischen Mitgliedsstaaten zu fordern, andererseits aber bereits während des gerichtlichen Verfahrens dartut, dass er sich den Rechtsordnungen der Bundesrepublik Deutschland und der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union entzieht (vgl. auch VG Cottbus v. 16.06.2016, Az.: 5 K 273/16.a; VG Ansbach v. 14.04.2016, Az.: AN 6 K 15.31132).
2.3. Nach Überstellung des Antragstellers am 28. Juni 2017 in den Mitgliedstaat Polen ist das Klageverfahren bezüglich der Abschiebungsanordnung erledigt, weil die Überstellung rechtmäßig war. Durch die vollzogene Abschiebung haben sich die Rechtswirkungen des streitgegenständlichen Bescheides insoweit vollständig erledigt und ist das im Bescheid bestimmte Land (hier: Polen) endgültig für die Prüfung des Asylbegehrens zuständig geworden, da der Antragsteller dorthin überstellt worden ist (vgl. VG Ansbach U.v. 25.11.2010, Az. AN 11 K 10.30388, juris; vom 13.10.2010, Az. AN 11 K 10.30314, juris und vom 13.10.2010, Az. AN 11 K 10.30315, juris). Eine Erledigung liegt vor, wenn die mit dem Verwaltungsakt verbundene rechtliche oder sachliche Beschwer nachträglich weggefallen ist, insbesondere die Regelungswirkung entfallen ist, was im Fall der Vollziehung des Verwaltungsaktes weiter voraussetzt, dass die Vollziehung auch nicht rückgängig gemacht werden kann oder dies objektiv unzumutbar ist. Zwar muss nicht allein der Vollzug eines Verwaltungsaktes zur Erledigung führen und zwar auch dann nicht, wenn hiermit irreversible Tatsachen geschaffen werden; eine Erledigung tritt vielmehr erst ein, wenn dieser nicht mehr geeignet ist, rechtliche Wirkungen zu erzeugen oder wenn die Steuerungsfunktion nachträglich entfallen ist. Im Fall des Erlasses einer Abschiebungsanordnung in einen Mitgliedstaat der EG sind in diesem Zusammenhang nach Ansicht des Gerichts zunächst die beiden zu treffenden Entscheidungen, nämlich die Nichtdurchführung eines Asylverfahrens und die Überstellung/Abschiebung an bzw. in den Mitgliedstaat, in ihrer Gesamtheit zu sehen und können daher nicht getrennt werden. Nach Sinn und Zweck der Dublin III-VO ist die Zuständigkeit Polens hierdurch endgültig eingetreten, eine Änderung dieser Rechtsfolge wäre nunmehr gemeinschaftsrechtlich gar nicht mehr zulässig (vgl. auch VG Frankfurt, Oder, v. 28.11.2012, Az. 3 K 525/11.A, juris; VG München vom 2.7.2012, Az. M 15 K 12.30110, juris). Die Regelungen des Bescheids der Antragsgegnerin vom 16. Januar 2017 sind somit nicht mehr geeignet, rechtliche Wirkungen zu erzeugen. Mit der Abschiebung des Antragstellers hat sich nämlich nicht nur die Abschiebungsanordnung erledigt, sondern Polen ist auch endgültig für die Bearbeitung des Asylantrags des Antragstellers zuständig geworden; eine Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland ist nunmehr ausgeschlossen.
Aus dem vorgenannten Gründen ist ein Fall der §§ 51 Abs. 5 i.V.m. 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG nicht gegeben. Die Überstellungsfrist war zum Zeitpunkt der Abschiebung nach Polen nicht abgelaufen. Damit ist auch ein – ansonsten möglicherweise denkbarer – Folgenbeseitigungsanspruch, vgl. Art. 29 Abs. 3 Dublin III-VO, nicht ersichtlich.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Gemäß § 83 b AsylG werden Gerichtskosten nicht erhoben.
Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.